Titel: | Die Beleuchtung mit Gas aus Petroleum-Rückständen in der Locomotiv-Fabrik von Krauß und Comp. zu München. |
Fundstelle: | Band 184, Jahrgang 1867, Nr. CIX., S. 485 |
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CIX.
Die Beleuchtung mit Gas aus
Petroleum-Rückständen in der Locomotiv-Fabrik von Krauß und Comp. zu München.
Aus Schilling's Journal für Gasbeleuchtung, April 1867,
S. 152.
Mit Abbildungen auf Tab.
VII.
Schilling, über Beleuchtung mit Gas aus
Petroleum-Rückständen.
In der neu errichteten hiesigen Locomotiv-Fabrik von Krauß u. Comp., welche außerhalb des Rayons der
städtischen Gasbeleuchtung gelegen ist, wird das zur Beleuchtung dienende Gas
mittelst des patentirten Apparates von Hrn. Dr. H. Hirzel in Leipzig aus Petroleum-Rückständen
dargestellt. Durch die Güte des Hrn. Directors Krauß bin ich in den Stand gesetzt, über diese
Beleuchtungsart, welche jetzt seit länger als drei Monaten im Gange ist, die
erforderlichen Daten zu sammeln, um eine Calculation über die Kosten anstellen, und
sie mit der gewöhnlichen Steinkohlengasbeleuchtung vergleichen zu können.
Das zur Darstellung dienende Material ist der bei der Reinigung oder Raffinirung des
Petroleums sich ergebende Rückstand, eine braune bis schwarze, ziemlich dick-
und zähflüssige Substanz. Von den zwei bisher verwendeten Sorten war die eine von
Hrn. Dr.
Hirzel geliefert, die andere aus Galizien. Erstere zeigte
ein spec. Gewicht von 0,89 und war heller und leichter als letztere. Bis 360°
C. destillirte bei der Untersuchung nichts über, erst durch zwei Bunsen'sche Brenner konnten 89 Gramme der Substanz zum
Sieden gebracht werden, und giengen in einer halben Stunde 15 Proc. von 0,815 spec.
Gew. über. Beim galizischen Oel, welches ein spec. Gewicht von 0,95 besaß,
destillirten bis zu 180° unter sehr starkem Aufschäumen 2,7 Proc. über, von
180° bis 360° dagegen nichts, und konnten 113 Gramme Substanz durch
zwei Bunsen'sche Brenner nicht zum Sieden gebracht
werden, wobei nur sehr wenig überging.
Der in Fig. 23
und 24
abgebildete Apparat, welcher zur Darstellung des Gases dient, besteht aus einer
gußeisernen Retorte von 5 1/2 Fuß Länge und 6 Zoll Weite. Diese Retorte liegt
horizontal in einem kleinen gemauerten Ofen; zur Heizung derselben wird meist Torf
verwandt. Das Destillationsmaterial wird mittelst einer Pumpenvorrichtung in den
hinteren Theil der Retorte hineingedrückt, indem in einem als Speisungsreservoir
dienenden Gefäß ein mit massivem Kolben versehener Pumpenstiefel steht, von dessen
unterem Ende das zur Retorte führende Speiserohr abzweigt. Die Stange des Kolbens
ist mit Gewicht derart beschwert, daß der zur Speisung der Retorte erforderliche
Druck hergestellt ist. Außerdem ist die Stange mittelst einer durch einen
Flaschenzug laufenden Schnur mit einem Windflügel in Verbindung gebracht, der durch
das Sinken des Kolbens in Bewegung gesetzt und dessen Gang durch ein Schlagwerk dem
Ohr des bedienenden Arbeiters hörbar gemacht wird. Das sich in der Retorte
entwickelnde Gas tritt durch ein vom Mundstück derselben aufsteigendes vierzölliges
Rohr durch die Wand des Gebäudes in's Freie hinaus, und dort in einen 7 Fuß langen
und 12 Zoll weiten Condensator aus Eisenblech, der zur besseren Vertheilung des
Gases mit Ziegelsteinen ausgesetzt ist. Die Condensationsproducte laufen am unteren
Ende des Condensators durch ein syphonförmig gebogenes Rohr ab, und werden in das
Speisereservoir zurückgeführt. Vom oberen Ende des Condensators führt ein
zweizölliges Rohr das Gas in den ebenfalls im Freien stehenden Gasbehälter, und von
hier aus vertheilt es sich dann durch eine schmiedeiserne Röhrenleitung zur Speisung
der in den verschiedenen Fabrik-Localitäten angebrachten circa 200 Brenner. Eine Gasuhr ist nicht aufgestellt,
zur Messung des Gases dient die Scala des Gasbehälters. Um mich über das Maaß zu unterrichten, habe ich
mich durch Nachmessen überzeugt, daß der Umfang des Behälters 45,55 Fuß bayer.
beträgt und daß 600 Kubikfuß der Scala einer Höhe von 3,67 Fuß bayer. entsprechen.
Hiernach ist also die Scala nach bayerischem Maaß eingetheilt und sind, wenn wir in
dieser Darstellung nach englischem Maaße rechnen wollen, 100 Kubikfuß der Scala =
87,8 Kubikfuß engl. zu setzen. Die Kosten der Anlage exclusive Röhrenleitung (welche
für die Calculation nicht in Betracht gezogen werden darf) betragen rund 3000
fl.
Die Beleuchtung wurde bereits im December v. J. eröffnet, da jedoch im Anfang der
Betrieb noch kein ganz regelmäßiger war, so ist der erste Monat für diese
Darstellung ganz außer Betracht gelassen.
Im Monat Januar d. J. wurden 920 Pfd. Material vergast und daraus 12,100 K. F. bayer.
= 10,624 K. F. engl. Gas producirt. Hierzu wurden für 15 fl. 45 kr. Heizmaterial und
29 fl. 40 kr. Arbeitslohn verbraucht. Der Consum betrug in 8889 Brennstunden 12,600
K. F. bayer. = 11,063 K. F. engl.
Im Monat Februar wurden 960 Pfd. Material vergast, und daraus 12,200 K. F. bayer. =
10,712 K. F. engl. Gas producirt. Hierzu wurden für 12 fl. 36 kr. Heizmaterial und
22 fl. – kr. Arbeitslohn gebraucht. Der Consum betrug in 7974 Brennstunden
11,200 K. F. bayer. = 9834 K. F. engl.
Die Ausbeute an Gas aus einem Zoll-Centner Material betrug
somit
im Januar
1155 K. F. engl.
im Februar
1116 „
„
–––––––––––––
im Durchschnitt
1135 K. F. engl.
An Heizmaterial wurde gebraucht pro
1000 K. F. engl. Gasproduction
im Januar
1 fl. 29 kr.
im Februar
1 fl. 11 kr.
––––––––
im Durchschnitt
1 fl. 20 kr.
An Arbeitslohn wurde ausgegeben pro
1000 K. F. engl. Gasproduction
im Januar
2 fl. 47 kr.
im Februar
2 fl. 3 kr.
–––––––
im Durchschnitt
2 fl. 25 kr.
Der Gasconsum pro Stunde und Brenner betrug
im Januar
1,25 K. F. engl.
im Februar
1,23 „ „
–––––––––––––
im Durchschnitt
1,24 K. F. engl.
Der Preis des Rohmaterials betrug 11 fl. pro Centner.
Die Anlage ausschließlich der Röhrenleitung hat rund 3000 fl. gekostet. Für dieses
Capital ist eine Verzinsung von 5 Proc. und eine Amortisation von wenigstens 2 Proc.
in Rechnung zu bringen, also im Ganzen wenigstens 7 Proc. oder 210 fl. per Jahr. Um zu sehen, wie sich diese Ausgabe auf je
1000 K. F. engl. Gasproduction vertheilt, ist es nöthig, die Jahresproduction zu
ermitteln. Man kann annehmen, daß der Consum in den beiden Monaten Januar und
Februar etwa 20 Proc. vom Consum des ganzen Jahres ausmacht, es berechnet sich also
für unseren Fall der Jahresconsum auf 20,897 × 5 = 104,485 oder rund 104,500
K. F. engl. und trifft auf 1000 K. F. Production 210/104,5 fl. = 2 fl. 1 kr. für
Verzinsung und Amortisation.
Die laufende Unterhaltung der Apparate dürfte mit 50 fl. per Jahr gewiß nicht zu hoch in Anschlag gebracht seyn, dieselbe würde
sich nach Obigem auf 1000 K. F. engl. Production zu 50/104,5 fl. = 29 kr.
berechnen.
Es calculiren sich somit die 1000 K. F. engl. producirten Gases, wie folgt:
Material (11 × 1000)/1135
= 9 fl. 41 kr.
Heizmaterial
1 fl. 20 kr.
Arbeitslohn
2 fl. 25 kr.
Unterhaltung
– fl. 29 kr.
Verzinsung und Amortisation
2 fl. 1 kr.
––––––––––
15 fl. 56 kr.
Diese Calculation gilt für die Annahme, daß der Jahresconsum eine Höhe von 104,500 K.
F. engl. erreicht. Bei Gelegenheit der Lichtproben war der Umstand auffällig, daß
dieselben Brenner, wie sie durchgehends in der Fabrik angewandt sind, bei dem
gewöhnlichen Betriebsdruck nur einen Consum von 0,6 bis 0,8 K. F. engl. ergaben,
während der Durchschnitt der beiden Monate Januar und Februar 1,24 K. F. engl. pro Flamme und Stunde nachweist. Es entstand die
Vermuthung, daß ein bedeutender Theil des producirten Gases durch Undichtigkeiten
verloren gegangen seyn müsse, und eine von Hrn. Director Krauß veranlaßte Untersuchung der Leitungsröhren
durch den hiesigen Aichmeister Hrn. Stollnreuther ergab, daß wirklich im Ganzen 12,24 K. F. engl. Gas
bei normalem Druck per Stunde verloren gehen. Die
Hofleitung, welche auch die vorderen Localitäten speist, verliert bis an's Haus,
soweit sie beständig mit
dem Gasbehälter in Verbindung steht,
5,24 K. F. per Stunde
Die Leitung in den vorderen
Localitäten, die bei Tage geschlossen
ist, verliert
1,00 K. F. per
Stunde
Die Leitung für die
Fabriklocalitäten, welche gleichfalls
bei Tage geschlossen ist,
verliert
6,00 K. F. per
Stunde
––––––––––––––––––
Gesammtverlust
12,24 K. F. per Stunde
Hiernach läßt sich der Gesammtverlust, der während der Monate Januar und Februar
stattgehabt hat, annähernd berechnen.
Aus der Hofleitung bis zum vorderen Hause sind entwichen, wenn der Verlust bei Tage
während des schwächeren Druckes halb so groß angenommen wird, als der Verlust bei
Nacht
5,24 × 12 × 59 + 2,62 × 12 × 59
5565 K. F.
Aus den beiden Leitungen, welche bei
Tage abgeschlossen waren, sind entwichen:
1) Vordere Leitung, die täglich 2 Stunden
im Durchschnitt geöffnet war 59
× 2 × 1
118 K. F.
2) Fabrikleitung, die im Ganzen 337
Stunden geöffnet war 337 ×
6
2022 K. F.
––––––––
7705 K. F.
Hiernach wären also von den oben als Consum berechneten 20,897 K. F. nur 13,192 K. F.
engl. wirklich zur Beleuchtung verbraucht worden, das Uebrige wäre verloren
gegangen. Es ist gar keine Frage, daß der Verlust durch Verbesserung der Leitung auf
10 Proc. des Consums heruntergebracht werden kann; er hätte also statt der oben
gefundenen circa 7705 K. F. nur höchstens 1319 K. F.
betragen dürfen, und wäre dann für die Monate Januar und Februar nicht eine
Production von 21,336 K. F. engl., sondern von nur 14,511 oder rund 14,500 K. F.
engl. nöthig gewesen. Bei Annahme dieses Verhältnisses berechnet sich auch der
Consum für das ganze Jahr nicht auf 104,500 K. F. engl., sondern nur auf 14,500
× 5 = 72,500 K. F. und die Verzinsung und Amortisation pro 1000 K. F. Production auf 2 fl. 54 kr., sowie die Unterhaltung pro 1000 K. F. engl. auf – fl. 41 kr.
Die oben aufgestellte Calculation verändert sich somit unter Berücksichtigung des
Umstandes, daß statt des bisherigen Verlustes von etwa 37 Proc. ein solcher von
höchstens 10 Proc. hätte stattfinden dürfen, wie folgt:
Material pro 1000 K. F. engl. wie
oben
9 fl. 41 kr.
Heizmaterial deßgl.
1 fl. 20 kr.
Arbeitslohn deßgl.
2 fl. 25 kr.
Unterhaltung
– fl. 41 kr.
Verzinsung und Amortisation
2 fl. 54 kr.
–––––––––
Gesammtkosten pro 1000 K. F. engl.
17 fl. 1 kr.
Um die Kosten dieses Gases mit denen des gewöhnlichen Steinkohlengases vergleichen zu
können, wurde eine Anzahl Lichtversuche angestellt und ergaben diese folgende
Resultate:
1) Versuche mit einem Schnittbrenner, wie sie als Brenner Nr.
II in der Fabrik angewandt werden. Druck 0,8''. Spec. Gewicht des Gases 0,86.
Bei 0,604 K. F. engl. Consum per Stunde
5 1/2 Stearinkerzen Helle (Consum der Kerze 10,4 Gramme Stearin per Stunde. Flammenhöhe 2,2 Zoll engl.) Also 1 K. F.
engl. Gas = 94,7 Gramme Stearin.
2) Versuche mit einem Lochbrenner, wie sie ebenfalls in der
Fabrik angewandt werden. Druck, spec. Gewicht des Gases, Normalkerze wie sub 1.
Bei 0,55 K. F. engl. Consum per Stunde
4,75 Kerzen Helle. Also 1 K. F. engl. Gas = 89,8 Gramme Stearin.
3) Versuche mit einem Schnittbrenner, wie sub 1, Druck 1,4 Zoll, spec. Gewicht des Gases und
Normalkerze wie sub 1.
Bei 0,82 K. F. engl. Consum per Stunde
7 Kerzen Helle. Also 1 K. F. engl. Gas = 88,8 Gramme Stearin.
4) Versuche mit einem Schnittbrenner für Boghead-Gas.
Die übrigen Verhältnisse wie sub 3.
Bei 1,21 K. F. engl. Consum per Stunde
12 1/2 Kerzen Helle. Also 1 K. F. Gas = 107,4 Gramme Stearin.
5) Versuche mit einem Lochbrenner wie sub 2. Die übrigen Verhältnisse wie sub 3.
Bei 0,772 K. F. engl. Consum per Stunde
6 1/2 Kerzen Helle. Also 1 K. F. Gas = 87,6 Gramme Stearin.
Im Durchschnitt aus allen Versuchen entspricht also
1 K. F. Petroleumgas = 93,66 Grammen Stearin.
Was nun das Steinkohlengas betrifft, so muß in München nach dem zwischen Magistrat
und Gasgesellschaft bestehenden Vertrage eine Flamme von 4 1/2 K. F. engl. Consum
per Stunde eine Leuchtkraft von 10 Stearinkerzen
derselben Qualität haben, wie sie bei den oben stehenden Versuchen benutzt wurden.
Nach Ausweis der amtlichen Lichtmessungen schwankt in Wirklichkeit die Leuchtkraft zwischen 10 und
12 solcher Kerzen, und man kann eine solche von 11 Kerzen für 4 1/2 K. F. engl.
Consum per Stunde als die Norm annehmen, die von der
Gasbeleuchtungsgesellschaft eingehalten wird. Dieß ergibt für
1 K. F. Münchener Steinkohlengas: 25,42 Gramme Stearin.
In Bezug auf Leuchtkraft ist also
1 K. F. Petroleumgas = 3,68 K. F. Münchener Steinkohlengas
oder es sind 272 K. F. Petroleumgas = 1000 K. F. Münchener
Steinkohlengas.
Die Productionskosten aber für 272 K. F. engl. Petroleumgas (das Aequivalent für 1000
K. F. Münchener Steinkohlengas) betragen, wenn man den Verlust durch Undichtigkeiten
zu 10 Proc. des Consums annimmt, nach den seitherigen Erfahrungen in der
Locomotivfabrik von Krauß u. Comp.
4 fl. 38 kr.Hr. Director Krauß
glaubt in Zukunft den Centner Rohmaterial um 9 fl. – statt um 11 fl.
– beziehen zu können, auch hofft derselbe das Heizmaterial auf 1 fl.
und den Arbeitslohn auf 45 kr. pro 1000 K. F.
Production herunter zu bringen, so daß sich dann die Productionskosten für
1000 K. F. engl. Petroleumgas auf etwa 13 fl. 16 kr. und das Aequivalent für
1000 K. F. engl. Steinkohlengas auf etwa 3 fl. 36 kr. stellen würde. Ich
hoffe Gelegenheit zu haben, seiner Zeit über die Realisirung dieser
Erwartungen weitere Mittheilungen machen zu können. Es wird sich auch im
Laufe der Zeit zeigen, ob die Befürchtung, daß sich namentlich bei
anhaltender niedriger Temperatur viel Oeldämpfe niederschlagen werden,
begründet ist oder nicht. In den verflossenen Monaten hatten wir keine
strenge Kälte, und kann dieser Winter daher nicht wohl maßgebend seyn. Schilling.
München, den 27. März 1867.
Dr.Schilling.