Titel: | Achard's elektrischer Eisenbahnwagenbrems. |
Fundstelle: | Band 180, Jahrgang 1866, Nr. CXII., S. 415 |
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CXII.
Achard's elektrischer Eisenbahnwagenbrems.
Achard's elektrischer Eisenbahnwagenbrems.
Um Unglücksfälle auf Eisenbahnen zu verhüten, ist es sehr wünschenswerth, eine
Einrichtung treffen zu können, um die Geschwindigkeit eines Bahnzuges sicher, leicht
und schnell, wo möglich durch den Zugführer allein, zu verringern, beziehentlich sie
möglichst ganz aufzuheben und den Zug zum Stillstand zu bringen; dieß kann ohne
Schaden für die einzelnen Wagen und ohne Stöße natürlich nur dann geschehen, wenn
mehrere oder alle mit Bremsen versehene Wagen zugleich gebremst werden. Achard hat das gleichzeitige Bremsen aller Wagen durch
den Locomotivführer mit Hülfe galvanischer Batterien auszuführen gesucht und ist für
diese Erfindung durch Ertheilung eines Preises belohnt worden. Ueber den Achard'schen Apparat und die damit gemachten Versuche
können wir Folgendes mittheilen:
Die Bahnzüge, die zu den angestellten Versuchen gedient haben, bestehen aus zehn bis
zwölf Wagen, einschließlich zweier mit Bremsen versehener Packwagen, von denen der
erste (der Kopfwagen) unmittelbar hinter dem Tender, und der zweite am Ende des
Zuges angehängt ist. Jeder dieser beiden Wagen trägt eine Daniell'sche galvanische Batterie von sechs Elementen, welche mit
Kupfervitriol gespeist werden und von Achard angemessen
eingerichtet sind, um den an sie gestellten Forderungen zu entsprechen. Eine
Leitung, gebildet aus vier oder fünf zusammengelegten und mit Kautschuk überzogenen
Kupferdrähten geht vom positiven Pol, z.B. von der Batterie des Kopfwagens aus,
wendet sich zuerst nach dem Tender, wo sie durch einen Commutator unterbrochen wird,
der für den Locomotivführer leicht erreichbar ist, und geht von da weg auf der
rechten Seite der sämmtlichen Wagen hin, um nach dem negativen Pol der Batterie
des Endwagens zu gelangen. Eine zweite Leitung geht vom positiven Pol der letzteren
Batterie auf der linken Seite des Wagenzuges hin, um schließlich mit dem negativen
Pol der Batterie des Kopfwagens vereinigt zu werden. Ein elektrischer Strom, den wir
den Hauptstrom nennen wollen, circulirt so beständig während der regelmäßigen Fahrt
von einem Ende des Zuges zum anderen und der Locomotivführer kann ihn sofort
unterbrechen, indem er den Commutator umstellt. Die Stromunterbrechung hat das
gleichzeitige Anziehen der Bremsen am Kopf- und Endwagen zur Folge, und zwar
erfolgt dieß mit einer Schnelligkeit, die um so größer ist, als der Zug selbst
schneller läuft, und ferner werden beim Stromunterbrechen die auf beiden Wagen
angebrachten Läutewerke in Gang gesetzt. Ein dynamometrischer Apparat begrenzt die
Heftigkeit des Schließens der Bremsen. Diese Wirkungen werden durch folgende Mittel
erzeugt.
Jeder der beiden Bremswagen trägt unabhängig von den Batterien zwei Elektromagnete,
die wir den Elektromagnet der Gleitstücke und den Elektromagnet des
Localstromunterbrechers nennen wollen. Diese Benennungen werden sofort
gerechtfertigt werden. Der Hauptstrom läuft durch die Spiralen dieser
Elektromagnete, deren zeitweilige Magnetisirung natürlich aufhört, sobald er
unterbrochen wird. Jeder Bremswagen ist außerdem noch mit folgenden Stücken
ausgerüstet: 1) mit einer auf eine Wagenachse excentrisch aufgekeilten Scheibe; 2)
mit einem Hebel, der gerade über dieser Scheibe drehbar aufgehängt ist; das eine
Ende desselben ist um einen am Wagengestell befestigten Bolzen beweglich, das andere
Ende schleift auf dem Umfang der excentrischen Scheibe und wird darauf sowohl durch
sein Gewicht, als auch durch eine Feder angedrückt, so daß er, wenn er nicht durch
eine anderweitige Kraft in die Höhe gehoben wird, von der excentrischen Scheibe eine
schwingende Bewegung erhält. Nahe an seinem auf der Scheibe schleifenden Ende ist
eine Zugstange durch den Wagenkasten nach oben geführt, und diese läuft oben in eine
Gabel oder Coulisse aus, welche senkrecht geführt wird und deren beide Enden die
Armatur des Elektromagnetes der Gleitstücke bilden. Wenn der Hauptstrom durch die
Spirale des letzteren geht, so wird die Coulisse in der Höhe schwebend erhalten,
ungeachtet des Hebelgewichtes und der Feder, welche den Hebel und die Coulisse
nieder zu drücken streben; der Hebel schleift also dann nicht auf, thut dieß aber
sofort und empfängt die schwingende Bewegung, sobald der Hauptstrom unterbrochen
wird. 3) Befindet sich auf jedem Bremswagen eine horizontale Welle, die am
Wagengestell eingelagert ist und ein wenig vor der Achse mit dem Excentric liegt.
Auf dieser Welle ist in gleicher Verticalebene mit dem Excentric und Hebel ein Sperrrad
aufgekeilt, und der Hebel mit einer Klinke versehen, welche in dessen Zähne
einfällt, also die schwingende Bewegung des Hebels in eine Drehbewegung der Welle
verwandelt. Diese letztere dient dann dazu, um die Bremsen anzuziehen; doch
geschieht dieß nicht direct, weil es zu überstarkem Drucke und zu Brüchen der
Bremstheile oder zum schwierigen Lösen der Bremsen Anlaß geben könnte, sondern durch
Vermittlung einer elektrischen Einwirkung, welche diesen Uebelständen vorbeugt.
Auf die Mitte der horizontalen Welle ist ein Elektromagnet mit vier Polen und von
einer eigenthümlichen Construction aufgetheilt, den wir mit dem Erfinder den
Elektromagnet der Muffe nennen. Rechts und links davon befinden sich nämlich auf der
Welle frei drehbar zwei Muffe, die je an einem Ende in eine ringförmige Scheibe
auslaufen, welche eine Gruppe der Pole des Elektromagnetes berühren, so daß also
diese Muffe die Armaturen derselben vorstellen. Auf dem Umfang eines jeden Muffes
ist das Ende einer Kette befestigt, und in einiger Entfernung davon gehen beide
Ketten über Rollen auf einer horizontalen Welle, deren Zapfen am Wagengestell
aufgelagert sind, vereinigen sich dann in eine einzige Kette, welche eine auf dem
Ende des Bremsanziehhebels angebrachte Rolle umschlingt und schließlich an einem
Haken am Wagengestell festgemacht ist. Die Muffe, auf welche sich die Ketten, die
das Anziehen der Bremsen bewirken, aufwickeln, werden also nur durch ihre Adhärenz
an die Pole des Elektromagnetes mit in die Rotation der Welle versetzt, welche
Adhärenz durch ihre Energie nach Bedarf die Spannung der Ketten begrenzen wird, und
in Folge dessen auch den von verschiedenen Bremstheilen ausgeübten Widerstand, sowie
die Pressung der Bremsbacken gegen die Räder. Um diese Pressung aufhören zu lassen,
genügt es, den Strom in den Spiralen des Muffelektromagnetes zu unterbrechen. Die
Muffe drehen sich dann lose auf der Welle, und der Brems lockert sich durch die
Wirkung eines Gegengewichtes oder einer Feder. Es bleibt nun nur noch übrig, zu
sagen, welches die Quelle des Stromes ist, der durch den Muffelelektromagnet geht
und zu erklären, wie sich derselbe durch die Unterbrechung des Hauptstromes von
selbst entwickelt und mit dessen Wiedereinschaltung im Gegentheil wieder
aufhört.
Der Strom des Muffelektromagnetes eines jeden Wagens ist von der auf diesem Wagen
befindlichen Batterie selbst abgeleitet, welche letztere mit der auf dem anderen
Wagen vereint den Hauptstrom liefert. Aber im Gegensatz hierzu geht der Strom des
Muffelektromagnetes nicht von dem Wagen aus, der letzteren trägt, weßhalb wir ihn
zum Unterschied den
Localstrom nennen. Die Leitung, welche ihn fortführt, geht vom positiven Pol, z.B.
der Batterie des Wagens aus, geht dann direct nach den Spiralen des
Muffelektromagnetes und kehrt sogleich wieder zum negativen Pol derselben Batterie
zurück, indem er auf diesem letzten Wegtheil durch einen Unterbrecher geht, welchen
die Armatur des zweiten auf dem Wagen befindlichen Elektromagnetes beherrscht,
dessen Leitung vom Hauptstrom durchlaufen wird, und den wir deßhalb den
Elektromagnet des Localstromunterbrechers genannt haben. Es ist sehr leicht, die
Anordnung zu begreifen, in Folge welcher die Armatur den Localstrom herstellt, wenn
sie vom Elektromagnete durch die Wirkung ihres Gewichtes oder einer Feder abgezogen
wird, und wie sie ihn im Gegentheil unterbricht, wenn sie zum Contact zurückgebracht
wird durch die Magnetisirung, welche aus dem Strom in der Spirale des Hauptstromes
herrührt. Es genügt, daß die von der Spirale des Muffelektromagnetes kommende
Leitung sich an eine Kupferplatte anschließt, welche unter der Armatur befestigt ist
und welche, wenn die Armatur von ihrem Magnete abgestoßen ist, ein Stück Metall
berührt, an das die mit dem negativen Pol der Batterie verbundene Retourleitung
angelöthet ist, während sie aufhören wird, dieses Stück zu berühren, wenn die
Armatur zum Contact der Pole ihres Elektromagnetes gebracht wird.
Die horizontale Welle mit den Muffen besitzt noch ein Excentric, auf dessen Umfang
durch eine Feder das Ende eines Hebels gepreßt wird, der in Folge dessen bei
Rotation der Welle eine schwingende Bewegung annimmt. Die Bewegung dieses Hebels
wird auf mehrere Hämmer übertragen, die an auf dem Wagen angebrachte Glocken
schlagen, so daß die Schaffner von dem Bremsen des Zuges sogleich in Kenntniß
gesetzt werden.
Um die Beschreibung der elektrischen Einwirkung zu vollenden, haben wir noch die
Einrichtung anzugeben, durch welche man die Spannung der Ketten an den Muffen und in
Folge dessen die Pressung der Bremsbacken an die Räder begrenzen kann.
Mit den getroffenen Einrichtungen ist die Spannung der Kette, um die Muffe an den
Polen des Elektromagnetes gleiten zu lassen, 600 bis 700 Kilogramme; sie genügt, um
einen Totaldruck der vier Bremsbacken gegen die Radreifen von 30000 Kilogrammen zu
erzeugen.
Da die Erfahrung auf der Paris-Straßburger Bahn gezeigt hat, daß je nachdem
das Wetter trocken oder feucht ist, ein Druck der hölzernen Bremsbacken von 12000
bis 15000 Kilogrammen genügt, um vollständig zu bremsen, so ist jeder Druck hierüber
hinaus unnöthig für den Effect und nachtheilig für den Mechanismus. Um diesem
Uebelstand zu begegnen,
hat Achard, anstatt wie angegeben, die Muffkette an einem
Haken am Gestell unveränderlich zu befestigen, diese Kette an das Ende einer
Lamellenfeder gehängt, die horizontal mit ihrem stärksten Theil am Wagengestell
festgemacht ist. Die Feder biegt sich in dem Maaße, als die Kette gespannt wird, und
es genügt, um den gewünschten Effect zu erlangen, daß der Localstrom des
Muffelektromagnetes selbstthätig unterbrochen wird, wenn die Biegung der Feder der
nicht zu überschreitenden Spannung entspricht. Dieses Resultat kann leicht auf
verschiedene Arten erreicht werden, die alle darauf hinaus laufen, daß man die
Leitung, welche zum negativen Pol der Batterie des Stromes des Muffelektromagnetes
geht, durch einen Unterbrecher gehen läßt, welcher aus einer Kupferplatte besteht,
die geeignet isolirt am Ende der Feder befestigt ist, und welche auf einer anderen
Platte, an die die Retourleitung nach dem negativen Pol der Batterie angelöthet ist,
gleitet, sobald die äußerste gewünschte Spannung nicht erreicht ist. Ist diese
Spannung erreicht, so verläßt die Platte an der Feder die feste Platte, und der
Strom wird unterbrochen; die Muffe werden dann lose und der Brems geöffnet, aber im
Augenblick geht nun auch die Feder zurück, die kleinen Platten kommen wieder in
Berührung, der Strom wird wieder hergestellt und der Brems schließt sich wieder. Mit
diesem dynamometrischen Apparat hat man durch zahlreiche Versuche den zum
vollständigen Bremsen nöthigen Druck genau ermitteln können.
Die Leitung des Hauptstromes besteht aus einzelnen abgetheilten Stücken, von denen
welche am Wagenkörper fest angebracht sind, während die anderen, den Zwischenräumen
entsprechend, an die Enden der ersteren durch Haken und metallische Federzangen
befestigt sind, um den Strom ungehindert zu übertragen. Die Vereinigung und Trennung
dieser einzelnen Stücke geht sehr leicht und schnell beim Rangiren der Wagen von
statten. Wenn sich vielleicht unterwegs Wagen voll selbst abhängen, oder sonst der
Zug aus der Ordnung kommt, so wird durch das Zerreißen der Leitung der Strom
unterbrochen, das Läutewerk beginnt sofort von selbst Lärm zu machen, und die
Bremsen des Kopf- und Endwagens ziehen sich von selbst an und bringen beide
Zugtheile zum Stillstehen.
Zahlreiche und lange fortgesetzte Versuche mit dieser Bremseinrichtung sind auf
französischen und belgischen Bahnen gemacht worden und haben dessen Vorzüglichkeit
gezeigt; die Bremsung gieng stets sicher von statten, die Räder wurden nach
Durchlaufung eines Weges von 15 bis 50 Meter zum Stillstand gebracht, und das
Anhalten des Zuges, durch Bremsen der beiden Bremswagen allein hergestellt, erfolgte
nach einem Wege von
höchstens 700 Meter, während auf die gewöhnliche Art des Bremsens durch aufmerksame
Schaffner nach dem vom Maschinisten gegebenen Signal immer noch 1000 bis 1200 Meter
durchlaufen wurden. Das Bremsen geschah sehr schnell und auf beiden Wagen
gleichzeitig, und verursachte nicht den geringsten Stoß in den zwischen befindlichen
Wagen. (Comptes rendus, t. LXII p. 530, März 1866; aus dem polytechnischen Centralblatt, 1866 S. 578.)