Titel: | Ueber das krystallisirte Zinnchlorür; von Dr. G. Th. Gerlach in Kalk bei Deutz. |
Autor: | G. Th. Gerlach |
Fundstelle: | Band 186, Jahrgang 1867, Nr. XXXII., S. 131 |
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XXXII.
Ueber das krystallisirte Zinnchlorür; von Dr.
G. Th. Gerlach in Kalk bei Deutz.
Gerlach, über das krystallisirte Zinnchlorür.
Das krystallisirte Zinnchlorür kommt unter dem Namen „Zinnsalz“
in den Handel und findet von allen Zinnpräparaten die massenhafteste Verwendung. Ueber die
Zusammensetzung dieses Salzes hat früher lange Zeit Ungewißheit geherrscht.
Nach Berzelius krystallisirt das Zinnchlorür mit 1 Aeq.
Wasser und ist SnCl + HO; nach Ferdinand Penny (Quarterly Journal of the Chemical Society, vol. IV p. 239; polytechn. Journal Bd. CXXIV S. 181) krystallisirt das
Zinnchlorür mit 2 Aeq. Wasser, ebenso nach Henry (Journal
für praktische Chemie, Bd. XXXVIII S. 57); nach Turner
aber soll es mit 3 Aequiv. Wasser krystallisiren, und Scheurer-Kestner fand in einer besonderen Sorte Zinnsalz 4 Aequiv.
Wasser.
Die Genauigkeit, mit welcher man heute das Zinnoxydul bestimmen gelernt hat, läßt
keinen Zweifel über die wahre Zusammensetzung mehr zu.
Die Analyse nahm ich immer so vor, daß ich 1 Grm. Zinnsalz in etwa 300
Kubikcentimetern destillirten Wassers löste, 5 K. C. Schwefelsäure zusetzte und das
Zinn galvanisch durch Einlegen einer blanken Zinkstange ausschied.
Die Reduction ist nach wenigen Stunden vollendet und Sublimatlösung bringt keine
Reaction auf Zinnoxydul mehr hervor.
Die Flüssigkeit versetzte ich mit wenig kohlensaurem Natron, bis ein geringer
Niederschlag von kohlensaurem Zinkoxyd blieb und bis dieselbe also neutral war,
verdünnte bis 500 K. C. und filtrirte 100 K. C. ab, worin das Chlor unter Zusatz
eines Tropfens neutraler chromsaurer Kali-Lösung mit 1/10 Normalsilberlösung
bestimmt wurde.
Der Rückstand auf dem Filter aber, also das reducirte Zinn mit etwas kohlensaurem
Zinkoxyd, wurde mit Salzsäure aufgenommen und gelöst. Die Lösung wird beschleunigt
durch Einlegen von metallischem Platin. Diese Lösung verdünnte ich bis 150 K. C. und
bestimmte hierin den Zinngehalt; oder ich löste von Neuem 1 Gramm Zinnsalz, säuerte
mit etwas Salzsäure an und verdünnte bis 150 K. C. Zur Zinnbestimmung hielt ich eine
Lösung von 1 Theil Tartarus natronatus und 3 Theilen
kohlensauren Natrons vorräthig, welche mit Stärkekleister versetzt sofort eine
Bläuung mit einem Tropfen 1/10 Normaljodlösung hervorbrachte. In eine hinreichende
überschüssige Menge dieser Lösung wurden 50 K. C. obiger Zinnlösung gebracht, wobei
die Lösung noch stark alkalisch reagirte und diese klare alkalische Lösung wurde mit
1/10 Normaljodlösung unter Zufügung von Stärkekleister blau titrirt.
Um mich gegen das Mischungsgewicht des Zinnes zu sichern, war die Jodlösung auf
reines Banca-Zinn gestellt und wurden immer dieselben Concentrationsgrade bei
den Analysen eingehalten.
Das Zinnsalz krystallisirt bekanntlich im rhombischen System. Hat man Sorge getragen,
daß die Lösung vollkommen oxydfrei und frei von fremden Salzen war, so erhält man
große rhombische Säulen, welche 2 bis 3 Linien dick und mehrere Zoll lang sind.
Dieß ist namentlich der Fall, wenn die Krystallisation über metallischem Zinn oder in
zinnernen Gefäßen mit flachen Böden vorgenommen wird. Sind die Lösungen jedoch nicht
ganz oxydfrei, so krystallisirt das Salz in kleinen seidenglänzenden Nadeln, welche
meist das gewöhnliche Handelsproduct bilden. Zuweilen sogar nimmt das Salz ein
schuppiges blätteriges Gefüge an. Es ist dieß ein Beweis von einem bedeutenden
Oxydgehalt der Laugen und es kann in den kalten Wintermonaten geschehen, daß nach
dem Auskrystallisiren solcher blätteriger Zinnsalz-Krystalle die
zurückbleibende Mutterlauge zu einem schlüpfrigen perlmutterglänzenden Krystallbrei
erstarrt, aus welchem man nur durch oft wiederholtes starkes Pressen zwischen
erneuten Lagen von Fließpapier die Mutterlauge abscheiden kann.
Alles Zinnsalz, sowohl die großen Säulen, wie auch die kleinen seidenglänzenden
Krystalle, und auch das Zinnsalz mit schuppigem blätterigem Gefüge haben gleiche
chemische Zusammensetzung, wie mich wiederholte Versuche überzeugt haben.
Das Zinnsalz entspricht der Formel SnCl + 2HO
Sn
58,82
oder
52,39
Cl
35,46
„
31,58
2HO
18,00
„
16,03
––––––
––––––
112,28
100,00
Nach Penny hat das Zinnsalz bei 60º Fahr.
(15,55º Cels.) das specifische Gewicht 2,710. Die Krystalle schmelzen bei
105° Fahr. (40,55º C.) und der Fluß fängt an bei 90º F.
(32,22º C.) zu erstarren, wobei das Thermometer wieder auf 105º F.
steigt. Im geschmolzenen Zustande bei 100º F. (37,77º C.) haben die
Krystalle das specifische Gewicht 2,5876.
Die specifischen Gewichte der wässerigen Lösungen von chemisch reinem krystallisirten
Zinnsalz bestimmte ich wie folgt:
Specifische Gewichte der wässerigen
Lösungen von krystallisirtem Zinnchlorür (SnCl + 2HO) bei 15º Cels.
Textabbildung Bd. 186, S. 134
Procentgehalt in 100 Gewichtsthln.
der Lösung; Specifisches Gewicht
Löst man gleiche Aequivalente von Zinnchlorid und Zinnchlorür (also 175
Gewichtstheile SnCl² + 5HO und 112 Gewichtstheile SnCl + 2HO) in Wasser auf,
so krystallisirt das letztere Zinnsalz nadelförmig wieder aus, während Zinnchlorid
in Lösung bleibt.
Eine krystallisirbare Verbindung von Zinnchlorid und Zinnchlorür ist nicht bekannt,
obgleich eine solche von Thomson (System of Chemistry, vol. II p. 822) angegeben
wird; es sollen schuppige Krystalle seyn. Ohne Zweifel wurden die schuppigen
perlmutterglänzenden Krystalle von Zinnsalz für das erwähnte Doppelsalz
gehalten.
Nach Angabe von Scheurer-Kestner (Comptes rendus, Januar 1860, Nr. 1; polytechn. Journal
Bd. CLV S. 303) bildet sich beim Lösen
von Zinnoxydul in Zinnchlorid Zinnoxydchlorid und Zinnchlorür
2SnCl² + 2SnO = SnCl² + 2SnCl
Aus dieser Lösung soll nach Scheurer-Kestner das
Zinnsalz mit 4 Aequiv. Wasser krystallisiren. Die Krystalle würden folgende
Zusammensetzung haben:
Sn
58,82
oder
48,13
Cl
35,46
„
27,24
4HO
36,00
„
27,63
––––––
––––––
130,28
100,00
Ich habe mich bis jetzt vergeblich bemüht, Krystalle von dieser Zusammensetzung zu
erhalten.
Fügt man zu einer heißen Lösung von 175 Gewichtstheilen SnCl² + 5HO etwa 125
bis 130 Gewichtstheile feingeschlämmtes Bleiweiß, so bildet sich unter Entweichen
von Kohlensäure Zinnoxydchlorid und Chlorblei:
2SnCl² + Pb, CO² = SnO², SnCl² + PbCl
+ CO²
Filtrirt man vom Chlorblei ab und dampft man die Lösung bis zur dünnen
Syrupsconsistenz ein, so scheidet sich nach dem Erkalten nochmals Chlorblei aus;
nach dem Abfiltriren der hinreichend lange gestandenen Lösung erhält man ein
ziemlich bleifreies Zinnoxydchlorid.
Löst man hierin 112 Gewichtstheile gewöhnliches Zinnsalz, so färbt sich die
concentrirte wasserhelle Lösung sofort dunkelbraun und nach dem Erkalten
krystallisirt das Zinnsalz bei gehöriger Concentration spiesig, bei einiger
Verdünnung in der schuppigen Modification. Diese Krystalle sind immer von etwas
anhängender Mutterlauge gelb gefärbt.
Daß sich neutrales Zinnsalz beim Uebergießen mit viel Wasser zersetzt, indem die
Flüssigkeit milchig wird, ist bekannt. Es scheidet sich ein basisches Salz aus,
während das saure Salz in Lösung bleibt. Nach Berzelius
enthält das ausgeschiedene milchweiße Pulver 9,55 Proc. oder 2 Atome Krystallwasser,
und nach Davy 70,4 Proc. Zinnoxydul. In Graham-Otto's Lehrbuch der Chemie Bd. III S. 350
findet man dafür die Formel SnCl + SnO + 2HO; während Gmelin Bd. III S. 82 dafür folgende Zusammensetzung angibt:
2SnO
134
oder
71,13,
Davy 70,4.
HCl
36,4
„
19,32
2HO
18
„
9,55
–––––
–––––––
SnCl, SnO + 3HO
188,4
100,00.
Sehr bemerkenswerth ist die Reaction, welche das Zinnchlorür auf Zinnoxyd ausübt.
Nach Fremy gibt die anomale Zinnsäure mit Zinnoxydul eine
pomeranzengelbe Verbindung; fällt man aber auch gewöhnliches Zinnoxydhydrat aus
Zinnchloridlösungen mit einem Alkali, so wird der abfiltrirte Niederschlag, mit
einer Zinnsalzlösung betupft, dunkelbraun gefärbt, ähnlich der Jodfarbe. In dieser
Reaction liegt auch der Grund des Gelbwerdens von Zinnsalz beim längeren
Aufbewahren; indem sich
nach und nach das Zinnsalz oxydirt, findet das gebildete Zinnoxyd zur Sättigung
nicht hinreichende Säure vor, es bildet sich Zinnoxydchlorid, welches durch das
Zinnsalz die gelbe Färbung erleidet und welches gleichzeitig zum Schmierigwerden des
gelb gewordenen Zinnsalzes und zum endlichen Zerfließen desselben in Gestalt eines
braunen syrupsdicken Breies Veranlassung gibt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf ein eigenthümliches Verhalten des Zinnchlorids
in verdünnten Lösungen aufmerksam machen. Eine frisch bereitete Lösung von
Zinnchlorid kann man mit beliebigen Mengen Zinnsalz versetzen, ohne daß die
wasserhelle Lösung sich färbt; hat jedoch dieselbe reine Zinnchloridlösung längere
Zeit wohlverstöpselt gestanden, wozu bei einiger Verdünnung (etwa bei einer
10procentigen Lösung) schon 6 bis 8 Wochen hinreichen, so färbt sich die wasserhelle
Lösung gelb, sobald man Zinnchlorür zufügt.
Bekanntlich zersetzen sich ganz verdünnte Lösungen von Zinnchlorid (Chlorzinn) beim
Kochen in der Weise, daß sie alles Zinnoxyd ausscheiden. Dieses Verhalten wenden die
Färber zum Klären („Austreiben“) der Bäder an.
Löwenthal (polytechn. Journal Bd. CXXV S. 201) hat gefunden, daß eine
Lösung von 1 Gramm wasserfreiem Zinnchlorid in 100 K. C. destillirten Wassers schon
beim Stehen in gewöhnlicher Temperatur bald trübe wird und sich in 6 bis 8 Tagen
vollkommen zersetzt, indem sich alles Zinnoxyd von der Salzsäure trennt und sich
ausscheidet. Bei diesem merkwürdigen Verhalten des Zinnchlorids finde ich nichts
Widersprechendes in der Annahme, daß in den gestandenen klaren verdünnten Lösungen
eine Umsetzung des neutralen Salzes der Art stattfindet, daß ein basisches Salz
(Zinnoxydchlorid) und ein saures Salz nebeneinander in Lösung bestehen. Die
Gegenwart des Zinnoxydchlorids aber veranlaßt die gelbe Färbung beim Zufügen von
Zinnsalz. Diese. Erklärungsweise findet noch dadurch eine Bekräftigung, daß man der
gelben Lösung leidlich viel Salzsäure zufügen kann, ohne daß das Zinnoxydchlorid
sich in das neutrale Salz verwandelt, wobei die gelbe Farbe verschwinden müßte; fügt
man aber der Lösung einen großen Ueberschuß von Salzsäure zu, so scheidet sich
salzsaures Zinnoxyd aus der Lösung aus. Dieß ist ein Beweis, daß die wässerigen
Lösungen des Zinnchlorids beim längeren Aufbewahren in den anomalen Zustand
übergehen und sich in salzsaures anomales Zinnoxyd umwandeln. Concentrirte Lösungen
von Zinnchlorid thun dieß nicht, selbst nicht nach jahrelangem Aufbewahren.
In der elektrischen Spannungsreihe nimmt das Zinn einen außerordentlich wechselnden
Standpunkt ein.
Durch metallisches Zink wird das Zinn stets aus angesäuerten Lösungen galvanisch
gefällt. Gußeisen hingegen fällt das Zinn nur aus ziemlich neutralen Lösungen des
Oxyduls; während andererseits bei einem großen Ueberschuß von metallischem Zinn das
Eisen aus seinen Lösungen galvanisch ausgeschieden werden kann in Form von
mikroskopischen Krystallen, die nach den Untersuchungen von Nöllner (polytechn. Journal Bd. CLVII S.
397) der Formel Fe + 2Sn entsprechen.
Aehnlich verhält sich eine manganhaltige Zinnlösung, aus welcher bei Gegenwart von
viel überschüssigem metallischen Zinn das Mangan sich als eine schwammähnliche
lockere Metallmasse auf der Oberfläche der Laugen ausscheidet, ohne Zweifel ebenso
mit einem gleichen oder ähnlichen Gehalt von Zinn verbunden, wie das verwandte
Eisen.
Eine Zinnsalzlösung auf einem Kupferblech beinahe zur Trockne verdampft, hinterläßt
nach dem Abwaschen das Kupfer schwarz gefärbt mit einem Zinnüberzug; bei Gegenwart
von viel metallischem Zinn hingegen wird Kupfer gar nicht angegriffen und gelöstes
Kupfer durch das Zinn galvanisch ausgefällt.
Ein blankes Bleiblech in eine Zinnchlorürlösung gebracht, überzieht sich sofort mit
einem grauen matten Ueberzug von metallischem Zinn, während umgekehrt eine Bleioxyd
enthaltende Aetznatronlösung mit Zinn gekocht Zinnoxydnatron bildet unter
Ausscheidung von metallischem Blei. Auf dieses letztere Verhalten gründet sich
bekanntlich das Verfahren von R. Braun (polytechn.
Journal Bd. CIV S. 44) und von E. Häffely (polytechn. Journal Bd. CXXXV S. 216 und Bd. CXLIV S. 66) zur Herstellung von
zinnsaurem Natron. Aus sauren Lösungen wird also Zinn durch Blei galvanisch gefällt,
während aus alkalischen Lösungen Blei durch Zinn gefällt wird.
Daß man eine Zinnstange an einem Ende positiv, am anderen Ende negativ elektrisch
machen kann, wenn man auf dieselbe übereinander geschichtete Flüssigkeiten von
verschiedener Concentration und verschiedenem Säuregehalt einwirken läßt, ist schon
durch die Untersuchungen von Zamboni und von Bucholz dargethan. Dieses Verhalten hat nach Nöllner's Vorschlag (Annalen der Chemie und Pharmacie,
Juli 1847, S. 120; polytechn. Journal Bd. CVI S.
131) bei der Zinnsalzfabrication praktische Anwendung gefunden.