Titel: | Ueber die Theorie der Stahlbildung; von Ch. Sainte-Claire Deville. |
Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. XXXV., S. 124 |
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XXXV.
Ueber die Theorie der Stahlbildung; von Ch. Sainte-Claire
Deville.
Aus den Comptes rendus, t. LVI p. 325.
Deville, über die Theorie der Stahlbildung.
H. Caron hat der (französischen) Akademie der
Wissenschaften neuerdings zwei schätzbare Abhandlungen über die Stahlbildung
mitgetheilt (S. 36 in diesem Bande des polytechn.
Journals). Die Hauptresultate seiner darin niedergelegten Untersuchungen bestehen in
Folgendem:
1) Caron bestätigt die wichtige Beobachtung von Karsten, daß man beim Behandeln des nicht gehärteten Stahls mit Säuren als Rückstand eine graphitartige
Substanz erhält, welche bei Anwendung des gehärteten
Stahls nicht gebildet wird.
Außerdem fand er, daß der gehärtete Stahl, wenn man denselben anläßt, wieder die
Eigenschaft erlangt, beim Auflösen in Säuren freie Kohle zu hinterlassen, deren
Menge mit der Dauer und Intensität der Erhitzung zunimmt.
2) Andererseits bestätigt Caron die Versuche von Regnault, wornach der nicht gehärtete Stahl eine größere
Dichtigkeit besitzt als der gehärtete Stahl.
Diese Resultate sind in vollkommener Uebereinstimmung mit den Ergebnissen der
zahlreichen Versuche, welche ich veröffentlicht habe und deren Zweck war, die
eigenthümlichen Physischen und chemischen Eigenschaften zu studiren, welche die
Körper durch ein rasches Erkalten erlangen können, oder, wenn man will, das anormale
Verhältniß von latenter Wärme (oder vielmehr von Constitutionswärme), welches daraus
für sie resultirt.Ich habe diese Reihe von Untersuchungen im J. 1845 durch das vergleichende
Studium der Silicate im krystallinischen und glasigen Zustande begonnen, und
im Verfolg derselben im J. 1847 die unlösliche
Modification des Schwefels nachgewiesen. Seitdem habe ich in zwei
Abhandlungen (Comptes rendus t. XI. p. 769 und Annales de
Chimie et de Physique, 3e
série, t. LIX p. 74) insbesondere die Eigenschaften besprochen, welche die
Körper durch rasches Erkalten erlangen können.
Ich habe gezeigt, daß die verschiedenen Substanzen unter diesem Gesichtspunkt
zweierlei Kategorien zu bilden scheinen.
Die einen, wie der Schwefel, das Selen, das Silicium (oder vielmehr dessen
Verbindungen, die Kieselerde und die Silicate, und nach den Versuchen von Jacquelain gehört zu denselben im höchsten Grade der
Kohlenstoff) sind überschmelzbar (surfusibles) und können durch das Schmelzen und rasche Erkalten in den
glasigen oder amorphen Zustand übergehen. Die anderen (Blei, Zinn, Wismuth und
wahrscheinlich die Metalle im Allgemeinen) zeigen nach langsamem oder raschen
Erkalten den gleichen Molecularzustand, charakterisirt durch eine ziemlich constante
Dichtigkeit.
Nun kann man sich die von Caron erhaltenen Resultate
erklären, indem man das Eisen und den Kohlenstoff als respective diesen zwei
verschiedenen Kategorien angehörend betrachtet.
Seine Versuche und diejenigen von Karsten weisen nach, daß
bei einer hohen Temperatur das Eisen und der Kohlenstoff in Verbindung treten. Wenn
man sie alsdann langsam erkalten läßt, so krystallisirt jeder dieser beiden Körper
besonders: die Masse erlangt ein Maximum von Dichtigkeit, und die Säure scheidet
daraus weiches Eisen und eine graphitartige Substanz ab. Wenn man sie hingegen rasch
erkaltet, wenn man sie härtet, so bleibt der Kohlenstoff übergeschmolzen, und theilt
diese Eigenschaft der gemeinschaftlichen Verbindung mit, wie wir die Kieselerde
dieselbe auf die Alkalien und Metalloxyde in den Silicaten übertragen sehen. Man
erhält alsdann den harten und spröden Stahl, welcher eine geringere Dichtigkeit hat
als der weiche, in der Säure gänzlich lösliche
Stahl.Der Rückstand von Kieselerde, welchen Caron bei der Analyse gehärteten Stahls erhielt,
beweist nichts hiergegen, denn das Silicium ist in der stahlartigen
Verbindung wahrscheinlich nicht oxydirt und wird erst später beim Angriff
durch eine Säure in Kieselerde übergeführt. Jedenfalls betrachte ich das
Silicium als einen stahlbildenden Körper, gemeinschaftlich mit dem
Kohlenstoff.
Wenn das Verhältniß des Kohlenstoffs ein beträchtlicheres wird, liefert das rasche
Erkalten – anstatt Stahl und schwach mit Kohle gemengtes Eisen zu geben
– das weiße Roheisen; das langsame Erkalten gibt dann das graue Roheisen.
Man kann daher den Stahl sowohl mit dem Glase vergleichen, welches sich entglast wenn
man es erhitzt, als auch mit dem nach dem Schmelzen rasch erkalteten Schwefel,
welcher wieder oktaedrischer Schwefel wird, wenn man ihn auf eine Temperatur unter
100° C. erwärmt. Es verdient sogar untersucht zu werden, ob beim Härten des
Stahls nicht die gleiche
Erscheinung eintritt wie beim raschen Erkalten des geschmolzenen Schwefels, daß sich
nämlich zweierlei Schichten bilden, eine sehr dünne oberflächliche, und eine innere,
welche respective dem unlöslichen Schwefel und dem weichen Schwefel entsprechen.
Die rasche Annäherung zwischen den Molecülen, die durch das Härten veranlaßt wird und
welche Caron mit der durch den Stoß eines Hammers
hervorgebrachten Wirkung vergleicht, unterhält jedenfalls zwischen den Molecülen
eine größere Entfernung als die allmähliche Annäherung in Folge des langsamen
Erkaltens.
Bezüglich der Constitutionswärme der Körper würde beim raschen Erkalten eine gewisse
Wärmemenge anormal eingeschlossen werden, welche sich hingegen beim langsamen
Erkalten entbindet; es fände in jenem Falle Ueberschmelzung statt, wenn man unter diesem Wort den allgemeinen Fall
versteht, wo ein Körper eine anormale Wärmemenge zurückhält und so in einem mehr
oder weniger unbeständigen molecularen Gleichgewichtszustand erhalten wird.
Für die verschiedenen allotropischen Zustände des Schwefels ist letztere Folgerung
vollkommen gerechtfertigt, weil die Wärmemengen, welche bei der Umwandlung des
weichen Schwefels und des unlöslichen Schwefels in oktaedrischem Schwefel in
Freiheit gesetzt werden, sich nachweisen und bis zu einem gewissen Punkte messen
lassen. Hinsichtlich des Stahls ist die Deduction nicht so streng, weil man sich bis
jetzt nur auf indirecte, aus den Dichtigkeiten und den Wärmecapacitäten gezogene
Beweise stützen kann.Nach den Versuchen von Regnault hat der gehärtete
Stahl nur eine unbedeutend größere Wärmecapacität als der weiche Stahl. Das
Metall der Cimbeln bietet eine Anomalie dar: seine Dichtigkeit nimmt durch
das Härten zu, anstatt geringer zu werden; es wird aber auch durch diese
Operation nicht spröde gemacht, sondern adoucirt.
Hiernach fragt es sich, ob es nicht eine Kategorie von Köpern gibt, für
welche die Wirkung des Härtens, in gewissen Punkten, die umgekehrte von
derjenigen für den Schwefel, die Kieselerde etc. ist. Könnte unter diese
Körper nicht der Phosphor gereiht werden, da der amorphe Phosphor dichter
ist und eine geringere Wärmecapacität besitzt als der krystallisirte
Phosphor?
Ich habe nur vom Kohlenstoff als stahlbildendem Körper gesprochen, weil Caron bloß diesen anführt und als solchen anzuerkennen
scheint. Was ich vom Kohlenstoff gesagt habe, gilt aber auch für die anderen
elektronegativen Körper, welche unter dieselben Umstände wie der Kohlenstoff
versetzt, mit dem Schmiedeeisen Stahl oder weißes Roheisen zu erzeugen vermögen.
Insbesondere scheint mir a priori der Stickstoff
geeignet zu seyn, eine solche Rolle zu spielen, worüber jedoch bis jetzt
entscheidende Versuche fehlen.
Jedenfalls bleibt Caron das Verdienst, durch seine
Versuche die merkwürdige Rolle nachgewiesen zu haben, welche der Stoß in gewissen
Grenzen spielen kann, um das gekohlte Eisen in einen solchen Molecularzustand
überzuführen, daß es durch das Härten in Stahl verwandelt wird.