Titel: | Beseitigung des Getöns der Telegraphenleitungen; von Prof. Dr. Listing in Göttingen. |
Fundstelle: | Band 173, Jahrgang 1864, Nr. LXVI., S. 264 |
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LXVI.
Beseitigung des Getöns der Telegraphenleitungen;
von Prof. Dr. Listing in Göttingen.
Aus den Mittheilungen des hannoverschen
Gewerbevereins, 1864 S. 31.
Listing, über die Beseitigung des Getöns der
Telegraphenleitungen.
Die Wirkung des Windes auf die in der Luft von Pfahl zu Pfahl gespannten
Telegraphendrähte besteht, wie Jedermann bekannt, in mehr oder weniger lauten
Aeolsharfentönen, die unter Umständen recht unwillkommen und lästig werden können.
So wie in der Nähe der Pfähle, Welche durch Resonnanz die tonerzeugenden Schwingungen
verstärken, dieß Getön besonders deutlich vernommen wird, so verbreiten sich auch in
Gebäuden, welche gleich den Pfählen den Leitungsdrähten zu Stützpunkten dienen, die
Aeolstöne mitunter in einer bis zum Widerwärtigen gesteigerten Stärke. Der Draht,
durch welchen die Göttinger Sternwarte mit der Telegraphenstation des Bahnhofs in
Verbindung steht, ertönte in der zweiten und dritten Woche des verflossenen Januars
bei dem anhaltenden mäßigen und gleichförmigen Süd- und Südostwind fortwährend und
besonders in der Nacht so laut, daß der Ton z.B. in Schlafzimmern, die an die
soliden Mauern des Gebäudes angrenzen, in unausstehlicher Stärke und Dauer
vernehmbar war. Der Verf. war daher auf die Beseitigung dieses unwillkommenen
Nebeneffects der Drahtleitung bedacht, welche durch Anwendung eines höchst einfachen
Mittels auch vollkommen gelang.
So unharmonisch, auch abgesehen von der oft sehr unangenehmen Stärke und Dauer, die
Aeolstöne dem Hörer vorkommen mögen, so beehrt sie doch der Physiker mit dem
acustischen Ehrennamen harmonischer Töne, womit er aber weiter nichts sagen will,
als daß sie durch die Selbsttheilung des Drahtes oder der Saite in eine beliebige
Anzahl gleicher Längentheile in der Weise entstehen, wie sie der Violinist in Form
von Flageolettönen hervorbringt, deren Schwingungsfrequenz sich durch die
natürlichen ganzen Zahlen 1, 2, 3 etc. ausdrücken läßt. Bei Saiten von so
beträchtlicher Länge und verhältnißmäßig geringer Spannung, wie sie die
Telegraphenleitungen darstellen, sind es ganz wie bei der Aeolsharfe solche Töne aus
der harmonischen Reihe, welche größeren Zahlen, wie 8, 11, 16, 18 und dergl.
entsprechend, weit höher sind als der der Einheit entsprechende Grundton. Die Saite
schwingt hierbei nicht, wie beim Grundton, mit allen Theilen in ihrer ganzen Länge
gleichzeitig und in übereinstimmender transversaler Bewegung, sondern so, als ob sie
durch Stege in 8, 11, 16 etc. gleiche Längentheile getheilt wäre, deren jeder für
sich schwingende den dieser Theilung entsprechenden harmonischen Ton erzeugt, und
deren Oscillationsrichtung zu beiden Seiten jedes Theilpunktes oder
Schwingungskastens entgegengesetzt ist. Der wechselnde Einfluß des Windes, der
hierbei die Rolle des Violinbogens übernimmt, erzeugt je nach unberechenbaren
kleinen Zufälligkeiten bald diesen, bald jenen Ton, eine Selbsttheilung bald nach
dieser bald nach jener Zahl. Bei allen harmonischen Tönen beruht nun die Möglichkeit
ihres Auftretens auf der Gleichheit aller maßgebenden Bestimmungsgrößen für
sämmtliche gleichzeitig schwingenden Abtheilungen der Saite, d.h. auf der gleichen
Dicke, Länge, Masse und Spannung. Hieraus ist klar, daß der Zweck der Beseitigung dieser
Töne am einfachsten dadurch erreicht wird, daß wir eins dieser Elemente für einen
der aus der zufälligen Selbsttheilung hervorgehenden Längentheile merklich ändern.
Hierzu bietet sich am einfachsten die in Schwingung zu versetzende Masse dar, welche
nur für einen der Längentheile vergrößert zu werden braucht, um die isochrone
Oscillation sämmtlicher Theile zu verhindern. Berücksichtigen wir nun die
Möglichkeit von verschiedenen, oben beispielsweise durch die Zahlen 8, 11, 16, 18
bezeichneten harmonischen Tönen, so ist klar, daß eine Zusatzmasse an einem
beliebigen Punkte der ganzen Länge der Saite dann ohne Wirkung bleiben werde, wenn
sie auf oder nahe bei einem Knotenpunkte für irgend eine Theilungsart angebracht
wäre. Der Ton 10 wäre möglich, wenn die Masse in Entfernungen von 1, 2, 3, 4 oder 5
Zehnteln der Länge vom Ende entfernt wäre und es wären außerdem auch die Töne 20, 30
etc. sowie, falls jene Entfernung eine gerade Anzahl von Zehnteln betrüge auch die
Töne 5, 15, 25 etc. von der Dämpfung verschont. Man sieht leicht, daß man die Masse
am zweckmäßigsten in geringer Entfernung vom Ende des Drahtes und womöglich in einer
angemessenen Längenerstreckung wird anbringen müssen, um möglichst vielen
harmonischen Tönen zugleich Schweigen aufzuerlegen.
In dem schon oben erwähnten Falle der hiesigen Sternwarte, wo die erste Drahtstrecke
von dem Gebäude bis zum ersten Pfahl über 100 Meter beträgt, genügte zur
vollständigen Beseitigung der Aeolstöne dieser Strecke die Befestigung einer
Dämpfermasse in der Entfernung von etwa einem Meter vom Anfangspunkte, insofern der
Ton 100 und dessen Multipla nach einem leicht anzustellenden Ueberschlage im
vorliegenden Falle so hoch liegen, daß sie vom Winde theils nur schwer und äußerst
selten erregbar seyn dürften, theils außerhalb der Grenzen des Hörbaren fallen. Zu
diesem Ende wurde ein etwa 3 Centim. langes Stück Gummischlauch mit dünner Wand und
einer lichten Oeffnung von der Stärke des Telegraphendrahtes, nach vorgängiger
Aufschlitzung, an der betreffenden Stelle um den Draht gelegt, sodann ein 6- bis
8facher Bleidraht von der Dicke von etwa 3 Millim. und in gleicher Länge mit der
Schlauchbekleidung an dieselbe angelegt und vermittelst Bleidrahtes derselben Art
durch mehrfache Umwickelung auf dem Gummiüberzuge hinlänglich befestigt, wodurch
eine Dämpfermasse von etwa 1–1 1/4 Kilogrm. hinreichend fest und
unverschiebbar mit dem Drahte verbunden worden ist.
Dieses einfache Mittel hat sich seit Mitte Januar d. J. als vollkommen
zweckentsprechend bewährt. Zu Zeiten starken Tönens der Leitungsdrähte ist zuweilen
noch ein ganz leiser Ton in unmittelbarer Nähe des Theils der Sternwarte, der den dießseitigen
Befestigungspunkt des Drahtes trägt, vernehmbar gewesen, doch ist derselbe in keiner
Weise unangenehm oder lästig. Die Entstehung dieses Tons beruht, wie die nähere
Untersuchung ergab, nicht auf tonerzeugenden Schwingungen der fraglichen
Drahtstrecke, sondern auf der Tonleitung dieser Strecke, welche den Aeolston der
zweiten zur Zeit noch nicht mit Dämpfer versehenen Strecke zwischen der ersten und
zweiten Telegraphenstange bis zum Gebäude der Sternwarte in sehr verminderter
Intensität hinführt. Durch einen gleichen Dämpfer auf der zweiten Drahtstrecke in
der Nähe eines ihrer Endpunkte würde man auch dieses ganz unerhebliche Residuum der
Aeolstöne am Anfangspunkte der Drahtleitung beseitigen können.