Titel: | Die unterirdische Eisenbahn in London. |
Fundstelle: | Band 168, Jahrgang 1863, Nr. CVIII., S. 402 |
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CVIII.
Die unterirdische Eisenbahn in
London.
Aus der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure,
1863, Bd. VII S. 257.
Ueber die unterirdische Eisenbahn in London.
Diese Anfangs Januar eröffnete Eisenbahn führt den Namen Metropolitan Railway. Die Wichtigkeit dieser neuen Linie, sowohl wegen der
Erleichterung, welche sie den übermäßig angefüllten Straßen Londons verschafft, als
auch weil sie die bedeutenden Entfernungen der verschiedenen Theile dieser mächtigen
Stadt verkürzt, kann nicht verkannt werden. Sie ist die billigste Londoner
Eisenbahn, die je gebaut wurde, obschon die praktischen Schwierigkeiten, welche sich
überall darboten, von nicht geringer Natur waren. Bei einer Gesammtlänge von 3 1/2
englischen Meilen hat sie 1,300,000 Pfd. St. gekostet, während, wenn sie nach der
bisher üblichen Weise auf Viaducten über die Straßen hinfort geführt wäre, die
Kosten das Vierfache betragen haben würden. Die Gesellschaft hat die
parlamentarische Erlaubniß, die Bahn von der Endstation der
Great-Western-Eisenbahn in Paddington bis zum Finsbury-Circus
zu bauen, eine Länge von ungefähr fünf Meilen. Bis jetzt ist nur die Strecke von
Paddington- bis Farringdonstreet in der City gebaut und dem Verkehr
übergeben, und werden täglich bis gegen 30,000 Personen darauf befördert.
Die Bahn ist zum bei weitem größeren Theile unterirdisch, d.h. in Tunneln unter
Straßen und Häusern, geführt. Der Tunnel fängt bei der Paddington-Station an
und zieht sich fast in gerader Linie nach dem New-Road hin, unter
Edgware-Road in einem rechten Winkel fortgehend, ebenso unter
Lisson-Grove-Road und unter Upper-Bakerstreet; dann zieht sich
der Tunnel dicht am südlichen Ende von Regents-Park vorbei, geht unter den
Häusern an der Ostseite von Park-Crescent fort und läuft nun unter
Tottenham-Court-Road in den New-Road; unter der Mitte dieser
Straße fortgehend, passirt er Euston-Square und kommt dann endlich nach
Kings-Croß. Hier wendet sich die Bahn nach Südost und wird nun in einem
offenen Einschnitt bis Sarringdonstreet geführt, mit Ausnahme einer Strecke von 600
Yards unter Bagnigge-Wells-Road und Coppicerow, wo wieder ein Tunnel
sich befindet.
Hier ist vorläufig eine Endstation; indessen hat man die Absicht, die Bahn von hier
weiter zu bauen bei Charterhouse-Square und Barbicam vorbei nach
Finsbury-Circus, und eine Zweiglinie in südlicher Richtung von
Farringdonstreet unter Minnerstreet und dem alten Fleet-Gefängniß fort, um
sie mit der Zweigbahn der London-Chatham- und Dover-Bahn,
welche vom Süden her die Themse bei Blackfriars überschreitet, zu verbinden.
Von Westen bis Osten ist die Neigung der Bahn durchschnittlich 1 : 100, bis sie in
die City einläuft, wo sie wieder etwas ansteigt. Die Steigung ist indessen nie
größer als 1 : 100. Die Schienen liegen von 26 Fuß bis 54 Fuß unter der Oberfläche
der Straßen. Die geringen Tiefen sind aber die bei Weitem vorherrschenderen, und
meistentheils liegt der Scheitel des Tunnels nur ein Paar Fuß unter dem Pflaster.
Die geringste Curve ist eine von 600 Fuß Radius, und nur 3600 Fuß der ganzen Bahn
liegen in vollkommen gerader Linie.
Die Form des Tunnels mußte natürlich den verschiedenen Ortsverhältnissen und der Art
des Bodens angepaßt werden. In gutem Boden, wo sich keine besonderen Schwierigkeiten
darboten, ist der Tunnel elliptisch, 28 1/2 Fuß weit bei einer Höhe von 17 Fuß,
gewölbt in sechs Rollschichten von Ziegelsteinen. Der Board
of Trade (eine Commission, welche in England den Minister für öffentliche
Bauten vertritt) verlangt für Bögen von Eisenbahn-Viaducten bei 35 Fuß
Spannung nur fünf Rollschichten. An anderen Stellen, wo die Bahn tiefer liegt, oder
ein größerer Druck auszuhalten ist, hat man die Form des Bogens geändert und die
lichte Höhe zu 19 Fuß genommen. Nirgends sind die Fundamente weniger als 5 Fuß tief
unter den Schienen. Der ganze Tunnel liegt in einem rechteckigen Bett von
Béton, welches oben mit Asphalt abgedeckt ist, um es wasserdicht zu
machen. Die leichter zu construirenden Theile des Tunnels, da wo derselbe unter der
Mitte der Straßen fortgeht, wurden gebaut, indem man das Erdreich bis zur gehörigen
Tiefe ausschachtete, nun den Tunnel in dem so erhaltenen offenen Einschnitt wölbte
und dann das Erdreich wieder nachfüllte. Der Tunnel wurde dabei in Längen von 12 Fuß
gebaut und 72 Fuß in einer Woche vollendet. Wo aber die Bahn in der Nähe von Kirchen
oder anderen größeren Gebäuden vorbei ging oder in größerer Tiefe lag, mußte von
geübten Bergleuten ein regulärer Tunnel gebohrt werden, und zwar in Längen von 4
Fuß. Die anstoßenden Gebäude mußten in vielen Fällen durch Hölzer gestützt und gegen
einander abgesteift werden; trotz aller Vorsicht ist die Gesellschaft doch genöthigt
gewesen, mehrere Häuser abzutragen, wieder neu zu bauen und Entschädigungsgelder zu
zahlen. Zu diesen Schwierigkeiten kam noch, daß man den Cloaken und Gas- und
Wasserröhren aus dem Wege gehen oder sie verlegen mußte; außerdem hatte man auch oft
mit Quellen zu kämpfen.
Unter den Cloaken war es besonders eine Hauptcloake, der sogenannte Fleetditch,
welcher man gar nicht aus dem Wege gehen konnte; dieselbe durchkreuzt an zwei
Stellen den Tunnel unter einem schiefen Winkel und wird beide Male in einem
gußeisernen Troge quer durch das Gewölbe des Tunnels getragen. Außerdem geht
dieselbe Cloake 120 Fuß lang an der Seite des offenen Einschnittes in
Farringdonstreet in einem Abstande von 12 Fuß vorbei. Hier brach diese Cloake im
vorigen Jahre; da das Wasser die Futtermauer unterhöhlte, so stürzte auch diese ein,
und der Einschnitt wurde bis zu einer Tiefe von 5 Fuß mit dem faulenden, stinkenden
Wasser angefüllt. Der Grund des Bruches soll die zu geringe Stärke der Cloake
gewesen seyn, welche bei einem Durchmesser von 10 Fuß 6 Zoll nur 15 Zoll dick im
Mauerwerk ist.
Einschließlich der Endstationen hat diese Bahn sieben Stationen, wie folgt: die Endstation Bishopsroad in Paddingdon, dann
Edgwareroad, Bakerstreet, Portlandroad, Gowerstreet, Kings-Croß und
Farringdonstreet.
Die Station Bishopsroad nimmt eine Ecke des Bahnhofes der
Great-Western-Eisenbahn ein und ist nicht unterirdisch, sondern unter
freiem Himmel mit einem eisernen Dache und Glas eingedeckt. Reisende, welche mit der
Great-Western-Bahn in London eintreffen und am anderen Ende der Stadt
wohnen, können direct vom Bahnhofe aus diese Station erreichen. Edgwareroad ist
ebenfalls eine Station unter freiem Himmel mit eisernem Dachstuhl und Oberlicht. Die
drei folgenden Stationen sind unterirdisch. Der Tunnel ist an diesen Stellen um die
Breite des Perrons auf beiden Seiten, d.h. um 18 Fuß im Ganzen weiter. Bakerstreet
und Gowerstreet
werden aber von dem Tageslichte erleuchtet durch eine Art großer Kellerlöcher, die
an den Seiten über den Perrons angebracht und mit weißen glasirten Kacheln ausgelegt
sind. Diese Beleuchtung konnte hier angebracht werden, da die Häuser mit ihrer Front
nicht hart an der Straße, die über die Stationen in der Längenrichtung fortgeht,
stehen, sondern etwas zurücktreten und kleine Gärten vor sich haben. Die
Kellerlöcher sind nun innerhalb dieser Gärten mit starkem Glas zugedeckt. An der
Straße befinden sich zu beiden Seiten zwei kleine Häuser für den Billetverkauf, und
Treppen führen von hier in die Station hinab. Die Station Portlandroad befindet sich
unter einem freien Platze, und man hat sie erleuchtet, indem man die Decke des
Tunnels an zwei Stellen durchbrach und zwei Dome darüber baute. Die Station bei
Kings-Croß liegt ebenfalls unter freiem Himmel mit eisernem Dachstuhl und
Oberlicht; sie ist größer als die übrigen Zwischenstationen, da hier ein Anschluß
hergestellt ist an die Great-Northern-Bahn, welche hier ihre
Endstation hat. Dieser Anschluß ist bemerkenswerth, denn, da er ebenfalls
unterirdisch ist, so mußte der Tunnel wie das Ende einer Trompete erweitert werden,
bis er sich in zwei Arme theilen konnte. Die Station in Farringdonstreet liegt
wiederum unter freiem Himmel mit einem Dachstuhl aus Holz und Oberlicht; sie ist nur
provisorisch, da man die Absicht hat, eine mehr centrale Station bei Ludgatehill in
Verbindung mit der London-, Chatham- und Dover-Bahn zu
bauen.
Sämmtliche Stationen zeichnen sich durch ihre ebenso geschmackvolle, wie praktische
und für das Publicum bequeme Einrichtung aus. Letzterem wird in Deutschland noch zu
wenig Rechnung getragen. An den Endstationen sind besondere Perrons für die
ankommenden und abgehenden Züge, und an den Zwischenstationen immer zwei Perrons für
die in verschiedenen Richtungen gehenden Züge angelegt. Ueberall sind die Zugänge
und Ausgänge von einander getrennt. Die Billetverkaufsstellen sind bequem und
geräumig.
Diese Billetverkaufsstellen sind hier in England
gewöhnlich auf folgende Art eingerichtet. In einem großen Saal befindet sich, von
einer Längswand halbkreisförmig in den Saal hineintretend, ein abgeschlossener Raum
mit mehreren Fenstern in der runden Wand, an welchen die Billete theils für die
verschiedenen Classen, theils auch für die verschiedenen Orte, nach denen die Bahn
führt, verkauft werden. Um den großen Saal herum befinden sich die Wartezimmer, die
Räume für Registrirung des Gepäckes etc. Daß hier nicht ein solches Gedränge
entstehen kann, wie auf manchen deutschen Bahnhöfen, wo sich nur ein einziges Fenster für den
Billetverkauf in einer geraden Wand, manchmal sogar noch gegenüber einer engen
Passage befindet, ist begreiflich genug.
Das Signalsystem in der unterirdischen Bahn ist folgendes:
An jedem Ende der Station befindet sich an einer überall sichtbaren Stelle eine
Laterne. Sobald ein Zug die Station verläßt und in den Tunnel hineinfährt, schiebt
er eine rothe Scheibe vor die Laterne. Roth ist auf allen englischen Bahnen das
Zeichen der Gefahr. Wenn dieser Zug nun die nächste Station erreicht und dort aus
dem Tunnel herausfährt, so stellt er von dort aus das Signal in der Weise, daß statt
der rothen Scheibe eine grüne vor die Laterne tritt. In der Richtung also, in
welcher das grüne Licht von der Station gesehen wird, ist die Bahn frei. Ich muß
dabei bemerken, daß die Bahn durchweg zweigeleisig ist.
Beide Geleise sind für die breite und enge Spurweite gelegt. Da aber der Betrieb
dieser Bahn jetzt von der Great-Western-Gesellschaft verwaltet wird,
so wird nur die breite oder siebenfüßige Spur benutzt. Der Oberbau ist derselbe, wie
auf der Great-Western-Bahn, breitbasige Schienen auf Längsschwellen
genagelt, die Stöße durch Laschen verbunden.
Die Wagen werden auf folgende Weise mit Leuchtgas erleuchtet. Auf dem Dache eines jeden Wagens befindet sich in der Mitte
der ganzen Länge nach ein hölzerner Kasten, in welchem ein Gummischlauch
eingeschlossen ist, der an den Endstationen durch einen kleinen Gasometer mit Gas
gefüllt werden kann. Auf dem Gummischlauch liegt ein Bret, welches mit Gewichten
belastet ist und so den Druck hergibt, der nöthig ist, um die zwei Lampen, welche in
jedem Coupée sich befinden, zu speisen.
Die Locomotiven sind Tendermaschinen, und, um das Dampfen in den Tunnels zu
vermeiden, läßt man den gebrauchten Dampf in den Wasserkasten gehen, ähnlich wie bei
der Kirchweger'schen Condensationsvorrichtung; allerdings
muß dieß Wasser sehr oft erneuert werden, da es bei allmählicher Erwärmung den Dampf
nicht mehr condensirt. Die Vernachlässigung dieser Vorsicht hatte zur Folge, daß an
dem ersten Sonntage nach der Eröffnung, als wegen überaus großen Andranges des
neugierigen Publicums die Maschinen sowohl, wie die Beamten, den ganzen Tag
unausgesetzt in Thätigkeit waren, zwei der Beamten der Gowerstreet-Station in
Ohnmacht fielen. Uebrigens habe ich bei halbstündigem Aufenthalte in den Stationen
reinen Geruch oder sonst unangenehme Luft wahrnehmen können. Durch Entfernung vieler
Glastafeln über den oben erwähnten Kellerlöchern hat man für Ventilation nach
Kräften Sorge getragen. Die Schornsteine und Aschenkasten der Locomotiven sind mit
Klappen versehen, um ein unnöthiges Rauchen zu vermeiden, und natürlich werden nur
die besten Kohks zur Heizung benutzt.
Es fahren jetzt täglich von 6 Uhr Morgens bis 12 Uhr Nachts 79 Züge in jeder
Richtung.Nach einer Notiz in der Zeitschrift des hannoverschen Architekten- und
Ingenieurvereins, 1863, Nr. 1, hat der Betrieb der unterirdischen Eisenbahn
in London im Monat Januar, also während der ersten drei Wochen des
Betriebes, folgende Resultate ergeben:Gesammtzahl der beförderten Personen 613116; ganze Einnahme 7273 Pfd. Sterl.
17 Shill. 8 Pen.; Durchschnittszahl pro Woche
204372 Personen gleich 2425 Pfd. Sterl. Einnahme; Durchschnittszahl pro Tag 29196 Personen gleich 346 Pfd. Sterl.
Einnahme.Die Baukosten betrugen bis zum 31. December 1862: 1330000 Pfd. Sterl.,
hiervon sind abzusetzen 82000 Pfd. Sterl. als Ausgabe für Land und
Baulichkeiten, welche zum Ertrage noch nicht mit beitragen, bleiben 1248000
Pfd. St. als zur Zeit Ertrag lieferndes Capital.Eine wöchentliche Einnahme von 2425 Pfd. Sterl. entspricht nach Abzug von 50
Proc. für Betriebskosten einer jährlichen Netto-Einnahme von 63000
Pfd. St., welche für das vorhin bezeichnete Capital reichlich 5 Proc. Zinsen
ergeben. Von diesen sind 12 Schnellzüge, welche nur auf einer Zwischenstation
anhalten und die ganze Fahrt in 13 Minuten zurücklegen. Die übrigen Züge halten auf
allen Stationen an und brauchen 19 Minuten für die ganze Tour. Man will aber, sollte
sich der Verkehr vergrößern, die Züge in Zwischenräumen von 5 Minuten aufeinander
folgen lassen. Dieß ist ohne Gefahr möglich, so lange die Signalvorrichtungen in
arbeitsfähigem Zustande erhalten werden. Die Strecke zwischen je zwei Stationen wird
jetzt in kürzerer Zeit durchfahren.
Die Preise für die ganze Länge der Bahn sind für die erste Classe 6 Pence, für die
zweite 4 Pence und für die dritte 3 Pence.
London, den 24. Februar 1863.
Theodor Lange.