Titel: | Ueber die durch die metallurgischen Processe bewirkten Umwandlungen und Modificationen der allotropischen Zustände des Eisens; von de Cizancourt. |
Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. LIV., S. 320 |
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LIV.
Ueber die durch die metallurgischen Processe
bewirkten Umwandlungen und Modificationen der allotropischen Zustände des Eisens; von
de
Cizancourt.
Aus den Comptes rendus, t. LXI p. 706; October
1865.
de Cizancourt, über die Veränderungen der allotropischen Zustände
des Eisens in Folge der metallurgischen Processe.
Die bei den eisenhüttenmännischen Processen in Anwendung kommenden Reagentien, wie
der Kohlenstoff, die Bestandtheile der atmosphärischen
Luft (also Sauerstoff und Stickstoff) und Silicium, haben in isolirtem
Zustande sowohl, wie auch in ihren activ sich verhaltenden Verbindungen
Atomgewichte, welche zu den Atomgewichten der beiden allotropischen Modificationen
des Eisens in einem sehr einfachen Verhältnisse stehen. Das Atomgewicht des
Stickstoffs ist 14, das des Siliciums 28, das des Kohlenoxyds 14, das der beiden
Modificationen des Eisens bez. 28 und 56. Diese sehr beachtenswerthe Relation läßt
für diese Körper auf eine besondere Wirkungsweise schließen, welche mittelst eines
Synchronismus der Molecularschwingungen stattfindet. Die wägbare Menge der
Reagentien, welche das Eisen unter gleichen Umständen in sich aufnimmt, wird beinahe
gleichgültig, kann auch immer schwankend bleiben.
Allgemeiner ausgedrückt: die bei den eisenhüttenmännischen Processen in Anwendung
kommenden Körper scheinen, ohne Verbindungen in bestimmten Proportionen zu erzeugen,
die allmähliche und continuirliche Bildung der allotropischen Zustände des Eisens
oder des Gemenges dieser Zustände zu bewirken, deren Atomicität dieselbe ist wie die
des betreffenden Reagens. Ich wende hier den Ausdruck Atomicität an, um einfach die folgenden Thatsachen auszudrücken: die
Körper welche sich mit einem einzigen Sauerstoffatom verbinden, wie Wasserstoff und
Kohlenoxyd, veranlassen die Entstehung von Ferrosum;
diejenigen welche sich mit drei Atomen Sauerstoff oder einer größeren ungeraden
Anzahl von Sauerstoffatomen verbinden, wie Phosphor, Arsen und selbst der Stickstoff
veranlassen die Bildung von hämmerbarem Ferricum, und,
wenn ihre Einwirkung länger anhält, die Bildung von verbranntem Ferricum; diejenigen Körper endlich, welche sich mit
zwei Sauerstoffatomen verbinden, wie Kohlenstoff, Silicium, Titan und Tantal,
veranlassen die Entstehung von Stahl. Daher finden wir diese verschiedenen Körper in
wandelbaren Verhältnissen vereinigt in denjenigen Producten der
eisenhüttenmännischen Processe, deren Atomicität ihrer eigenen entspricht. Für diejenigen
dieser als Reagentien angewendeten Körper, welche in ihren Verbindungen mehrere
Zustände verschiedener Atomicität darbieten, wie dieß bei Kohlenstoff und Schwefel
der Fall ist, muß man jedoch die Atomicität berücksichtigen, mit welcher sie bei den
Reactionen interveniren. Die im Vorstehenden erwähnten Relationen sind bereits von
de Chancourtois als Folgerung der Theorie der
numerischen Aequivalente angegeben worden.
Die Wärme wirkt in absolut derselben Weise wie die
eigentlichen Reagentien. Niedere Temperaturen veranlassen die Entstehung des Ferrosum des krystallinischen weißen Roheisens, und zwar
tritt dieses Bestreben um so stärker hervor, je niedriger jene Temperaturen sind und
je plötzlicher die zu ihrer Erzeugung angewendete (künstliche) Abkühlung ist. Hohe
Temperaturen, wie die Schweißhitze, veranlassen die Entstehung des streckbaren Ferricum, noch höhere die des verbrannten Ferricum. Die für die Bildung der verschiedenen Gemenge
beider Zustände des Eisens geeigneten Temperaturen lassen sich aus dem relativen
Verhältnisse der in dem betreffenden Eisenhüttenproducte enthaltenen Mengen beider
Zustände des Eisens durch eine einfache Proportion ableiten: Stahl entspricht der
Rothglühhitze, welche erzeugt wird, wenn bei dem in den Apparaten stattfindenden
Verbrennungsprocesse die Bildung von Kohlenoxyd erfolgen kann.
Gewisse Thatsachen scheinen zu beweisen, daß die Wirkung der Wärme allein, wenn sie
nur lange genug andauert, hinreicht, um den Uebergang des Eisens von dem einen
seiner allotropischen Zustände in den anderen zu vermitteln; doch wird die
Metallurgie die besprochenen Reagentien immer nothwendig haben, um die Dauer der
Processe und Operationen möglichst abkürzen und folglich der Hauptbedingung eines
wirthschaftlichen Eisenhüttenbetriebes genügen zu können.
Die Verbindungen in bestimmten Proportionen liefern die wirklich stabilen Zustände,
die Typen. Durch Wärme und Reagentien können bestimmte Verbindungen nicht erzeugt
werden, sondern nur Variationen dieser Typen, welche um so geringere Stabilität
besitzen, je mehr sie von dem in den: entsprechenden Erze vorhandenen ursprünglichen
Typus abweichen. Jedoch sind bei einer Steigerung der angewendeten Temperaturen und
bei der Bewegung des Ferrosum nach dem Ferricum zu die Umwandlungen leichter zu bewirken und
besitzen dann eine größere Stabilität als wenn der umgekehrte Gang stattfindet.
Diese Bewegungsrichtung ist auch in den chemischen Eigenschaften der Eisenoxyde zu
erkennen.
Jedes Gemenge der verschiedenen Zustände des Eisens hat seinen besonderen Charakter und
entspricht einem Maximum von einer bestimmten Qualität. Um das Maximum von
Stabilität und folglich von Qualität irgend eines Productes zu erhalten, muß man bei
allen Manipulationen eine vollkommene Uebereinstimmung beibehalten zwischen dem
Zustande des Eisens in den Erzen, den Temperaturen, den Reagentien und dem Zustande
des Eisens, welcher in dem zu erzeugenden Producte vorhanden seyn soll. Der Mangel
an Stabilität rührt von einer ganz ähnlichen Erscheinung her, wie sie uns der im
heißen Zustande krystallisirte Schwefel bei langer Aufbewahrung in der Kälte
darbietet.
Ich gehe nun auf einige Anwendungen der von mir aufgestellten Principien über, welche
zur Bestätigung meiner Theorie dienen.
Wirkungen der verschiedenen Körper bei
dem Cementationsprocesse.
Für jede Erörterung des Cementationsprocesses ist es erste und unerläßliche
Bedingung, die Natur des zu cementirenden Eisens genau zu kennen. Ich erinnere, daß
der Stahl die beiden allotropischen Modificationen des Eisens im Verhältniß ihrer
Atomgewichte enthält und daß wirklicher Stahl mit der Gesammtheit der ihm
eigenthümlichen Eigenschaften definitiv nur unter der Bedingung erzeugt werden kann,
daß das constituirende Verhältniß von Ferrosum in den
dem weißen krystallinischen Roheisen entsprechenden Zustand übergeführt wird. Dieser
Bedingung zu genügen ist der Zweck der Cementirung und der ihr äquivalenten
Operationen.
Eisen, welches von Ferricum abstammt, kann, in Folge
seiner Fundamentaleigenschaft, mittelst der Wirkung des Kohlenoxyds, wie dieselbe
bei den gewöhnlichen metallurgischen Operationen stattfindet, nicht theilweise in
stabiles Ferrosum übergeführt werden; solches Eisen
vermag daher keinen brauchbaren Stahl zu liefern. Dagegen kann Eisen, welches im
geeigneten Verhältniß ursprüngliches Ferrosum enthält,
– also aus sogen. Stahlerzen erblasenes Eisen – mittelst der
alleinigen Wirkung des Kohlenoxyds, durch welche das in solchem Eisen enthaltene Ferrosum die Eigenschaften erhält, welche es im weißen
krystallinischen Roheisen besitzt, leicht in Stahl verwandelt werden.
Eisen, welches ausschließlich aus ursprünglichem Ferrosum
besteht, kann durch längere Einwirkung von Kohlenoxyd vollständig in weißes
krystallinisches Roheisen verwandelt werden. Wird ein solches Eisen dem
Cementationsprocesse unterworfen, so können die der Gruppe des Phosphors
angehörenden Körper, und selbst der Stickstoff, eine wirklich nützliche Rolle
spielen, insofern sie dann einen Theil des Eisens im Zustande von Ferricum erhalten, welches stets weniger stabil und weniger scharf
charakterisirt ist, als wenn jenes Eisen direct von Ferricum abstammte. Wird weißes Roheisen in einem Bette oder einer Packung
von Eisenoxyd in Gegenwart der Bestandtheile der Atmosphäre cementirt, so gibt es
ein hämmerbares Product, unbeständiges Ferricum; diese
Eigenschaft hat eine praktische Anwendung gefunden, aber die auf solche Weise
erhaltenen Producte sind immer spröde, weil sie den ursprünglichen Charakter des zu
ihnen verwendeten Eisens zum Theil beibehalten.
Die Cyanverbindungen enthalten zwei Bestandtheile, Kohlenstoff und Stickstoff, deren
jeder das Eisen in einen der Zustände überführt, welche zur Stahlbildung
erforderlich sind; sie haben daher eine im Allgemeinen günstige Wirkung und können
besser als alle anderen Körper zur Stahlerzeugung angewendet werden, wenn der
Stahlfabrikant in völliger Unwissenheit über die Natur nicht allein des Productes,
von welchem er bei seiner Fabrication ausgeht, sondern auch desjenigen, welches er
zu erzeugen beabsichtigt, sich befindet und den Erfolg der Operation dem Zufalle
einer von ihm nicht begriffenen Reaction überläßt.
Rolle der Reagentien und der
Erze.
Die Erscheinung, daß es den Stahlsorten, welche aus nicht stahlartigen Erzen durch
Processe dargestellt worden sind, mit denen bei Verhüttung von passenden Erzen
wirklich guter Stahl erzeugt wird, an den Eigenschaften eines wahren Stahls mangelt,
bedarf keiner eingehenden Erörterung.
Werden Ferricum-Erze einer Behandlung unterworfen,
welche bei Anwendung von oxydulischen Erzen weißes Roheisen liefert, so erhält man
nur schwarzes (dunkelgraues) oder graues Roheisen, also Producte, welche als
unvollkommene bezeichnet werden müssen. Wenn die Wärme in Folge von raschem oder
plötzlichem Erkalten ihre Wirkung a posteriori geltend
macht, um die Bildung des weißen Roheisens zu veranlassen, so tritt das Resultat
allerdings deutlicher hervor, aber die Unbeständigkeit des Productes bleibt stets,
und durch Abschrecken von grauem Roheisen vermag man immer nur ein weißes Roheisen
von sehr geringer Stabilität zu erzeugen, welches dem aus Ferrosum-Erzen erblasenen Roheisen nur scheinbar ähnlich ist.
Das Härten und das Anlassen.
Wenn die meiner Definition entsprechenden Stahlsorten, nachdem sie cementirt oder
einem der Cementation äquivalenten Processe unterworfen worden sind, langsam
erkalten, so scheidet sich ein Theil des in ihnen enthaltenen Kohlenstoffs, vom
Ferricum abgestoßen, aus; der andere Theil des
Kohlenstoffs bleibt mit dem Ferrosum verbunden. Daher
rührt das Vorhandenseyn des Kohlenstoffs in zwei verschiedenen Formen (als Graphit
und als chemisch gebundener Kohlenstoff), welche sich bei der Behandlung des
Productes mit Säuren zu erkennen geben; daher rührt auch die Analogie zwischen
langsam erkaltetem Stahl und grauem Roheisen, von welchem letzteren sich der erstere
im Allgemeinen nur durch das quantitative Verhältniß der allotropischen
Modificationen des Eisens und durch den von den früheren Manipulationen herrührenden
Ueberschuß an Kohlenstoff unterscheidet.
Wird solcher Stahl durch Abschrecken (Härten) abgekühlt, so erzeugt das plötzliche
Erkalten die stabile Verbindung des Kohlenstoffs mit dem Ferrosum und ertheilt dem Stahle die Härte des plötzlich abgekühlten
weißen Roheisens; gleichzeitig erzeugt aber dieses plötzliche Abkühlen nur die
unbeständige Verbindung des Kohlenstoffs mit dem Ferricum, welche durch bloßes Anlassen theilweise wieder zerstört wird, so
daß das Ferricum seine Dehnbarkeit wieder erlangt,
welche um so deutlicher hervortritt, je stärker der Stahl angelassen wurde. Dadurch
werden die Erscheinungen des Härtens und des Anlassens leicht erklärlich, und man
sieht, daß der Stahl seinen Werth hauptsächlich der Eigenschaft verdankt, den
höchsten Grad von Härte zu besitzen, welche sich dem Eisen in seinen verschiedenen
Zuständen ertheilen läßt, während diese Härte mit einer Dehnbarkeit verbunden ist,
die sich durch den Grad des Anlassens reguliren läßt. Von dem Kohlenstoffgehalt ist
übrigens diese Erklärung ganz unabhängig. – Durch das Vorhandenseyn der
beiden allotropischen Modificationen des Eisens im Stahle wird auch der permanente
Magnetismus desselben erklärlich.
Ebenso leicht läßt sich die Erscheinung erklären, daß alles Eisen, welches bei sehr
niedrigen Temperaturen den Zustand von unbeständigem Ferrosum annimmt, in Folge der Einwirkung dieser Temperaturen spröde wird;
daß ferner alles Eisen, welches durch länger dauernde Einwirkung hoher Temperaturen
zu verbranntem Ferricum geworden ist, unter diesen
Umständen (d.h. bei lange anhaltender Einwirkung starker Hitzegrade) körnig wird. Endlich erklärt es sich auch, weßhalb Eisen
nur dann eine fadige oder sehnige Structur haben kann, wenn es die beiden allotropischen Zustände
des Metalles in einem Verhältnisse enthält, welches ich ermitteln werde. Wird diese
Textur (der „Nerv“) des Eisens einzig und allein von den
Manipulationen bedingt, denen es bei seiner Darstellung unterworfen wurde, so
verliert es dieselbe im Laufe der Zeit langsam von selbst, rascher beim Bearbeiten
und wenn es Erschütterungen (Schwingungen) ausgesetzt wird, wodurch mancherlei
Unfälle, z.B. Brüche von Achsen, Wellen, Drahtseilen etc. verursacht werden, die
sich übrigens vorhersehen und somit in gewissem Grade vermeiden lassen.
Ich behalte mir vor, der Akademie demnächst eine vollständige Erörterung der die
Metallurgie des Eisens betreffenden Thatsachen nach den von mir aufgestellten
Principien vorzulegen. Die Wichtigkeit und der Nutzen der praktischen Folgerungen,
die sich aus denselben schon jetzt ziehen lassen, veranlaßten mich, diese kurze
Abhandlung mitzutheilen, in welcher ich mich nothgedrungener Weise bei Angabe der
Anwendungen, deren jene Principien fähig sind, sowie der Beweise für ihre
Richtigkeit, die sich beibringen lassen, sehr beschränken mußte. Es bleibt mir dann
noch übrig, durch directe Versuche den Einfluß der Wärme und der metallurgischen
Reagentien bei der Abänderung und Umwandlung der allotropischen Zustände des Eisens,
wie dieselben von den Erzen geliefert werden, genau zu bestimmen. Auf diese Weise
wird die Metallurgie des Eisens auf die Beobachtung der praktischen Thatsachen
gegründet und durch das directe Experiment controlirt werden.