Titel: | Ueber die Bestimmung des Weinsteins, der Weinsäure und des Kalis im Weine; von Berthelot und A. de Fleurieu. |
Fundstelle: | Band 171, Jahrgang 1864, Nr. LVII., S. 218 |
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LVII.
Ueber die Bestimmung des Weinsteins, der
Weinsäure und des Kalis im Weine; von Berthelot und A. de
Fleurieu.
Aus den Comptes rendus, t. LVII p. 394.
Berthelot, über die Bestimmung des Weinsteins etc. im
Weine.
I. Bei der von uns begonnenen Untersuchung über die Säuren des Weines haben wir mit
der Weinsäure, als der bekanntesten von allen, begonnen; wir haben zuerst eine
Bestimmung des Weinsteins, welcher sich von selbst aus den Weinen absetzt und darin
ursprünglich gelöst war, ausgeführt und dazu folgende Methode angewandt:
Man bringt 10 Kub. Centim. Wein in ein Kölbchen, fügt 50 Kub. Centim. eines Gemisches
von gleichen Raumtheilen Alkohol und Aether hinzu, mischt und läßt den verpfropften
Kolben 24 Stunden lang bei gewöhnlicher Temperatur stehen. Dadurch schlägt sich der
Weinstein an die Wände des Gefäßes nieder, während die Säuren, das Wasser und die
übrigen Bestandtheile des Weines gelöst bleiben, nebst beiläufig 2 Milligrm.
Weinstein, welche letztere also in Rechnung zu ziehen sind.
Die Flüssigkeit wird decantirt und auf ein Filter gegossen, der Niederschlag im
Kolben selbst durch Decantiren mit einem Gemisch von Aether und Alkohol gewaschen,
und die Waschflüssigkeit auf dasselbe Filter gebracht. Dann stößt man das Filter
über dem Kolben durch, spült mit Wasser nach, bringt endlich das Filter selbst in
den Kolben, erhitzt und titrirt das Ganze mit Barytwasser.
Diese Methode ergab sich aus Versuchen, die wir mit einer wässerigen Lösung von
Weinstein angestellt hatten, welcher 10 Proc. Alkohol zugesetzt waren. Nach einigen
Stunden Ruhe stellt diese Mischung eine den meisten Weinen vergleichbare Flüssigkeit
dar, welche beiläufig 3 Grm. Weinstein im Liter enthält. Das Barytwasser ist so
gestellt, daß 10 Kub. Centim. dieser Lösung etwa 50 Raumtheile Barytwasser erforderten. Dieses Verfahren
wurde ferner für Flüssigkeiten geprüft, welche einen Ueberschuß von Weinsäure und
für solche, welche noch andere organische Säuren enthielten. Es bleibt immer
annähernd richtig, selbst wenn beträchtliche Mengen der letzteren zugegen sind; nur
bei einem ganz außerordentlichen Ueberschuß derselben ist es unanwendbar. Solche
Fälle sind aber bei Weinuntersuchungen selten und lassen sich, wie wir weiter unten
sehen werden, an bestimmten Merkmalen des Weines erkennen.
II. Bei Anwendung dieser Untersuchungsmethode auf verschiedene Weine hat sich
Folgendes herausgestellt:
1) Bei einigen Weinen war die Menge des darin gelösten Weinsteins genau dieselbe wie
in einer gesättigten Lösung von Weinstein, welche dasselbe Verhältniß von Wasser und
Alkohol, wie der Wein enthielt. Dieß gilt namentlich für folgende Weine, deren
Säuregehalt im Ganzen etwa das Sechsfache von dem des Weinsteins war: Formichon 1860
und 1862 (3 Gramme per Liter). Diese beiden Weine
enthalten keine freie Weinsäure, wohl aber andere organische Säuren im freien
Zustande.
2) Meistens aber ist weniger Weinstein als in einer gesättigten Lösung desselben
vorhanden. Der Unterschied beträgt bis zur Hälfte bei Formichon 1859 und Savigny
1860, bei Medoc 1858 und gewöhnlichem Montpellier. Savigny 1859 und St. Emilion 1857
enthalten kaum 1/3 des zur Sättigung nöthigen Weinsteins. Am wenigsten fand sich in
Savigny 1861, welcher dem Gefrieren unterzogen worden war (unter 1 Grm. per Liter), und in Sautenay 1858, der etwas verdorben
und wiederholt geschönt worden war (1/2 Grm. per
Liter).
In keinem Fall betrug der Weinsteingehalt mehr, als derjenige einer gesättigten
Lösung.
Die im Wein enthaltene Weinsteinmenge steht mit seinem Gesammt-Säuregehalt in
keinem Verhältniß. Bei zwei Weinen von gleichem Alkohol- und gleichem
Säuregehalt, Formichon 1859 u. 1862, beträgt der Weinsteingehalt des einen doppelt
so viel wie derjenige des anderen. Die höchste gefundene Zahl traf beim jüngsten
Wein ein, dessen Weinsteingehalt demjenigen einer gesättigten Lösung entsprach. Es
folgt hieraus, daß die Verschiedenheiten dieses Gehaltes nicht etwa die Folge einer
Zersetzung des Weinsteins durch die im Wein enthaltenen freien Säuren sind.
Auch enthielten zwei drei Jahre alte Proben von Formichon 1857, wovon eine in einer
Flasche, die andere in einem luftleer gemachten und dann zugeschmolzenen Kolben
aufbewahrt worden war, genau die gleiche Menge Weinstein.
III. Die beschriebene Methode kann auch, wie folgende Versuche zeigen, zur
annähernden Bestimmung der Gesammtmenge von Weinsäure und selbst von Kali in den
Weinen benutzt werden.
1) Eine verdünnte Weinsäurelösung wird in zwei gleiche Theile getheilt, die eine
genau mit Kali neutralisirt und nun beide wieder gemischt. Fügt man dann zu dieser
Mischung Aether-Weingeist, so fällt alle Weinsäure als Weinstein (mit
Ausnahme der im Gemisch löslichen Spur von Weinstein) aus. Geringe Mengen zugefügter
organischer Säuren ändern die Resultate nicht bemerklich.
2) Um also zu erkennen, ob ein Wein außer Weinstein auch freie Weinsäure enthält,
braucht man nur 50 K. C. von diesem Wein zu nehmen, davon 10 mit Kali zu
neutralisiren, dann die übrigen 40 zuzusetzen, hernach 1/5 des Gemisches zu
entnehmen und dieses mit 50 K. C. Aether-Weingeist zu versetzen. Enthielt der
Wein freie Weinsäure, so erhält man einen reichlicheren Niederschlag als mit der
ursprünglichen Flüssigkeit. Das Mehr von Niederschlag entspricht ungefähr der Hälfte
des Gewichtes freier Weinsäure in Wein. Dieses Verfahren paßte für alle von uns
untersuchten Weine, da ihr Gesammtsäuregehalt stets viel größer war, als der ihrem
Weinsteingehalt entsprechende. Man kann aber nicht annehmen, daß neutrales
weinsaures Kali und eine organische Säure neben einander vorkommen; denn eine Lösung
von Weinstein, mit einer Spur Essigsäure versetzt, gibt nach Zusatz, des
Aether-Weingeistes einen Niederschlag von Weinstein.
Ferner war auch die Genauigkeit der Methode daraus ersichtlich. daß geringe Zusätze
von Weinsäure zum Formichon-Weine sich im Niederschlage wieder fanden.
3) Die Untersuchung verschiedener Weine nach dieser Methode zeigte, daß die meisten
derselben keine freie Weinsäure enthalten. Dieß gilt namentlich für: Formichon 1860,
1861, 1862; Savigny 1859, 1860, 1861 gefroren; Savigny 1862 (rothen und weißen
Pinot); gewöhnlichen Montpellier; Medoc 1858; St. Emilion 1857.
In einigen Fällen veranlaßte der Kalizusatz eine Vermehrung des Niederschlags; so bei
Formichon 1858 und Brouilly 1858 (bei diesen war die freie Säure gleich der Hälfte
der im Weinstein enthaltenen Säure), und bei Formichon 1859. Bei letzterem betrug
die freie Weinsäure das Doppelte derjenigen im Weinstein und zwar 2,2 Grm. per Liter; die Gesammt-Weinsäure (freie und
gebundene) betrug 3,3 Grm.; dieß ist der höchste Weinsäuregehalt welchen wir in den
Weinen gefunden haben. Den geringsten Weinsäuregehalt zeigte gefrorener Savigny von
1861 (Gesammtmenge der Weinsäure = 0,7 Grm. per Liter)
und verdorbener
Sautenay 1858 (0,4 Grm.). Bei den meisten Weinen zeigt der Weinsteingehalt auch den
Gehalt an Weinsäure an, welche von jenem 4/5 beträgt.
Das Nichtvorkommen freier Weinsäure in den meisten der untersuchten Weine ist eine
sehr wichtige Thatsache. Der Säuregehalt des Weinsteins repräsentirt stets nur einen
geringen Bruchtheil des Gesammt-Säuregehaltes der Weine. Bei Formichon 1858
ist z.B. die Gesammt-SäuremengeNach Entfernung der geringen Menge Kohlensäure. äquivalent 7,4 Grm. Weinsäure per Liter, während
der Weinstein nur 1,1 Grm. Weinsäure repräsentirt und außerdem bloß 0,5 Grm. freie
Weinsäure vorhanden ist; es bleibt daher noch das Aequivalent von 5,8 Grm.
Weinsäure, welches von anderen Säuren herrührt. Davon liefert die Bernsteinsäure
nach Pasteur's Versuchen höchstens 1,5 Grm. und die
Essigsäure nach Béchamp's Versuchen einige
Decigramme. Es bleibt also noch immer eine beiläufig 4 Grammen Weinsäure äquivalente
Säuremenge, welche fixe Säuren repräsentirt, die wenig oder gar nicht bekannt sind.
Hierzu kommt endlich noch das Gewicht der Säuren, welche mit den im Wein enthaltenen
Basen verbunden sind.