Titel: Ueber die Fachbildung bei der Weberei, deren Einfluß auf die Ausdehnung der Kettfäden und deren Regulirung; von Dr. Hermann Grothe.
Autor: Hermann Grothe [GND]
Fundstelle: Band 172, Jahrgang 1864, Nr. CVI., S. 413
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CVI. Ueber die Fachbildung bei der Weberei, deren Einfluß auf die Ausdehnung der Kettfäden und deren RegulirungMan s. auch meine Arbeit „über Mängel der Jacquardweberei etc.“ in den Mittheilungen des hannoverschen Gewerbevereins, 1864 S. 77.; von Dr. Hermann Grothe. Mit Abbildungen auf Tab. VII. Grothe, über die Fachbildung bei der Weberei, deren Einfluß auf die Ausdehnung der Kettfäden und deren Regulirung. Die wesentlichen Vortheile der Jacquardmaschine haben die wenigen Mängel derselben fast ganz in den Hintergrund gedrängt, und doch sind dieselben nicht so ganz außer Acht zu lassen und möglichst zu verbessern. Dahin gehört besonders die Fachbildung der Jacquardmaschine. Diese Fachbildung unterscheidet sich von der Fachbildung sowohl des einfachen Contremarsches, als auch der Schaftmaschine dadurch, daß die Linie der Ruhelage der Kette im ersteren Fall den unteren Schenkel des Fachwinkels selbst bildet, im zweiten Fall aber etwa die Halbirungslinie des Fachwinkels. Siehe Fig. 23 und 24. Da nun das Fachen eine derjenigen Operationen der Weberei ist, welche das Material, die Fäden, am meisten angreift, so muß diese Operation durch möglichstes Zusammenwirken aller günstigen Umstände angestellt werden, und zwar so, daß die Materialfäden auf das Beste vor dem Zerreißen gesichert sind. Bei dem Contremarschfach werden die hochgehenden und niedergehenden Fäden gleichmäßig in Angriff genommen. Diese, wenn auch entgegengesetzte gleichmäßige Bewegung bewirkt nur eben eine gleichmäßige Anspannung der sämmtlichen Kettfäden, die auf demselben Kettbaum sich befinden und zugleich, wenn ein Pasquillgewicht angewendet ist, eine nachgebende Bewegung des Kettbaums durch gemeinsamen Zug, mindestens eine ganz gleiche Anstrengung aller Kettfäden, die zu gleicher Ausdehnung derselben führt. – Nicht so beim Fach der Jacquardmaschine. Das Fachen beim Jacquard bewegt nur einen Theil der Kettfäden nach Oben und läßt alle an diesem Hochgehen unbetheiligten Fäden auf der Schützenbahn in der Ruhestellung. Es ruht somit an den hochgehobenen Kettfäden die Last der Pasquillbeschwerung am Kettbaum; sie haben daher für sich einzeln einen bei weitem größeren Antheil an dieser Last und somit eine größere Anspannung und folgende Ausdehnung zu erleiden, während die nicht gehobenen Kettfäden ohne irgend welche Spannung schlaff daliegen. Der Einschlagfaden findet an der Lade eine horizontale Basis, auf welche er sich auflegt und nun umfaßt ihn der vorher gehobene Kettfaden, der dazu durch die eben erlittene Ausdehnung noch tauglicher gemacht worden. Beim Fach des Contremarsches verhält sich das anders, indem der Schußfaden dabei sich unmittelbar in den Winkel der gleichmäßig angespannten Kettfäden einlegt und von beiden gleichviel umspannt wird. Siehe Fig. 25 u. 26. Wenn nun beim Jacquardfach die unangestrengten, ungehobenen Fäden keinen Schaden nehmen, so erwächst doch durch die dadurch größere Last den gehobenen Kettfäden Nachtheil, der noch bedeutend vermehrt wird durch die rückwirkende Kraft des Kettenbaumgewichtes, und vorzüglich durch das gewaltsame Anschlagen der Lade, welches plötzlich und mehr zerstörend auf die Fadenconstruction als alles Andere wirkt. Der Angriff des Trittes schadet den Kettfäden in den ersten zwei Dritttheilen der Fachhöhe nicht wesentlich, indem dabei nur die Elasticität und Ausdehnbarkeit ohne Constructionsveränderung möglichst in Anspruch genommen wird. Wohl aber wirkt das letzte Dritttheil des Faches, das stets langsamer hergestellt wird, sehr wesentlich auf die Kettfäden ein und dann auch das Beharrenmüssen derselben in dieser Position während des Schützenlaufes und theilweisen Ladenschlages. Bei eingehenden Versuchen fand ich, daß stets 50 Proc. der gesammten Fadenbrüche dem letzten Dritttheil des Fachhubes zuzurechnen seyen. Die Herstellung des letzten Fachdritttheils äußert auf den Kettfaden nicht mehr allein eine Anspannung, sondern factisch eine Ausdehnung und in Folge dessen meist ein Ausziehen, also ein bleibendes Längerwerden desselben. Dieß beobachtete ich in der That auf ganz empirischem Wege, indem ich Kettfäden von dem Zeug bis 1' oder 2' hinter dem Maillon farbig machte und nach Aufgeben des Faches den farbigen Theil maaß und daran die wirklich eingetretene Verlängerung der Strecke wahrnahm. Bei bestimmter, innegehaltener Fachhöhe ist natürlich bei gleichen Sprungweiten des Faches die Ausdehnung stets eine gleiche. Nun bezieht sich diese Ausdehnung aber auch auf alle möglichen Sprungweiten des Faches und ist da nicht mehr gleich. Der vordere Theil des Kettfadens, d.h. vom Zeug bis zum Maillon erleidet factisch weniger Ausdehnung wegen seiner Kürze, sondern sein Antheil auf die Ausdehnung fällt auf den hinteren Fadentheil zurück, d.h. den Theil vom Maillon bis zum Kreuz. Ein Fach leicht herzustellen bei kurzer Entfernung des Vordertheils des Fadens vor dem Maillon und gleichkurzer Entfernung des hinteren Fadentheils ist unmöglich, weil dann beide Enden gleich stark auf die Ausdehnung wirken sollen. Es tritt entweder ein zu kleines Fach oder ein allgemeiner Fadenbruch ein. Daher ist es fast geboten, diese Maaße der Fachschenkel ungleich zu machen. Je weiter man dabei das Kreuz, die Grenze der Ausdehnbarkeit des Fadens beim Fachen, von dem Hebepunkt abschiebt, desto geringer wird der Anspruch an die Dehnbarkeit und Ausdehnung des Kettfadens selbst, weil mit der Entfernung des Kreuzes die Hebbarkeit des Fadens wächst, d.h. der Winkel des Fadens mit der Kreuzebene kleiner wird, der Winkel am Hebepunkt aber wächst. Dadurch erfüllt sich die Behauptung um so mehr, daß der vordere Fadentheil nur geringere Ausdehnung erleidet und erleiden darf, soll er bei so verhältnißmäßig großem Wege als die Hebung beträgt nicht gänzlich zerreißen, indem besonders auch die der Horizontalen sich nähernde Linie des hinteren Fadentheils des gehobenen Kettfadens ein Nachrutschen zu Gunsten der Ausdehnung des Vordertheils leicht zuläßt. Daher das stete Vorgehen des Litzengeschirres, des Harnisches u.s.w. beim Fachen. Daß die Ausdehnung des Kettfadens vorderen Theils wirklich auf den hinteren Theil fällt, die des hinteren Theils aber auf den vorderen Theil sich basirt, unterliegt keinem Zweifel und viele Versuche in dieser Hinsicht zeigen dieß. Ueberhaupt aber zeigte sich eine schnelle Abnahme der Ausdehnung des Kettfadens mit Entfernung des Kreuzes sehr deutlich, und zwar nimmt dabei eigentlich nur die Ausdehnung des hinteren Theils, die dem vorderen obliegt, schnell ab, während die dem vorderen Theil entsprechende, vom hinteren Theil ausgeführte Ausdehnung constant bleibt. Daher der immer geringer werdende Widerstand des Vorderfaches beim Zurückschieben des Kreuzes. Fig. 27 möge bei gleicher Fachhöhe F die Verschiedenheit der nöthigwerdenden Ausdehnungen und ihr Abnehmen bei Weiterentfernung des Kreuzes deutlich machen. A, B, C, D, E seyen die verschiedenen Entfernungen des Kreuzes vom Maillon. Das Vorderfach H, G, f bleibt constant, dem entsprechend fg die Ausdehnung des Vorderfachendes, die in der Figur auf das Hinterfachende als Production fällt. ag, bg, cg, dg, eg sind die entsprechenden Ausdehnungen. Die Länge AG ist = 2 F und die Weiterrückung des Kreuzes beträgt stets F. – Oben in die Dreiecke sieht man die nöthigen Ausdehnungen hineingetragen und ihre Schnittpunkte eine Curve bilden, die endlich den Punkt H treffen würde, wenn HE mit der Horizontalen rechtwinkelig zu F zusammensiele. – Die Abnahme der Ausdehnung findet in Wirklichkeit nicht regelmäßig und gesetzmäßig statt. Nach Versuchen mögen folgende Maaßzahlen zur Vergleichung hier stehen: F die Fachhöhe = 2,5'' constant. L sey die Länge des Fadens vor dem Fachen. A die Ausdehnung beim Fachen. F = 2,5'' 2,5'' 2,5'' 2,5'' 2,5'' 2,5'' L = 5'' 6,250'' 6,750'' 7,5'' 8,750'' 10,6'' A = 2,120'' 1,812'' 1,750'' 1,625'' 1,590'' 1,437'' Zwischen den beiden letzten Werthen liegt die Verminderung der nicht constanten Ausdehnung um 1/2, der ganzen Ausdehnung um 1/4, zugleich aber die Vermehrung der Sprungweite auf das Doppelte, gleich der 4fachen Fachhöhe. Fast kann man nach diesen Werthen F = 2,5 F = 2,5 F = 2,5'' L = 5 L = 10,0 L = 15,0 A = 2 setzen und davon ableiten A = 1,500 A = 1,250 was der wirklichen Zeichnung und dem praktischen Versuche fast ganz entspricht. Dann würde für die Verminderung der Ausdehnung sich folgender Ausdruck herstellen lassen: A  = x + y A₁ = x + (yy/2) A₂ = x + (y₁ – y₁/2) u.s.f. wenn man mit A, A₁, A₂, ... die Gesammtausdehnung des Fadens bezeichnet, mit x die constante und mit y, y₁, y₂ die nicht constante. Die Vergrößerung der Sprungweite in diesem Falle beträgt stets 2 F. L = D + 2 F L₁ = D + 2 F + 2 F u.s.f. unter L, L₁ die Gesammtlänge des Fadens, unter D die ursprüngliche Länge = 2 F verstanden. Ein je höheres Product von 2 F man annimmt, desto mehr schwindet die inconstante Ausdehnung. Bei 3 × 2 F schwindet die letztere schon bis zu 1/4. Mathematisch genau läßt sich diese Ausdehnung und ihre Abnahme u.s.f. durch folgende Berechnung finden. In Fig. 29 sey ABC das gehobene Fach mit der Grundlinie AC, die Höhe des Faches BD constant angenommen, so ist ersichtlich, da o = p ist, daß die Betrachtung des Dreiecks BCD zur Ermittelung der Ausdehnung o genügt. Es ist: x² = a² + h² x = √(a² + h²) xa = √(a² + h²) – a Setzen wir für xa die Ausdehnung o, so ist: o = √(a² + h²) – a. Nehmen wir für die Buchstaben Zahlen an, die der Sachlage entsprechen, also h = 5'', a = 2'', so berechnet sich: o = √(4 + 25) – 2 = √29 – 2 o = 3,4 Zoll. Um nun die Abnahme der Anspannung der Fäden bei Vergrößerung des Faches, d.h. bei Verlängerung des Hinterfaches, zu zeigen, setzen wir h = 5'', a = 4'' und erhalten o = √(16 + 25) – 4 = √41 – 4 o = 2,40 Zoll. Um die Gesammtausdehnung A des Fadens zu erfahren, braucht man zu den Resultaten dieser Rechnungen nur den Werth für die constante Ausdehnung hinzuzuaddiren. Auf die Fachhöhe 2,5'' der obigen empirischen Ermittelungen bezogen, liefert diese Berechnung annähernd gleiche Werthe wie obige praktisch ausgeführte Messungen. – Die Ausdehnung, welche der Kettfaden beim Jacquard durch das Fachen erleidet, wird bei größerer Sprungweite des Hinterfaches sich auf eine größere Fadenlänge vertheilen können und mehr und mehr von einer mechanischen Constructionsveränderung entfernt seyn, und darin liegt der Hauptgrund der Nothwendigkeit eines langen Faches. Durch große Sprungweite kann nun wohl die inconstante Ausdehnung auf ein Minimum herabgedrückt werden, nicht aber die constante, und diese möglichst aufzuheben, muß Aufgabe mechanisch wirkender Hülfsmittel werden, welche besonders bei dem Wege des letzten Dritttheils des Faches wirken und auf Nachgeben des Kettbaumes hinzielen. Eine Oscillation des Kettbaumes bei den ersten 2/3 des Faches ist durchaus von untergeordnetem Nutzen, da nach Prüfungen vieler Autoritäten, von White, Wieck, Karmarsch u.s.w. herab bis auf unsere Tage und nach eigenen Erfahrungen, diese Bewegung die Kettfäden nicht wesentlich alterirt. Hier tritt nun zugleich noch ein wesentliches Moment der Spannung der Kette überhaupt ein, bezüglich der Regulirung des Vorzuges. Die Vorrückung des Zeugbaumes muß, um die höchst nachtheilige Schlagweitänderung während der Arbeit zu verhüten, continuirlich vorrücken, damit die Linie, in welche sich ein neu eingeschossener Faden legt, stets dieselbe bleibt und die Lade den Einschuß immer an der nämlichen Stelle trifft unter gleichem Spielraum. Nun aber erfordert diese Vorrückung des Zeugbaumes, wenn der Gleichmäßigkeit des Stoffes nicht Eintrag geschehen soll, eine eben so gleichmäßige Vorrückung des Kettbaumes. Dadurch allein würde die Anfangsspannung dieselbe bleiben und die Belastung der Kettfäden die gleiche. Dieß wird jedoch nirgend da erreicht, wo das Vorziehen des Tuchbaumes, sey es durch Regulatoren continuirlich, sey es durch Hebel in Perioden, ein Vorziehen des Kettbaumes mitbewirken soll durch den Zug der Kettfäden. Hierin liegt gerade ein wesentlicher Punkt nicht allein für den Ausfall des Gewebes, sondern auch für die Haltbarkeit der Kette während der Arbeit, und doch ist dieser Punkt bei Construction der Regulatoren nie genug berücksichtigt worden. Um nun sowohl der eben angeführten Bedingung als auch dem Vorrücken des Kettbaumes ohne Kraftäußerung der Kettfäden Genüge zu leisten, möchte folgende, von mir angewendete Vorrichtung einfacher Art nicht ohne Interesse seyn, zumal sie die beiden Gewichte des Kettbaumes und des Zeugbaumes (bei Anwendung eines Regulators) durch ein Gewicht ersetzt, also von vornherein beiden Webebäumen gleiche Belastung zuertheilt. Siehe Fig. 28. Auf dem Kettbaum B und dem Zeugbaum A sind Räder mit Nasen angebracht, über die eine Gliederkette fortgeht, in fester Spannung zwischen A und B. Unterhalb dieser Bäume hängt die Kette ohne Ende herab und bekommt ein Rollgewicht zur Belastung und Spannung, welches man dem Erforderniß anpassen muß. A ist mit einem gewöhnlichen Regulator versehen, der von der Maschine etc. in geeignete Bewegung versetzt wird. A kann nur Vorwärtsbewegungen machen; an der Rückwärtsbewegung hindert eine Sperrklinke. Der Kettbaum ist dagegen frei beweglich. Man bringt nun die Kette auf den Stuhl in möglichst derselben Spannung wie die Gliederkette und richtet nach Erforderniß das Belastungsgewicht ein. Wird nun der Zeugbaum vorgezogen, so zieht die Gliederkette auch den Kettbaum mit, – nicht aber üben die Kettfäden diesen Zug aus, sondern unterliegen selbst der Bewegung, ohne aber schlaffer zu werden; sie werden nur nicht durch die Gewalt der Anspannung ausgezogen. Um nun beim Heben des Faches das letzte Dritttheil der Bewegung zu unterstützen und die größere Anspannung der Kettfäden zu dem Zwecke durch ein Nachgeben des Kettbaumes zu paralysiren, bringt man an der Bahn der Gliederkette zwischen A und B eine Verbindung J der Gliederkette mit einem Haken der Maschine, der sich bei jedem Tritt hebt, an und richtet das Verbindungsglied (Strick, Draht etc.) so ein, daß der Haken in Wirklichkeit erst beim Ende des zweiten Fachdritttheils die Gliederkette zu heben beginnt, und während des letzten Drittheils. Durch die Hebung der Gliederkette macht der Kettbaum eine dem Zuge des Gewichtes entgegengesetzte Bewegung, während der Zeugbaum stehen bleibt, gehalten durch die Sperrklinke des Regulators. Durch diese Bewegung wird aber die schädliche Ueberanspannung der Kettfäden beseitigt, die Gliederkette hält wiederum das aus, und wirkt besonders der Stoß der Lade nun unmerklich auf die Kettfäden, da sie noch ausweichen können. Beim Niedergang tritt die Anfangsspannung sofort wieder ein. Ist der Webstuhl mit Contremarsch vorgerichtet, so bringt man die Verbindung K an einem Hebel an, den jeder Tritt niederziehen muß, und der gleiche Erfolg ist vorhanden. Ist bei B eine Schwingstange, so läßt man die Kette darüber hin auf einer Losrolle gehen und leitet sie nach C, dem Kettbaum, unter H nach A.

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