Titel: | Beiträge zur Kenntniß der mechanischen Wirkungen der Elektricität; von Prof. Dr. A. v. Waltenhofen in Innsbruck. |
Autor: | Adalbert Waltenhofen [GND] |
Fundstelle: | Band 179, Jahrgang 1866, Nr. CV., S. 432 |
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CV.
Beiträge zur Kenntniß der mechanischen Wirkungen
der Elektricität; von Prof. Dr. A. v.
Waltenhofen in Innsbruck.
v. Waltenhofen, über die mechanischen Wirkungen der
Elektricität.
Meine Beobachtungen in dieser Richtung beziehen sich zunächst auf die Erklärung des
Lullin'schen Versuches und der Lichtenberg'schen Figuren.
Bringt man eine Karte so zwischen die etwa 1 bis 2 Centimeter von einander entfernten
Spitzen des Ausladers, daß dieselben die entgegengesetzten Flächen der Karte
berühren, so wird sie bekanntlich stets in der Nähe der negativen Spitze durchbohrt.
Wenn man aber den Versuch (nach Tremery) in verdünnter
Luft einleitet, erfolgt die Durchbohrung nahezu in der Mitte zwischen den beiden
Spitzen.
Rieß erklärte diese Erscheinungen auf Grundlage der von
Faraday constatirten Thatsache der negativ
elektrisirenden Wirkung eines Stromes von feuchter Luft oder feuchtem Wasserdampf
auf viele Stoffe, namentlich auf Metalle, Glas und Holz. (Rieß, Reibungselektricität, §. 751). Wird nämlich auf die Karte
eine discontinuirliche Entladung geleitet, welche sofort die an der Oberfläche
derselben haftende feuchte Luftschichte zerreißen muß, so wird die in solcher Weise
mit Heftigkeit in Bewegung gesetzte feuchte Luft, indem sie die Kartenflächen
bestreicht, dieselben negativ elektrisch machen. Nachdem die erste Partialentladung
dieß bewirkt hat, werden bei den folgenden Partialentladungen, welche diese Wirkung
noch erhöhen, positive und negative Elektricität auf negativ elektrischen Flächen
sich zu verbreiten haben, und deßhalb die ersteren einen größeren Raum einnehmen
können, was endlich die Durchbohrung der Karte in der Nähe der negativen Spitze, deren
Elektricität sich weniger verbreiten kann, zur Folge hat. Ist dagegen die umgebende
Luft zuvor verdünnt, und damit die an der Karte haftende feuchte Luftschichte
entfernt worden, so unterbleibt auch die vorbesagte negative Elektrisirung, und die
Durchbohrung ist nicht mehr an die negative Spitze gebunden, sondern sie erfolgt in
der Mitte zwischen den beiden Spitzen, weil nunmehr beide Elektricitäten in gleichem
Maaße sich verbreiten können.
Bei den obenerwähnten Versuchen von Faraday war die
negative Erregung der besagten Körper in einem neutralen (unelektrischen) Strom aus
Dampf und Wasser nachgewiesen worden (Experimental-Untersuchungen über
Elektricität, 18. Reihe, Alin. 2102). Dieser neutrale
Dampfstrom wurde durch Anwendung einer elfenbeinernen Ausströmungsröhre erhalten.
Bestand jedoch das Ausströmungsrohr aus Metall, Glas oder Holz, welche Substanzen,
wie gesagt, durch Reibung mit feuchtem Wasserdampf negativ-elektrisch werden,
so zeigte der Dampfstrom positive, der Kessel negative Elektricität; vorausgesetzt,
daß das Wasser, welches der Dampfstrom mit sich führte, vollkommen rein war. Die
Elektricitätserregung verschwand, wenn dieses Wasser z.B. durch Salze oder Säuren
besser leitend gemacht war, und sie wurde umgekehrt, das heißt der Dampfstrom
negativ und der Kessel positiv, wenn in das Wasser gewisse andere Substanzen, z.B.
Olivenöl, gebracht worden waren. So wie Olivenöl wirkten
mehr oder weniger auch Terpenthinöl (dieses jedoch nur
vorübergehend), Speck, Wallrath, Bienenwachs, Ricinusöl,
Harz und Lorbeeröl.
Faraday hat die besagte Wirkung des Oels mit der Annahme
zu erklären versucht, daß in diesem Falle nicht mehr Wasser an den Canalwänden sich
reibt, sondern das Oel, indem wohl jedes kleine Wasserkügelchen mit einer dünnen
Oelschicht überzogen sey. Dagegen haben andere Physiker (Müller, Bericht über die neuesten Fortschritte der Physik, Seite 9; Wüllner, Experimentalphysik, Bd. II S. 721) die Ansicht
ausgesprochen, daß man nicht Oel an den Canalwänden, sondern
Wasser an den durch das Oel veränderten Canalwänden reibend zu betrachten
habe, da man wohl annehmen darf, daß bei der Reibung der mit Oel bedeckten
Tröpfchen an den Wänden der Ausströmungsröhre dieselben mit Oel überzogen
werden.
Im Sinne dieser Auffassung führen die oben angeführten Thatsachen zur Folgerung, daß
bei der Reibung zwischen Oel und feuchtem Wasserdampf ersteres positiv und letzterer
negativ elektrisch werden. Dasselbe gilt in ganz analoger Weise auch von den übrigen
oben aufgezählten, mit
Oel übereinstimmend wirkenden Substanzen, welche ich künftighin, der Kürze wegen,
hydroelektrisch positive Substanzen nennen werde, im
Gegensatze zu den hydroelektrisch negativen, welche Faraday in der Alinea 2099 aufgezählt hat.
Diese Thatsachen gaben zugleich ein Mittel an die Hand, die obige Erklärung des Lullin'schen Versuches auf die Probe zu stellen. Wenn
nämlich in der That die Durchbohrung an der negativen Spitze dadurch verursacht
wird, daß die Entladung eine negative Elektrisirung der Kartenoberfläche mit sich
bringt, welche die Ausbreitung der negativen Elektricität beschränkt und jene der
positiven begünstigt, so ist folgerichtig eine Durchbohrung an der positiven Spitze
zu erwarten, sobald jenes Verhältniß der Ausbreitung beider Elektricitäten umgekehrt
wird. Dieß wird offenbar bewerkstelligt, wenn man die Karte beiderseits mit einer
hydroelektrisch positiven Substanz bedeckt, was eben zur Folge hat, daß die zwischen
den Spitzen stattfindende Entladung, welche in der bereits beschriebenen Weise eine
Reibung zwischen den getroffenen Flächen und den daran haftenden feuchten
Luftschichten veranlaßt, eine positive Elektrisirung beider Kartenflächen
bewirkt.
Ich habe mit sämmtlichen oben aufgezählten hydroelektrisch positiven Substanzen eine
Reihe von Versuchen ausgeführt, und dabei die so eben besprochenen Voraussetzungen
vollkommen bestätigt gefunden, indem jeder Carton, welcher mit
einer von diesen Substanzen beiderseits bedeckt war, jedesmal an der positiven
Spitze durchbohrt wurde. Die einzige Ausnahme fand beim Terpenthinöl statt,
bei dessen Anwendung die Durchbohrung an der negativen Spitze erfolgte, ein
Ergebniß, welches bereits von Reitlinger beobachtet und
in seiner Abhandlung: „zur Erklärung der Lichtenberg'schen Figuren“ aus demselben Gesichtspunkte
gegen die Rieß'sche Theorie geltend gemacht worden ist.
– Mir scheint jedoch diese Ausnahme wenig Gewicht zu haben, weil ja gerade das Terpenthinöl auch bei den Versuchen von
Faraday nur eine sehr vorüber gehende Wirkung äußerte, und daher zu einem
entscheidenden Versuche dieser Art nicht geeignet ist. Ich behalte mir vor, diese
Ansicht in einer ausführlicheren Abhandlung noch näher zu begründen, und zugleich
die Ausführung meiner Versuche zu beschreiben, und die dabei beobachteten
Bedingungen ihres zuverlässigen Gelingens anzugeben. Hier will ich noch bemerken,
daß verschiedene vegetabilische Oele und verschiedene
Harze, wie ich gefunden habe, ein ganz entgegengesetztes hydroelektrisches
Verhalten zeigen. Das Olivenöl fand ich, in Uebereinstimmung mit Faraday's Versuchen, positiv. – Bezüglich der
Harze gibt Faraday
nicht an, welches Harz
er angewendet habe. Ich fand Guajak positiv, dagegen z.B. Colophonium negativ,
welcher letztere Umstand wohl das eigenthümliche Verhalten des Terpenthinöls
erklärt.
Uebrigens habe ich auch Substanzen gefunden, welche keine merkliche hydroelektrische
Erregung zeigen. Eine solche neutrale Substanz ist z.B. Stearin. Eine beiderseits mit Stearin bedeckte Karte wird deßhalb, so
wie beim Tremery'schen Versuche, nahezu in der Mitte
zwischen den beiden Spitzen durchbohrt. Mittelst Stearin, als neutralem
Isolator, habe ich die Erscheinungen des Lullin'schen und
des Tremery'schen Versuches auch bei Glasplatten
nachgeahmt. Wird die zwischen die beiden Spitzen eingeschaltete Glasplatte nur an
einer Spitze mit Stearin bedeckt, so erfolgt die
Durchbohrung stets an eben dieser Spitze, weil daselbst die Ausbreitung der
Elektricität mehr gehemmt ist, als an der anderen Spitze; wird die Platte aber an
beiden Spitzen mit Stearin bedeckt, so geschieht die Durchbohrung (wenn die
Bedeckung gleichmäßig angebracht und durch die Entladung nicht losgerissen wird) in
der Regel zwischen beiden Spitzen, freilich oft außerhalb ihrer Verbindungslinie und
nicht gleichweit von den Spitzen, wegen der unvermeidlichen Ungleichförmigkeiten in
der Masse des Glases und der Stearin-Bedeckung. Bemerkenswerth ist noch der
folgende Versuch: Trägt man auf die Glasplatte einen etwa 2 Centimeter breiten und
etwa 10 Centimeter weiten Ring von Stearin auf und bringt sie so zwischen die beiden
2 bis 3 Centimeter von einander entfernten Spitzen, daß dieselben auf einem
Durchmesser des Ringes in gleichen Abständen von seinem Mittelpunkte angeordnet
sind, so wird die Glasplatte fast immer in mehreren und nicht
selten in sehr vielen Punkten (ich habe deren bis fünfzehn beobachtet),
welche sämmtlich an der inneren Begrenzung des Ringes liegen, mit Bohrungen von sehr
verschiedener Größe durchbrochen. Wenn aber die Spitzen einander gerade gegenüber
stehen, so erfolgt nur eine einzige Durchbohrung, ebenfalls an der inneren
Peripherie des Ringes stattfindend.
Die Nachweisung hydroelektrisch positiver Substanzen, namentlich solcher Harze,
scheint mir für die Untersuchung der Lichtenberg'schen
Figuren im Sinne der Theorie von Rieß von großer
Wichtigkeit zu seyn. Ich erzeugte dieselben auf einem Elektrophor von Guajakharz,
und fand dieselben, insbesondere bei Anwendung negativer Elektricität, wesentlich verändert, im Vergleiche mit den auf
hydroelektrisch negativen Harzen auftretenden Zeichnungen. Die Erscheinungen, welche
ich dabei beobachtet habe und in meiner ausführlichen Abhandlung beschreiben werde,
haben mich zur Annahme geführt, daß neben der hydroelektrischen Erregung der Oberfläche, welche
bei gewissen Harzen positiv und bei anderen negativ ist, auch noch eine bei allen
Harzen negative Erregung der durch die Entladung erschütterten Molecüle stattfindet,
und daß daher bei hydroelektrisch negativen Harzen die Summe
übereistimmender, bei hydroelektrisch positiven Harzen aber die Differenz
entgegengesetzter Erregungen die Formen der entstehenden Staubfiguren
bestimmen.
Innsbruck, am 19. Februar 1866.