Titel: | Ueber Fütterung der Seidenraupen, und über den Einfluß der chemischen Bestandtheile der Seide beim Färben derselben; von Siegfried Stein. |
Autor: | Siegfried Stein |
Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. XXXVII., S. 145 |
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XXXVII.
Ueber Fütterung der Seidenraupen, und über den
Einfluß der chemischen Bestandtheile der Seide beim Färben derselben; von Siegfried Stein.
Stein, über Fütterung der Seidenraupen und über den Einfluß der
chemischen Bestandtheile der Seide beim Färben.
Bekanntlich bekommt es unseren Hausthieren sehr gut, wenn denselben Salz
(Chlornatrium) zum Futter gegeben wird. Nicht bloß den großen und kleinen
Wiederkäuern, sondern auch den übrigen Hausthieren ist Salzfütterung zuträglich.
Das Wild sucht sehr gern diejenigen Orte auf, wo es Salz findet. Durch naturgemäße
Befriedigung der Begierde nach Salz fällt das Wild der Kugel des Jägers anheim,
welcher an den künstlichen Salzlacken im Anstand steht. Das Salz ist für die
Ernährung der Hausthiere um so mehr erforderlich, je beständiger dieselben im
geschlossenen Raum gefüttert werden. Stallfütterung muß daher sowohl in ihrer
Wirkung als in ihrer Weise eine ganz verschiedene seyn, gegenüber freier
Weidefütterung.
Die den Hausthieren bei der Stallfütterung gleichsam aufgedrungene Nahrung muß wohl eine Beigabe von Salz erfordern, da das
Thier in der Freiheit sich diejenigen Pflanzen oder Orte, durch seinen InstinctInstict geleitet, aufsucht, die ihm das Salz bieten, welches zur Bildung der in
seinem Magen erforderlichen Salzsäure und Natronsalze nothwendig ist. Zum guten
Verdauen des verzehrten Futters müssen die genannten Stoffe, aus mitgenossenem Salz
entstanden, unbedingt im Magen vorhanden seyn. Bei gestörter Verdauung wird
Chlorwasser, um die Salzsäurebildung direct zu bewirken, als innerliches Mittel
verordnet. Ebenso einfach- oder doppelt-kohlensaures Natron, um sofort
lösliche Natronsalze zu erzeugen, welche bei normaler Verdauung durch Salzfütterung
in regelrechter Weise aus dem Chlor und dem Natrium des Kochsalzes entstehen.
Natronsalze und Salzsäure sind in entsprechender Menge im Organismus der Thiere zum
Leben und Gedeihen derselben unbedingt erforderlich. Daher ist Salzfütterung bei den
Hausthieren geboten und nach Erkenntniß dieses Naturgesetzes vielfach eingeführt
worden, und zwar mit vollem Erfolge.
Nun sind aber nicht bloß die Eingangs genannten größeren Thiere als Hausthiere zu
betrachten, sondern es sind aus der Classe der Insecten auch die Biene, mehr aber
noch die Seidenraupe, zu den Hausthieren zu rechnen.
Die Biene sucht sich jedoch ihre Nahrung im Freien und ganz ungehindert, daher
vollständig nach ihrem Instinct, ganz so wie sie ihr nothwendig erscheint. Bald sind
es Harzstoffe zum Bekleben der inneren Wand des Stocks, bald Fettsubstanzen zur
Bildung der Wachszellen, bald ist es Honig zum täglichen Brod und zum Vorrath für
den Winter.
Der Seidenraupe wird dagegen ihr Futter gerade so wie bei den übrigen Hausthieren
durch das Vorlegen der Maulbeerblätter aufgedrungen. Die meisten Seidenzüchter
wissen es vielleicht nicht oder denken nicht daran, daß der Boden, auf welchem der
Maulbeerbaum steht, die Substanzen, welche in die Blätter aufgenommen, der
Seidenraupe zur regelrechten Ernährung verhelfen würden, nicht in genügender Menge
enthält oder seit Generationen daran erschöpft ist. In dem einen wie in dem anderen
Falle wird ein solches mangelhaftes Futter nur nachtheilig auf die Entwickelung der
Seidenraupe einwirken können.
Die Königin eines Bienenstocks legt die verschiedenen Eier in die verschiedenen, aber
besonders dazu vorgerichteten Zellen des Bienenstocks. Die aus diesen Eiern
entstehenden Larven werden sehr sorgfältig mit ganz bestimmter, besonders gewählter
Nahrung von den alten Bienen gefüttert. Dieses Verfahren wird vorzugsweise bei den
Larven beobachtet, aus welchen sich die Königinnen bilden sollen, die also zur
Nachzucht und Erhaltung der Art und Reinheit der Race dienen.
Dem Seidenschmetterling (Seidenfalter) dagegen wird es nicht überlassen, seine Eier
auf denjenigen Maulbeerbaum zu legen, welcher ihm, seinem
Instinct nach, dazu am geeignetsten erscheint und wo die ausgeschlüpften Larven auch
gleich die ihnen zuträglichste Nahrung finden.
Der Seidenfalter legt seine Eier nicht wo er will, ebenso wie die Seidenraupe ihre
Nahrung nicht sucht wo sie will; sondern beide thun was sie müssen, wohl oft genug
zur Abkürzung ihres Lebens und zur Verkümmerung ihrer Art.
Der Mensch hält diese Thiere um Nutzen davon zu haben und zwingt sie ganz nach seinem
Willen zu handeln. Wenn er aber von allen seinen Hausthieren den gleichen vollen
Nutzen haben will, so muß er auch alle gleichmäßig behandeln und allen gleich gute
Nahrung geben.
Die Seidenraupe bedarf ebenso gut des Kochsalzes als Beigabe zum Futter, wie die
übrigen Hausthiere.
Diese Behauptung mag gewagt erscheinen, jedoch will ich versuchen, außer durch obige
Gründe, den Beweis durch die Resultate wissenschaftlicher Untersuchungen im
Nachstehenden zu führen.
Nach Peligot
Peligot, chemische und physiologische
Untersuchungen über die Seidenwürmer, im polytechn. Journal Bd. CXXIII S.
389, Bd. CXXIV S. 143. läßt die Seidenraupe, nachdem das Einspinnen begonnen hat, einen grünen oder
weißen harnsäurehaltigen Auswurf fallen und sondert bald darauf 1/5 bis 1/7 ihres
Gewichtes einer wasserklaren Flüssigkeit ab, welche eine Auflösung von 1,5 Proc.
kohlensaurem Natron in Wasser ist.
Bekanntlich wird die Seide zur Vorbereitung des Färbens entweder mit reiner Seife,
oder neuerdings auch wohl mit kohlensaurem Natron abgekocht. Dieses Verfahren wird
die Entbastung der Seide genannt, indem hierdurch der gummiartige Ueberzug,
gleichsam der Bast der Seide, entfernt wird. Der Seidenfaden besteht aus dem inneren Kern und der äußeren
Hülle. Während ersterer wesentlich aus Thierfaserstoff und thierischem Leim besteht,
ist die Hülle aus Gummi zusammengesetzt oder vielmehr aus gummisaurem Kalk. Der Kern
zeigt basische, die Hülle saure Reaction. Daher ist der erstere gegen reines
kohlensaures Natron neutral und wird beim Kochen mit diesem Reagens nicht
angegriffen. Wird dagegen die Hülle mit kochender Seifenlauge in Berührung gebracht,
so verbindet sich sowohl das Gummi mit dem in der Lauge enthaltenen Natron, als auch
der Kern mit den vorhandenen Fettsäuren. Neide neu entstandene Verbindungen sind in
Wasser löslich. Verwendet man nur kohlensaures Natron, so wird bloß das Gummi
aufgelöst, der Kalk aber ausgeschieden und auf der Thierfaser, dem Kern der Seide
unlöslich, wenigstens schwerlöslich niedergeschlagen. Die zur Entbastung
angewendeten Stoffe müssen selbstverständlich möglichst rein und frei von
schädlichen Substanzen seyn, weil sonst der Kern der Seide angegriffen wird und
dieselbe leicht ihren schönen charakteristischen Seidenglanz verlieren könnte.
Wie erwähnt, scheidet die Seidenraupe vor dem Beginne des Einspinnens reines
kohlensaures Natron aus ihrem Körper aus. Da nach dem vorstehend Mitgetheilten der
Gummiüberzug der Seide nachträglich durch kohlensaures Natron zum größten Theil,
d.h. mit Ausschluß des Kalks beseitigt und aufgelöst werden kann, so muß dieses
Gummi vorher im Körper der Seidenraupe gelöst gewesen und gelöst erhalten worden
seyn, durch das beim Beginn des Einspinnens ausgeschiedene kohlensaure Natron.
Wo bekommt die Raupe dieses kohlensaure Natron her? Sie muß dasselbe dem aufgedrungen
genossenen Futter, den Maulbeerblättern entnommen und bis zum Einspinnen im Körper
aufbewahrt haben, um dadurch das Gummi gelöst zu erhalten.
Wenn in den Maulbeerblättern aber nicht genug kohlensaures Natron enthalten war, oder
ein sonstiges Natronsalz darin sich nicht vorfand, aus welchem durch organische
Umsetzung das kohlensaure Natron entstehen konnte, was geschieht dann? Offenbar kann
in diesem Falle die Raupe nicht spinnen, sie muß zu Grunde gehen, und zwar ehe sie
sich den so werthvollen Sarg in guter Weise hat bereiten können.
Die einfachste Abhülfe gegen diesen Uebelstand dürfte demnach darin bestehen, daß man
die zur Fütterung der Seidenraupen bestimmten Maulbeerblätter mit einer sehr
verdünnten Kochsalzlösung besprengt. Die Stärke dieser Lösung, d.h. der Gehalt
derselben an Kochsalz, ist durch Fütterungsversuche im Kleinen mit verschiedenen
Partien leicht festzustellen.
Anderweitige Versuche, welche dasselbe Ziel verfolgen, würden auch einiges Interesse
bieten, namentlich der Versuch die Maulbeerbäume mit verdünnter Kochsalzlösung zu
begießen, um so indirect den Seidenraupen das zuträglichste Futter geben zu können,
sofern die directe Salzfütterung in der einen oder anderen Weise mit Uebelständen
verbunden wäre. Diese letztere Idee veranlaßt mich zu dem Vorschlag, durch Versuche
zu ermitteln, ob es nicht auch förderlich sey, die Maulbeerbäume mit einem an
Phosphorsäure reichen Stoff zu düngen. Die Raupe scheidet ja, wie oben erwähnt, auch
viel Harnsäure aus, und da diese fast immer in Begleitung von Phosphorsäure aus den
Organismen austritt, so bedarf die Raupe davon ebenfalls in ihrem Futter. Diese
Ansicht wird noch weiter durch folgende Thatsache bestätigt. Graham erwähnt in seiner Abhandlung über Anwendung der Diffusion der
Flüssigkeiten zur Analyse:Annalen der Chemie und Pharmacie, Januarheft 1862, Bd. CXXI S. 1.
„daß thierischer Leim vollständig durch eine tropfenweise zugesetzte
Lösung von Metaphosphorsäure gefällt wird; diese Verbindung ist eine
halbdurchsichtige, weiche, elastische faserig-feste Masse, welche
auffallende Aehnlichkeit mit Thierfibrin hat.“ Diese Eigenschaften
des Niederschlags erinnern sehr an das Aussehen der entbasteten Seide, an den Kern
des Seidenfadens. Der Leim, welcher nicht durch Phosphorsäure in der Seide gebunden
ist, kann durch Kochen mit Wasser daraus entfernt werden. Der durch Phosphorsäure
gebundene thierische Leim ist in Wasser unlöslich und hat oben erwähnte
Eigenschaften. Kann die Raupe nicht genug Gummi aus dem Futter in sich aufnehmen, um
den aus letzterem gleichzeitig mitverzehrten Kalk in gummisauren Kalk überzuführen,
so würde der überschüssige Kalk mit der ebenfalls assimilirten Phosphorsäure die
unlösliche Verbindung als phosphorsaurer Kalk eingehen. Letzterer würde nicht allein
der Seide eine gewisse Härte geben, sondern auch beim Färben die nächste
Veranlassung zu Verlust an Leimsubstanz seyn; diese ist aber derjenige Stoff, mit
welchem die Eisensalze und die Gerbsäure beim Färben neue Verbindungen eingehen.
Graham bemerkt in der erwähnten Abhandlung über die
Dialyse ferner: „Wird Gummisäure bei 100° C. gut getrocknet, so ist
sie nun unlöslich in Wasser, schwillt aber in demselben wie
Gummi-Traganth auf.“ Dieses Verhalten dürfte Beachtung
verdienen beim Abhaspeln der Rohseide von den Cocons.
Graham gibt weiter an: „Eine Leimlösung wird
weder durch gereinigtes Gummi, noch durch gummisaures Kali (gummisaures Natron
ist nicht
erwähnt) gefällt.“ Demnach dürften in der Spinnsubstanz die beiden
verschiedenen Stoffe ohne Einwirkung aufeinander bleiben und die Gummiverbindung
mehr eine mechanische Rolle beim Spinnen spielen.
Aus meinem eigentlichen Beruf ist mir ein ähnlicher Fall bekannt. Beim Drahtziehen
wird der blankgeätzte Eisendraht vor dem Zieheisen durch eine Lauge, worin etwas
Kupfervitriol aufgelöst ist, geführt und wird dadurch mit einer dünnen Schicht
Cementkupfer bedeckt. Dieses dient als Antifrictionsmittel zwischen Eisendraht und
Zieheisen, so daß letzteres weniger ausschleißt und gleich dicken Draht herzustellen
gestattet. So auch mögen bei der Seidenraupe die Wände der Spinndrüse gegen die
einschneidende Wirkung des eigentlichen Seidenfadens durch das gleichzeitig mit
austretende Gummi geschützt werden.
Weitere Anhaltspunkte für die Pflege der Seidenraupe, sowie für das Färben und
Appretiren der Seide und Seidenstoffe, dürften Fachkundige leicht aus diesen
Mittheilungen zu entnehmen im Stande seyn.
Um z.B. das zur Appretur erforderliche Gummi ohne Nachtheil für Stoff und Farbe
anwenden zu können, muß die Verbindung „gummisaurer Kalk“
getrennt werden. Dieses ließe sich am einfachsten durch Salzsäure bewirken, indem
dadurch leicht lösliches Chlorcalcium gebildet wird, welches entweder durch
Auswaschen, oder durch Dialysiren, oder auch durch Filtration über Knochenkohle zu
entfernen wäre. In letzterem Falle würde das gereinigte Gummi zugleich entfärbt.
Sollen Seidenstoffe in der Appretur gummirt werden, so geschieht dieses selbstredend
auf der linken Seite des Stoffes und muß derselbe nach der Deckung mittelst Gummi
über eine durch Dampf geheizte Walze gezogen werden, wobei die Temperatur der
Walzenoberfläche mehr wie 100° C. betragen muß, damit das Gummi in Wasser
unlöslich gemacht wird. Geschieht dieses nicht, so löst sich aus der Seide das
aufgetragene Gummi, beim Tragen im Regen, und der Stoff verliert den Griff, wie der
technische Ausdruck lautet.
Niederrheinische Hütte zu Duisburg, im Mai 1864.