Titel: | Chemisch-technische Notizen; von Dr. Georg Lunge. |
Fundstelle: | Band 185, Jahrgang 1867, Nr. XL., S. 137 |
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XL.
Chemisch-technische Notizen; von Dr.
Georg Lunge.
(Fortsetzung von Bd. CLXXXIV S. 515.)
VI. Ueber Carr's
Desintegrator.
Mit Abbildungen auf Tab.
II.
Lunge, über Carr's Desintegrator.
Der in der Ueberschrift genannte Apparat (dem Erfinder Thomas Carr zu Montpelier bei Bristol für England patentirt) scheint in
Deutschland noch nicht so bekannt zu seyn, als er es bei seiner weiten Verbreitung
in England und seiner anerkannt vorzüglichen Wirksamkeit verdient. Sein Zweck ist
der: nichtfaserige Materialien aller Art bis zu einem gewissen Grade zu zerkleinern;
man kann dieselben in ihm jedoch nur in ein grobes Pulver, aber nicht in feines Mehl
verwandeln. Er findet also geeignete Anwendung zum Zerkleinern, Mischen und
Granuliren von zähen Massen, wie zusammengebackenem Superphosphat, Guano, nassem und
halbtrockenem Thon, und zum Pulverisiren von Knochenasche, Koprolithen, Pech und Kleinkohle
(für die Briquettes-Fabrication), trockenem Thon, alten Ziegeln und
Hafenscherben (in der Porzellan- und Glasfabrication) und allen ähnlichen
Fällen, namentlich da, wo man sonst verticale Mühlsteine (Kollergänge) anwendet. Der
Desintegrator kann also nicht jede Mühle schlechthin ersetzen, sondern ist nur
bestimmter Anwendungen fähig; in diesen aber scheint er die bis jetzt gebräuchlichen
Mühlen weit zu übertreffen. Unter allen Umständen läßt es sich nicht läugnen, daß er
auf einem ganz neuen Principe beruht. In allen sonst bekannten Mahlvorrichtungen ist
das zu zerkleinernde Material der reibenden oder drückenden Wirkung zweier Flächen ausgesetzt, von denen die eine meist still
steht, während die andere in Bewegung ist; das Material wird also stets von einer
der beiden Flächen mehr oder weniger getragen. Diese zwei wirkenden Flächen findet
man wieder z.B. in den beiden Steinen der Getreidemühle, im Bodenstein und Läufer
des Kollerganges, im Rührer und Trog des Butterfasses; in den beiden Walzen eines
Samen-Quetschwerkes oder jeder anderen Walzenmühle; in den Backen der
amerikanischen Erzzermalmungsmaschine; in der Chaussee und der Chauseewalze, resp.
den Wagenrädern; im Stößel und der Pfanne des gewöhnlichen Mörsers und aller
Stampfwerke; im Hammer und Amboß; in den unteren und oberen Zahnreihen des Menschen
und der Thiere u.s.f. Der Desintegrator dagegen ist nach Angabe seines Erfinders,
der zu widersprechen mir kein Material vorliegt, die einzige Mahlvorrichtung, in
welcher jedes Theilchen des zu mahlenden Gegenstandes in jedem gegebenen Augenblicke
immer nur mit einer Fläche in Berührung ist, und zwar
nicht von einer Unterlage getragen, sondern frei in der Luft schwebend, das fehlende
Glied in der Kette wird, wie man sehen wird, durch die Centrifugalkraft ersetzt. Die
Maschine vereinigt die continuirliche Action, welche ihr von der Dampfmaschine
mitgetheilt wird, mit dem momentanen Fortschleuderungs-Stoße, wie er z.B. von
der Gewehrkugel ausgeübt wird. Das Material wird nämlich in das Innere eines
ringförmigen Gerüstes eingeführt, welches aus vier concentrischen Reihen von
Eisenstäben besteht; alle vier Ringe bewegen sich mit großer Schnelligkeit von
einander unabhängig und abwechselnd nach entgegengesetzter Richtung; das Material
wird durch die Centrifugalkraft zwischen die Stäbe der
„Käsige,“ und immer von einem zum anderen geschleudert, bis
es aus dem größten äußersten heraus kommt, nachdem es durch den heftigen
Zusammenprall mit den Eisenstäben zerkleinert worden ist. Die Zeichnung und
Beschreibung wird dieß später klarer machen. So viel wird aber schon durch das
Gesagte einleuchten, daß das Material nicht, wie bei allen anderen
Mahlvorrichtungen, passiv, sondern activ ist, indem es durch seinen eigenen Stoß
gegen die Eisenstangen der Käfige wirkt. Seine mechanische Unterstützung,
gewissermaßen der Drehpunkt der Hebelwirkung, wird also nur durch sein eigenes
Trägheitsmoment bewirkt, womit es dem früher erhaltenen Stoße zu folgen sich
bestrebt. Die nächste Annäherung an dieses Princip war ein Vorschlag, Quarz dadurch
zu zerkleinern, daß man ihn aus Kanonen gegen dicke Eisenplatten abschösse; ein
Vorschlag, über dessen praktische Unausführbarkeit man freilich kein Wort zu
verlieren braucht. Das Zerkleinerungs-Princip im Desintegrator ist somit eine
unaufhörliche Aufeinanderfolge von Schlägen, welche die rotirenden Elfenstäbe der
Käfige mit großer Schnelligkeit gegen die Theilchen ausüben, welche durch
Centrifugalkraft in entgegengesetzter Richtung an sie herangeschleudert werden.
Dieser Stoß wiederholt sich bei jedem Theilchen viermal, ehe es die Maschine
verläßt, was weniger als eine Secunde dauert.
Die drei Modificationen der Maschine, welche von dem Erfinder angefertigt werden,
sind nur unbedeutend im Detail verschieden. Sie bestehen alle (Fig. 24) aus einer großen
Anzahl von Eisenstangen, welche cylindrisch zwischen Scheiben befestigt sind,
parallel mit der Cylinderachse. Solcher cylindrischer Schlagvorrichtungen, welche
der Erfinder „Käsige“ nennt, sind vier concentrisch auf einer
Achse allgebracht, so daß hinreichender Raum zwischen ihnen bleibt, um die freie
Beweglichkeit des Mahlgutes nicht zu behindern. Sie werden durch einen geraden und
einen gekreuzten Riemen in umgekehrten Richtungen mit sehr großer Schnelligkeit
umgedreht; der erste und dritte Cylinder gehen rechts, der zweite und vierte links
herum. Das Material wird in das Centrum geworfen, wo die gröbsten Stücke durch ein
feststehendes Messer zerschnitten werden; dann treffen sie auf die Stäbe des
innersten Käfigs, werden durch sie in tangentialer Richtung mit einer dessen
Umdrehungsgeschwindigkeit entsprechenden Heftigkeit fortgeschleudert, treffen auf
die in entgegengesetzter Richtung rotirenden Stäbe des zweiten Käfigs, wodurch ihre
Richtung umgekehrt wird, dann ebenso auf den dritten und schließlich auf den vierten
Käfig, aus welchem sie radial herausgeworfen werden; ein hölzernes Gehäuse, welches
den ganzen Apparat bedeckt, fangt das jetzt ganz zerkleinerte Material auf und
sammelt es in einem Ablauf an. Sämmtliche Eisenstäbe (deren Zahl etwa 170 beträgt)
wirken also gleichzeitig und erhalten dadurch das Gleichgewicht der Maschen
aufrecht. In einem Desintegrator von 4 Fuß Durchmesser, wenn derselbe 400
Umdrehungen per Minute bekommt (man kann sogar bis 650
gehen), ist die Geschwindigkeit jedes Schlagstabes in dem innersten Käfig 50 Fuß per Secunde, im zweiten 60, im dritten 70 und im vierten
80, da ihre Durchmesser
in diesem Verhältniß steigen. Der Erfinder, in seiner Beschreibung, berechnet die
Geschwindigkeit, welche jedes Theilchen erreicht, durch Addition, also z.B. 50 + 60
= 110 Fuß, wenn es von der ersten Reihe auf die zweite trifft; dieß scheint mir aber
unrichtig; die 50 Fuß, welche es der erste Käfig nach rechts schleudert, müssen sich mit den 60 Fuß, welche der zweite Käfig
nach links macht, bis auf 10 Fuß neutralisiren, mit
welchen das Theilchen nach links geht; dann trifft es auf den dritten, mit 70 Fuß
nach rechts rotirenden Cylinder, und geht also mit 60 Fuß
Geschwindigkeit nach rechts; endlich trifft es auf den mit 80 Fuß nach links gehenden äußersten Cylinder, und wird mit 20 Fuß
Geschwindigkeit nach links herausgeschleudert. Fig. 25 zeigt den Weg,
welchen ein einzelnes Theilchen zu machen hat. Gerade diese theilweise Aufhebung
oder Neutralisation der Tangentialgeschwindigkeit gibt nach meiner Ansicht die
lebendige Kraft, welche das Material zerreißt und zerkleinert, soweit sie nicht in
Wärme (Elektricität u.s.w.) umgesetzt wird. Es könnte nun allerdings fraglich seyn,
ob nicht ein größerer Antheil von Kraft in Wärme umgesetzt und dadurch verloren
wird, als es bei anderen Mahlvorrichtungen geschieht; die Erfahrung zeigt aber, daß
im Gegentheil der Kraftverlust beim Desintegrator bedeutend geringer als bei Mühlen
gewöhnlicher Construction ist, indem die Arbeitsleistung für dieselbe Pferdestärke
bei dem ersteren das Doppelte von der gewöhnlicher Mühlen seyn soll. In der That
kann ja auch bei ihm kein Kraftverlust durch die Reibung zwischen dem Mahlgut und
den Mahlflächen stattfinden, wenigstens nicht in irgend bedeutendem Maaße; die Kraft
wirkt ganz und gar cohäsionsüberwindend auf das Material ein.
Es ist ein wichtiger Umstand, daß die Geschwindigkeiten der Schlagstäbe von innen
nach außen zunehmen, da die Durchmesser der Käfige immer wachsen; denn da die Theile
des Mahlgutes immer leichter werden, sowie sie von innen nach außen fortgehen, so
bedarf es eines stärkeren Schlages, um auf sie einzuwirken. Wenn ein nicht
zerkleinerungsfähiger Gegenstand, z.B. ein Eisenstück, in die Maschine gelangt, so
wird derselbe einfach herausgeschleudert, ohne sie zu beschädigen. Auch hierin ist
offenbar die Construction der gewöhnlichen Mahlapparate mit zwei wirkenden Flächen
nicht so vortheilhaft.
Die Zahl der Schläge, welche in dem Apparate ausgeübt werden, ist enorm. Bei einer
Geschwindigkeit von 600 Fuß würde sie schon über 100,000 per Minute steigen, wenn jeder der 170 Eisenstäbe nur einen Schlag ertheilte; aber da eine so große Menge von
Theilchen auf einmal im Apparate sind, so muß diese Zahl bei weitem vervielfacht
werden.
Aus der obigen Beschreibung wird es klar hervorgehen, daß das Gebiet des
Desintegrators ganz verschieden von dem der horizontalen (Getreide-) Mühle
ist; er mahlt nicht zu feinem Mehl, sondern nur zu grobem Pulver, aber er arbeitet
mit größerer Kraftersparniß und Schnelligkeit, und vor Allem ist er in einer Menge
von Fällen anwendbar, in welchen Mühlen ganz im Stiche lassen, z.B. für nassen Thon,
für Materialien in sehr großen Stücken u. dgl. Man muß dann besondere Thonschneider,
resp. Brechwalzen u.s.f. anwenden; der Desintegrator verrichtet, aber eben alle
solche Arbeiten gleichmäßig. Bei nassem Thon ist beiläufig das hölzerne Gehäuse
nicht anwendbar, weil er sich an dieses fest anlegen würde; man muß dafür offene
Fangwände an beiden Seiten errichten. Eine der wichtigsten Functionen des
Desintegrators, in welcher er sich in den meisten englischen Düngerfabriken
eingebürgert hat (vergl. meine Abhandlung in diesem Journal Bd. CLXXXIV S. 503) ist die zum Mischen und
Zerkleinern von Superphosphat.
Die Maschinen werden hauptsächlich in zwei Größen geliefert. Bei der größeren, welche 140 Pfd. Sterl. kostet, und 6'3''
Durchmesser hat, liegt die Hauptachse auf einem starken Rahmenwerk von Holz; das
Material fällt von der höher gelegenen Bühne durch eine Rinne in das Innere der
Maschine, direct auf die Stangen des innersten Käfigs. Die Hauptachse liegt fest;
jede Cylinderscheibe hat eine hohle Welle, welche sich auf jener dreht, mit
Riemscheiben an beiden Enden. Diese hohlen Wellen und Riemscheiben liegen alle auf
verschiedenen Theilen der festen Hauptachse, und arbeiten also unabhängig von
einander. Die Maschine ist sehr gleichmäßig balancirt, und wird durch die vier
Achs-Büchsen sehr gut getragen, eignet sich also dadurch für die schwerste
Arbeit bei großer Geschwindigkeit, z.B. zum Brechen von Ziegeln, Chamotte,
Kapselscherben in der Porzellanfabrication; sonst ist sie etwas unbequem, weil man
sie nur von oben speisen kann; ein Speisen von der Seite wird durch die Riemen
verhindert. Bei den kleineren Maschinen dagegen (Fig. 24) von
nur 4 Fuß Durchmesser und 74 Pfd. Sterl. Preis braucht man die Construction nicht so
solide zu machen, und kann deßhalb beide Riemscheiben nach einer Seite legen, so daß
die andere zum Speisen frei bleibt, was viel bequemer ist. Noch leichter ist das
Speisen der Maschine bei der ältesten Construction, nach welcher die meisten
arbeitenden Maschinen noch gebaut sind; diese hat nur 3 Fuß Durchmesser (Preis 64
Pfd. Sterl.) und hat sämmtliche Achsen-Träger an einer Seite, so daß die
Centralöffnung ganz frei bleibt; doch ist diese Construction selbstverständlich
lange nicht so solid als die von Fig. 24, bei welcher auch
noch vollkommen hinreichender Raum zum Speisen bleibt. Das Gestell ist bei Fig. 24 ganz
von Eisen; das Holzgehäuse ist in der Figur weggelassen. Das feste Schneidmesser im
Inneren des Apparates, welches zur Zertrümmerung der gröbsten Blöcke dient, muß sehr
stark seyn, etwa 3 1/2 Zoll breit und 1 1/2 Zoll dick.
Die 4 Fuß-Maschine (Fig. 24) braucht
8–10 Pferdestärken; die beiden Riemscheiben haben 15 Zoll Durchmesser und 7
Zoll Breite; die Umdrehungsgeschwindigkeit ist 400 per Minute für Superphosphat;
aber für harte Materialien, z.B. Pech, bis 650. Man wird natürlich ein Vorgelege
zwischen dem Apparat und der Dampfmaschine einschalten müssen, wobei Riemen bei
weitem den Zahnrädern vorzuziehen sind; der Durchmesser der Transmissionswelle muß
etwa 3 1/4 Zoll engl. betragen. Man kann z.B. eine Riemscheibe von 4 Fuß auf der
Hauptwelle mit einer solchen von 2 Zoll auf der Zwischenwelle verbinden, und auf
dieser wieder zwei 4 füßige Riemscheiben anbringen, welche mit denen des
Desintegrators selbst in Communication stehen. Der erste Riemen mag 8 Zoll, die
beiden anderen je 6 Zoll breit seyn.
An der 6'3'' Maschine haben die Riemscheiben 22 Zoll Durchmesser und 8 1/2 Zoll
Breite; sie beanspruchen für sehr harte Materialien, wie gebranntem Thon,
16–20 Pferdestärken.
Alle Maschinen brauchen einige Tage, ehe sie vollkommen in Ordnung kommen, weil die
Achsen sich erst in die Büchsen vollkommen einarbeiten müssen; bis dahin erfordern
sie viel Kraft und erhitzen sich leicht.