Titel: | Ueber die Einwirkung der salpetrigen Säure auf Anilin und Anilinfarben (Darstellung eines neuen gelben Farbstoffs, des Binalins, aus dem Rosanilin); von Dr. Max Vogel. |
Fundstelle: | Band 177, Jahrgang 1865, Nr. LXXIV., S. 320 |
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LXXIV.
Ueber die Einwirkung der salpetrigen Säure auf
Anilin und Anilinfarben (Darstellung eines neuen gelben Farbstoffs, des Binalins, aus
dem Rosanilin); von Dr. Max Vogel.
Im Auszug aus dem
Journal für praktische Chemie, 1865, Bd. XCIV S. 453.
Vogel, über Einwirkung der salpetrigen Säure auf Anilin und
Anilinfarben.
1) Salpetrige Säure und
Anilin.
Vor einigen Jahren berichtete MènePolytechn. Journal Bd. CLIX S. 465. über einen von ihm entdeckten gelben Farbstoff mit kurzen Worten Folgendes:
„Wenn man in wasserfreies oder in Alkohol gelöstes Anilin in der Kälte
salpetrigsaures Gas leitet, so färbt sich das Anilin braungelb; setzt man
alsdann Salpetersäure, Schwefelsäure, Oxalsäure etc. zu, so entwickelt sich eine
prachtvoll rothe Farbe, welche sehr löslich ist. Eine große Menge Wasser
verwandelt dieselbe in Gelb, ein Tropfen Säure stellt die rothe Farbe wieder
her. Seide, Baumwolle u.s.w. färben sich darin vollkommen.“
Als ich salpetrige Säure durch Anilin leitete, fand eine heftige Reaction statt.
Unter starker Erhitzung der Masse traten schwere gelbliche Dämpfe auf, die sich mit
der Zeit stark vermehrten und einen eigenthümlich widrigen Geruch besaßen. Trägt man
nicht für Abkühlung Sorge, so wird schließlich die Einwirkung der salpetrigen Säure
auf das Anilin so heftig, daß eine gänzliche Zersetzung zu befürchten ist.
Nach Unterbrechung der Operation hatte die Flüssigkeit eine rothgelbe Farbe
angenommen, der größte Theil des Anilins war verharzt. Setzt man ein Alkali, etwa
Ammoniak oder Aetznatron zu, so erhält man eine klare Lösung von schön hellgelber
Farbe, auf welcher Oeltropfen schwimmen, und der Boden des Gefäßes überzieht sich
mit einem fest anhaftenden Harze. Bei Zusatz einer Säure
röthet sich der gelbe Farbstoff, wie das auch Mène angegeben hat.
Eine alkoholische Lösung von Anilin zeigt ganz die nämlichen Erscheinungen.
2) Salpetrige Säure und
Rosanilin.
a) Anwendung des Rosanilins in
alkoholischer Lösung. – Als ich Salpetrigsäuregas auf eine
alkoholische Lösung von Rosanilin oder Fuchsin einwirken ließ, traten die vorhin
geschilderten Erscheinungen ein. Die Lösung färbte sich bald prächtig violett, dann
schön blau, dieses Blau
gieng später in Dunkelgrün, dann in Gelbgrün über, und schließlich nahm die
Flüssigkeit eine rothgelbe Farbe an.
(Sowohl das Gelb als das intermediär entstehende Blau und Grün färben direct auf
Seide und Wolle, und zwar erhält man mittelst des Blau's ein schönes Blauviolett,
während das Grün nur eine schmutzige Farbe liefert. Uebrigens muß man mit dem Blau
sofort nach seiner Entstehung färben, indem es bei längerem Stehen, wahrscheinlich
durch die Einwirkung der in Lösung gehaltenen freien salpetrigen Säure in Grün,
schließlich in Gelb übergeht. Durch Abstumpfen mit kohlensaurem Natron das Blau oder
Grün zu fixiren, gelingt nicht; bei dieser Operation wandeln sich beide Farben in
ein schmutziges, etwas in Violett stechendes Roth um.)
Mit Entstehung der gelben Farbe ist die Einwirkung der salpetrigen Säure auf das
Rosanilin beendigt.
Nimmt man zu den vorstehend angegebenen Versuchen eine concentrirte alkoholische Rosanilinlösung, so scheidet sich bei der
Einwirkung des Salpetrigsäuregases bald ein Theil des Rosanilins aus, der später
verharzt. Das so entstehende Harz ist selbst in Wasser nicht unschwer und mit gelber
Farbe löslich, sonst zeigt es ebenfalls – zumal in Bezug auf seine färbenden
Eigenschaften – das Verhalten des in Lösung gehaltenen Farbstoffs.
Wenn man die vom ausgeschiedenen Harze getrennte Lösung im Wasserbade eindampft, so
erhält man eine geschmolzene rothe Masse im Rückstand, welche beim Erkalten fest
wird und sich leicht zerreiben läßt. So stellt der neue Farbstoff ein prachtvoll
rothes Pulver dar, dessen Farbe mit der des Zinnobers viel Aehnlichkeit besitzt. Mit
Bezug auf diesen Umstand, und um zugleich die Abstammung aus dem Rosanilin
anzudeuten, nenne ich diesen neuen Körper Zinalin.
b) Anwendung des Rosanilins in
wässeriger Lösung. – Die bei der Entstehung des Zinalins in
alkoholischer Lösung eines Rosanilinsalzes entstehenden prachtvollen
Farbenerscheinungen zeigen sich nicht, wenn man in eine Lösung von käuflichem
Fuchsin in Wasser salpetrige Säure leitet; im Gegentheil geht die rothe Farbe bald
in ein unansehnliches Braun über.
Die in der alkoholischen Lösung eines Rosanilinsalzes beobachteten Farbephänomene
sind secundäre Erscheinungen, hervorgerufen durch die gleichzeitige Bildung von Aldehyd.Lauth hat bekanntlich nachgewiesen, daß eine
Lösung von Anilinroth bei Gegenwart einer freien Säure durch Aldehyd in
Violett und Blau übergeführt wird, und von der hierauf folgenden Bildung von
Grün macht man bei der Fabrication des Anilingrüns Gebrauch. Den Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht liefert folgender Versuch: Leitet man
salpetrige Säure in die wässerige Lösung eines Rosanilinsalzes und setzt eine kleine
Menge eines Aldehyds zu, so treten vorübergehend, wenn auch nicht in der brillanten
Weise wie bei einer alkoholischen Lösung, die geschilderten Farbenwandlungen ein.
Auch besitzt das Endproduct dieselbe röthliche Farbe wie das Zinalin.
Eigenschaften des
Zinalins.
In kaltem Wasser ist das Zinalin unlöslich, von heißem Wasser wird es in geringer
Menge und mit rein gelber Farbe aufgenommen. Kocht man einen Ueberschuß von
Zinalin längere Zeit mit Wasser, so löst sich ein kleiner Theil auf, während das
ungelöste zu einer blätterigen durchsichtigen Masse zusammenschmilzt, die viel
Aehnlichkeit mit Schellack besitzt.
Alkohol löst den Farbstoff besonders beim Erwärmen leicht, viel bedeutender noch
ist seine Löslichkeit in Aether. Auch Chloroform und Schwefelkohlenstoff nehmen
das Zinalin auf, das sich beim Verdunsten des Lösungsmittels als durchsichtige
schön gefärbte Masse ablagert.
Concentrirte Säuren lösen den Farbstoff schon in der Kälte mit goldgelber Farbe,
Zusatz von Wasser scheidet jedoch fast alles Gelöste in gelben Flocken wieder
aus. – Von concentrirten Alkalien wird das Zinalin mit blauer Farbe
aufgenommen.
Das Zinalin schmilzt schon unter 100° C., bei höherer Temperatur stößt es
eine Menge gelber Dämpfe aus, es entzündet sich plötzlich und verpufft mit
schwachem Geräusch. Eine bedeutende Quantität leicht verbrennlicher Kohle bleibt
zurück. – Trocken destillirt liefert der Farbstoff reichliche Mengen
gelber Dämpfe, die sich leicht verdichten, am oberen Theile des
Destillirapparates condensiren sich Oeltröpfchen, die später erstarren und einen
auffallend an Lakritzen erinnernden Geruch besitzen. Zurück bleibt eine
aufgeblähte Kohle.
Das Zinalin besitzt die Eigenschaften eines wahren Farbstoffs. Es färbt Wolle und Seide schön gelb mit röthlichem Ton,
doch läßt sich auch eine der Pikrinsäure ähnelnde Nüance erzielen. Die so
gefärbten Zeuge halten sich an der Luft fast unverändert, auch das Licht scheint
wenig zu wirken. Bringt man ein Stück mit Zinalin gefärbter Seide in eine
Ammoniakatmosphäre, so wird die Seide prachtvoll purpurroth; leider ist diese
schöne Farbe sehr unbeständig, an der Luft wird in kurzer Zeit das ursprüngliche
Gelb regenerirt.
Ueberhaupt gibt das Verhalten der Aetzalkalien zum Zinalin ein gutes
Erkennungsmittel für den neuen Farbstoff ab; ein Streifen Filtrirpapier in eine Lösung des
Gelbs getaucht, und auf die Oeffnung einer Ammoniakflasche gelegt, nimmt bald
eine fast dem Rosanilin gleichende Färbung an, die beim Entfernen des
Ammoniakbehälters allmählich, beim Eintauchen in Säuren sofort in Gelb übergeht.
Aus der alkalischen Lösung wird der Farbstoff durch Säuren fast vollständig in
leichten, auf der Oberfläche schwimmenden Flocken abgeschieden.
Das Zinalin ist ein ziemlich stabiler Körper. Schwach oxydirende Agentien lassen
es ganz unverändert. Chlor entfärbt allmählich die alkoholische Lösung
vollständig. – Beim Kochen eines Gemisches von Mennige und Salpetersäure
mit Zinalin verändert sich dieses nicht im mindesten, ebenso bringt selbst
anhaltendes Sieden mit rauchender Salpetersäure keine Umwandlung hervor.
– Schweflige Säure läßt die alkoholische Lösung des Zinalins
unverändert.
Das Zinalin scheint eher saurer als basischer Natur zu seyn, da es sich in
Alkalien reichlich löst und von Säuren aus diesen Lösungen ausgeschieden
wird.
3) Salpetrige Säure und
Anilinblau.
Leitet man salpetrige Säure so lange in die alkoholische Lösung des Anilinblaus, bis
sie gelb wird, so scheidet sich der größte Theil des Farbstoffes pulverförmig aus;
dieses Pulver scheint mit dem Zinalin identisch zu seyn. – Das in Wasser
lösliche Anilinblau (bleu soluble), welches seit einiger
Zeit im Handel vorkommt, zeigt ganz dasselbe Verhalten wie das gewöhnliche
Anilinblau (bleu de Lyon insoluble).
4) Salpetrige Säure und
Anilinviolett.
Diese Farbe, welche nach der Girard'schen Methode
dargestellt, eine Mischung von Anilinroth und Anilinblau ist, verhält sich wie
Rosanilin unter denselben Umständen; die Reaction erfordert jedoch, wie beim Blau,
längere Zeit, ehe sie beendigt ist.
5) Salpetrige Säure und
Dahliablau.
Eine alkoholische Lösung von Dahliablau (Hofmann's
Aethylviolett)Die im Handel unter dem Namen Dahliablau vorkommende prachtvoll violette
Farbe, welche von Hofmann entdeckt wurde, wird
durch Behandlung von Rosanilin oder den Salzen desselben mit den Jodüren
oder Bromüren der Alkoholradicale erhalten (man s. die Beschreibung von Hofmann's patentirtem Verfahren im polytechn.
Journal Bd. CLXXII S. 306). Im technischen Betrieb wird dieses beliebte
Violett gewöhnlich mittelst Jodäthyl dargestellt, und es ist in Folge dessen
der Preis des Jodes in den letzten Jahren gestiegen. färbt sich schon nach kurzer Zeit blau und bald darauf prachtvoll braun. Diese braune
Farbe geht allmählich in eine gelbe über, wobei derselbe Farbstoff, wie aus
Rosanilin, der Reaction nach entsteht. Leitet man salpetrige Säure bis zum starken
Ueberschuß ein, so scheidet sich der Farbstoff als zusammenhängende Masse auf der
Oberfläche ab, während die schwachgelb gefärbte Flüssigkeit durch die überschüssige
Säure eine grüne Nüance annimmt, jedoch kommt die gelbe Farbe schon nach einigem
Stehen wieder zum Vorschein. Die von der Flüssigkeit abgenommene Masse nimmt nach
dem Trocknen und Pulvern ganz dieselbe Farbe an, wie das aus einer Lösung von
Rosanilin gewonnene Zinalin, auch gegen Säuren und Alkalien zeigt sie das Verhalten
dieses Körpers.
6) Salpetrige Säure und
Anilingrün.
Im Anfang wird die Lösung farblos und trübt sich von ausgeschiedenem Schwefel, dann
färbt sie sich schwach rosa, um nach einiger Zeit von Neuem Grün zu bilden, ein
Grün, welches jedoch schon dem Aussehen nach von dem ursprünglichen Grün verschieden
ist. Durch Ammoniak wird diese grüne Lösung gelblich, fast farblos, während das
eigentliche Anilingrün bei Behandlung mit ebendemselben Reagens unverändert bleibt.
Die grüne Farbe, welche durch Einwirkung der salpetrigen Säure entsteht, färbt nur
schmutzig.
Leitet man aber salpetrige Säure in Ueberschuß ein, so bildet sich auch hier der
gelbe Farbstoff. Am besten läßt sich dieß bei dem Anilingrün wahrnehmen, welches en pâte oder en
poudre im Handel vorkommt. Man macht davon eine Auflösung in Alkohol und
leitet das Gas hinein.
Die Hauptresultate dieser Arbeit sind folgende:
I. Bei der Einwirkung der salpetrigen Säure auf Anilin und auf Anilinfarben in
wässeriger oder alkoholischer Lösung entsteht als Endproduct ohne Ausnahme ein
gelber Farbstoff; die salpetrige Säure scheint sonach ein vortreffliches
Erkennungsmittel für Anilinfarben zu seyn.
II. Der aus Anilin entstehende gelbe Farbstoff ist verschieden von dem aus den
Lösungen der Anilinfarben resultirenden, da er gerade die entgegengesetzten
Reactionen zeigt. Während nämlich das Zinalin, das aus den Anilinfarben entstehende
Gelb, durch Alkalien geröthet und durch Säuren wieder gelb gefärbt wird, führen
umgekehrt Säuren den Mène'schen Farbstoff in Roth
über, und dieses Roth wird bei Zusatz von Alkalien gelb.
III. Der in den Lösungen der Anilinfarben durch Einwirkung von Salpetrigsäuregas als
Endproduct gebildete gelbe Farbstoff ist für alle Anilinfarben, der Reaction nach,
derselbe Körper, nämlich das Zinalin. Das aus Rosanilin erhaltene Zinalin wurde
untersucht, und die Formel:
C⁴⁰H¹⁹N²O¹² als der einfachste
Ausdruck für die ermittelte Zusammensetzung befunden.In einer vorläufigen Notiz (polytechn. Journal Bd. CLXXVI S. 79) ist
irrthümlicherweise die Formel C¹⁶H⁸NO⁶ angegeben.
Diese Arbeiten sind im Laboratorium des Hrn. Prof. Kolbe
in Marburg ausgeführt worden.