Titel: | Ueber zwei im Frühlinge dieses Jahres vorgekommene Blitzesereignisse nebst einigen Bemerkungen über Anlegung und Construction der Blitzableiter; von C. Kuhn in München. |
Autor: | Carl Kuhn [GND] |
Fundstelle: | Band 182, Jahrgang 1866, Nr. LXXXI., S. 289 |
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LXXXI.
Ueber zwei im Frühlinge dieses Jahres
vorgekommene Blitzesereignisse nebst einigen Bemerkungen über Anlegung und Construction
der Blitzableiter; von C. Kuhn
in München.
Kuhn, über zwei Blitzesereignisse, nebst einigen Bemerkungen
hierzu.
Bekanntlich bieten für die Construction von Blitzableitern für Gebäude die bei
Blitzesereignissen durch unmittelbare und sachgemäße Beobachtung festgestellten
Thatsachen bis jetzt noch die wichtigste Grundlage, wenn gleichwohl nicht in Abrede
gestellt werden kann, daß experimentelle Untersuchungen, welche den Umständen ganz
und gar entsprechen, unter denen Blitzesentladungen gegen irdische Objecte eintreten
können, zu brauchbaren Resultaten führen werden. Als brauchbar können aber nur
solche durch das Experiment zu diesem Zwecke festgestellte Thatsachen betrachtet
werden, mittelst welchen man die bei der unmittelbaren oder mittelbaren Wirkung der
Wolkenelektricität an irdischen Objecten und namentlich an Blitzableitern
auftretenden Erscheinungen in genügender Weise zu erklären im Stande ist. Es dürfte
daher nicht als unwesentlich erscheinen, solche Blitzesereignisse, die entweder neue
Anhaltspunkte für den in Rede stehenden Zweck liefern oder die zur Beurtheilung von
Anordnungen, welche schon in die Praxis übergegangen oder wenigstens für diese
empfohlen worden sind, zuweilen besonders hervorzuheben.
Einen Fall dieser Art scheinen mir zunächst die Ereignisse darzubieten, welche am 8.
April dieses Jahres an einigen Gebäuden zu Paris beobachtet wurden, und über welche
Barker der französischen Akademie sofort Bericht
erstattet hat.Comptes rendus, t. LXII p. 951; April 1866. Von diesem Berichte lassen wir
zunächst das Wesentliche hier folgen:
„Bei einem starken Gewitter, das am Abend des 8. April über Paris sich
entlud, fiel der Blitz auf das Haus Nr. 80 am Boulevard Montparnasse, wo sein
Durchgang zwei Ereignisse derselben Natur gleichzeitig an zwei verschiedenen
Orten veranlaßte, nämlich in einem gegen den Boulevard gelegenen Saale zu ebener
Erde in der Weinhandlung, und in einem rückwärtig gelegenen, durch mehrere
Piecen von dem Saale getrennten Hofe. In dem Saale geht an einen Winkel zwischen
der Wand und dem Plafond in der Nähe einer Oeffnung, die zur Aufnahme eines
Kaminrohres bestimmt und zur Zeit offen war, eine bleierne Gasröhre. Eine
ähnliche Gasröhre ist in einer Höhe von beiläufig 4 Metern über dem Boden
horizontal an der Mauer des Hauses fortlaufend im Hofe angebracht, die
unmittelbar vor einer starken für das Regenwasser bestimmten Abfallröhre
vorübergeht, ohne diese zu berühren; letztere endigt etwa 10 Centimeter über dem
Boden. Gegen 8 1/2 Uhr Abends wurden die Bewohner des Hauses durch einen
blendenden Blitz, von einer starken, einem Schusse aus einer gezogenen Kanone
ähnlichen Detonation begleitet, erschreckt, und gleichzeitig bemerkte man eine
mächtige Gasflamme an der Stelle der Gasröhre des Hofes, wo diese der
Abfallröhre gegenübersteht. Es war kein Zweifel, daß die Gasröhre an jener
Stelle durch den Blitz verletzt wurde und so dem Gas den Austritt gestattete,
das auch sogleich durch den elektrischen Funken in Flamme versetzt worden ist.
Während diese Dinge im Hofe stattfanden, kam an der Gasröhre des gegen den
Boulevard gelegenen Saales ein zwar ähnliches Ereigniß, aber von geringerem
Grade vor. Diese Röhre wurde an der Stelle, wo sie die Kaminöffnung berührt, in
Folge des Durchganges der Elektricität durchbohrt und das Gas kam ebenfalls
dabei in Flamme.“
Die Erklärung, welche Barker für diese Blitzesereignisse
gibt, geht beiläufig dahin, daß nach seinem Dafürhalten der Blitz gegen irgend einen
Punkt des aus Zink bestehenden Daches fiel, von hier aus der für das Regenwasser
bestimmten Abfallröhre folgen wollte, aber in Folge des großen Widerstandes, den die
Elektricität am Ende der Abfallröhre, wo diese dem Pflaster nur gegenübersteht, ohne
dieses zu berühren, gegen bessere Leiter in der Nähe überspringen mußte, was auch
wirklich eingetreten sey, da der Blitz von der Abfallröhre gegen die nächste Stelle
der vorbeigehenden Gasröhre übersprang; die Gasröhre im Saale aber sey vermuthlich
direct vom Dache aus durch den Kamin vom Blitze getroffen worden; beide
Erscheinungen seyen daher derselben Ursache, nämlich dem Abspringen des Blitzes oder
der Theilung des Blitzstromes zuzuschreiben, was nicht eingetreten wäre, wenn die
Abfallröhre bis in den Boden selbst verlängert gewesen wäre. Nähere Anhaltspunkte über die Umstände,
welche das Ereigniß zur gründlichen Erklärung führen könnten, gibt Barker nicht, auch die weitere Bahn des sogen.
Blitzstrahles, die dieser gegen die Erde hin genommen haben muß, wurde nicht
verfolgt; es wurde auch nicht angegeben, ob beide Gasröhren zu einer und derselben
Leitung gehörten, welchen Weg die Gasleitungen überhaupt im Boden nehmen etc., und
es ist selbst nicht erwähnt, ob das Gebäude mit Blitzableitern versehen ist, oder
nicht. Am Schlusse seines Berichtes bemerkt er noch, daß an dem gleichen Abende und
um dieselbe Zeit im Hause Nr. 17 der Rue de la
Pépinière in einer Mauerecke, wo eine Gasröhre hinter einer
Wasserleitung vorübergeht, jene auf eine Länge von 1/5 Meter geschmolzen und das Gas
in Flamme versetzt wurde.
Obgleich nun eine sachgemäße Erklärung der eben erwähnten Blitzesereignisse nicht
gegeben werden kann, da die wichtigsten Umstände, welche hierzu nöthig wären, gar
nicht ermittelt worden sind und selbst nicht einmal erwähnt worden ist, ob während
des Ereignisses oder schon längere Zeit vorher es regnete, die Constatirung einiger
an den Gasröhren eingetretenen Verletzungen aber, sowie nicht minder die dort
beobachteten Funken für die Erklärung selbst wohl nöthig, aber von untergeordneter
Natur sind, so möchte es dennoch nicht unwichtig seyn, diesen und ähnliche Fälle
besonders in's Auge zu fassen, da die Netze von Gas- und Wasserleitungen, wie
sie in großen und selbst in mittleren und kleinen Städten die verschiedensten
Stadttheile und die verschiedensten Terrainstrecken durchziehen, nicht hier das
erste Mal zu Feuersgefahren während starker Gewitter Veranlassung gegeben haben, und
wir erinnern unter Anderem an einen derartigen Fall, der am Charfreitage des Jahres
1861 in München vorkam, aus dessen BeschreibungZeitschrift des deutsch-österreichischen Telegraphenvereins,
Jahrg. 1862, S. 13. unzweideutig hervorgeht, daß man derartigen
Vorfällen durch zweckmäßige Anlegung der Blitzableiter etc. vorbeugen könnte.
Bei der Anlegung (und nicht minder bei der Construction) von
Blitzableiter-Systemen hat man nämlich, wie ich dieß schon mehrfach
hervorzuheben Gelegenheit nahm, von dem durch die Erfahrung schon längst bestätigten
Satze auszugehen, „daß jede Blitzesentladung schon im Voraus –
nämlich vor dem sog. Einschlagen – dem Wege nach, den sie befolgt,
bestimmt ist.“ Dieser Satz kann aber nach meiner Ansicht nur dadurch
begründet werden, daß man von der noch vielfach verbreiteten Ansicht absteht, als ob
der Blitz gegen irdische Objecte gleichsam sich ergieße und dabei den Weg des kleinsten Widerstandes
bis zur Erde erst während seines Durchganges aufsuche, dafür aber die sämmtlichen
Blitzeserscheinungen nur den Influenzwirkungen zuschreibt, welche von der
Gewitterwolke ursprünglich erzeugt werden.
„Jede Gewitterwolke kann nämlich – wie ich bei einer früheren
Gelegenheit bemerktePolytechn.
Journal, 1863, Bd. CLXVII S. 115. –, auch wenn sie in
weit größerer Entfernung als die Schlagweite beträgt, von der Erde sich
befindet, gegen die an der Erde befindlichen Objecte Fernewirkungen ausüben, die
denen ähnlich sind, mit welchen ein elektrisirter Körper gegen andere nicht mit
ihm in Verbindung stehende Leiter einzuwirken sucht. Diese Influenzerscheinung
ist als eine gegenseitige Einwirkung der elektrischen Gewitterwolke und der an
der betreffenden Erdstrecke befindlichen Elektricitätsleiter anzusehenZeitschrift des
deutsch-österreichischen Telegraphenvereins, Jahrg. 1862, S.
12.; den hierüber bekannt gewordenen Thatsachen gemäß kömmt
dieselbe nur dann zum Vorschein, wenn der betreffende Theil der Erdstrecke, der
noch von der Wolke influenzirt werden kann, auf ausgedehnten Wasserstrecken ruht, hingegen kommen Blitzschläge in
solchen Gegenden, wo das unterirdische Wasser sehr tief unter der Oberfläche
liegt, entweder gar nicht oder wenigstens nur dann vor, wenn durch heftige
Regengüsse eine leitende Verbindung mit dem Grundwasser schon hergestellt worden
ist. Der Weg also, den ein Blitzschlag gewöhnlich nimmt, ist daher in der Regel
schon durch die Terrainbeschaffenheit, sowie durch die Leitungsstrecke zwischen
dem unterirdischen Wasser und dem hervorragendsten Theile des irdischen Objectes
vorgeschrieben.“
Jene Leitungsstrecke allein ist es daher, die den Weg des
kleinsten Widerstandes darbietet und darbieten muß, wenn wir dieselbe künstlich
mit einem Blitzableitersysteme versehen, und in dieses alle metallischen Objecte
der Umgebung in sachgemäßer Weise einschalten.
Meiner Ansicht nach hat man daher dahin zu streben, durch fortgesetzte Registrirung
von authentisch nachgewiesenen Blitzeserscheinungen an irdischen Objecten mittelst
neuer Thatsachen nachzuweisen, daß die vorstehende Erklärungsweise mit den in der
Wirklichkeit eintretenden Erscheinungen unter allen Umständen in Einklang gebracht
werden kann; es würde sich unter Anderem dann mit Bestimmtheit entscheiden lassen,
welche von den bis jetzt vorgeschlagenen Anordnungen für Blitzableiter ihre
Functionen im Augenblicke der Gefahr verrichten, und welche nicht.
Ich zweifle nicht, daß die oben beschriebenen Blitzesereignisse ihre erkleckliche
Erklärung finden können, ohne daß man anzunehmen gezwungen ist, es sey der Blitz auf
einen Punkt des Zinkdaches gefallen und habe sich von hier aus wegen der
mangelhaften Continuität der Leitungsstrecke getheilt etc.; nur müßten auch alle
diejenigen Anhaltspunkte angegeben werden, welche zur Bestimmung der Bahn des Entladungsstromes nothwendig
sind.
Ein Fall, der in der letzten Zeit erst vorkam, dürfte geeignet
seyn, hier besonders hervorgehoben zu werden. Es ereignete sich dieser in dem schon
seit einiger Zeit verlassenen Lager der königl. bayerischen Truppen bei Schweinfurt.
Einem auf mein Ansuchen erfolgten authentischen Berichte hierüber, den ich meinem
hochverehrten Freunde Hrn. Major
Rudolf – Commandanten des 8ten k. b. Jäger-Bataillons
– verdanke, entnehme ich hierüber das Nachstehende:
„Das fragliche Elementar-Ereigniß fand am 4. Juni (dieses Jahres)
Abends 6 Uhr 25 Minuten statt. Das Gewitter – es waren übrigens deren
mehrere über uns – zog von Südwest gegen Nordost. Demselben (vermuthlich
dem Blitzesereignisse) ging ein heftiger Regenguß voraus und hatte dasselbe
einen gleich starken zur Folge. Während der Blitzes-Entladung war der
Regen nur schwach. Der Blitz schlug in ein Mannschafts-Zelt und zwar in
einen der eisernen Nägel, welche die Firststange mit den Zeltstangen verbinden,
zersplitterte letztere und ging dann an den angelehnten Gewehren auseinander. Es
waren sieben Gewehre angelehnt, wovon nur eines ohne alle Spur der Schmelzung
etc. gelassen wurde, die übrigen sechs waren sämmtlich am Schafte, resp. am
Kolben, mehr oder weniger beschädigt. Auffallend war, daß knapp an der zersplitterten Zeltstange auf dem Zeltbrete drei Packete,
36 Stück Patronen enthaltend, lagen, ohne daß diese Schaden litten. Von den im
Zelte anwesend gewesenen sieben Personen wurden alle mehr oder minder, doch
keiner lebensgefährlich, beschädigt. Der am meisten Betroffene klagt noch zur
Stunde (am 12. Juni) an Eingenommenheit des Kopfes und allgemeiner Müdigkeit.
– Am Boden war keine Spur zu sehen, nur war die ganze Zeltgasse auf Secunden mit elektrischen
Funken und Streiflichtern übersäet, so daß Jeder im ersten Augenblicke
glaubte, es habe bei ihm eingeschlagen. Das fragliche Zelt liegt
ungefähr in der Mitte zwischen dem Main und einer Waldung, und von beiden circa 600 Schritte entfernt. Die Brunnen sind
– bei 4 bis 5 Fuß Wassertiefe – höchstens 20 Fuß tief (unter der
Erdoberfläche) und haben ungefähr das Main-Niveau. Der Lagerplatz ist ganz eben und daher das Grundwasser an den
verschiedenen Stellen ohne Tiefen-Differenz.“
Ein ähnlicher Fall wie im Lager bei
Schweinfurt, ereignete sich um die gleiche Zeit am Lechfelde, wo damals ein
Theil der k. b. Truppen ein Lager bezogen hatte; die näheren Umstände über
diese Blitzesereignisse konnte ich bis jetzt nicht genau genug
ermitteln.
Wenn man die im Vorstehenden nach unmittelbaren Wahrnehmungen beschriebenen Vorgänge
betrachtet, so dürfte es gar keinem Zweifel unterliegen, daß das erwähnte Zelt
direct gar nicht vom Blitze getroffen worden ist. Die im Zelte befindlichen
metallenen Objecte, mit der Zeltstange bis zu dem eisernen Nagel in einer
discontinuirlichen Leitung befindlich, wurden mit der ganzen in der Nähe des Zeltes
befindlichen Erdstrecke, die unzweifelhaft in Folge der vorher stattgehabten starken
Regengüsse mit dem Grundwasser eine continuirliche Leitungsstrecke bildete, durch
Influenz von der über den Main gegen den auf der östlichen Seite liegenden Forst ziehenden
Gewitterwolke in den elektrischen Zustand versetzt. Diesen Influenzwirkungen sind
dann auch die in der Zeltgasse in dem Momente des Einschlagens aufgetretenen
Lichterscheinungen zuzuschreiben, und das eigentliche Einschlagen trat bei
genügender Entfernung der Gewitterwolle oder bei ihrer durch den Blitz entstandenen
Entladung in der Atmosphäre ein. Die an dem Zeltdache und an dem Erdboden
wahrgenommenen Funken sind dann namentlich der direct zur Ausströmung gekommenen
negativen Ladung zuzuschreiben, während die mit der Elektricität der Gewitterwolke
gleichnamige in Form des eigentlichen Entladungsstromes auf die unterirdische
Wasserstrecke übergieng, welcher letztere auf seiner Bahn die Schmelzungen und
mechanischen Wirkungen hervorbrachte. Uebrigens können die Erscheinungen und die
dabei aufgetretenen Wirkungen eben so leicht durch den beim Aufhören der
influenzirenden Wirkung direct entstandenen Rückschlag ihre Erklärung finden, und es
kann keinem Zweifel unterliegen, daß auch Seitenladungen dabei eine Rolle spielten,
welchen theilweise die physiologischen Wirkungen an den dabei getroffenen Personen
zugeschrieben werden dürften. Obgleich die Art und Weise, wie die sämmtlichen
Erscheinungen vor sich gegangen sind, mit Bestimmtheit sich nicht auseinandersetzen
läßt, wenn man nicht die Anordnung und den gegenseitigen Zusammenhang der
sämmtlichen durch den Erdboden mit dem Grundwasser in leitender Verbindung
gestandenen Objecte kennt, so läßt sich dennoch behaupten, daß alle dabei
vorgekommenen Erscheinungen von directen und indirecten Influenzwirkungen
herrührten, die bei ihrem Verschwinden, also im Augenblicke des Entstehens der
hierdurch in verschiedenartiger Weise erzeugten Entladungsströme, ihre sachgemäße
Erklärung finden können.
Die bis jetzt bekannt gewordenen Versuche über elektrische Influenz beziehen sich
zwar – meines Wissens – nur auf continuirlich angeordnete
Leitungssysteme von einfacher Form; mit Sicherheit geht aber aus denselben hervor,
daß die von einem elektrisirten Körper ausgeübte Influenz sich auf alle Theile des
ganzen der Influenz unterworfenen Systemes erstreckt, daß hierbei aber unter sonst
gleichen Umständen die Dichte der Elektricität von der Gestalt des influenzirten
Leiters wesentlich abhängig seyn muß und daß dieselbe an verschiedenen Stellen eines
und desselben Körpers die größten Verschiedenheiten zeigen kann. Wenn man also
annimmt, daß die von einer Gewitterwolke ausgeübte Influenz sich lediglich auf die
unterirdische Wassermasse der nächsten Umgebung erstreckt, und daß in Folge dessen
alle Objecte, die auf der influenzirten Wasserstrecke ruhen, direct und zum Theil
indirect durch Influenz geladen werden, insoferne sie nämlich dieser Einwirkung
fähig sind, so werden die beim Verschwinden der Influenzelektricität eintretenden Wirkungen nicht auf
eine einzige Stelle beschränkt bleiben können, sondern sie müssen gleichzeitig an
vielen Stellen, wenn auch in verschiedener Intensität, wahrgenommen werden,
vorausgesetzt, daß die sämmtlichen Objecte ein continuirliches Leitungssystem von
überall gleicher und ausreichender Leitungsfähigkeit nicht bilden; hingegen könnten, wenn das Leitungssystem ein
continuirliches von genügender Leitungsfähigkeit wäre, beim Verschwinden der
influenzirenden Wirkung der Wolke keinerlei Wirkungen eintreten, da selbst die durch
Influenz erzeugten Nebenströme etc. unter geeigneten Umständen unwirksam gemacht
werden können.
Es erscheint mir daher auch nicht als etwas Sonderbares, wenn beim s. g. Einschlagen
des Blitzes gleichzeitig die Funken und Wirkungen an verschiedenen Stellen
wahrgenommen werden; die Erklärung hierfür scheint mir vielmehr so einfach, daß es
nicht nothwendig seyn dürfte, anzunehmen, der Blitz habe sich auf seinem Wege zur
Erde etc. getheilt und jene Wirkungen seyen den dabei entstandenen Theil-
oder Zweig-Strömen zuzuschreiben.
Aus den Lichterscheinungen, welche gewöhnlich bei der Beschreibung von
Blitzesereignissen angegeben werden, auf die Richtung des sogen. Blitzstrahles etc.
zu schließen, erscheint mir daher auch nicht als gerechtfertigt, da keine derartige
Wahrnehmung auf einer unmittelbaren Beobachtung beruht, für welche irgend eine
Vorbereitung zuerst hätte getroffen werden können, und deßhalb, sowie namentlich
wegen der Ueberraschung, in welche die kaum 1 Secunde andauernde und plötzlich
eintretende Blitzeserscheinung mit allen ihren gleichzeitig dabei auftretenden
Wirkungen die Beobachter versetzt, dürften auch derlei Angaben nur mit der äußersten
Vorsicht benutzt werden. Ich halte es, den oben gegebenen Erörterungen gemäß, für
möglich, daß bei den meisten vorkommenden Blitzschlägen eine directe
Blitzeserscheinung äußerst selten, in den meisten Fällen aber gar nicht vorkam,
sondern daß vielmehr alle dabei beobachteten Blitze nur den Entladungsfunken
zugeschrieben werden dürfen, welche bei dem Zustandekommen der Entladungsströme
– und selbst zuweilen bei den durch diese erzeugten inducirten Strömen
– an Stellen von mangelhafter Continuität und Leitungsfähigkeit in größerem
oder geringerem Grade auftreten mußten. Selbst die an der Spitze eines
Blitzableiters oder an dem obersten metallischen Ende irgend eines irdischen
Objectes beim sogen. Einschlagen auftretende Lichterscheinung dürfte in vielen Fällen nicht einmal der directen Ausgleichung der
Elektricität zwischen jenem sogen. Auffänger und der Wolke zuzuschreiben seyn. Die
Dichte der zwischen dem neutralen Gürtel und der Spitze oder dem Ende des Auffängers influenzirten
Elektricität ist weit größer als die mit ihr ungleichnamige irgend einer Stelle des
Ableiters selbst; es kann daher nicht auffallend seyn, wenn die beim sogen.
Einschlagen an der Spitze ausströmende Elektricitätsmenge mächtige Licht- und
Wärmewirkungen erzeugt, von welchen jene der von uns vermuthete von der Wolke
herabgekommene Blitz ist. Wenn übrigens auch die Gewitterwolke so tief herabhängen
würde, daß eine directe Ausgleichung zwischen einem Theile der Elektricität dieses
atmosphärischen Conductors und der negativen Ladung des Auffängers eintreten könnte,
so rühren dennoch die in der Nähe der Erde eingetretenen Wirkungen nicht von einem
directen Blitzschlage, sondern lediglich von den Entladungsströmen her, welche in
Folge des Ueberganges der durch Influenz entstandenen positiven Ladung im unteren
Theile des Blitzableiters etc. zur unterirdischen Wasserstrecke entweder direct oder
indirect zu Stande gekommen sind.
Ich habe nicht die Absicht, den hier besprochenen Gegenstand noch weiter auszuführen
und andere Konsequenzen anzureihen, die sich auf die Formen der wirklichen
Blitzeserscheinungen beziehen, wie solche zwischen den Wolkengebilden selbst etc.
auftreten, da ich den eigentlich praktischen Standpunkt, den ich bei meinen
Erörterungen allein im Auge hatte, bei dieser Gelegenheit nicht verlassen darf.
Hingegen kann ich nicht unterlassen, noch anzuführen, daß die oben erwähnte
principielle Grundlage, von der ich bei der Anordnung von Blitzableitern für Gebäude
ausgegangen bin, nicht bloß durch eine große Anzahl der Thatsachen, die ich in
meiner Bearbeitung über BlitzableiterHandbuch
der angewandten Elektricitätslehre, mit besonderer Berücksichtigung der
theoretischen Grundlagen. Leipzig 1866, bei Leopold Voß. Erster Abschnitt, S. 267. zusammenstellte,
bestätigt wird, sondern daß auch außer den oben erwähnten Fällen die neueste Zeit
sehr wichtige Belege hierfür geliefert hat. Zu diesen zähle ich namentlich die von
P. von Salis in seiner AbhandlungZeitschrift des deutsch-österreichischen
Telegraphenvereins, Jahrgang VIII, Seite 174–180.
„über die Einwirkungen der Luftelektricität auf die Telegraphenlinien der
schweizerischen Hochalpen“ zusammengestellten Fälle von
Blitzesentladungen gegen die Telegraphen des vierten schweizerischen
Telegraphenkreises während der Jahre 1852 bis 1860. Die Linien dieses Kreises sind
über 8 Alpenübergänge und Bergrücken geführt mit folgenden Höhen: Bernina 2334,
Julier 2287, Ofen 2155, St. Gotthard 2114, St. Bernhardin 2063, Maloja 1811,
Lenzerhaide 1551 und Monte-Cenere 553 Meter, und dennoch kamen die meisten
Blitzesereignisse, sowie die heftigsten nur an Stellen vor, die zwischen 200 und 500 Meter über
dem Meere liegen, während in 2000 Meter Seehöhe nur 1 Fall, in 1500 Meter kein, in
1000 Meter Höhe auch nur 1 Fall sich ereignete. Seine Erörterungen führen Hrn.
von Salis zu
Folgendem:
„Werden sämmtliche Localitäten, wo in diesem Kreise
Luftelektricitätsentladungen stattfanden, näher in's Auge gefaßt, so findet
man:
1) daß merkwürdiger Weise alle und jede Luftelektricitätsentladung in
unmittelbarer Nähe eines kleineren oder größeren Baches oder Flusses, ferner bei
der zur Ueberführung der unterseeischen Linie verwendeten Telegraphenstange am
Ufer des Vierwaldstätter See's und im unterseeischen Tau durch den
Lago-Maggiore vorkamen und nirgends eine Entladung anderswo
stattfand;
2) daß die Luftelektricitätsentladungen seither weit häufiger in den Niederungen,
jedoch selbst von höheren und niederen Bergen umschlossenen Thälern, als bei den
hohen Alpenübergängen vorkamen.“
Derartige Thatsachen dürften nach meiner Ansicht weit wichtigere Aufschlüsse über die
Anordnung von Blitzableitern für Gebäude im Allgemeinen geben, als die Versuche,
welche wir im Kleinen über die Wirkungsweise der Blitzableiter durch Leydner
Batterien etc. durchzuführen im Stande sind; letztere können nur bezüglich der
Construction einzelner Theile des Blitzableiters, wenn sie unter sachgemäßen
Umständen ausgeführt worden sind, wichtige Anhaltspunkte, jedoch keine bindenden
Maßregeln für ein ganzes Blitzableiter-System liefern. Außerdem dürfte es
nicht unstatthaft seyn, die Meinung auszusprechen, daß überall, wo Blitzschläge an
irdischen Objecten und der Erdoberfläche selbst eintreten, die getroffene Erdstrecke
auf einer ausgedehnten Wasserstrecke, die im Inneren der Erde nicht weit von der
Oberfläche sich befindet, ruhen müsse. Man kann daher, wenn solche Ereignisse in
einem Walde oder auf einer ausgedehnten Haide u.s.w. vorkommen, mit großer
Wahrscheinlichkeit vorhersagen, daß an solchen Stellen, die – nach dem
gebräuchlichen Ausdrucke – zunächst von dem Blitze getroffen worden sind,
unterirdisches Wasser in nicht beträchtlicher Tiefe durch Bohrung aufgefunden werden
dürfte; daß hingegen in solchen Gegenden, in denen die Blitzschläge gegen irdische
Objecte zu den größten Seltenheiten gehören, selbstständige Brunnen nicht angelegt
werden können, wenn man nicht bis zu solchen Tiefen zu bohren im Stande ist, die mit
den Nächstliegenden Flußthälern in einem Niveau sich befinden.
Zum Schlusse meiner Betrachtungen mag es gestattet seyn, die nachstehenden
praktischen Folgerungen, welche unter Anderem meiner
Ansicht nach aus denselben gezogen werden dürften, besonders hervorzuheben (wobei
ich bezüglich des dazu gehörenden Details auf meine früheren Arbeiten mich zu
berufen erlaube):
1) Bei der Anlegung von Blitzableitern für Gebäude hat man nicht von dem obersten
Theile, dem sogen. Auffänger etc. auszugehen, sondern man hat zunächst die
Terrainstrecke zu untersuchen, auf der das Gebäude ruht, d.h. man hat
nachzuforschen, ob diese Strecke auf ausgedehntem Grundwasser sich befindet und
zunächst auf die Einrichtung der Bodenleitung und die unmittelbare Ausleitung der letzteren in das Grundwasser Bedacht zu
nehmen.
In Gegenden, welche an keinen der durch Bohrungen etc. untersuchten Stellen
selbstständige unterirdische Wasserstrecken oder
wenigstens solche in sehr bedeutender Tiefe antreffen
lassen, reicht es aus, die Ausleitungen bis nur wenige Fuß im Boden nach der
vorgeschlagenen Weise anzubringen; dabei muß man aber hierzu diejenigen
Bodenschichten wählen, welche die Durchdringung des Regenwassers gestatten.
Erst wenn die Angelegenheiten bezüglich der Bodenleitung festgestellt sind, hat man
die übrigen Constructionen in sachgemäßer Weise anzuordnen: nämlich über die
Beschaffenheit, den Querschnitt, die Führung der oberirdischen Leitung u.s.w., die
gehörigen Bestimmungen zu treffen.
3) Für einzelne der Gebäude, die sämmtlich auf der gleichen Terrainstrecke sich
befinden, gibt es keinen Blitzableiter, der alle übrigen gegen Blitzschläge zu
schützen vermag; in allen solchen Fällen, und diese kommen auf dem platten Lande,
sowie namentlich in großen Städten am häufigsten vor, hat man ein
Blitzableiter-System für eine jede der Gebäudegruppen gemeinschaftlich herzustellen, dessen Anordnung nach
sachgemäßen Grundregeln sich richten muß, und das, mit der unterirdischen
Wasserstrecke in unmittelbarem Zusammenhange stehend,
gleichsam ein ganz continuirliches Leitungssystem von ausreichender
Widerstandsfähigkeit für elektrische Entladungs-Ströme bildet, ohne daß an
irgend einer Stelle des Systemes eine eigentliche Ladung oder Ansammlung der
Influenzelektricität stattfinden oder Seitenentladungen, getrennte oder secundäre
Ströme dabei zur wahrnehmbaren Wirksamkeit kommen können.
3) Wenn man hingegen, wie dieß bis jetzt fast immer noch geschieht, bloß für ein
einzelnes Gebäude einer ganzen Reihe oder Gruppe einen Blitzableiter anlegt, so ist
damit keine Fürsorge getroffen, daß andere größere oder kleinere Gebäude in der
nächsten Nähe von jenem gegen Blitzschläge gesichert sind. Es kann vielmehr bei
einem eintretenden Blitzschlage das mit einem tadellosen Blitzableiter bewaffnete
Gebäude vollkommen geschützt bleiben, während ein anderes nahe liegendes ohne
Blitzableiter die Blitzeswirkungen erfahren kann. Es lassen sich sogar Fälle (von nicht geringer Zahl)
aufweisen, bei denen solche Vorgänge eingetreten sind; manche jener Fälle zeigen
sogar, daß in Folge der mangelhaften Bodenleitung des Blitzableiters eines
bewaffneten und höher liegenden Gebäudes ein anderes in der Nähe liegendes kleines
Gebäude bei eingetretenem sogen. Blitzschlage gezündet worden ist, während jenes
verschont blieb. Eine Wirkungssphäre oder einen sogen. Schutzkreis, den ein einziger
Blitzableiter mit hoher Auffangstange für andere Objecte der nächsten Umgebung nach
der größtentheils noch herrschenden Ansicht darbieten soll, gibt es in dem Sinne,
wie man ihn gewöhnlich annimmt, gar nicht; in einem anderen Sinne aber, auf dessen
Erklärung wir wohl hier nicht einzugehen brauchen, könnte man allerdings von einer
Wirkungssphäre von Blitzableitern überhaupt sprechen.
4) Die Wirksamkeit eines tadellos construirten und richtig angelegten Blitzableiters
besteht bloß darin, die bei einem auftretenden Gewitter gegen die unterirdischen
Wasserstrecken etc. etc. der betreffenden Gegend eintretenden Influenzwirkungen für
die irdischen Objecte der Umgebung in jeder Beziehung unschädlich zu machen; es kann
daher nicht als statthaft erscheinen, einen Blitzableiter gleichsam als einen
Conductor oder als einen Ansammler der Wolkenelektricität zu betrachten. Aus diesem
Grunde hat auch der oberste Theil des Blitzableiters nicht die Function eines
Auffängers oder eines Saugers zu verrichten, wenn man auch diese Ausdrücke als
technisch eingebürgerte beibehält; das oberste Ende des Blitzableiters soll vielmehr
so angeordnet seyn, daß es die Spitzenwirkung für Influenzelektricität in der
möglich vollkommensten Weise auszuüben vermag,Hiermit dürfte auch unter Anderem die von Peltier (im Bulletin de l'Académie
royale de Belgique, 2. série, t.
XXI p. 132, Februar 1866) betrachtete Frage:
„Faut-il terminer les
paratonnerres par des pointes ou par des boules?“
ihre erkleckliche Erledigung finden können, wenn nicht die von Peltier angeregten Zweifel schon längst ihre
Beseitigung gefunden haben würden. während der unterste im Boden befindliche Theil desselben nicht bloß
von genügender Leitungsfähigkeit seyn muß, sondern mit großer Oberfläche und nicht
in Spitzenform dem Grundwasser etc. zugeführt werden soll.
5) Ebenso, wie man bei einem tadellosen Blitzableiter-Systeme alle
ausgedehnten Metallstrecken eines Gebäudes in das System so einschalten muß, daß
weder directe noch Neben-Wirkungen bei eintretenden Influenzvorgängen zu
Stande kommen können, ist es auch nothwendig, die an Gebäuden etc. vorüberziehenden
Gas- und Wasserleitungs-Röhren in das System in sachgemäßer Weise
aufzunehmen. Die Vorschläge aber, nach welchen man die größeren Gas- oder
Wasserleitungs-Röhren als eigentliche unterirdische Bodenleitung der
Blitzableiter verwenden solle, dürften, wenn solche zur Ausführung kommen würden,
Gefahren herbeiführen, für welche gleichfalls sich schon nicht uninteressante Belege
aufweisen lassen.
München, 6. Juli 1866.