Titel: | Ueber den Einfluß der Eisenbahnen auf den öffentlichen Gesundheitszustand; von Dr. T. Gallard. |
Fundstelle: | Band 165, Jahrgang 1862, Nr. LXXXVLXXXVIII., S. 367 |
Download: | XML |
LXXXVLXXXVIII.
Ueber den Einfluß der Eisenbahnen auf den
öffentlichen Gesundheitszustand; von Dr. T. Gallard.
Aus den Comptes rendus,
t. LIV p. 1106.
Gallard, über den Einfluß der Eisenbahnen auf den öffentlichen
Gesundheitszustand.
1) Beamte der Eisenbahnen. – Von diesen kommen bei
Betrachtung des Einflusses der Eisenbahnen und der damit verknüpften eigenthümlichen
Lebensweise nur folgende drei Gruppen in Betracht:
a) Die Maschinenwärter und
Heizer; die folgende Tabelle, die Beobachtungen bei
der Compagnie d'Orléans enthaltend, beweist, daß
diese Angestellten keiner speciellen Krankheit unterworfen sind, welche entweder die
Folge der Nervenerschütterung, oder der Einathmung des Kohlenoxydgases seyn
könnte:
Textabbildung Bd. 165, S. 367
Jahrgang; Anzahl der Angestellten;
Bräune und Bronchytis; Lungenentzündung und Pleuresie; Lungentuberculose;
Durchfall; Ruhr; Affection des Verdauungscanals;
Hernien; Krankheiten des Herzens; der Arterien und Venen; des
Nervensystems; der Haut; organische Krankheiten, Krebs etc.; Krankheiten der
Harnwerkzeuge; Genitalien; Augen; Blutgeschwüre etc.; Rheumatismen; Steifigkeit
und Ermüdung; leichte Verwundungen; schwere Verwundungen; Brüche und Luxationen;
längere und typhusartige Fieber; plötzliche Fieber; intermittirende Fieber;
Zusammen
b) Ebenso wenig haben uns die Schaffner und Bremser besondere, ihren
Verrichtungen eigenthümliche Krankheiten geliefert. Die gewöhnlichsten Fälle waren
auch die sonst am häufigsten vorkommenden. Nur ist zu bemerken, daß bei ihnen die
Affectionen der Athmungsorgane häufiger als bei den Maschinisten und Heizern waren.
Dieß kommt, wie mir scheint, davon her, daß sie beim Fahren ruhig sitzen und daher
weniger gegen die Kälte reagiren, während die Heizer stets in Bewegung an der
Maschine bleiben. Seither ist den Schaffnern und Bremsern gestattet worden, in der
kalten Jahreszeit bei jeder Station – also mindestens alle zwei Stunden
– warme Getränke, wie Milch, Fleischbrühe oder Kaffee zu genießen. Sie können
daher der Kälte besser widerstehen, und die Zahl der Kranken ist in Folge dieser
Einrichtung von 108 auf 72 Procent gefallen.
Die HHrn. Oulmont und Devilliers haben bemerkt, daß die Bremser und Zugführer schweren
Affectionen des Nervensystems ausgesetzt sind. Meine Beobachtungen stimmen jedoch
hiermit nicht überein, wie dieß aus folgenden Zahlen erhellt:
Textabbildung Bd. 165, S. 368
Jahrgang; Anzahl der Zugführer und
Bremser; Affectionen des Nervensystems
In den letzten vier Jahren ist die Sterblichkeit dieser Beamten nicht ein einzigesmal
von einer Nervenaffection hervorgebracht worden. Von 15 Todesfällen waren 9 durch
Unglücksfälle veranlaßt.
c) Die an der Bahnlinie Angestellten, wie Bahnwärter, Weichensteller u.s.w., liefern, nach allen
bekannt gewordenen Angaben, verhältnißmäßig die geringste Anzahl von Kranken. Bei
der Compagnie d'Orléans hat das jährliche
Verhältniß der Krankheitsfälle zwischen 49 und 53 Procent gewechselt, und dennoch
sind diese Leute ganz speciell und am meisten nach ihrer Lebensweise dem
Wechselfieber ausgesetzt. Es sind daher auch mehrere Maßregeln eingeführt worden, um
diese Krankheit zu vermindern, und dieselben haben ausgezeichnete Resultate
geliefert, wie man aus folgender Tabelle ersehen kann:
Textabbildung Bd. 165, S. 369
Jahrgang; Gesammtzahl der
Angestellten; Bahnwärter, Weichensteller u.s.w.; Gesammtzahl der Kranken; Zahl
der Fieberkranken; Verhältniß in Proc.; Zahl der Kranken
Bei den Arbeitern welche von den Sociétés de
secours mutuels verpflegt werden, ist die mittlere Krankheitsdauer
16–20 Tage, bei denen welche von den Bureaux de
Bienfaisance zu Hause verpflegt werden, 14, in den Pariser Hospitälern über
25 Tage, bei unseren Beamten aber kaum 8 Tage. Die Sterblichkeit habe ich mit
derjenigen der Bewohner von Paris zwischen dem 20sten und 55sten Jahre verglichen
und gefunden, daß während in Paris von 1000 derselben jährlich 16–20
Individuen starben, bei dem Personal der Eisenbahn-Gesellschaft von Orleans
die Sterblichkeit niemals 7 pro Tausend erreichte.
2) Reisende. – Es ist längst außer aller Frage, daß
die Eisenbahnen von allen Reisearten die verhältnißmäßig größte Sicherheit gewähren.
Auch die Ermüdung ist unverhältnißmäßig geringer als bei jeder anderen Art zu
reisen. Alles Andere was hierüber gesagt worden ist, kann keinen Anspruch auf
ernstliche Beachtung machen.
3) Bevölkerung. – Die Eisenbahnen wirken auf den
Gesundheitszustand positiv günstig ein, indem sie die Producte der entferntesten
Gegenden ununterbrochen austauschen. In Fluß- und sumpfigen Gegenden bringt
ihre Construction außerdem wesentliche Verbesserungen des Bodens, mithin des Climas
hervor, da theils zur Befestigung der Erdarbeiten, theils aus Rücksicht auf die
Gesundheit der Angestellten, für Abfluß der stagnirenden Gewässer gesorgt werden
muß. Hiervon haben die Anwohner den wesentlichen Nutzen, und in manchen Gemeinden
sind die von Alters her einheimischen Wechselfieber vollständig verschwunden.
Nachtrag.
Ich bin in meiner vorstehenden Mittheilung über den Einfluß des Eisenbahnbetriebes
auf die Gesundheit der Maschinenwärter und Heizer schnell weggegangen, weil ich in dieser Hinsicht
den Veröffentlichungen meiner Vorgänger nichts beifügen zu müssen glaubte. Die
Ansicht, daß das Geschäft der Maschinenwärter und Heizer deren Gesundheit sehr
nachtheilig ist, scheint jedoch ziemlich verbreitet zu seyn, denn ein gelehrter Arzt
stellt in einem in diesem Betreff an mich gerichteten Briefe folgende Frage:
„Ist es falsch, daß die Maschinenwärter und Heizer ihre Verrichtungen
ohne Nachtheil für ihre Gesundheit nicht über einen gewissen Zeitraum, z.B. von
zehn Jahren, fortsetzen können?“
Schon Dr. Bisson hatte eine
ähnliche Frage mit der Thatsache beantwortet, daß unter 85 Angestellten dieser
Kategorie 28 ihr Geschäft seit mehr als 10 Jahren und nur 7 seit weniger als 3
Jahren verrichteten.
Ich habe nun noch vollständigere Erhebungen über das ganze Personal veranlaßt,
welches bei der Orleans-Eisenbahngesellschaft (die Linie von Sceaux nach
Orsay nicht inbegriffen) angestellt ist, woraus hervorgeht, daß unter 617
Maschinenwärtern und Heizern 107 seit mehr als 10 Jahren den Dienst bei den
Maschinen verrichten, nämlich:
seit bloß 10 Jahren
12
seit 10 bis 15 Jahren
57
seit 15 bis 20 Jahren
32
über 20 Jahre
6
–––––––––––––
Summe
107
Mehrere unter ihnen waren früher auf anderen Bahnen angestellt, denn die ersten
Sectionen des Netzes von Orleans kamen erst im Jahr 1840 in Betrieb; der älteste
unserer Maschinenwärter verrichtet sein Geschäft seit 28 Jahren.
Aus diesen Daten, im Zusammenhalt mit obiger Tabelle über die bei den
Maschinenwärtern und Heizern beobachteten Krankheiten, ist ersichtlich, daß man ohne
allen Grund diese zwei Geschäfte als der Gesundheit schädlich betrachtet hat. (Comptes rendus, t. LIV p.
1268.)