Titel: | Theoretische Untersuchungen über die Sodafabrication nach dem Verfahren von Leblanc; von A. Scheurer-Kestner. |
Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. XXXIV., S. 130 |
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XXXIV.
Theoretische Untersuchungen über die
Sodafabrication nach dem Verfahren von Leblanc; von A. Scheurer-Kestner.
Aus den Comptes rendus,
t. LVII p. 1013, Decbr. 1863, und t. LVIII p. 501, März 1864.
Scheurer-Kestner, Untersuchungen über die Sodafabrication
nach dem Verfahren von Leblanc.
Ueber das Calciumoxysulfuret. – Durch den Umstand,
daß gar keine Reaction zwischen dem in der Rohsoda enthaltenen Antheile von
unlöslichem Sulfuret und den Lösungen von kohlensaurem Natron stattfindet, wurde Dumas zu der Annahme veranlaßt, daß eine in Wasser
unlösliche Verbindung von Schwefelcalcium und Kalkerde existire.
Schwefelcalcium ist aber schon für sich in Wasser nur sehr wenig löslich; durch
wiederholte, mit der größten Sorgfalt ausgeführte Versuche wurde nachgewiesen, daß
Wasser von 12,6° C. nur 1/12500 Einfach-Schwefelcalcium, durch Glühen
von schwefelsaurer Kalkerde mit Kohle dargestellt, zu lösen vermag. Das auf die
angegebene Weise gewonnene Einfach-Schwefelcalcium wurde vor den Versuchen
mit Alkohol ausgewaschen, um die fast stets vorhandenen kleinen Mengen von
Mehrfach-Schwefelcalcium auszuziehen.
Wird reines Einfach-Schwefelcalcium mit Lösungen von kohlensaurem Natron
zusammengebracht, so verwandelt sich letzteres allmählich in Schwefelnatrium; doch
geht diese Zersetzung beider Salze nur sehr langsam von statten.
Wird gepulverte rohe Soda und ein Gemenge welches aus stöchiometrisch berechneten
Quantitäten von kohlensaurem Natron und Schwefelcalcium besteht, gleichzeitig und
unter ganz gleichen Verhältnissen mit Wasser behandelt, so zeigen die erhaltenen
Lösungen nach Verlauf eines gleichen Zeitraums einen gleichen Gehalt an
Schwefelnatrium.
Demnach ist die Hypothese von der Existenz eines in Wasser unlöslichen
Calciumoxysulfurets zur Erklärung des indifferenten Verhaltens der Rückstände gegen
die Lösungen der rohen Soda ganz entbehrlich. Man gelangt übrigens zu demselben
Resultat, wenn man rohe Soda längere Zeit mit Wasser in Berührung läßt; die
erhaltene Lösung ist reicher an Schwefelnatrium, allein die unlöslichen Rückstände
enthalten keine Kalkerde mehr; vielmehr zeigt die quantitative Bestimmung ihres
Gehaltes an Calcium, Schwefel und Kohlensäure, daß sie aus einem Gemenge von
kohlensaurer Kalkerde und Schwefelcalcium bestehen.
In diesem Falle findet man auch die Causticität der Flüssigkeiten beträchtlich
vermehrt; es wurde folglich kohlensaures Natron durch das aus der Kalkerde nach und
nach entstandene Kalkerdehydrat zersetzt. Wäre das Calciumoxyd, die Kalkerde, mit
dem Schwefelcalcium zu Calciumoxysulfuret verbunden, so müßte sich der Gehalt der
Lösungen an Schwefelnatrium in geradem Verhältnisse zu ihrem Gehalte an Aetznatron
vermehren, während die Erfahrung das Gegentheil lehrt.
Ueber den Gehalt der Lösungen an Aetznatron. – Die
Gegenwart von Aetznatron in den Rohsodalaugen hatte zu der Annahme geführt, daß jene
Substanz im letzteren Producte vor der Einwirkung des Wassers auf dasselbe schon gebildet
vorhanden sey. Diese Annahme ist eine nothwendige Folge der Hypothese des
vorhandenen Calciumoxysulfurets. Gossage
Polytechn. Journal Bd. CLXVIII S. 235. zog aus der Thatsache daß, wenn Rohsoda mit Alkohol digerirt wird, derselbe
kein Aetznatron auflöst, den Schluß daß letzteres sich während der Behandlung mit
Wasser bildet, und stellte deßhalb die Existenz des Oxysulfurets ganz in Abrede. Kynaston suchte die Schwierigkeit durch die Bildung einer
in Wasser unlöslichen Verbindung von Schwefelcalcium und kohlensaurer Kalkerde zu
umgehen, welche gleichzeitig mit dem Aetznatron, in Folge der Einwirkung des
Wassers, entstehe. Indessen wird dadurch, daß nach der Digestion der Rohsoda mit
Alkohol der letztere kein Aetznatron enthält, nur bewiesen daß in der Rohsoda
Natronhydrat nicht zugegen ist, wogegen sie wasserfreies Natron enthalten könnte,
welche Substanz in Alkohol bekanntlich unlöslich ist.
Da die Nichtexistenz des Calciumoxysulfurets bewiesen ist, so läßt sich annehmen daß
sich das Aetznatron erst durch die Behandlung mit Wasser beim Auslaugen bildet, und
dieß wird auch wirklich durch die quantitative Bestimmung der in der rohen Soda
enthaltenen Kohlensäure bestätigt, insofern die Menge der letzteren stets mehr
beträgt, als zur vollständigen Sättigung des vorhandenen Natrons erforderlich ist.
Es ist sogar noch ein Theil des benutzten Kalksteins im unzersetzten Zustande
vorhanden. Die theilweise Zersetzung des zur Darstellung der Rohsoda angewandten
Ueberschusses an Kalkstein macht die Differenz in der Causticität der aus Soda von
verschiedenen Operationen erhaltenen Rohlaugen ganz erklärlich. Einen klaren Beweis
für die Bildung des Aetznatrons beim Auslaugen mit Wasser liefert die Thatsache, daß
das Wasser einer und derselben Rohsoda sämmtliches
Natrium entzieht, jedoch mit wandelbarem Gehalt an Aetznatron, welcher nur von der
längeren oder kürzeren Berührung der unlöslichen Rückstände mit der Lauge
abhängt.
Entstehung der löslichen Sulfurete. – Nach der
Annahme von Gossage und Kynaston präexistiren die in den Rohsodalaugen enthaltenen löslichen
Schwefelmetalle in der rohen Soda als Calciumpolysulfuret, so daß man bei der
Sodafabrication nur die Bildung dieser Polysulfurete zu vermeiden braucht, um reine
Laugen zu erhalten. Allein diese Polysulfurete müßten sich in Alkohol lösen, während
eine mit Sorgfalt dargestellte Rohsoda an dieses Lösungsmittel nur Spuren (0,005 bis
0,006 Proc. des rohen Salzes) von Einfach-Schwefelnatrium abgibt, weit weniger, als sich
später in den Lösungen eben derselben, vorher mit Alkohol ausgewaschenen Soda
findet.
Der Gehalt der Rohsodalaugen an Schwefelnatrium rührt hauptsächlich von einer
theilweisen gegenseitigen Zersetzung des Schwefelcalciums und des gelösten
kohlensauren Natrons her. Einen Gehalt an Polysulfureten zeigen diejenigen Theile
der rohen Soda, welche nicht im Zustande von Kalksalzen, sondern als Natronsalze
einer zu hohen Temperatur ausgesetzt waren. Schwefel und Natrium sind darin, wie man
sich durch die quantitative Untersuchung der alkoholischen Lösung solcher Soda
überzeugen kann, in den dem Bisulfuret entsprechenden Verhältnissen mit einander
verbunden. Das Natriumbisulfuret entsteht aber durch die gegenseitige Einwirkung von
kohlensaurem Natron und Schwefelcalcium auf einander, nach folgender Gleichung:
2 CaS + NaO, CO² = NaS² + CO + 2 CaO.
Die Zweifach-Schwefelnatrium enthaltende Rohsoda gibt Laugen, welche sehr viel
Aetznatron enthalten. Der Ueberschuß an letzterem wird durch die Kalkerde erzeugt,
welche sich gleichzeitig mit dem Zweifach-Schwefelnatrium bildet. Es kommt
auch oft vor, daß die Soda in Folge einer zu hohen Temperatur Aetznatron enthält,
welches durch Reduction von kohlensaurem Natron mittelst der Kohle entstanden
ist.
Demnach ist die Annahme der Existenz von Calciumoxysulfuret zur Erklärung der
schwachen Reaction zwischen den Rohlaugen und dem unlöslichen Rückstande nicht
nöthig. Dieser Rückstand besteht in einem Gemenge von kohlensaurer Kalkerde und
Schwefelcalcium, oder von Aetzkalk, kohlensaurer Kalkerde und Schwefelcalcium. Das
in den Lösungen der rohen Soda enthaltene Aetznatron entsteht durch die Einwirkung
des Aetzkalks der Rückstände auf das kohlensaure Natron; wurde die Rohsoda sehr
stark erhitzt, so kann sie auch Aetznatron in Folge der Reduction von kohlensaurem
Natron durch Kohle enthalten. Die löslichen Sulfurete rühren von der theilweisen,
zwischen dem kohlensauren Natron und Schwefelcalcium im Wasser stattfindenden
Reaction her; in Folge eines zu starken Glühens enthält die Rohsoda außerdem
Mehrfach-Schwefelnatrium; doch zeigt sie niemals einen Gehalt an
Mehrfach-Schwefelcalcium.
Es bleibt jetzt nur noch zu bestimmen, durch welche Reaction das schwefelsaure Natron
und die Kreide zu Schwefelcalcium und kohlensaurem Natron umgesetzt werden, und
weßhalb ein Ueberschuß von Kreide oder anderem reinen
Kalkstein erforderlich ist, ohne welchen bekanntlich ein Schwefelnatrium
enthaltendes kohlensaures Natron resultirt.
Die Umwandlung des schwefelsauren Natrons in kohlensauresNatron. – Aus meinen Versuchen ergibt sich, daß bei der Darstellung
der Soda zunächst das schwefelsaure Natron durch die Kohle reducirt wird und dann
gegenseitige Zersetzung des entstandenen Schwefelnatriums und des kohlensauren
Kalkes stattfindet. Werden Gemenge von trockenem Schwefelnatrium und kohlensaurem
Kalk, welche in verschiedenen Verhältnissen zusammengesetzt sind, bis zum Rothglühen
erhitzt und dann mit Wasser behandelt, so geht eine derjenigen des angewendeten
kohlensauren Kalks entsprechende Menge von kohlensaurem Natron in Lösung. Setzt man
dem zu calcinirenden Gemenge Kalkstein in Ueberschuß zu, so wird sämmtliches
Schwefelnatrium zersetzt und die Lauge enthält dann Natronhydrat. Im andern Falle
bildet sich eine dem angewendeten Kalkstein äquivalente Menge Natroncarbonat und die
Laugen enthalten kein Aetznatron, dessen Gegenwart in den ersteren Lösungen von der
Umwandlung des überschüssigen Kalksteins in Aetzkalk herrührt.
I. Gemenge von 80 Grm. Schwefelnatrium und 50 Grm. kohlensaurem Kalk.
II. 80 Grm. Schwefelnatrium mit 85 Grm. Kalkstein.
III. 80 Grm. Schwefelnatrium mit 110 Grm. Kalkstein.
IV. 80 Grm. Schwefelnatrium mit 130 Grm. Kalkstein.
Die durch Glühen dieser Gemenge erhaltenen, in Wasser gelösten Producte, zeigten
folgende Zusammensetzung:
I.
II.
III.
IV.
Schwefelnatrium
36,4
9,8
0,3
0,3
kohlensaures Natron
53,5
89,1
86,9
79,9
schwefelsaures Natron
10,1
1,1
5,7
5,8
Natronhydrat
7,1
14,0
Die mit einem Ueberschuß von Kalkstein calcinirten Gemenge liefern Laugen von ganz
ähnlicher Zusammensetzung, wie die durch Lösungen der Rohsoda dargestellten; gleich
diesen enthalten sie etwas Schwefelnatrium und Natronhydrat, in fast ganz denselben
Verhältnissen.
Aus dem Resultate des Versuchs (I) ergibt sich, daß man selbst bei Anwendung eines
großen Ueberschusses von Schwefelnatrium, wodurch jede Bildung von
Calciumoxysulfuret ausgeschlossen wird, eine der Menge des zersetzten
Kalkerdecarbonats entsprechende Menge kohlensaures Natron erhält.
Die Nothwendigkeit der Anwendung eines Ueberschusses von Kalkstein in der Praxis wird
dadurch bedingt, daß Schwefelnatrium durch Calciumoxyd bei Rothglühhitze gar nicht
zersetzt wird; die geglühte Masse gibt, mit Wasser behandelt, an letzteres nur
Schwefelnatrium ab. Um mit Aetzkalk Soda fabriciren zu können, muß man bei Gegenwart von Kohlensäure
operiren.
Möglicherweise kann sich in der Praxis ein Theil des Kalksteins zu Aetzkalk
reduciren, bevor noch alles Natronsulfat in Natronsulfuret verwandelt ist; in diesem
Falle würde, wenn nicht Kalkstein im Ueberschuß angewendet worden, das zuletzt
gebildete Schwefelnatrium den zu seiner Umwandlung in Carbonat nothwendigen
kohlensauren Kalk nicht mehr vorfinden und in der erhaltenen Soda als Sulfuret
verbleiben.
Dem Anscheine nach müßte man die successiven Umwandlungen der Rohstoffe Schritt für
Schritt verfolgen können und in einem bestimmten Zeitpunkte die Umwandlung von allem
Natronsulfat in Sulfuret nachzuweisen im Stande seyn; allein die Sache verhält sich
anders, weil die Zersetzung des schwefelsauren Natrons durch Kohle bei einer weit
höheren Temperatur stattfindet, als zur gegenseitigen Zersetzung des schwefelsauren
Natrons und kohlensauren Kalks erforderlich ist, daher das Schwefelnatrium im
Augenblicke seiner Bildung seine Elemente mit denen des Kalksteins umsetzt.
Halten wir die jetzt allgemein angewendeten Mengenverhältnisse der Rohstoffe fest, so
läßt sich die Umwandlung des Natronsulfats in Carbonat durch folgende Gleichung
ausdrücken.
5 NaO, SO³ + 10 C = 5 NaS + 10 CO²;
5 NaS + 7 CaO, CO² = 5 NaO, CO² + 5 CaS + 2 CaO + 2
CO²,
welche 98,3 Kreide auf 100 schwefelsaures Natron
entspricht.
Aus den im Vorstehenden mitgetheilten Versuchen ergibt sich also, daß die im Sodaofen
stattfindende Reaction eine sehr einfache ist. Die Annahme eines unlöslichen
Calciumoxysulfurets ist unnöthig; die Bildung von Aetznatron während der Lösung der
Rohsoda in Wasser, sowie das Nichtvorhandenseyn von Calciumoxyd in den dabei
bleibenden Rückständen, sprechen geradezu gegen diese Hypothese. Die in den Lösungen
der Rohsoda enthaltenen Sulfurete sind das Product der theilweisen gegenseitigen
Zersetzung dieser Laugen mit dem nur wenig löslichen Schwefelcalcium. Nicht
sorgfältig genug dargestellte Rohsoda kann entweder Einfach-Schwefelnatrium
oder Natriumpolysulfurete fertig gebildet enthalten. Wurden die Substanzen nicht
vollkommen genug gemengt oder nicht hinlänglich umgedrücktumgekrückt, so entgeht ein Antheil des Monosulfurets der Einwirkung des kohlensauren
Kalkes; wurde die Rohsoda zu stark erhitzt, so enthält sie
Mehrfach-Schwefelnatrium, welches durch Reduction und doppelte Zersetzung
zwischen dem kohlensauren Natron und dem Schwefelcalcium entstand. Dieß sind die
beiden Klippen, welche sorgfältig zu vermeiden sind, wenn man von Sulfureten
möglichst freie Laugen erhalten will.