Titel: | Combination der Vorzüge des glatten und des gezogenen Rohres in einem einzigen Geschützsysteme. |
Autor: | D......y |
Fundstelle: | Band 178, Jahrgang 1865, Nr. XCV., S. 342 |
Download: | XML |
XCV.
Combination der Vorzüge des glatten und des
gezogenen Rohres in einem einzigen Geschützsysteme.
Combination der Vorzüge des glatten und des gezogenen Rohres in
einem einzigen Geschützsystem.
Betrachtet man die Erfolge, welche mit der zuerst vom herzoglich braunschweig'schen
Major Berner als Militärgewehr eingeführten
Jäger-Ovalbüchse errungen wurden, so fällt zunächst in's Auge, daß, bevor die
Rundkugel von den Spitzgeschossen verdrängt wurde, die Paßkugel des Ovalgewehrs
mindestens gleiche Resultate mit den Kugeln der gewöhnlichen gezogenen Büchsen ergab
und ferner mit den Rollkugeln desselben ungleich besser geschossen wurde, als dieses
mit den rein sphärischen Geschossen des glattläufigen Gewehrs der Fall war. –
Die englische Gürtelkugel mit ihren Modificationen lieferte hierauf die relativ
schlechtesten, das eigentliche Berner'sche Ovalgeschoß
aber die besten Treffresultate und es wurde letzteres angegebenermaßen auch nur aus
der anfänglichen Scheu vor Einführung eines ganz neuen Geschoßmodells nicht für den
Dienst nutzbar gemacht. – Mit allgemeinerer Verwendung der Spitzkugel für
gezogene Gewehre tritt der Ovalzug dann endlich immer mehr hinter die Leistungen der
auf gewöhnliche Weise gezogenen Büchsen zurück, indem weder die nach Minié's Idee construirten Spitzgeschosse der
Ovalbüchsen von Oldenburg und England, noch die massiven ogivalen Geschosse der
russischen zweizügigen Büchse ihren Treffresultaten nach eine besondere Berühmtheit
erlangen konnten, obgleich andererseits auch wieder der Werth, welchen zwei mit
letzterer Waffe versehene Scharfschützen-Compagnien für die Vertheidigung von
Sebastopol hatten, sehr bald erkannt wurde und keineswegs gering anzuschlagen
ist.
Verfolgt man dann weiter auch den Gang der Versuche, welche im Jahre 1855 von dem
königlich bayerischen Artillerie-Oberstlieutenant Schmölzl mit kleinen nach Berner's Idee
gezogenen Versuchsgeschützen und mit diesem Systeme entsprechend eingerichteten
cylindroogivalen eisernen Geschossen, deren unterer Theil nach Sievier's Schießmethode zur Aufnahme der Pulverladung ausgehöhlt war,
angestellt wurden, so muß man nach den in des genannten Herrn Schrift:
„Die gezogene Kanone“ Seite 63 bis 68 enthaltenen hierauf
bezüglichen Mittheilungen darüber erstaunen, daß, trotz der erlangten günstigen
Versuchsresultate, die weitere Cultivirung dieser Combination von Berner's Ovalzug mit Sievier's
Ladungsprincip nur deßhalb aufgegeben wurde, weil vor Bomarsund und vor Sebastopol
gezeigt worden war, wie man Berner's Idee des Ovalzuges
nicht verfolgen dürfe, wenn dieselbe zu günstigen Schießresultaten führen solle.
In der öffentlichen Meinung erschien die rein deutsche, Berner'sche Idee des Ovalzuges allerdings von dem Augenblicke an
vernichtet, wo der englische Waffenfabrikant Lancaster
sich ihrer bemächtigt hatte, sie durch Aufnöthigung von ihrem innersten Wesen
widersprechenden Erscheinungsformen zwang, vor Bomarsund und Sebastopol als Humbug
zu erscheinen und so unter englischem Namen einen ruhmlosen Abschnitt ihres Daseyns
zu finden. – Der angewendete Progressivdrall des Rohres und die in der Form
eines gedrückten Halb-Eies angewendeten Eisengeschosse mußten ja aber ganz
nothwendig Einzwängungen der großen Geschoß-Querachse und schlotternde
Bewegungen der Geschoß-Längenachse im Rohre hervorbringen und die daraus
resultirende Treffunsicherheit der sogenannten Lancaster-Geschütze lieferte also doch eigentlich nur einen
Specialbeweis für die in ihrer Allgemeinheit unbezweifelt dastehende Thatsache, daß
auch eine an sich gute Idee durch falsche Verwendung zu mehr als Werthlosigkeit
herabsinken kann. Würde man daher die Berner'sche Idee
durch Anwendung eines rein spiralen Zuges von gehörig bemessenem constantem Dralle
auch ferner in ihrer ursprünglichen Reinheit belassen und in deren weiterer
Verwendung mit Benutzung neuerer Fortschritte der Schießtechnik, dann Anomales immer
gänzlich von ihr fern gehalten haben, so hätte sich damit sicher ein
artilleristischer Fortschritt erzielen lassen; denn es liegt offenbar die
Möglichkeit vor, durch Berner's Idee die Vortheile
glatter und gezogener Rohre mit einander combiniren zu können und das dürfte
jedenfalls eine wichtige Veranlassung für weitere fachgemäße Verfolgung dieses
Grundgedankens seyn.
Die neueren, in dieses Gebiet einschlagenden technischen Erfahrungen anbelangend,
dürfte im Hinblick auf die oben angeführten Versuche des Hrn. Oberstlieutenant Schmölzl für den vorliegenden Fall noch ganz besonders
die von Hrn. Hauptmann v. Ploennies in seinen neuen
Studien über die gezogene Feuerwaffe der Infanterie, Bd. I S. 273 gegebene
Mittheilung in's Gewicht fallen, daß das preußische Zündnadelgewehr seine jetzt so
vorzüglichen Treffresultate hauptsächlich der Anwendung des preußischen Langbleies
zu verdanken hat, indem dasselbe Zündnadelgewehr, welches bei Verwendung seiner
früheren, aus Kugel und Halbkugel gebildeten Projectile hinsichtlich der
Treff-Fähigkeit auf Distanzen jenseits 400 Meter, sowie auch bezüglich
rasanter Spannung der Flugbahn hinter manchen der anderen neueren Feuerwaffen noch
erheblich zurückblieb, erst nach und durch Einführung der Langbleipatrone den
früheren Projectilen gegenüber einen wesentlichen Vortheil erlangt hat. – Ein
gut construirter Berner'schen Doppelzug und die Sievier'sche Lademethode mit einem gußeisernen Geschosse
von der Form des preußischen Langbleies nebst zugehörigem gutconstruirtem Spiegel in
einfacher und zweckentsprechender Weise combinirt, dürften in ihrer Gesammtheit
aller Wahrscheinlichkeit nach also wohl recht gute Schußresultate erzielen lassen
und der Realisirung dieses Problemes soll jetzt etwas näher getreten werden.
Die Steigung des rein spiralen Zuges von constantem Dralle anbelangend, hatte, um
sich in dieser Beziehung sofort an bereits Gegebenes und für gut Erkanntes
anzulehnen, das Berner'sche Ovalgewehr 3/4 Umgang auf
38,5 Zoll Rohrlänge, sein Zug also einen ganzen Umgang auf 48 Zoll gleich 4 Fuß.
– Ueberträgt man diesen, für Bleikugeln bestimmten Drall nun zunächst auf ein
Eisengeschoß von gleichem Volumen, indem man die Drall-Längen der zugehörigen
Rohrzüge den Quadratwurzeln aus den specifischen Gewichtszahlen der Geschoßmetalle
proportional setzt, so erhält man für die approximativen specifischen Gewichtszahlen
11 und 7 von Blei und Eisen die Proportion:
√ 11 : √ 7 = 4 : x
woraus x = 3,1 Fuß folgt.
Setzt man ferner, nach Timmerhans' Systeme, die
Dralllängen, welche gleichartigen Geschossen verschiedener Kaliber angehören, den
letzteren proportional, so erhält man für einen Sechspfünder von 3,6 Zoll
Kaliber-Durchmesser, mit sphärischem Eisengeschoß, weil das Berner'sche Ovalgewehr 0,61 Zoll Durchmesser hat, den
entsprechenden Ansatz:
0,61 : 3,6 = 3,1 : x
und hieraus x = 18 Fuß.
Sollte endlich das gußeiserne langbleiförmige Geschoß des
neu zu construirenden
Sechspfünders etwa zwischen 6 und 9 Pfund schwer construirt werden, so erhielte man
nach der Proportion:
3 : √ 6 = x : 18
für die hieraus sich ergebende Maximalgrenze von 9 Pfund des
Geschoßgewichts eine zugehörige Drall-Länge von x
gleich etwa 22 Fuß, und man würde dem entsprechend für zwischen 6 und 9 Pfund
liegende Geschoßgewichte ungefähr 20 Fuß Drall-Länge zu nehmen haben, was für
ein in der Seele 18 Kaliber langes Sechspfünder-Rohr etwa 1/4 Umdrehung auf
die Rohrseelenlänge ergibt und hiernach genau mit dem Dralle des kleinen
Versuchsgeschützes übereinstimmt, welchem Hr. Oberstlieutenant Schmölzl nach oben angeführter Quelle sehr günstige Versuchsresultate zu
verdanken hatte. – Demselben Versuchsgeschütze entsprechend, würde dann die
Ausführung des Doppelzuges nach Berner's System so
anzuordnen seyn, daß der die Mitte der Doppelzüge mit einander verbindende
Seelendurchmesser sich an der Mündung des Rohres in horizontaler und an dem
Stoßboden desselben in verticaler Richtung befindet, sobald das Rohr mit
horizontaler Schildzapfenachse in seiner Laffette liegt. –
Die Profilgestaltung des, seinem constanten Dralle nach nunmehr fest bestimmten,
spiralen Doppelzuges betreffend, so kann nach den oben angeführten
Versuchsresultaten des Hrn. Oberstlieutenant Schmölzl,
von einer allmählichen Verengung desselben nach der Rohrmündung hin, unbeschadet der
Waffenwirkung, hier gänzlich abgesehen, der in Rede stehende Doppelzug also durch
eine einfache Ovalbohrung des Rohres hergestellt werden,
was für Erleichterung der Fabrication sehr günstig ist.
Das Verhältniß der kleinen zur großen Bohrungsachse betreffend, so war dasselbe bei
den Schmölzl'schen Versuchsröhren annähernd gleich 15 :
16; dem entsprechend würde man, um einen kreisrund gebohrten Sechspfünder von 3,6
Zoll Seelendurchmesser noch nachträglich oval zu bohren, der großen Achse des
herzustellenden ovalen Seelendurchschnitts also nach der Proportion:
15 : 16 = 3,6 : x
eine Länge von x = 3,84 Zoll zu
geben haben, was einer Ovalzug-Tiefe von 0,12 Zoll und damit zugleich der
ganz allgemein zu stellenden Bedingung entspricht, daß die hier 0,24 Zoll betragende
Differenz zwischen großer und kleiner Ovalachse immer etwa doppelt so groß als der
zur Vorderladung nothwendige Geschoßspielraum seyn muß, wenn das Geschoß dadurch
gezwungen seyn soll, den Rohrzügen beim Feuern zu folgen.
Die Verbindung der Langblei-Geschoßform mit dem Sievier'schen Ladungsprincipe endlich kann, wie schon oben angedeutet
wurde, sehr einfach durch einen dem preußischen Zündspiegel ähnlichen Treibspiegel
von starkem zusammengerolltem Papiere, Papier-maché oder auch Holzzeug
etc. hergestellt werden, welcher, bei zulässigem Spielraume, äußerlich genau der
Rohrseelenform entspricht, und an seinen beiden Enden Höhlungen zur Aufnahme des
Geschosses und beziehungsweise der ganzen oder theilweisen Pulverladung hat. In der
massiven Körpermitte würde dieser Spiegel dann gerade so wie eine Raketenhülse an
ihrem Kapellen-Ende zu würgen und zu umschnüren seyn, damit der Treibspiegel
an dieser Stelle nicht nur eine genügende Festigkeit bekommt, sondern daselbst
zugleich noch Raum zur Aufnahme einer Fettschicht darbieten kann, welche letztere,
den Lubricator der Whitworth'schen Patronen
repräsentirend, eventuell sehr dazu beitragen wird, das Rohr beim Feuern immer rein
und schlüpfrig zu erhalten, die Geschützbedienung also wesentlich zu erleichtern.
Die Wandungen der zur Aufnahme von Geschoß und Ladung bestimmten vorderen und
hinteren Spiegelaushöhlungen anbelangend, müssen dieselben einmal genügend stark
gemacht und dann auch gerade so wie die Kugelhöhlungswandungen der Spiegel des
Zündnadelgewehrs, eingeschlitzt werden, damit die Kugel nach dem Schusse sich leicht
vom Spiegel abstreifen und während des Schusses eine wirksame Expansion der hinteren
Spiegelwandungen stattfinden kann, wodurch, Minié's Gewehrsystem mit Expansionsgeschoß entsprechend, die
Führung des Geschosses in dem Rohrzuge sicherer seyn wird als dieses ohne eine
solche Einrichtung der Fall seyn dürfte. – Ein derartig construirter Spiegel
fällt, wie schon früher hier mit einem Pfeilgeschosse angestellte Versuche dargethan
haben,Näheres hierüber ist in Bd. LV des Archives für die Officiere der königl.
preußischen Artillerie- und Ingenieur-Corps, Artikel VIII:
„Beitrag zur Literatur des Pfeilgeschosses“
niedergelegt worden.Anm. des Verf. nach dem Schusse dann, zum Doppelsterne aufgebogen, in angemessener
Entfernung von der Rohrmündung auf den Boden nieder, ohne das Geschoß in seiner
Flugrichtung zu beirren.
Es treten in diesem Vorschlage also vier Geschoß-, Spiegel-,
Lade- und beziehungsweise Rohr-Einrichtungen, von denen jede bereits
an sich als gut und unter entsprechenden Umständen empfehlenswerth befunden worden
ist, zu dem einheitlichen Ganzen eines neuen Vorderladungsgeschütz-Systemes
zusammen, welchem letzteren seiner Natur nach für den Verwendungsfall die Vorzüge
eines leichten und raschen Ladens, Treffsicherheit und bedeutender Percussionskraft
seiner je nach Belieben als Vollkugeln, Granaten, Shrapnels oder Brandgeschosse
herstellbaren und demgemäß zu verwendenden Eisenprojectile von Langblei-Form
sowie außerdem noch ein sehr kräftiger Büchsenkartätschen-Schuß zufallen
dürften, da in letzterer Beziehung dieses System mit seinem rein spiralförmig
gewundenen Ovalzuge beim Schusse ein Rohr von ganz
glatter Bohrung zur Verfügung stellt.
Für den Fall es gewünscht werden sollte, Versuche mit diesem, bei treffsicherer
Fernwirkung auch eine imposante Nahewirkung darbietenden Geschützsysteme
anzustellen, würden die Herren Berger und Comp. zu Mitten a. d. Ruhr in Westphalen, deren
Constructeur Hr. Caemmerer bereits mündlich mit den
Intentionen des Referenten vertraut gemacht worden ist, gern bereit seyn, zur
Realisirung dieser Absicht beizutragen.
Cassel, im October 1865.
D......y, Major im
Generalstabe.