Titel: | Ueber Blei- und Kupfergehalt des Brunnenwassers; von Dr. F. Varrentrapp. |
Fundstelle: | Band 175, Jahrgang 1865, Nr. LXX., S. 286 |
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LXX.
Ueber Blei- und Kupfergehalt des Brunnenwassers;
von Dr. F. Varrentrapp.
Varrentrapp, über Blei- und Kupfergehalt des
Brunnenwassers.
Trotz einer Unzahl von Untersuchungen über die Löslichkeit von Blei in Wasser, wenn
Röhren von diesem Metall zur Leitung verwendet werden, ist diese Frage noch immer
nicht genügend beantwortet. Dr. Kersting in RigaPolytechn. Journal Bd. CLXIX S. 183. hat einen interessanten Beitrag dazu geliefert, aber sich auch noch weitere
Prüfungen vorbehalten, ehe er sich zu einem definitiven Abschluß berechtigt hält.
Auch er gelangt jedoch zu dem Schluß, daß bislang schädliche Wirkungen der Anwendung
von Bleiröhren für Wasserleitungen nicht beobachtet sind, obwohl z.B. schon mehrere
Jahre alte Bleileitungen dauernd zur Aufnahme von Trinkwasser benutzt wurden. Er
nimmt nach seinen Versuchen an, daß in der Regel Wasser, welches in Bleileitungen
gestanden hat, nicht frei von Blei sey, daß aber die Menge, welche aufgelöst werde
und zum Genuß gelange, zu gering sey, als daß dieselbe der menschlichen Gesundheit
nachtheilig werde. Aus der Abnutzung der in Riga in einer Holzleitung stellenweise
eingeschalteten Bleiröhren berechnet er, daß „jeder
Einwohner dreißig Jahre lang täglich 1/100 Gran
in den Magen bekommen habe.“ Es ließen sich leicht gegen
diese Rechnung Einwände erheben. Z.B. nicht alles Blei, welches sich oxydirte, löste
sich in dem Wasser, im Gegentheil ein großer Theil der gebildeten Bleisalze setzt
sich in den Reservoirs u.s.w. ab.
Ferner kann man die Bemerkung nicht unterdrücken, daß es auffallend ist, weßhalb Dr. Kersting nicht angibt,
wie groß der Bleigehalt in dem jetzt zu Riga verbrauchten, zum Theil durch
Bleiröhren fließenden Wasser gefunden wurde.
Endlich kann man auch nicht zugeben, daß das Einfüllen von Wasser aus verschiedenen
Quellen in Bleiröhren, Verschließen und Stehenlassen vollständig den in größeren
Röhrenleitungen statthabenden Vorgang reproducire. Denn größere Leitungen pflegen
nicht ganz aus Blei hergestellt zu werden. Die größeren Stränge der neueren
Leitungen sind meistens gußeiserne Röhren, bei älteren finden sich nicht selten
Holz- und Kupferröhren einschaltet. Kersting zeigt
selbst, daß das Wasser aus den eisernen und kupfernen Röhren Metall löst, und zwar
aus ersteren mehr dem Gewicht nach als aus bleiernen und kupfernen; daß von
letzteren besonders viel bei Gegenwart von salpetersaurem Ammoniak in Lösung
übergeht. Nun ist aber sehr fraglich, ob ein Wasser, das Eisen aufgelöst enthält und
zwar vermutlich im Zustande von Oxydulsalz, sich nicht ganz anders gegen Blei
verhält, als wenn das Eisen nicht vorhanden wäre. Mit Kupfer kommt das Wasser wohl
auch stets in Berührung, wenn man die messingenen Hähne u.s.w. als solches gelten
lassen will. Wenn aber Kupferfalze in dem Wasser gelöst sind, so wird dieses Metall
durch metallisches Blei sicher niedergeschlagen und wahrscheinlich eine
entsprechende Menge Blei gelöst. Es kann daher sehr wohl seyn, daß ein Wasser an und
für sich nur wenig Blei löst, wenn man es in einer Bleiröhre stehen läßt; dasselbe
Wasser aber zugleich in Berührung mit Kupfer kann beträchtliche Mengen Blei in
Lösung überführen. Auf diese Weise ließen sich vielleicht die widersprechenden
Angaben erklären, wornach Viele gefunden haben, daß Wasser, welches salpetersaures
Ammoniak enthält, die Lösung des Bleies leichter bewirkt, als davon freies Wasser,
während Kersting gefunden hat, daß der Zusatz dieses
Salzes die Lösungsfähigkeit des Wassers für Blei nicht nennenswerth steigert. Man
könnte ferner daran denken, daß Wasser, welches salpetersaures Ammoniak enthält,
wahrscheinlich ursprünglich nur kohlensaures Ammoniak enthielt, daß die theilweise
Oxydation des Ammoniaks zu Salpetersäure noch in den Röhren fortdauert und daß das
Blei weit löslicher in einem Wasser ist während der Dauer dieses
Oxydationsprocesses, als in einem destillirten Wasser, dem man reines salpetersaures
Ammoniak zusetzt.
Ich will mit dem Gesagten nur andeuten, daß es mir viel sicherer scheint, die
Entscheidung dieser wichtigen diätetischen Frage herbeizuführen, indem Jemand Wasser
aus vielen verschiedenen städtischen Leitungen auf seinen Bleigehalt untersucht und
sich dadurch überzeugt, ob überall, oder an vielen Orten, oder vielleicht auch nur an einzelnen
unter besonderen Umständen Blei in dem Wasser enthalten ist, welches in regelmäßig
benutzten Bleileitungen einige Stunden verweilt, als wenn man im Kleinen Versuche
anstellt, bei denen man alle in der Praxis vorkommenden Verhältnisse nicht zur
Geltung bringen kann, wahrscheinlich sogar einige der mitwirkenden Ursachen, die
vielleicht die Lösung befördern oder verhindern, nicht kennt, also auch nicht bei
dem Versuch in Mitthätigkeit bringt.
Es ist hier in Braunschweig vorgekommen, daß eine Leitung von Bleiröhren aus einem in
sandigem Boden gelegenen Brunnen jahrelang in ein Haus ein Wasser lieferte, welches
zu keinen Ausstellungen Anlaß gab. Plötzlich war das Wasser so bleihaltig, daß man
den Metallgehalt schmeckte und Schwefelwasserstoff es so stark färbte, daß sich nach
einiger Ruhe schwarze Flocken von Schwefelblei ausschieden. Das Wasser war früher
nicht untersucht, es enthielt aber nach der Zeit bedeutende Mengen von
salpetersaurem Ammoniak. Die Ursache der Veränderung scheint sich später aufgeklärt
zu haben. 200 Fuß etwa entfernt von dem Brunnen hatte in demselben Garten früher ein
kleines Haus gestanden. Man hatte es entfernt, ohne die Keller, Abtrittsgrube u.s.w.
auszugraben und den Boden mit Erde geebnet und bepflanzt. Zu der Zeit, als man den
Bleigehalt in Wasser bemerkte, beobachtete man eine Senkung nicht allein neben dem
Brunnen, sondern auch Risse und Senkungen in dem Erdboden über jenen
zurückgebliebenen Fundamenten. Es scheint daher ein Zerdrücken der alten Fundamente
der Abtrittsgrube stattgefunden zu haben, ein starker Wasserzufluß von dort nach dem
Brunnen zu eingetreten zu seyn. Daß das Wasser nicht übelriechend wurde, kann bei
der Filtration durch eine 200 Fuß dicke Schicht Sand nicht überraschen. Die geringe
Absorptionsfähigkeit des Bodens für Salpetersäure ist bekannt, daher ihr Verbleiben
in dem Wasser. Möglich, daß auch andere Salze mit nach dem Brunnen gelangten. Kersting's Vorschlag, das Wasser aus Bleiröhrenleitungen
durch Kohlenfilter laufen zu lassen, ist jedenfalls zu
empfehlen und weder umständlich noch kostspielig. Man kann entweder über den
Wasserreservoiren (die beiläufig bemerkt nie aus Blei,
Zink oder Kupfer hergestellt werden sollten, weil dieß des hier unvermeidlichen
Luftzutrittes halber viel gefährlicher ist) ein Gefäß anbringen, welches man mit
gröblichem Kohlenpulver anfüllt, oder sich auch der Apparate bedienen, welche die
„Fabrik plastischer Kohle,“
Berlin 15 Engel-Ufer, liefert, um vor jedem Gehalt des Wassers an Blei vollkommen
gesichert zu seyn.
Wenn Kersting berechnet, daß die Rigaer Wasserleitung
künftighin Veranlassung seyn werde, daß durchschnittlich 6 Gran Blei von jedem Einwohner jährlich
getrunken werden würden, so könnte man dazu bemerken, daß bei den großen
Multiplicationen, welche zu dieser Zahl führen, ein kleiner analytischer Fehler
leicht zu einer sehr viel kleineren oder zur doppelten Menge führen könnte, daß
verschiedene Bedingungen den Bleigehalt vermehren oder verringern könnten, z.B. wie
er selbst andeutet, je nachdem viel oder wenig Wasser täglich durch die Leitung
abgezapft würde, oder daß der Salzgehalt des Wassers im Winter und Sommer meist sehr
verschieden zu seyn pflegt.
Daß durch die angegebenen Mengen eine acute Vergiftung nicht hervorgerufen werden
wird, wenn auch noch bedeutendere Schwankungen, als wir angedeutet haben,
stattfinden sollten, wird Jeder zugeben, schon der geringen Masse halber und nach
der zahllosen Erfahrung bei allen städtischen Wasserleitungen; ob aber nicht dennoch
ein auch noch so kleiner Bleigehalt des Wassers auf die Dauer dem menschlichen
Körper nachtheilig sey, bleibt zweifelhalt, und es ist kein Gegenbeweis, wenn man
anführt, daß alle neueren und viele älteren Wasserleitungen, ebenso gut wie die
meisten mit bleiernen oder kupfernen Röhren hergestellten Brunnen, Wasser mit Spuren
von Gehalt an diesen Metallen liefern. Denn es ist völlig unbekannt, ob nicht seit
lange fortdauernd bei empfindlicheren Naturen manche Leiden eben von dem Bleigenuß
im Wasser abhängen. Diese Frage mit Bestimmtheit zu beantworten, wird den
praktischen Aerzten noch weit schwieriger werden, als dem Chemiker die Entscheidung
der Frage, unter welchen Umständen Wasser, welches Bleiröhren durchströmt,
bleihaltig wird, unter welchen Bedingungen es bleifrei bleibt. Der Ausspruch der
Rigaer Gouvernements-Medicinalverwaltung, daß die Bleikrankheit selten vorkomme und nur bei Einwirkung weit bedeutenderer
Mengen dieses Metalls auf den menschlichen Organismus, zeigt nicht von der richtigen
Auffassung dieser Frage, Wir wiederholen es, die allgemeine Anwendung von
Kohlenfiltern ist aufs Dringlichste zu empfehlen. Nachtheil können diese nicht
bringen, und die Umstände, unter denen Bleigehalt vorhanden seyn und schädlich
werden kann, sind bis heute nicht mit voller Sicherheit ermittelt. Da aber ein
praktischer Vorschlag, welcher die Berührung von Blei und Kupfer mit dem Wasser
vermeiden ließe, nicht bekannt geworden, so bleibt nichts übrig, als ein Mittel
anzuwenden, welches die etwa gelösten Metalle vor dem Gebrauch des Wassers entfernt,
und dazu ist das Kohlenfilter vollkommen geeignet, weder umständlich noch theuer in
der Anwendung. (Mittheilungen für den Gewerbeverein des Herzogthums Braunschweig,
1864 S. 27.)