Titel: | Betrachtungen über den Bessemerproceß. |
Autor: | Carl Wagner |
Fundstelle: | Band 176, Jahrgang 1865, Nr. X., S. 28 |
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X.
Betrachtungen über den
Bessemerproceß.
Wagner, Betrachtungen über den Bessemerproceß.
Je einladender die sehr günstigen Resultate der in Steiermark und Kärnthen in
verhältnißmäßig so kurzer Zeit in's Leben gerufenen Bessemer-Frischmethode
zur Nachahmung auffordern, um so nothwendiger und wichtiger ist es, vorurtheilsfrei
und ohne Selbsttäuschung die dem Processe noch anklebenden, jedoch nicht
unüberwindlichen Uebelstände in's Auge zu fassen, deren Beseitigung oder
Constatirung auf die Wahl des Ortes oder auf die innere Einrichtung einer
Bessemeranlage sehr wesentlichen Einfluß nimmt.
Zu den zu überwindenden Uebelständen zählen vorläufig noch:
1) die alleinige Verwendbarkeit des grauen, die Ausschließung des weißen Eisens;
2) die Empfindlichkeit des Processes für kleine Unterschiede in der Beschaffenheit
des Roheisens;
3) die daraus folgende Unsicherheit in der Gewinnung des beabsichtigten
Productes;
4) die durchaus noch nicht gelöste Frage, ob die Benutzung des flüssigen
Hohofeneisens der Umschmelzung unter allen Umständen oder wenigstens überhaupt
vorzuziehen sey; endlich
5) der Mangel an sicheren Kennzeichen für die rechtzeitige Beendigung des
Processes.
Gerade dieser letzte Punkt scheint vorläufig noch mit den unüberwindlichen
Uebelständen zusammen zu fallen, und es ist schwer vorauszusagen, wohin weitere
Erfahrungen ihm den Platz anweisen.
Rechnen wir ihn aber dennoch im Vertrauen auf die Wissenschaft unter die
überwindlichen, denn gerade in der Bekämpfung dieses Uebelstandes liegt zuvörderst
die Zukunft und die Vollendung der neuen Methode; Aufforderung genug, sich allen
Ernstes damit zu beschäftigen.
Der Flüssigkeitszustand des weißen Eisens wäre allerdings hinreichend, den Transport
in den Bessemerofen auszuhalten; sein Kohlenstoffgehalt ist aber nicht ausreichend,
um unter der tumultuarischen Zuströmung des Gebläsewindes jene Temperatur in dem
Bessemerofen zu erzeugen, welche geeignet wäre, die Verschlackung und Ausscheidung
der Erdbasen, die eigentliche Reinigung des zu behandelnden Roheisens ohne
gleichzeitige Verunreinigung durch Oxydation zu erzielen.
Nichtsdestoweniger darf man den Hohöfen nicht zumuthen, durch Steigerung des
Kohlengehaltes auf dem Wege des Graublasens, auf ihre ökonomischen Errungenschaften
zu Gunsten des Bessemerbetriebes zu verzichten.
Demnach mühte die Roheisenverwendung für den Bessemerproceß auf jene Hohöfen
beschränkt bleiben, welche vermöge der besonderen Eigenschaften ihrer Erze
graublasen dürfen oder müssen. Es ergibt sich daher für den neuen Proceß die
Aufgabe, sich Mittel anzueignen, welche den mangelnden Kohlenstoff im weißen
Roheisen wenigstens theilweise zu ersetzen oder vielmehr zu vertreten vermögen,
wodurch den vorzüglichsten Eisensorten Steiermarks und Kärnthens der ungehinderte
Eintritt in die Bessemerhütte eröffnet würde.
Die Strengflüssigkeit des weißen, namentlich bei schlechtem Ofengange erblasenen
Roheisens, zeigt sich am auffallendsten und nachtheiligsten beim Umschmelzen im
Flammofen; und ihre nothdürftige Gewältigung war immer nur mit großem
Brennstoffaufwande, Metallabbrand und bedeutenden Rückständen an schwer verwendbarem
Schaleneisen zu erzielen.
Dem k. k. Professor der Chemie in Leoben Hrn. Robert Richter gebührt das Verdienst, ein bisher nicht gekanntes resp. zu diesem
Zwecke bisher noch nicht angewendetes Mittel empfohlen zu haben, welches in seiner
Anwendung bei der Behandlung weißer, selbst schlechter schwefelreicher Eisensorten
im Flammofen, Frisch- und Hartzerrennfeuer, im Puddelofen etc. von den
raschesten und günstigsten Erfolgen begleitet war.
Das im Flammofen nothdürftig in Fluß gebrachte weiße Roheisen, besonders das schon
mehr entkohlte sogenannte Schalenden setzt sich auf dem Herde fest; eine zähe
schwarze, das ganze Eisenbett überziehende hochaufblähende Schlacke hindert die
Einwirkung der Flamme, und droht Erstarrung.
Unter solchen Erscheinungen empfiehlt Hr. Professor Richter einen Zusatz von Bleioxyd (Bleiglätte) oder selbst von
metallischem Blei.
Auf einen Einsatz von 75 Centner weißen Eisens wurden beiläufig 10 bis 15 Pfd.
Bleioxyd (Glätte) über die circa 6 Zoll hoch aufgeblähte
steife Schlacke ausgestreut, und in Zeit von kaum einer
Minute sank das schwarze Schlackenpolster auf eine kaum 1/2 Zoll hohe, man möchte
sagen wasserflüssige Schlackendecke unter heftiger Temperatursteigerung zusammen;
die Flammeneinwirkung war wieder hergestellt; das auf dem Herde festsitzende
Schaleneisen löste sich und nahm einen selbst bei Graueisen nie beobachteten höchst
intensiven Fluß an, der den vollständigen Abstich des Eisens ohne Rückstand
gestattete.
Dieselbe rasche Reaction bestätigt sich bei der Verarbeitung widerspenstiger
Eisensorten im Frisch- und Hartzerrennfeuer, sowie im Puddelofen. Diese
Thatsache und der Umstand, daß die betreffenden Arbeiter, um den erwähnten
Nachtheilen zu entgehen, aus eigenem Antriebe um dieses Mittel bitten, sprechen
nicht nur für die entschiedene Vorzüglichkeit dieses so höchst einfachen Reagens,
sondern berechtigen auch zu der Annahme, daß durch Anwendung metallischen Bleies die
oben genannten dem Bessemerprocesse noch anklebenden fünf Uebelstände mit einem
Schlage überwunden werden können.
Das unter heftiger Wärmeentwickelung sich oxydirende (verbrennende) Blei vertritt
hier den mangelnden Kohlenstoff des weißen Eisens; die flüssigmachende Wirkung des
Bleioxydes auf die Schlackenbildung befördert, wie kein anderes Reagens, die
Ausscheidung der Erdbasen und der übrigen im Eisen enthaltenen Metalloide, und ist
sohin ein viel sicherer Reiniger als selbst der Kohlenstoff. Der auf diese Weise
erreichte hohe Flüssigkeitszustand des Eisens und der Schlacke verhütet oder
vermindert wenigstens den Auswurf, und die charakteristischen Merkmale des
Bleioxyddampfes (Bleirauches) entscheiden über den rechtzeitigen Moment für die Beendigung des
Processes, ohne die Oxydirung des Eisens oder Herabstimmung der Temperatur
befürchten zu müssen.
Ich gebe diese wenigen Betrachtungen in der festen Ueberzeugung hiermit bekannt, daß
Hrn. Prof. Richter's Mittel alle Empfehlung und den
besonderen Dank der bessemernden Collegen verdient.
Carl
Wagner.
Gußwerk bei Mariazell, am 11. März 1865.