Titel: | Ueber narcotische Biere; von H. Creuzburg. |
Autor: | H. Ch. Creuzburg [GND] |
Fundstelle: | Band 165, Jahrgang 1862, Nr. LVIII., S. 215 |
Download: | XML |
LVIII.
Ueber narcotische Biere; von H. Creuzburg.
Creuzburg, über narcotische Biere.
Von dem Biere, einem Getränk welches von Hoch und Niedrig, Reich und Ann, Jung und
Alt genossen wird, als Durstlöschungs- und Erfrischungsmittel nicht allein,
sondern das auch den Kranken laben und stärken, den Arbeiter zu neuen Kräften
anregen soll, darf man wohl mit einem heiligen Recht voraussetzen, daß es rein und
unverfälscht, d.h. nicht mit fremden Substanzen versetzt sey, welche der Gesundheit
nachtheilig sind, und die Gesellschaft muß bei dem Bezug desselben auf die
Ehrenhaftigkeit, die Gewissenhaftigkeit der Bierproducenten vertrauen können.
Daß aber dieses Vertrauen von den Bierbrauern nicht immer gerechtfertigt, sondern
mißbraucht wird; daß es noch immer viele Biere gibt, deren Genuß unbehagliche, das
Nerven- und Blutsystem auffallend störende Symptome wahrnehmen läßt, die also
mit fremden schädlichen Substanzen versetzt sind, das ist leider eine so bekannte
Sache, daß es fast als überflüssig erscheinen möchte, dieses Thema wiederholt zur
Sprache zu bringen. Daß ich aber diesen Gegenstand einer neuen Erörterung werth
halte, wird die Art der Auffassung und Darstellung desselben in dieser Abhandlung
hoffentlich rechtfertigen.
Wir können zur Genüge jene Vorschriften, „Recepte zum Sud“
genannt, welche von manchen Bierbrauern in ihrer Verblendung als Arcana geschätzt
und angewendet werden, um aus ihrem sonst vielleicht guten Biere ein ungesundes zu
machen.
Man geht in Biergesellschaft, um sich eine Erholung zu machen, und wanket –
nachdem man zwei bis drei Glas Bier getrunken hat – unangenehm verstimmt und
in einem betäubten, einem Rausch ähnlichen Zustande wieder nach Hause.
Der Verdacht einer Narcotisirung solchen Bieres ist der Sanitätspolizei vielleicht
nicht fremd, allein es ist schwer, diesen Verdacht zu rechtfertigen, weil
narcotische Pflanzengifte, in der kleinen Menge deren es hier bedarf, in einem Bier
auf chemischem Wege mit Evidenz nicht leicht nachzuweisen sind, und gewöhnlich die
Güte, Stärke des Bieres, sowie dessen Gehalt an angeblich narcotischem Hopfen
vorgeschützt wird.
Die Wissenschaft hat diese angeblich betäubende Eigenschaft des Hopfens gleichsam
stillschweigend zugegeben und doch hätte sie dieselbe widerlegen können, denn der
Hopfen hat in der That in dem Zustande, wie seine extractiven Bestandtheile in dem
Biere enthalten sind, keine wirklich betäubenden Eigenschaften, am wenigsten im
Sinne eines Narcoticums.
Man nehme eine Abkochung von Hopfen, in dem Verhältniß wie derselbe im Biere gegeben
ist, innerlich, und man wird nichts von narcotischen Symptomen an sich
verspüren.
Wenn man auf einem mit Hopfen gefüllten Sack schläft, bekommt man freilich
Kopfschmerzen und Nervenaffectionen, allein daraus folgt nicht, daß der Hopfen ein
Narcoticum ist, denn das bewirken andere starkriechende Specereien auch. Man schlafe
auf einem Sack mit Steinklee oder Saffran, und man wird Kopfschmerzen und
Nervenerregung verspüren, es wird aber darum Niemand einfallen, diese Droguen für
Narcotica zu erklären.
Das etwas Betäubende des Hopfens rührt von feinen riechenden Bestandtheilen her. Bei
der Bierbereitung wird aber der Hopfen mit der Würze gekocht (weil der Gerbstoff desselben das Gerinnen
des Klebers bewirken soll); dabei gehen die riechenden aromatischen Theile
größtentheils verloren.
Steht aber einmal toxikologisch fest, daß der Hopfen kein eigentliches Narcoticum
ist, so darf auch ein aus Malz und Hopfen nach Vorschrift bereitetes Bier keine
auffallend narcotische Wirkung wahrnehmen lassen, denn dem geringen Alkoholgehalt
des Bieres sind jene nicht zuzuschreiben.
Um in die Sache behufs sanitätspolizeilicher Untersuchungen einige Klarheit zu
bringen, ist es nothwendig, die Wirkung eines reinen, guten Bieres sowohl, als jene
eines narcotischen Bieres einigermaßen symptomatisch festzustellen.
Die Wirkung eines reinen unverfälschten
Bieres
besteht bekanntlich in einer gewissen angenehm belebenden
Erregung aller körperlichen und geistigen Lebensfunctionen, ohne – mäßigen
Genuß vorausgesetzt – auffallend unangenehme Beschwerden zurückzulassen. Auch
eine mäßige Berauschung ist ohne sehr lästige Folgen; man schläft in der Regel gut
darauf, und fühlt am andern Morgen selten Kopfschmerz oder sonstige unangenehme, den
sogenannten Katzenjammer bezeichnende Beschwerden. Nur bei stärkerer Berauschung ist
das letztere der Fall, wobei aber hie und da das starke Tabak- zumal
Cigarrenrauchen mit in Anschlag zu bringen seyn wird.
Die Wirkung eines narcotischen
Bieres
ist, ohne daß man an demselben einen auffallenden
Nebengeschmack bemerken kann, doch von der Wirkung eines reinen Bieres merklich
verschieden. Anfangs zwar ist in der Wirkung narcotischer Biere nichts auffallendes
zu bemerken, und da sie in der Regel gut munden, so wird man getäuscht und läßt
sich's schmecken. Allein, schon bevor man sein gewohntes Quantum getrunken hat,
stellen sich unbehagliche Symptome ein; zuerst ein dumpfes Gefühl im Kopf, das zwar
kein eigentlicher Kopfschmerz, aber doch geeignet ist den Frohsinn etwas
herabzustimmen, dabei manchmal Blutwallung nach dem Kopf.
Nach und nach, bei weiterem Trinken, stellt sich eine Art dumpfer Betäubung ein; man
ist nicht mehr gut aufgelegt zur Unterhaltung, und obwohl man kaum so viel getrunken
hat, als man sonst ganz gut vertragen kann, so verliert man fast die Luft mehr zu
trinken. Trinkt man aber weiter, so stellt sich ein Zustand der Berauschung ein, als
hätte man bereits doppelt so viel getrunken, als man wirklich trank. Es ist aber keine wahre Berauschung;
die Symptome sind anders, als wenn man von einem reinen Bier zu viel getrunken hat.
Man fühlt durch alle Glieder ein Fibriren, manchmal einen kaum bemerklichen Grad von
Lähmung dabei, der Gang ist unsicher, fast taumelnd, und doch anders als bei einem
gewöhnlichen Rausch. Nicht berauscht, sondern betäubt ist man. Dazu gesellt sich
zuweilen etwas Uebligkeit, obwohl selten bis zum Erbrechen, bei Manchen auch
Harnstrenge und ein gewisser stierer Blick im Auge.
Die Nachwirkung ist ebenfalls anders, als bei einem
reinen, guten Biere. Der betäubte Zustand dauert lange fort, man ist nicht aufgelegt
zur Arbeit. Geht man zu Bett, so ist es zuweilen als gehe das Bett im Kreis herum,
wobei sich Uebligkeit einstellt, doch geht das meistens vorüber und man versinkt in
einen dumpfen Schlaf, der oft unruhig unterbrochen und bei jungen Leuten nicht
selten von wollüstigen Träumen begleitet ist, endlich erfolgt in der Regel ein
Wiederversinken in einen tiefen, über die gewöhnliche Zeit anhaltenden Schlaf.
Nach dem Aufsteigen vom Bett verspürt man, wenn nicht Kopfschmerz, doch ein
unangenehm dumpfes Gefühl im Kopf bis in den Nacken, hohle Augen, man ist
verdrießlich und nicht zur Arbeit aufgelegt, am wenigsten zu Kopfarbeiten. Nach dem
Kaffeetrinken tritt zwar eine Erleichterung dieser Zufälle ein, aber sie dauern oft
noch den ganzen Tag an, bis sie mit Zurücklassung eines gelinden Schwachheitsgefühls
im Kopf sich nach und nach verlieren.
Wie aber die betäubenden Mittel, welche den Bieren zugesetzt werden, sehr verschieden
sind: Stramonium, Hyosciamus, Belladona, Nux vomica,
Coculi, oder deren Extract (hartes Multum der Bierbrauer), Faba Ignatii, Lollium, Ptelia trifoliata (von den
Bierbrauern öfter selbst cultivirt), zuweilen Opium
etc., so sind auch die Wirkungsäußerungen der narcotischen Biere, je nachdem sie mit
diesem oder jenem Narcoticum oder mehreren zugleich, versetzt sind, von den oben
erwähnten mehr oder weniger abweichend; die oben angegebenen sind jedoch die
allgemeineren, allesammt laufen sie aber auf Irritation der
Nerven hinaus. Auch wirken dergleichen narcotische Biere – je nach
körperlicher Constitution und Nervenreizbarkeit – mehr oder minder
abweichend. Manche Personen werden davon höchst auffallend afficirt, andere nur bei
übermäßigem Genuß. Man kann sich auch nach und nach an ein solches Bier gewöhnen, so
daß man dasselbe am Ende ohne sehr auffallendes Ungemach vertragen kann. Wenn aber
Manche die Schädlichkeit solcher narcotischen Biere in gelinderes Licht setzen
wollen, indem sie einwenden daß Personen solches Bier Jahre lang tranken und doch
bis 60 Jahre alt wurden,
so möchte ich dagegen einwenden, daß Solche vielleicht über 70 Jahr alt geworden
wären, wenn sie nicht dieses, sondern ein reines unverfälschtes Bier getrunken
hätten.
Prüfung narcotischer Biere.
Einer Bieruntersuchung muß nothwendig der Verdacht, daß
das Bier mit betäubenden Pflanzengiften versetzt sey, vorausgehen. Dieser Verdacht
wird begründet durch die so eben symptomatisch abgehandelten Wirkungsäußerungen, die
irgend ein Bier auf den Organismus des Trinkenden hervorbringt.
Die Beobachtung dieser Wirkungsäußerungen gewinnt jetzt bedeutend an Gewicht, nachdem
ich die bisherige Annahme, als sey der Hopfen ein narcotischer Stoff, entschieden
abgewiesen und entkräftet habe, derselbe also ferner nicht mehr als
Ausfluchtsmittel, als Sündenbock der Bierbrauer gebraucht und vorgeschoben werden
kann.
Läßt daher ein Bier die oben angeführten narcotischen Symptome erkennen, so ist damit
der Verdacht, daß dasselbe vorsätzlich mit einem betäubenden Pflanzenstoff versetzt
sey, deutlich gegeben, freilich aber ist es noch kein vollgültiger Beweis. Diesen
muß der Chemiker in einer besonderen Prüfung zu liefern suchen. Wie aber bereits
oben erwähnt, so sind vegetabilische Gifte, in der kleinen Quantität in welcher sie
gegeben zu seyn brauchen, in einer Flüssigkeit wie Bier schwer oder gar nicht
nachzuweisen, und man muß, weil chemische Prüfungsmittel oft unzureichend sind,
seine Zuflucht zu anderen, mehr mechanischen Hülfsmitteln nehmen. Ich weiß zu dem
Behuf kein besseres Verfahren anzugeben, als das folgende.
In einer, etwa 6 Unzen haltenden Abdampfschale von Porzellan oder Glas werden 3
Maaß1 Maaß = 2 Pfund Wasser. des verdächtigen Bieres in der Art im Wasserbad abgedampft, daß man das Bier
im Verhältniß des Abdampfens nach und nach zugießt. So erhält man, wenn alles
abgedampft ist, ein Extract von der Consistenz des Terpenthins, welches in kleinem
Raum alle Bestandtheile des Bieres, – Wasser, Spiritus und sonstige flüchtige
Theile ausgenommen, – beisammen enthält, also auch den betäubenden Stoff,
welcher in 3 Maaß des Bieres enthalten ist. Dieses Bierextract knete man nun mit so
viel Weizenmehl zusammen, daß daraus eine Pillenmasse entsteht, und lasse sich
daraus in der Apotheke Pillen von einem Gran Schwere formen. Diese werden mit einer
Mischung von Zucker und Mehl conspergirt, getrocknet und nun einem kleinen Thier,
z.B. einem kleinen Huhn,
das man jedoch hat dursten und hungern lassen, zum Fressen vorgeworfen, wobei aber
auch eine Schale mit Wasser dazu gestellt wird.
Ob das verdächtige Bier wirklich mit irgend einem Narcoticum versetzt war oder nicht,
darauf wird das Thier, welches die Pillen gefressen hat, in wenigen Minuten Antwort
geben. War das Narcoticum in dem Bier wirklich vorhanden, so wird es bald anfangen
zu taumeln, convulsivische Zuckungen bekommen, sich schwer aufrecht erhalten können,
und dergleichen Zufälle mehr wahrnehmen lassen; es wird, wenn man es noch Brod oder
Körner fressen ließ, sich nach und nach wieder erholen oder sterben.
War jedoch das Bier frei von Narcoticis, so wird zwar der leere Magen des Thieres die
abnorme Speise etwas übel nehmen, und das Thier wird sich unbehaglich fühlen, aber
es wird nicht in die eben erwähnten Nervenaffectionen verfallen, sondern nachdem es
wieder anderes Futter gefressen hat, wieder munter werden und dieß bleiben.
Diese Methode ist leicht, schnell und einfach auszuführen, und genügt für alle Fälle.
Freilich erfährt man auf diese Weise nicht, welches der verschiedenen Narcotica,
wenn man ein solches fand, in dem Biere enthalten war, allein das ist auch nicht
absolut nothwendig, denn die Narcotisirung des untersuchten Bieres kann nicht mehr
geläugnet werden.
Auf chemischem Wege wäre mit einiger Zuverlässigkeit allenfalls ein mit Brechnuß oder
Ignatiusbohne versetztes Bier auf Strychnin zu untersuchen, dann wäre aber eine
Quantität von 10 bis 20 Maaß des verdächtigen Bieres bis auf etwa 1 Maaß
abzudampfen, um eine merkliche Menge Strychnin daraus abscheiden zu können. Ich
zweifle jedoch, daß Brechnuß oft von Bierbrauern angewendet wird, muthmaßlich aber
desto häufiger die Kockelskörner oder deren Extract, das sogenannte harte Multum; es
ist jedoch diese letzte Fälschung, sowie die meisten übrigen Narcotica, nur sehr
schwer in einem Bier chemisch nachzuweisen.
Das Versetzen der Biere mit narcotischen Substanzen geschieht in der Absicht, deren
berauschende Kraft zu erhöhen (ihnen Forçe zu geben in der Zunftsprache). Es
gibt aber Bierbrauer, welche neben dem Narcoticum zugleich einen zweiten schädlichen
Stoff zusetzen, dessen ich erwähnen muß. Scharfe Substanzen sind es, welche das Bier
pikantschmeckend machen und das Prickelnde der Kohlensäure ersetzen sollen.Daß die Narcotica und Acria von Bierbrauern pfundweise, und manche dieser
Droguen sogar in großen Quantitäten im Handel bezogen werden, ist kein
Geheimniß.
Die schädliche Wirkung narcotischer Biere wird durch die Vergesellschaftung mit
scharfen Substanzen (Capsicum, Mezereum, Helleborus
etc.) noch
vermehrt, und das sind die ächten sogenannten Kopfreißer,
denn die scharfen Stoffe wirken direct stark auf das Blutsystem, während schon die
Narcotica indirect auf dasselbe wirken.
Ueber die sonstigen Bierfälschungen, z.B. über schädliche Hopfensurrogate; die
Mittel, ein Bier schnell alt zu machen (vorwärts zu bringen in der Zunftsprache); zu
bewirken daß ein Bier den Durst nicht löscht, sondern vermehrt; saures Bier zu
entsäuern, und dergleichen Künste mehr, ein andermal.
Es sey mir nun nur noch erlaubt, dieser Abhandlung einige Schlußbetrachtungen über
die Folgen des Genusses narcotischer Biere anzufügen.
Wenn von der Wissenschaft die Beweise gegeben sind, daß die betäubenden
Pflanzengifte, wie Bilsenkraut, Stechapfel, Tollkirsche, Krähenaugen, Kockelskörner
etc. auch in kleinen Mengen, aber eine Zeit lang anhaltend dem Körper zugeführt, als
schleichende Gifte wirken, und nach und nach jene vielen Krankheiten hervorrufen,
welche aus einer Schwächung des Nervensystems entspringen; wenn ferner scharfe
Pflanzengifte, wie Kellerhals, Paradieskörner, Capsicum, Nieswurz etc., das
Blut- und Gefäßsystem nachtheilig afficiren, und Anlaß geben zu Krankheiten
der Lunge, des Herzens, der Haut etc., und es tausendfach erwiesen ist, daß
dergleichen die Lebensfunctionen, wenn auch oft fast unmerklich, untergrabende
Substanzen in den Bieren und Branntweinen dem Publicum zum Genuß geboten werden, so
führet diese Thatsache, auch wenn wir sie nicht gerade so sehr ängstlich auffassen
wollen, doch zu sehr ernsten Betrachtungen. Mag auch dahingestellt bleiben, daß die
Meisten, welche dergleichen schädliche Biere trinken, nur in schwachem Grade davon
afficirt werden, und nur ein kleiner Theil derselben die Folgen in höherem Grade
büßen müsse, so ist das schon schlimm genug. Man weiß es jedoch, wie unmäßig
heutzutage besonders die Jugend, die Blüthe der Nation, im Genuß des Bieres ist.
Aber schon ein reines gutes Bier ist, in dem gewöhnlichen Uebermaaß täglich
getrunken, nie ohne nachtheilige Folgen; wie viel mehr aber ein mit narcotischen und
scharfen Pflanzengiften versetztes!