Titel: | Neue Beobachtungen über die Einwirkung der Mineralsäuren auf den Runkelrübensaft und über die Benutzung derselben bei der Rübenzucker-Fabrikation; von Keßler-Desvignes. |
Fundstelle: | Band 183, Jahrgang 1867, Nr. LXXXV., S. 303 |
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LXXXV.
Neue Beobachtungen über die Einwirkung der
Mineralsäuren auf den Runkelrübensaft und über die Benutzung derselben bei der
Rübenzucker-Fabrikation; von Keßler-Desvignes.
Aus den Comptes rendus, t. LXIII p. 803; November
1866.
Keßler, über ein neues Verfahren zur Scheidung des
Rübensaftes.
Ich habe folgende Beobachtungen gemacht:
1. Die zur Scheidung des Saftes – selbst in weit größeren Mengen als zu diesem
Zwecke erforderlich ist – bei der gewöhnlichen Temperatur angewendeten Säuren
intervertiren den im Safte enthaltenen Zucker durchaus nicht; es genügt folglich, um
diese Art von Veränderung zu vermeiden, die Säuren vor dem Erhitzen des Saftes mit
einer Basis zu sättigen.
2. Dagegen verhindern die Säuren die Schleimgährung, und ohne Zweifel auch die
Entwickelung anderer Fermente. Sie wirken kräftig antiseptisch und treten somit
einerseits der Entstehung der schleimigen Substanz entgegen, welche, wie Versuche
mir bewiesen haben, eine Hauptursache der schlechten Betriebsresultate in den
Zuckerfabriken ist; andererseits verhindern sie die Zerstörung des Zuckers durch die
Fermente, welchen derselbe überlassen ist, sobald die Reibmaschine die Zellen
zerrissen hat, eine Zerstörung, welche weit beträchtlicher ist und einen viel
rascheren Verlauf hat, als man allgemein glaubt.
Der nachstehende, leicht zu wiederholende Versuch stellt diese antiseptische Wirkung
der Säuren in klares Licht.
Man versetze eine Portion Rübensaft mit 5 Proc. desselben bereits schleimig
gewordenen Saftes und theile diese Flüssigkeit in zwei gleiche Antheile, die man in
zwei verschiedene Gefäße bringt. Den einen Antheil versetze man mit 2,5 bis 3
Tausendteln seines Gewichtes Schwefelsäure von 66° Baumé. Am anderen
Tage wird man bemerken, daß der nicht angesäuerte Antheil des Saftes trübe und
schleimig geworden, hingegen der andere Antheil über dem von seiner (kalten)
Scheidung herrührenden Niederschlag klar und flüssig geblieben ist.
Die in der folgenden Tabelle mitgetheilten, vor zwei Jahren ausgeführten Versuche
liefern den Beweis, daß, während der nicht angesäuerte Rübensaft diese schleimige
Veränderung erleidet, gleichzeitig sein Gehalt an krystallisirbarem Zucker mehr und
mehr abnimmt.
Die zu diesen Versuchen angewendeten Runkelrüben stammten aus den Departements der
Oise und des Pas-de-Calais. Der durch das Zerreiben derselben
erhaltene Brei wurde mit 5 bis 6 Proc. von demselben, aber bereits von selbst
schleimig gewordenen Brei versetzt und dann sogleich in so viele Antheile von 200
Grm. getheilt, als Versuche angestellt wurden. Ich erhielt die nachstehenden
Resultate:
Textabbildung Bd. 183, S. 304
Substanzen, welche dem Gemische von
frischem Brei mit 5 Proc. schleimig gewordenem Brei zugesetzt wurden; Tag und
Stunde des Versuches; Polarimetergrade; Verlust in Polarimetergraden; Verlust
per Stunde in Polarimetergraden;; Breigemisch
ohne Zusatz; 1. September 1864; Reine Fluorwasserstoffsäure von 18°
Baumé; 2. Septbr. 1864; Schwefelsäure von 66° Baumé;
Kieselfluorwasserstoffsäure von 30° Baumé; Krystallisirtes
Fluormagnesium; Fluoraluminium, unmittelbar vor der Anwendung durch Sättigen von
0,0025 käuflicher Thonerde mit Fluorwasserstoffsäure von 18° B. bereitet;
Schwefelsaure Thonerde des Handels; Saurer phosphorsaurer Kalk von 6° des
Dichtigkeitsmessers; Saurer phosphorsaurer Kalk mit geringem
Schwefelsäureüberschuß Breigemisch ohne Zusatz
Aus diesen Versuchen ergibt sich, daß die Säuren, der bisherigen Annahme zuwider, den
Zucker in den Säften bei gewöhnlicher Temperatur gegen die zerstörende Wirkung der
Fermente schützen, anstatt ihn zu intervertiren.
Dieselben Versuche wurden, nachdem die Rüben bereits längere Zeit aufbewahrt worden
warm, wiederholt und gaben noch überzeugendere Resultate. Die kräftigsten Säuren
sind (bei gewöhnlicher Temperatur) bessere Schutzmittel für den Zucker, als die
schwächeren; ich muß jedoch bemerken, daß von letzteren diejenigen, welche nach der
vorstehenden Tabelle nicht conservirend auf den Zucker gewirkt haben, dennoch ein
für die Verarbeitung des Saftes sehr günstiges Resultat lieferten, indem sie das
Schleimigwerden desselben verhüteten.
3. Der durch die Saftveränderung entstehende Zuckerverlust läßt sich durch Zusatz
saurer Substanzen leicht vermeiden.
Fluorwasserstoffsäure, Kieselfluorwasserstoffsäure, Phosphorsäure und mehrere ihrer
sauren Verbindungen, z.B. Kieselfluormagnesium, welches ich mit großer Leichtigkeit
krystallisirt erhalten habe, Kieselfluoraluminium, Kieselfluormangan, die
Biphosphate von Kalk, Magnesia und Thonerde, der in Fluorwasserstoffsäure (oder
Phosphorsäure), in Kieselfluorwasserstoffsäure, Chlorwasserstoffsäure oder
Salpetersäure gelöste phosphorsaure Kalk, ja selbst die beiden letzteren Säuren für
sich, verursachen, wenn sie in der geeigneten Menge zugesetzt werden, niemals einen
Zuckerverlust, und können ohne Nachtheil für die Arbeiter und für den Rübenbrei
angewendet werden.
4. Um den angesäuerten Saft vollständig zu scheiden, braucht man nur die Säuren mit
gewöhnlichem oder dolomitischem Kalkstein zu sättigen. – Zur besseren
Läuterung kann man gewisse basische Körper, z.B. phosphorsauren und flußsauren Kalk
in dem angesäuerten Safte lösen, ehe man ihn mit kohlensaurem Kalt versetzt, welche
dann durch letzteren gefällt in den Niederschlag eingehen. Auf diese Weise führt man
bei der Arbeit im Großen eine Art von Analyse aus, indem man aus dem Safte zunächst
die durch die hinzugefügten Mineralsäuren in Freiheit gesetzten unlöslichen
organischen Säuren abscheidet, und dann die löslichen organischen Säuren (sammt den
zugefügten basischen Körpern) durch kohlensauren Kalk fällt.
Ein Hauptvortheil dieser Methode ist, daß man eine ganz vollständige Scheidung in
einem Safte erzielt, der gar keinen Kalküberschuß enthält, so daß man ihn
unmittelbar abdampfen und verkochen kann, ohne ihn saturiren oder über Knochenkohle
filtriren zu müssen.
Wir haben also in den Säuren kräftige antiseptische Mittel, welche vor dem Kalk den großen Vortheil
besitzen, dem Rübenbrei ohne Nachtheil für die Thiere zugesetzt werden zu können,
somit sogleich nach dem Zerreiben der Rübe den Zucker gegen jede Gährung schützen
und uns in Stand setzen, in einer einzigen Operation, anstatt zweier, aus dem
Rübenbrei einen ganz geschiedenen Saft zu erhalten, welcher durch eine zweite
Operation, die der Saturation mit Kohlensäure entspricht (aber viel einfacher und
regelmäßiger ist, weil sie im Zusatz einer bloßen Kalkmilch besteht), sofort
hinreichend rein wird, um bei der Krystallisation eben so viel Zucker zu liefern,
als wenn er über Massen von Knochenkohle filtrirt worden wäre.
Die gegenwärtige Campagne ist schon die dritte, wobei die Verwendung der Säuren in
großem Maaßstabe ausgeführt wird, und die zweite, welche mehrere von mir speciell
für die Anwendung dieses Verfahrens errichtete Fabriken in regelmäßigem Betriebe
durchmachen; das vollständige Gelingen der Operationen in diesen Fabriken, die
Sicherheit und Oekonomie ihrer Arbeit, haben meine Erwartungen von diesem Verfahren
gerechtfertigt.