Titel: | Ueber die Mycodermen und die Rolle, welche diese Pflanzen bei der Essiggährung spielen; von L. Pasteur. |
Fundstelle: | Band 165, Jahrgang 1862, Nr. LXXVI., S. 299 |
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LXXVI.
Ueber die Mycodermen und die Rolle, welche diese
Pflanzen bei der Essiggährung spielen; von L. Pasteur.
Aus den Comptes rendus,
t. LIV p. 265.
Pasteur, über die Essiggährung.
Unter Mycodermen verstehen die Naturforscher die glatten oder runzlichen Häutchen,
welche man gewöhnlich beim Wein, Bier, Essig u.s.w. als Kahm bezeichnet, und die man an der Oberfläche aller gegohrenen
Flüssigkeiten erscheinen sieht. Man kennt indessen von diesen kleinen Pflanzen wenig
mehr als kurze Beschreibungen ihrer Gestalt.
Eine derselben verdient eine besondere Erwähnung. Man findet manchmal in den Gefäßen
worin Essig aufbewahrt wird, eine zähe schleimige Haut, die man lange Zeit mit dem
Namen Essigmutter belegt hat. Berzelius sagt von derselben:
„Der Essig verliert bei der Aufbewahrung in offenen Gefäßen seine
Durchsichtigkeit, nach und nach sammelt sich darin eine gallertartige
zusammenhängende Masse, die beim Berühren glatt und aufgequollen erscheint, und
welcher die darin enthaltene Flüssigkeit durch Pressen nicht zu entziehen ist.
Man nennt diese Substanz Essigmutter, weil man sie irrthümlicher Weise für fähig
hielt, die Essiggährung zu erregen;.... im reinen Zustande besitzt sie diese
Eigenschaft nicht, welche sie einzig der in ihren Poren eingeschlossenen
Essigsäure verdankt.“
Verschiedene Erfahrungen der Essigfabriken stimmen mit der Ansicht von Berzelius vollkommen überein.
Eine merkwürdige, im Jahr 1823 von Davy entdeckte
Thatsache hat einen großen Einfluß auf Theorie und Praxis der Essigbereitung
ausgeübt, nämlich die Entstehung von Essig durch Platinmohr, welcher mit Alkohol befeuchtet wird. Aus
dieser Thatsache entwickelte sich die Schnellessigfabrication unter Anwendung von
mit Holzspänen gefüllten Fässern und eines durchgehenden Luftstroms. Man nahm an,
daß das poröse Holz, wie der Platinmohr, den Sauerstoff condensire.
Nichts ist dunkler, geheimnißvoller als jene alte Essigfabrication, welche allein auf
dem Enpirismus und der Praxis beruht. – Bei den Untersuchungen über die
Gährungen, mit welchen ich seit einigen Jahren beschäftigt bin, brachten mich
verschiedene Erscheinungen auf die Vermuthung, daß vielleicht die Mycodermen der
Bildung der Essigsäure nicht fremd seyen; diese Idee habe ich durch directe
Experimente weiter verfolgt.
Eine der am leichtesten fortzupflanzenden Arten der Mycodermen ist ohne Zweifel der
Kahm des Weins, Mycoderma vini oder cerevisiae. Mit dieser Pflanze habe ich meine
Untersuchungen begonnen, und dabei zunächst ganz unerwartete Resultate erlangt. Als
ich sie nämlich auf verschiedenen alkoholischen Flüssigkeiten wachsen ließ, erhielt
ich durchaus keine Essigsäure; im Gegentheil verschwand nach und nach die direct
zugesetzte Essigsäure. Ebenso verhielt es sich mit Alkohol.
Indessen waren diese Erscheinungen nicht constant, aber sie waren immer von der
Gegenwart und dem Leben der Pflanze bedingt.
Ich brachte nun den Kahm des Essigs, Mycoderma aceti, allein auf die Oberfläche verschiedener
weingeistiger Flüssigkeiten und gelangte diesesmal zu constanten Resultaten. Der
Weingeist wurde stets in Essigsäure verwandelt und es entstanden dabei als
Zwischenglied geringe Mengen Aldehyd. Der Zusammenhang der chemischen Reaction und
der Gegenwart der Pflanze war eben so klar, wie im ersten Falle.
Wenn man nun diese Versuche mit beiden Mycodermen in geschlossenen Gefäßen
wiederholt, welche außer der Flüssigkeit und dem Samen der Pflanze (des Pilzes) ein
bestimmtes Luftvolumen enthalten, so daß man stets Luft und Flüssigkeit analysiren
kann, so kann man leicht die Erscheinungen in ihrer ganzen Einfachheit erkennen. Es
überträgt nämlich die Essigpflanze den Sauerstoff der Luft auf den Alkohol, aus
welchem Essigsäure wird, während die Weinpflanze (der Weinpilz) ebenfalls Sauerstoff
auf den Alkohol überträgt, dabei aber aus diesem Wasserdampf und Kohlensäure
entstehen läßt. Man erkennt ferner, daß wenn man den Alkohol wegläßt und die
Essigpflanze auf einer essigsäurehaltigen Flüssigkeit wachsen läßt, die Säure in
Wasser und Kohlensäure übergeführt wird. Dasselbe geschieht durch die Weinpflanze,
wenn auch noch Alkohol in der Flüssigkeit vorhanden ist.
Hieraus folgt, daß der Kahm des Weins sich genau so verhält wie der des Essigs, daß es aber für
jenen Umstände gibt, in denen die Eigenthümlichkeit der Pflanze gesteigert wird, das
heißt, unter denen dieselbe statt 2 oder 4 Atome Sauerstoff deren 8 oder 12 aus der
Luft auf 1 Atom Alkohol überträgt, und dann aus diesem nicht mehr Aldehyd oder
Essigsäure, sondern ebenso wie aus der Essigsäure Wasser und Kohlensäure wird.
Alle diese Reactionen geschehen mit solcher Heftigkeit und solcher Wärmeentwickelung,
daß man darüber erstaunen muß.
So kommt es, daß dieselbe Pflanze, welche die Verwandlung des Alkohols in Essigsäure
bewirkt hat, die gebildete Essigsäure wieder zerstören kann. Ich habe gefunden, daß
der Essigkahm nicht weiter die Essigsäurebildung veranlaßt so bald er untergetaucht
ist, denn zu seiner Wirksamkeit ist die Berührung mit der Luft nothwendig. Die
Essigmutter hat keinerlei Einfluß auf die
Essigbildung, da Alles an der Oberfläche der Flüssigkeit geschieht. Dieß habe ich
durch folgende Versuche dargethan: Ich brachte die Essiggährung in einer
weingeistigen Flüssigkeit mittelst des Essigmycoderms hervor, so daß das
Pflanzenhäutchen fest genug wurde, um einigen Widerstand leisten zu können. Zugleich
wurde täglich der Essiggehalt der Lösung bestimmt. In einem bestimmten Zeitpunkt
brachte ich nun das Schimmelhäutchen mittelst schwerer Glasstäbe zum vollkommenen
Untertauchen. Alsbald hörte die Bildung von Essig auf, und blieb 2, 3, 4, 5, 6 und
mehr Tage unterbrochen, bis ein neues Häutchen erschienen war, worauf sich
augenblicklich eine Vermehrung des Essiggehaltes wahrnehmen ließ.
Dieses Resultat beweist, daß die Pflanze nicht etwa irgend einen Stoff ausscheidet
und in der Flüssigkeit verbreitet; es beweist ferner, daß die Ursache des das Leben
der Pflanzen begleitenden chemischen Processes in einem eigenthümlichen
physikalischen Zustande, ähnlich dem des Platinmohrs beruht; dieser physikalische
Zustand ist aber enge mit dem Leben der Pflanze verknüpft. Ein Beweis hiefür ist
Folgendes:
An der Oberfläche einer alkoholischen Flüssigkeit, welche wesentlich phosphorsaure
Salze und eiweißartige Stoffe enthielt, ließ ich Weinkahm sich entwickeln, bis die
ganze Oberfläche davon bedeckt war. Täglich wurde das Verschwinden des Alkohols und
der etwa zugesetzten Essigsäure constatirt. Mittelst eines Hebers wurde nun die
Flüssigkeit unter dem unverletzten Pflanzenhäutchen entfernt und an Stelle derselben
reiner verdünnter Alkohol gebracht, wobei sich das nicht benetzte Häutchen hebt und
wieder oben schwimmt. Die kleine Pflanze hat nunmehr keine anderen Nahrungsmittel,
als welche sie in sich selbst finden kann. Unter diesen abnormen Krankheits-
oder Sterbens-Zuständen verwandelt nun die Pflanze, welche bei ihrer Gesundheit den Alkohol und
die Essigsäure verbrannte, einen Theil des Alkohols in Essigsäure.
Dieser Versuch zeigt, daß die kranke Pflanze dasselbe, nur nicht so kräftig thut, wie
die gesunde.
Demnach ist die gewöhnliche Erklärung der Essigbildung in den Spänefässern ganz
falsch. Die Späne haben direct gar keine Wirkung, sie dienen nur als Stütze für die
Entwickelung des Mycorderma aceti Läßt man nämlich über
Holzspäne oder über eine Schnur mit Wasser verdünnten Alkohol fließen, so enthalten
die am Ende niederfallenden Tropfen keine Spur Essigsäure; taucht man aber vorher
die Schnur in eine Flüssigkeit, welche mit einem Mycodermenhäutchen bedeckt ist, so
bleibt dieses zum Theil an der Schnur hängen, und der nun an dieser langsam in
Berührung mit der Luft hinabfließende Alkohol wird zum Theil in Essigsäure
verwandelt werden.
Wenn die Mycodermen nur als Vermittler der Verbrennung von Alkohol und Essigsäure
dienten, so wäre ihre Rolle schon interessant genug. Allein diese Eigenschaft
erstreckt sich so weit, daß sie ein weites Feld für physiologische und chemische
Forschung eröffnet. Die Mycodermen übertragen die verbrennende Wirkung des
Sauerstoffes der Luft auf eine große Menge organischer Stoffe, wie Zucker,
organische Säuren, verschiedene Alkohole, Eiweißstoffe etc. und liefern dabei in
manchen Fällen interessante Zwischenproducte; die ganze Theorie der Salpeterbildung
scheint von diesem Gesichtspunkte aus einer neuen Prüfung unterworfen werden zu
müssen.
Die fragliche Eigenschaft kommt auch in verschiedenem Grade bei den verschiedenen
Mucedineen und wie es scheint sogar bei den kleinsten Infusorien vor. Ich habe
gefunden, daß man durch die Entwickelung einer Mucedinee verhältnißmäßig schon
bedeutende Mengen Zucker bis auf die letzte Spur in Wasser und Kohlensäure
verwandeln kann.
Wenn die mikroskopischen Wesen von unserer Erdkugel verschwänden, so würde die
Oberfläche derselben mit todter organischer Substanz aller Art überfüllt seyn; diese
Wesen sind es vorzugsweise, welche dem Sauerstoff seine verbrennenden Eigenschaften
ertheilen; ohne sie würde das Leben unmöglich, weil das Werk des Todes unvollständig
bliebe. Die überall verbreiteten Keime der mikroskopischen Wesen beginnen nach dem
Tode der Thiere und Pflanzen ihre Entwickelung und durch ihre merkwürdige
Vermittelung wird der Sauerstoff der Luft in ungeheurer Masse auf die betroffenen
organischen Substanzen übertragen, so daß diese nach und nach vollständig
verbrennen.