Titel: | Versuche über die ökonomischen Vortheile der Expansion bei Dampfmaschinen. |
Fundstelle: | Band 166, Jahrgang 1862, Nr. II., S. 9 |
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II.
Versuche über die ökonomischen Vortheile der
Expansion bei Dampfmaschinen.
Aus den Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des
Gewerbfleißes in Preußen, 1862 S. 179.
Versuche über die ökonomischen Vortheile der Expansion bei
Dampfmaschinen.
Bezeichnet s den Hub einer eincylindrigen Dampfmaschine,
s¹ denjenigen Theil desselben, welchen der
Kolben bis zum Augenblick der Absperrung, also mit vollem Dampfdruck zurücklegt, so
ist der bei gegebener Volldruckspannung p ökonomisch
vortheilhafteste, d.h. derjenige Füllungsgrad s¹/s, bei welchem das Verhältniß der
Nutzleistung zum Dampfverbrauch ein Maximum wird, nach der Pambour'schen Theorie bekanntlich durch die folgende Gleichung bestimmt:
s¹/s = σ¹/σ,
in welcher σ das specifische Gewicht des
gesättigten Dampfes bei der Volldruckspannung p,
σ¹ dasselbe bei der Spannung p¹ + r bedeutet, wenn unter p¹ die mittlere Gegendampfspannung und unter r diejenige mittlere Spannungsdifferenz im Cylinder
verstanden wird, welche den Reibungswiderständen der leer gehenden Maschine und dem
Betriebe der Pumpen (Speise-, Luft- und Kaltwasserpumpe)
entspricht.
Auch wenn man bei der Berechnung der Expansionsarbeit von anderen Principien ausgeht,
z.B. von dem Mariotte'schen Gesetz nach Morin und Poncelet, oder auch
von den Principien der mechanischen Wärmetheorie, erhält man für den ökonomisch
vortheilhaftesten Füllungsgrad einen von obigem nicht sehr erheblich abweichenden
Werth, vorausgesetzt nur, daß man nicht etwa bei der Schätzung des unvermeidlichen,
bisher aber noch nicht durch eine allgemein anerkannte empirische Formel
darzustellen gewesenen Dampfverlustes eine wesentliche Abhängigkeit vom
Expansionsgrade voraussetzt. Daß endlich auch den praktischen Resultaten gemäß die
Mehrzahl der Techniker bisher sich berechtigt gehalten hat, die ökonomischen
Vortheile selbst einer sehr weit getriebenen Expansion (bei Condensationsmaschinen
wenigstens) nicht gering anzuschlagen, beweisen die vielen Bemühungen, gute
Expansionsvorrichtungen zu construiren, die bei beliebig kleinen Kolbenwegen den
Dampf abzusperren gestatten.
Unter diesen Umständen verdient es Beachtung, daß Versuche, die vor einiger Zeit in
Nordamerika mit bedeutenden Mitteln, großer Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit
angestellt wurden, zu wesentlich abweichenden Schlüssen geführt haben. Diese
Versuche, zu denen eine die Vortheile hoher Expansionsgrade bestreitende Schrift des
Oberingenieurs Isherwood (Engineering Precedents for Steam Machinery) den Anstoß gegeben hatte,
wurden auf Befehl des Marine-Departements der Vereinigten Staaten von einer
Commission ausgeführt, welche, aus den Oberingenieuren B. F. Isherwood, Theodor Zeller, Robert H. Long und Alban C. Stimers
bestehend, am 19. Nov. 1860 an Bord des Schaufelrad-Dampfers
„Michigan“ zu Erie in Pennsylvanien zusammentrat.Einen von Hrn. Stimers verfaßten Auszug aus dem
umfänglichen Berichte der Commission nebst Discussion der Versuche enthält
das Journal of the Franklin Institute, vol. 71,
No. 424, April 1861; daraus in verschiedene
technische Zeitschriften übergegangen, u.a. Civilingenieur, 1861 S. 311, und
Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1862 S. 173.
Der „Michigan“ hat zwei direct wirkende, unter 23 Grad geneigt
liegende Condensations-Dampfmaschinen von 36 Zoll engl. Cylinderdurchmesser
und 8 Fuß Hub. Die Expansionsvorrichtung ist die in Amerika als Sickle's
cut-off bekannte; es kann damit der Dampf
bei 0 bis 4/9 und 7/10 bis 11/12 des Hubes abgesperrt werden. Die Versuche, wobei
nur die eine der beiden Maschinen benutzt wurde, betrafen die Füllungsgrade:
s¹/s = 11/12
7/10 4/9 3/10 1/4 1/6 4/54.
Jeder Versuch mit einem gewissen Füllungsgrade dauerte 72 Stunden, und es wurden
stündlich alle in Betracht kommenden Daten gemessen und notirt, insbesondere von
beiden Seiten des Cylinders Indicator-Diagramme entnommen. Auf diese Weise
ließen sich Mittelwerthe von möglichster Zuverlässigkeit erhalten, indem noch Sorge
getragen wurde, daß während der 72stündigen Versuchszeit alle Umstände möglichst
constant blieben. Insbesondere wurde, entsprechend der Aufgabe, den
vortheilhaftesten Füllungsgrad bei gegebener
Anfangsspannung zu ermitteln, Sorgfalt darauf verwendet, daß nicht nur bei
jedem einzelnen Versuche für sich, sondern auch bei den verschiedenen Versuchen die
freilich nicht ganz zu vermeidenden Schwankungen der Anfangsspannung, womit der
Dampf in den Cylinder trat, möglichst klein ausfielen; im Durchschnitt betrug
dieselbe 34,3 Pfd. per Quadratzoll engl. (2 1/3 Atm.),
und nahm bis zum Augenblick der Absperrung bis 32,8 Pfd. im Mittel ab. – Die
Geschwindigkeit der Maschine hat die Kommission, wie sich aus den Versuchswerthen
ergibt, leider nicht zu den bei den verschiedenen Versuchen möglichst gleich zu
erhaltenden Umständen gerechnet; sie hätte freilich, was mit einigen Schwierigkeiten
verbunden gewesen wäre, bei den verschiedenen Füllungsgraden eine verschiedene Größe
der Schaufeln erfordert.
Einen constanten Gegendruck p¹ bei den
verschiedenen Versuchen zu erzielen, war nicht möglich; der niedrigste war 2,7 Pfd.
per Quadratzoll (0,192 Atm.), und es wurde dieser
bei Berechnung der der Nutzarbeit entsprechenden mittleren Dampfspannung behufs
gleichartiger Vergleichung der Versuchsresultate durchweg angenommen.
Um die der Reibung der teer gehenden Maschine entsprechende Widerstandsspannung r zu ermitteln, wurden die Schaufeln von den Rädern
abgenommen und dann die mittlere Spannungsdifferenz im Cylinder aus
Indicator-Diagrammen ermittelt; die Arme der Schaufelräder erfuhren dabei
freilich noch einen gewissen Widerstand, der aber, als abhängig von der
Geschwindigkeit, rechnungsmäßig dadurch eliminirt werden konnte, daß man die
Maschine mit verschiedenen Geschwindigkeiten (8 bis 22 Umdrehungen
per Minute) gehen ließ. So wurde r = 2,1 Pfd. per Quadratzoll (0,143 Atm.)
gefunden.
Während nun unter diesen Umständen nach der Pambour'schen
und nach anderen Theorien der vortheilhafteste Füllungsgrad ungefähr = 1/6 zu
erwarten gewesen wäre, folgert Hr. Stimers, resp. die
genannte Commission, aus den Versuchen, daß er zwischen 7/10 und 4/9 gelegen
habe.
Wäre diese Schlußfolgerung eben so zuverlässig und wären die Versuche selbst unter
eben so günstigen und der richtigen Beantwortung der Frage angemessenen
Verhältnissen angestellt worden, als sie unter den gegebenen Verhältnissen allem
Anschein nach mit großer Sorgfalt geleitet wurden, so wäre eine wesentliche
Aenderung in den bisherigen leitenden Principien bei der Anordnung der
Dampfmaschinen dadurch geboten, eine Umkehr zu der Praxis Watt's in Betreff des mäßigen Expansionsgrades trotz der inzwischen
wesentlich gesteigerten Admissionsspannung. Es ist aber natürlich und vollkommen
gerechtfertigt, daß die Techniker, wenn nicht mit einem gewissen Vorurtheil, so doch
mit großer. Vorsicht an die Beurtheilung von Versuchen herantreten, welche zu so
durchgreifenden, auffallenden Folgerungen, zur Aufgabe lange gehegter und
angewandter Ansichten sie zu zwingen scheinen, und es ist in dieser Hinsicht zu
erwähnen, daß eben dieselben Versuche bei anderer Discussion zu ganz anderen
Schlüssen führen: Hr. Völckers hat aus ihnen den
vortheilhaftesten Füllungsgrad als zwischen 1/4 und 1/6 liegend abgeleitet.Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1862 S. 187. Der Gang der Analyse, wodurch es möglich wurde, diesen so abweichenden und
der Theorie fast genau entsprechenden Schluß aus jenen Versuchen zu ziehen, ist im
Wesentlichen folgender.
Hr. Stimers berechnet die Nutzleistung N, deren Vergleichung mit dem beobachteten effectiven
Dampfverbrauch S für die verschiedenen Füllungsgrade der
Zweck der Untersuchung war, ohne Rücksicht auf die sogenannte zusätzliche Reibung,
mit Rücksicht auf welche zunächst Hr. Völckers die Stimers'sche Nettoleistung N
noch mit 1,13 dividirt. Demnächst vergleicht Völckers den
berechneten nutzbaren Dampfverbrauch Sn
per Secunde mit dem beobachteten S und findet, daß der Verlust S
v
= S – S
n
per Secunde der Quadratwurzel aus der mittleren
Spannungsdifferenz im Cylinder, also √(p
m
– p¹), unter p
m die mittlere Hinterdampfspannung während
des ganzen Kolbenhubes verstanden, genügend proportional ist, um auch in diesen
Versuchen eine Bestätigung der empirischen Formel
Sv = ςD√(p
m
– p¹)
finden zu können (D = Durchmesser
des Cylinders), die er schon früher auf Grund eigener Versuche zur Schätzung des
Dampfverlustes wiederholt empfohlen hatte; bei den Versuchen mit zwei der oben
bemerkten 7 verschiedenen Füllungsgrade zeigen sich zwar Abweichungen, die aber, da
sie überhaupt keinem erkennbaren Gesetze unterworfen sind, in dem Umstande ihre
Erklärung finden können, daß nach Aussage des Berichts das Schiff bei den Versuchen
mit Eis und Stürmen zu kämpfen hatte, und daß die mittlere Spannung p¹ des Gegendampfs, obschon constant = 2,7 Pfd.
per Quadratzoll gerechnet, in Wirklichkeit
wesentlich verschieden gewesen ist. Um diese Unregelmäßigkeiten zu eliminiren,
berechnet Völckers den Mittelwerth des Coefficienten ς obiger Formel für S
v aus den 7 Versuchsreihen und damit
corrigirte Werthe von S
v und S = S
n
+ S
v. Diese auf einerlei ς reducirten,
also von dem Einfluß zufälliger Umstände befreiten Werthe von S ließen sich aber auch noch nicht unmittelbar mit den durch Division mit
1,13 corrigirten Werthen von N vergleichen; denn wenn
jene Völckers'sche Formel für den Dampfverlust S
v den Verhältnissen entsprechend ist, so ist
die Geschwindigkeit der Maschine von wesentlichem Einfluß auf ihr Güteverhältniß N/S, während bei den Versuchen der Commission die
Umdrehungszahl sehr verschieden, zwischen 20,6 und 11,2 schwankend, und zwar gerade
bei den größeren Füllungen im Allgemeinen am größten war, so daß bei ihnen die
Maschine in dieser Hinsicht unter den vortheilhaftesten Verhältnissen arbeitete. Es
mußten deßhalb, um eine richtige Vergleichung zu erhalten, die Werthe von N noch alle auf dieselbe Umdrehungszahl reducirt werden,
für welche Völckers 20 annimmt, und indem er dann den
Quotienten N/S für die
verschiedenen Füllungsgrade berechnet, findet er ihn am größten für: s¹/s etwas größer als
3/10. – Sofern es übrigens nicht sowohl von Interesse war, den
vortheilhaftesten Füllungsgrad speciell für die Versuchsmaschine, sondern vielmehr
für eine Condensationsmaschine überhaupt zu ermitteln, welche, mit ungefähr 2 1/3
Atm. Anfangsspannung arbeitend, hinsichtlich der auf den Dampfverlust vorwiegend
influirenden Durchlässigkeit des Kolbens und Schiebers in gutem Zustande sich
befindet, verglich Völckers den aus den Versuchen der
Commission abgeleiteten Mittelwerth des Coefficienten ς mit demjenigen, welchen er aus einer größeren Zahl eigener und
fremder Versuche mit verschiedenen Maschinen früher abgeleitet hatte, und fand ihn
ungefähr 3mal so groß, wonach die Versuchsmaschine sich also in dieser Hinsicht durchaus
nicht in bestem Zustande befunden hätte; indem er dann fraglichen Coefficienten auf
den seinen Erfahrungen gemäß normalen Werth verkleinerte und damit die Berechnung
von S
v, S = S
n
+ S
v und N/S
wiederholte, fand er jetzt den vortheilhaftesten Füllungsgrad schon kleiner als
3/10. – Schließlich weist Völckers aus der
Vergleichung der Werthe von p
m, wie sie sich einerseits nach den
Indicator-Diagrammen ergaben, andererseits nach dem Mariotte'schen Gesetz ergeben, die mit 1/4 und 1/6 Füllung angestellten
Versuche als einigermaßen abnorm nach, und indem er diese zufälligen Einflüssen
zuzuschreibenden Abnormitäten durch die Annahme solcher Werthe von p
m eliminirt, wodurch die Differenzen zwischen
den effectiven und den nach dem Mariotte'schen Gesetz
berechneten Werthen von p
m eine regelmäßige Reihe bilden, und damit
corrigirte Werthe von N/S
für diese beiden Versuche berechnet, findet er zuletzt den vortheilhaftesten
Füllungsgrad zwischen 1/4 und 1/6.
Weil übrigens das als Function von s¹/s betrachtete Güteverhältniß N/S in der Nähe seines Maximums sich wie jede
Function nur sehr wenig verändert, so ist eine genaue Bestimmung des diesem Maximum
entsprechenden Werthes von s¹/s durch solche Versuche begreiflicher Weise nicht zu
erwarten; aus demselben Grunde ist es gewiß gerechtfertigt, wenn Hr. Stimers empfiehlt, bei einer für gegebenen normalen
Kraftbedarf zu construirenden Maschine den Füllungsgrad immer etwas größer zu nehmen
als den absolut vortheilhaftesten, indem dadurch das Güteverhältniß nur sehr wenig,
die erforderliche Größe der Maschine aber bedeutend vermindert wird.