Titel: | Ueber Humphreys-Abbot's neue Theorie der Bewegung des Wassers in Flüssen und Canälen, insbesondere über eine neue Geschwindigkeitsformel derselben; von G. Heidner, Lehrer an der k. b. Gewerbschule in Schweinfurt. |
Autor: | G. Heidner |
Fundstelle: | Band 186, Jahrgang 1867, Nr. XXXVI., S. 161 |
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XXXVI.
Ueber Humphreys-Abbot's neue Theorie der Bewegung
des Wassers in Flüssen und Canälen, insbesondere über eine neue Geschwindigkeitsformel
derselben; von G. Heidner,
Lehrer an der k. b. Gewerbschule in Schweinfurt.
Mit einer Abbildung.
Heidner, über Humphreys-Abbot's neue Theorie der Bewegung
des Wassers in Flüssen und Canälen.
Bei der Herleitung des Ausdruckes für die mittlere Geschwindigkeit fließender
Gewässer geht man bekanntlich von der Annahme aus, daß der Widerstand, welchen das
Wasser in seiner Fortbewegung an der Sohle und den Seitenwänden des Flußbettes
erleidet, mit der Größe der vom Wasser berührten Fläche in gleichem Maaße wächst und
abnimmt, und daß derselbe dem Quadrate der mittleren Geschwindigkeit direct, dem
Flächeninhalt des Querprofils aber umgekehrt proportional sey. Es werden dann die
weiteren Voraussetzungen zu Grunde gelegt, daß sowohl das Querprofil als auch das
Gefälle für die betrachtete Strecke von constanter Größe seyen und zur Ueberwindung
der Bewegungswiderstände die ganze auf diese Strecke entfallende Gefällshöhe zur
Verwendung komme, weil das Wasser, ungeachtet seiner Bewegung über eine schiefe
Ebene, dennoch keine Geschwindigkeitszunahme erfährt, sondern mit derselben
Geschwindigkeit fortfließt, mit welcher es zuströmt. Auf Grund dieser Annahmen
erhält man dann für die mittlere Geschwindigkeit v den
Ausdruck:
p = α . √(F/p . h/l),
in welchem h das absolute Gefälle,
also die Senkung des Wasserspiegels auf die beliebige Entfernung l, p den benetzten Umfang und F die Fläche des Querprofils bezeichnet, der vorgesetzte Coefficient α aber eine Erfahrungsgröße darstellt, die von
der Beschaffenheit des Flußbettes abhängt und daher sich mit diesem in ziemlich
weiten Grenzen ändert. Die Folge hiervon ist, daß die Formel eigentlich nur auf
Fälle paßt, welche jenen ähnlich sind, denen der Coefficient entnommen wurde.
Zum Zwecke der Herstellung einer auf Allgemeingültigkeit Anspruch machenden Formel
haben daher, nach Coulomb's Vorgange, einige
Schriftsteller den Widerstand aus zwei Theilen bestehen lassen, indem sie zu dem bereits genannten
Ausdrucke dafür, noch einen zweiten, bloß von v in der
ersten Potenz abhängigen Theil hinzufügen, welcher bei größeren Geschwindigkeiten
verschwindet und erst dann merkbar sey, wenn die Geschwindigkeit unter eine gewisse
Grenze herabgeht. Mit dieser Unterstellung hat man zwischen der letzteren, dem
benetzten Umfange p, der Querprofilfläche F und dem relativen Gefälle h/l die Formel:
h/l =
(Av² + Bv) . p/F
entwickelt und indem man nun für die Coefficienten A und B solche Werthe zu
ermitteln suchte, welche die Uebereinstimmung der Ergebnisse dieser Formel mit den
vorhandenen Beobachtungen bewirken, kam man allerdings zu der Ueberzeugung, daß
dieselbe schon auf größeres Vertrauen Anspruch machen könne. Indessen zeigte sich
immer noch der Spielraum für die Veränderlichkeit der beiden Coefficienten innerhalb
so wenig fester Grenzen eingeschlossen, daß die allgemeine Anwendbarkeit dieser
Formel auch jetzt in Fällen strenger Anforderungen bald aufhören mußte.
Bei dieser Unverläßlichkeit der bestehenden Formeln über die Bewegung des Wassers in
Flüssen und Canälen, und bei dem Mangel an wissenschaftlicher Schärfe in ihrer
Begründung war es daher erfreulich, eine mit den Ergebnissen directer Messung besser
in Uebereinstimmung gebrachte Formel durch die Bemühungen zweier amerikanischer
Ingenieure aufgestellt zu sehen, welche auf Grund umfassender, Jahre lang hindurch
fortgesetzter Messungen und Beobachtungen am Mississippistrom, eine neue Theorie zu
Stande brachten, die den Erfahrungen in weit höherem Maaße gerecht zu werden
verspricht, als dieß bei allen bisherigen Versuchen noch der Fall war. Die Resultate
ihrer Forschungen sind in einem umfangreichen Berichte bei der Regierung der
Vereinigten Staaten von Nordamerika niedergelegt und geben, da dieselben auf Kosten
der Union unternommen wurden, ein schönes Zeugniß für die Opferwilligkeit, mit
welcher man auch jenseits des Oceans wissenschaftliche Bestrebungen zu unterstützen
geneigt ist. Von diesem Originalbericht, der wohl gedruckt erschien, aber nur in
einer beschränkten Anzahl von Exemplaren zur Vertheilung kam, liegt nun eine
Uebertragung in's Deutsche von dem kgl. bayerischen Baubeamten Heinrich Grebenau
Theorie der Bewegung des Wassers in Flüssen und
Canälen Nach den auf Kosten der Vereinigten Staaten vorgenommenen
Untersuchungen und dem Bericht Humphreys-Abbot's über die physikalischen und hydraulischen
Verhältnisse des Mississippistromes. Deutsch von Heinrich Grebenau. München 1867. vor, mit werthvollen Zusätzen und einer auf eigene Erfahrungen basirten
Verbesseruug der Hauptformel dieser neuen Theorie bereichert, so daß wir es dem
verdienstvollen Bearbeiter zum besonderen Dank wissen müssen, uns dieselbe so leicht
und in so trefflicher Bearbeitung zugänglich gemacht zu haben. Da nun aber trotzdem
so mancher Techniker nicht gerade in der Lage ist, seine Zeit und Mühe einem so
umfassenden Werke zuwenden zu können, so glaube ich der Praxis einen Dienst zu
erweisen, wenn ich es im Nachfolgenden unternehme, das wichtigste Resultat der Humphreys-Abbot'schen Theorie mit Umgehung des
zahlreichen Beobachtungsmaterials in übersichtlicher Entwickelung darzulegen, und so
in weiteren Kreisen die Aufmerksamkeit auf eine Leistung zu lenken, welche wegen
ihrer eigenthümlichen Schwierigkeiten und des großen Kosten- und
Zeitaufwandes woran sie geknüpft ist, selbstverständlich nur zu den ganz seltenen
gehören kann.
A. Humphreys-Abbot's Gesetze der Wasserbewegung in Flüssen und
Canälen.
Aus zahlreichen Beobachtungen, welche man zur sicheren Bewältigung in ein graphisches
Gewand zu kleiden suchte, ergab sich, daß die Geschwindigkeiten innerhalb einer
beliebigen, parallel zum Stromstrich gelegten Verticalebene, anfangs mit der Tiefe
wachsen, dann fortwährend abnehmen und daß das Maximum der Geschwindigkeit in sehr
variabler Tiefe unter dem Wasserspiegel liegt. Um ihr gesetzmäßiges Verhalten zu
erkennen, trug man die direct erhobenen Geschwindigkeiten als Abscissen und die
Tiefen der zugehörigen Punkte, vom Wasserspiegel an gemessen, als Ordinaten auf. Die
dadurch erhaltenen Curven verriethen unzweifelhaft ein Gesetz und führten, obgleich
dieselben begreiflicherweise in keiner mathematisch regelmäßigen Form erscheinen,
sowohl graphisch als rechnerisch verfolgt, auf die Gestalt einer Parabel, so daß man
den Satz als erwiesen betrachten konnte:
„Die Geschwindigkeiten in verschiedenen Tiefen unter dem Wasserspiegel in
derselben Verticalebene variiren wie die Abscissen einer Parabel, deren X-Achse die Parabelachse ist und parallel der
Wasseroberfläche in einer gewissen Tiefe unter derselben liegt.“
Eine solche Geschwindigkeitsparabel sey nun in der nachstehenden Figur zur
Darstellung gebracht und mit Beibehaltung der Grebenau'schen Bezeichnung CD = V₀ die Geschwindigkeit am Wasserspiegel, EF die Geschwindigkeit VD an der Flußsohle, AB die Parabelachse, in ihr die größte
Geschwindigkeit, welche Vd₁ sey. Um die Gleichung dieser Parabel für
das Coordinatensystem YCX, auf welches sich
eigentlich ihre
Construction bezieht, abzuleiten, gehen wir zunächst von dem System X'BY' aus. Die Gleichung einer Parabel, deren
Achse BX' die Abscissenachse und deren Scheitel im
Anfangspunkt B liegt, ist aber:
y² = p . x
Textabbildung Bd. 186, S. 164
Wenn nun D die Flußtiefe CE, d₁ die Tiefe AC der Parabelachse unter dem Wasserspiegel
bezeichnet, so können wir die Coordinaten des Punktes D,
welcher die Geschwindigkeit des Wassers an der Oberfläche bestimmt, durch:
x₀ = Vd₁ – V₀ und Y₀ = d₁
ausdrücken und damit den Parameter der Parabel finden, sobald
diese Werthe in die voranstehende Gleichung substituirt werden. Man erhält dann:
d₁² = p. (Vd₁
– V₀)
woraus p = d₁²/(Vd₁
– V₀) also den Parameter durch die Tiefe
der Curvenachse und die Differenz aus der Maximalgeschwindigkeit und der
Geschwindigkeit an der Wasseroberfläche bestimmt. Damit wird dann die Gleichung der
Parabel:
Textabbildung Bd. 186, S. 164
Um diese Gleichung für CX als Abscissen- und
CY als Ordinatenachse umzuwandeln, muß man
beachten, daß zwischen den neuen Coordinaten
Vx, dx irgend eines
Punktes H der Geschwindigkeitsparabel und zwischen
seinen alten Coordinaten x, y die Beziehungen
stattfinden:
x = Vd₁
– Vx und
y = dx + d₁.Es ist offenbar ein Versehen Grebenau's –
d₁ statt + d₁ eingeführt zu haben.
Mit diesen Werthen ergibt sich dann aus der voranstehenden Scheitelgleichung der
Parabel die Gleichung derselben in Bezug auf das System XCY zu:
Textabbildung Bd. 186, S. 165
oder, um ihr die von Humphreys angewendete Form zu verleihen,
wenn die rechte Seite mit D²/D² multiplicirt wird, zu:
Textabbildung Bd. 186, S. 165
In dieser Gleichung der Geschwindigkeitsparabel beziehen sich alle Größen stets nur
auf eine und dieselbe, dem Stromstrich parallel gelegte Verticalebene. Dieselben
werden demnach für die unzählig vielen, nebeneinander liegenden und auf die ganze
Strombreite vertheilten, verticalen Ebenen immer andere Werthe annehmen müssen. Aber
auch in Bezug auf jede andere Parabel hat man gefunden, daß der Parameter derselben,
sowie die Lage ihrer Achse beim Hoch-, Nieder- und Mittelwasserstand
starken Veränderungen unterworfen ist. Es entstand daher die Frage, nach welchem
Gesetze wenigstens zunächst die Parameter der Curve variiren. Die Lösung dieser
Frage aber bedingt wieder die Hereinziehung des Begriffes der mittleren
Flußgeschwindigkeit, worunter man den Quotienten versteht, der sich ergibt, wenn man
die secundliche Durchflußmenge mit der Gesammtfläche des zugehörigen Querprofils
dividirt. Mit Zuziehung der mittleren Flußgeschwindigkeiten bei sehr verschiedenen
Wasserständen ließ sich nun bald ein gesetzmäßiger Zusammenhang mit den
Parameterreciproken einer und derselben Verticalebene erkennen. Man trug nämlich die
Reciproken der Parameter als Abscissen und die approximativen mittleren
Flußgeschwindigkeiten, wie sie aus den directen Messungen erhoben wurden, als
Ordinaten auf. Die Verbindungslinie der so erhaltenen Punkte ergab wieder nahezu
eine Parabel, deren Achse mit der Y-Achse
zusammen fällt, so daß dadurch der Satz festgestellt wird:
„Die Reciproken der Parameter einer und derselben verticalen
Geschwindigkeitscurve verhalten sich wie die Quadratwurzeln aus den mittleren
Flußgeschwindigkeiten.“
Sind daher für eine Verticalcurve bei zwei verschiedenen Wasserständen p₁ und p die
Parameter, sowie v₁ und v die zugehörigen mittleren Flußgeschwindigkeiten, so muß nach dem eben
ausgesprochenen Gesetze stattfinden:
1/p₁ : 1/p = √v₁ :
√v,
also auch, wenn D wieder die
Flußtiefe bezeichnet:
D²/p₁ : D²/p = √v₁ : √v,
woraus dann
Textabbildung Bd. 186, S. 166
insofern der Werth D⁴/(p₁² . v₁), des
häufigen Gebrauches wegen, durch das Zeichen b ersetzt
werden soll.
Nun war aber der Parameter der Geschwindigkeitsparabel vom Werthe d₁²/(Vd₁
– V₀), daher wird man in Zukunft setzen
dürfen:
D²/d₁² . (Vd₁
– V₀) = √bv,
wobei jedoch fest zu halten ist, daß der Ausdruck links keinen
negativen Werth annehmen kann und demnach (bv)1/2 stets das Zeichen + zukommt.
Mit Einführung dieses Werthes wird die Gleichung I. zur folgenden:
Textabbildung Bd. 186, S. 166
und dieses ist die allgemeine Gleichung aller
Geschwindigkeitsparabeln für sämmtliche zum Stromstrich parallel gelegte, über die
ganze Flußbreite vertheilte verticale Ebenen.
Darnach istz.B. die Geschwindigkeit am Wasserspiegel, da hier dx = 0,
III. V₀ = V – (bv)1/2(d₁/D)²
und die Geschwindigkeit an der Sohle, für welche dx = – D gesetzt werden muß:
Textabbildung Bd. 186, S. 166
Die Beobachtungen am Mississippi haben gezeigt, daß bei Flußtiefen von 110 bis 55 Fuß
englisch und selbst für Tiefen bis 27 Fuß b nahe = 0,186
beträgt. Für eine Tiefe von 7,1 Fuß war b = 0,58 und bei
0,9 Fuß Tiefe vom Werth 1,1. Der folgende Ausdruck für b
genügt allen diesen Bedingungen:
V. b
= 1,69/(Dm +
1,5)1/2,
wobei Dm das Verhältniß der Querprofilfläche a zum benetzten Umfang p
bezeichnen soll und englisches Fußmaaß zu Grunde gelegt ist. Mit diesem Werthe für
b gewinnt dann die allgemeine Gleichung II auch noch
folgende Gestalt:
Textabbildung Bd. 186, S. 167
Mit dieser wichtigsten Formel der neuen Theorie der Wasserbewegung soll nun die
mittlere Geschwindigkeit Vm für irgend eine und dieselbe
Geschwindigkeitsparabel bestimmt werden, Bezeichnen wir daher die Tiefe des
Parabelpunktes, welcher diese mittlere Geschwindigkeit besitzt, also die Ordinate
desselben, bezogen auf das System XCY mit dm, so ist nach
II:
Textabbildung Bd. 186, S. 167
und es muß nun offenbar das Rechteck, gebildet aus den Seiten
D und Vm, gleich seyn dem Flächeninhalt der Figur
EFHBDCE. Diese Fläche ist aber aus vier
Stücken zusammengesetzt, die einzeln werden:
2/3 (Vd₁
– V₀) . d₁, V₀ d₁, 2/3(Vd₁ – VD) (D
– d₁) und VD . (D –
d₁),
daher
Vm . D = 2/3(Vd₁
– V₀)d₁
+ V₀ . d₁ +
2/3(Vd₁ – VD) . (D –
d₁) + VD . (D –
d₁),
woraus durch leichte Reduction hergestellt wird:
Vm = 2/3 Vd₁ + 1/3 VD + 1/3 d₁/D . [V₀ – VD]
und hier die Werthe von V₀
und VD aus III
und IV eingesetzt, erhält man:
Textabbildung Bd. 186, S. 167
als allgemeine Gleichung zur Bestimmung der mittleren
Geschwindigkeit irgend einer der auf die ganze Fußbreite vertheilten
Geschwindigkeitsparabeln.
Combinirt man diese Gleichung mit der obenstehenden Gleichung VII, so erhält man zur
Bestimmung der Lage des Punktes, welcher die mittlere Geschwindigkeit Vm besitzt, die
Beziehung:
Textabbildung Bd. 186, S. 167
woraus
Textabbildung Bd. 186, S. 167
Wie man sieht, gibt es also im Allgemeinen zwei Parabelpunkte, welchen die mittlere
Geschwindigkeit Vm zukommt; beide stehen um die Entfernung
Textabbildung Bd. 186, S. 168
von einander ab.
Aus der Gleichung VIII folgt:
Textabbildung Bd. 186, S. 168
Substituiren wir diesen Werth in Gleichung II, um in die allgemeine Gleichung aller
Geschwindigkeitsparabeln die mittlere Geschwindigkeit Vm einzuführen, so erhalten
wir:
Textabbildung Bd. 186, S. 168
woraus sich dann die Geschwindigkeit V1/2D für einen Punkt, welcher sich in der halben
Fußtiefe befindet, zu:
XI. V1/2D
= Vm + 1/12
(bv)1/2
bestimmt, wenn man für dx den Werth – 1/2 D einsetzt.
Sämmtliche Geschwindigkeitsparabeln zeigen, daß die Achsen derselben zwischen dem
Wasserspiegel und der halben Flußtiefe liegen. In Folge dessen müssen denn auch ganz
bestimmte Widerstände am Wasserspiegel stattfinden und der Einfluß derselben von der
Oberfläche des Wassers an gegen die Tiefe abnehmen, bis er der Wirkung der nach dem
gleichen Gesetz von unten nach oben abnehmenden Widerstände der Flußsohle gleich
ist. Was den zuerst berührten Widerstand betrifft, so ist derselbe in dem Hinderniß
zu suchen, welches die mit dem Wasserspiegel in Berührung befindliche atmosphärische
Luft, sey es im bewegten oder sey es im ruhenden Zustande, der Fortbewegung
entgegensetzt, so daß also die Bewegung des Wassers in einem Flusse wie in einer
natürlichen Röhre betrachtet werden kann, deren innere Fläche von dem Flußgrund, den
Uferwänden und der Atmosphäre gebildet wird.
In Bezug auf den Einfluß des Windes fand sich, daß die Lage der Achse der
Geschwindigkeitsparabel bei Windstille in 0,317 oder nahezu 3 Zehntel der ganzen
Flußtiefe liegt, wie groß auch sonst die mittlere Geschwindigkeit des Flusses seyn
mag, und sodann als allgemeines Gesetz für die Lage der Achse der
Geschwindigkeitsparabel unter der Einwirkung des Windes:
„Die Wirkung eines stromabwärts oder aufwärts wehenden Windes ist seiner
Stärke direct proportional; im ersteren Falle bewirkt er eine Hebung, im zweiten
eine Senkung der Achse; die Größe dieser Hebung oder Senkung ist ganz unabhängig
von der mittleren Geschwindigkeit des Flusses.“
Wird durch f die Windstärke bezeichnet, wobei der Werth 0
für Windstille oder einen quer über den Fluß wehenden Wind gilt und ein Orkan = 10
genommen ist, so ergab sich aus den Untersuchungen bis zu der Windstärke 4, bei
welcher noch Beobachtungen möglich waren, daß der Zusammenhang zwischen f, der Lage d₁ für
die Achse der Parabel, dem Inhalte a des Querprofils und
dem benetzten Umfange p seinen gesetzmäßigen Ausdruck in
der Formel:
XII. d₁ = (0,317 + 0,06 . f) . a/p
findet, wobei indessen noch zu bemerken ist, daß der Werth von
f positiv zu nehmen ist, wenn der Wind
stromaufwärts, negativ wenn er stromabwärts weht, und englisches Fußmaaß zu Grunde
liegt.
Da nach oben a/p = Dm bezeichnet
wurde, so läßt sich diese Formel auch in der Gestalt:
XIII. d₁ = (0,317 + 0,06 . f) . Dm
schreiben, wobei d₁, wie
Dm absolut zu
nehmen sind.
Gehen wir nun daran, eine Relation zwischen dem Mittel Um aller mittleren
Geschwindigkeiten Vm sämmtlicher Verticalcurven und der mittleren Flußgeschwindigkeit v aufzufinden und nehmen zuerst die ganz allgemeine
Gleichung:
Um = f (v),
so ist klar, daß für v = 0 auch
Um, den Werth
Null ergeben muß. Es zeigte sich, daß eine Function von der einfachen Form:
Um = A . v
den Bedingungen genügte, und daß selbst große Unterschiede in
der Form der Querprofile eine kaum merkliche Aenderung hervorriefen, demnach das
Gesetz der Veränderlichkeit des A für Flüsse von keiner
praktischen Bedeutung ist. Aus vielen Beobachtungen stellte sich der Werth von A als 0,93 heraus, so daß die Gleichung entsteht:
XIV. Um = 0,93 . v,
in welcher sich der Coefficient auf englisches Fußmaaß
bezieht.
Aus der Gleichung X läßt sich auch ein allgemeingültiger
Ausdruck für die mittlere Geschwindigkeit Ux aller Punkte, die in der Tiefe dx unter dem
Wasserspiegel, also auf einer zum letzteren parallelen Linie liegen, ableiten, wenn
man nämlich für das Mittel aus Vm seinen eben festgesetzten Werth 0,93 . v nimmt und für die den einzelnen Verticalebenen
zugehörigen Werthe von D den mittleren Werth a/p = Dm einführt. Man erhält dann mit
gleichzeitiger Substitution des aus Gleichung XIII entnommenen Werthes von d₁:
Textabbildung Bd. 186, S. 170
Setzt man in dieser Gleichung dx = 0, so ergibt sich für das Mittel U₀ aller Geschwindigkeiten am Wasserspiegel:
XVI. U₀ = 0,93 . v + (bv)1/2 [0,016 – 0,06 . f],
und für das Mittel UDm aus allen Geschwindigkeiten an der
Flußsohle, da hier dx = – Dm zu setzen ist:
XVII. UDm = 0,93 . v +
(bv)1/2 [0,06 . f
– 0,350].
Anwendung der neuen Gesetze der
Wasserbewegung in Flüssen und Canälen auf die Bestimmung der mittleren
Flußgeschwindigkeit.
Wir setzen voraus, daß jedes Wassertheilchen sich mit gleicher Geschwindigkeit durch
die einzelnen Querprofilelemente hindurch bewege, was zwar bei keinem Fluß
vollkommen, wohl aber annähernd richtig seyn kann. Mit anderen Worten: Wenn man den
Fluh parallel mit der Stromrichtung in Wasserfäden zerlegt, so können diese zwar
unter sich verschiedene Geschwindigkeiten haben, jeder einzelne Wasserfaden aber muß
sich an allen seinen Punkten mit der gleichen Geschwindigkeit bebewegen.
Zieht man nun eine Flußstrecke von der Länge l in
Betracht, so wirken auf die in ihr enthaltene Wassermasse zweierlei Kräfte ein,
nämlich die Schwere einerseits und andererseits, da die Bewegung des Wassers in
einem Flusse wie in einer natürlichen Röhre aufgefaßt werden kann, deren innere
Fläche der Flußgrund, die Ufer und die Atmosphäre bilden, ein Widerstand, der an
dieser Fläche stattfindet. Dieser Widerstand kann mit der Reibung verglichen werden,
welche entsteht, wenn man einen festen Körper durch eine Röhre preßt. Man nennt ihn,
obgleich wenig bezeichnend, den Adhäsionswiderstand.
Von der beschleunigenden Kraft der Schwere kommt nur der Theil zur Wirkung, welcher
parallel der Flußsohle thätig und demnach gleich dem Producte aus dem Gewichte der
Wassermasse und dem Sinus des Gefällwinkels ist. Letzterer kann in der Praxis gleich
dem absoluten Gefälle h dividirt durch l, als der horizontalen Projection der Flußstrecke,
genommen werden. Ist daher G das Gewicht der
Volumeneinheit des
Wassers, so muß die auf Beschleunigung wirkende Kraft der ganzen Wassermenge von dem
Werthe
G . a .
l . h/l
seyn.
Was den Adhäsionswiderstand betrifft, so ist klar, daß derselbe der Größe der vom
Wasser berührten Gesammtfläche direct proportional ist, also wenn W die Flußbreite bezeichnet, in demselben Maaße
ab- und zunimmt wie das Product
1. (W + p).
Dieser Widerstand muß aber auch einer gewissen Function der mittleren Geschwindigkeit
der äußeren Flüssigkeitsschichte proportional seyn, welche mittlere Geschwindigkeit
durch:
Textabbildung Bd. 186, S. 171
ausgedrückt ist und daher auch mit dem Producte:
Textabbildung Bd. 186, S. 171
in gleichem Verhältnisse ab- und zunehmen, wenn
dabei
Textabbildung Bd. 186, S. 171
die eben berührte Function vorstellt.
Es ist nun einleuchtend, daß die beschleunigende Kraft, welche aus der Schwere
resultirt, durch die Ueberwindung des Adhäsionswiderstandes vollkommen absorbirt
werden muß und daher beide einander gleich zu setzen sind. Dadurch entsteht aber
dann folgende allgemeine Formel:
Textabbildung Bd. 186, S. 171
in welcher i eine Constante ist,
die von den Reibungsverhältnissen des Wassers abhängt.
Setzt man zunächst in (U₀ W + UDm
. p)/(W + p) aus XVI und XVII die dem U₀ und UDm, zugehörigen Werthe ein, so wird nach
einigen leichten Zusammenfassungen:
Textabbildung Bd. 186, S. 171
und hierin den Werth von f aus
XIII eingeführt, erhält man:
Textabbildung Bd. 186, S. 172
daher damit, wenn man das relative Gefälle h/l durch s bezeichnet, die
Gleichung XVIII zur folgenden wird:
Textabbildung Bd. 186, S. 172
Eine praktische Vereinfachung dieser Formel wird erreicht, wenn man, was freilich bei
vielen Flüssen nicht ganz aber ziemlich nahe der Fall ist, W = p seyn läßt. Dadurch reducirt sich der
Ausdruck:
Textabbildung Bd. 186, S. 172
auf den Werth – 0,167 und es wird dann:
as/(W +
p) = i/G . f (0,93 . v – 0,167 (bv)1/2),
oder 0,93 v – 0,167 b1/2
v1/2 mit z bezeichnet,
as/(W +
p) = i/G. f (z)
Zur Bestimmung der Function f (z) müssen nun Beobachtungen zu Rathe gezogen werden. Seit Coulomb ist es so ziemlich Gebrauch geworden für f(v), welchem unser f(z) entspricht, einen
Ausdruck von der Form
f(v) =
Bv + Cv²
anzunehmen, also auch
f(z) =
B₁ z + C₁
z²
oder i/G
f(z) = Bz + Cz²
zu setzen und dann für B und C solche Werthe zu ermitteln, welche die
Uebereinstimmung der Formel mit den Beobachtungen bewirken. Am einfachsten wird der
Ausdruck für i/G f(z) dem Ausdruck Cz²
gleich gesetzt, was
ergibt:
as/(W +
p) = Cz² = C . (0,93 . v – 0,167
b1/2 . v1/2)².
Wird s = 0, d.h. das Gefälle Null, so kann der Ausdruck
in der Klammer für den Werth:
(bv)1/2 = (0,167 . b)/0,93
Null werden, ohne daß C Null zu
seyn braucht. Knüpfen wir nun an C die Bedingung, daß es
Null werden müsse für v = 0 und beachten, daß bewegtes
Wasser vorausgesetzt wird, also v nie Null seyn kann, so
müssen wir auch den Klammerausdruck so umändern, daß er nie den Werth Null annehmen
kann, mit Ausnahme des Werthes v = 0, ein Fall, der, wie
eben erwähnt, gar nie eintritt. Diese Umänderung wird nun herbeigeführt, wenn wir
das zweite Klammerglied positiv nehmen, weil dann dem Ausdruck für z, nämlich:
0,93 . v + 0,167 . b1/2 . v1/2
nur der negative Wurzelwerth – (0,167 . b)/0,93 entspricht. Derselbe ist aber ausgeschlossen,
weil √bv, wie weiter oben gezeigt wurde, nur
absolut genommen werden kann. Wir setzen daher von jetzt an:
XIX. as/(W + p) = C . (0,93 . v + 0,167 . (bv)1/2)².
Der Ausdruck für C, welcher sich daraus bestimmt, enthält
für die bereits vorhandenen Beobachtungen nur bekannte Größen, aus denen C berechnet werden könnte, wobei sich aber herausstellt,
daß es nicht constant angenommen werden darf.
Um nun das Gesetz der Veränderlichkeit von C zu
ermitteln, wurden die Werthe von s als Abscissen und die
von C als Ordinaten aufgetragen. Man erhielt als
Verbindungslinie der so bestimmten Punkte eine Curve und war daher zu dem Schlusse
berechtigt, daß C eine Function von s sey. Es stellte sich heraus, daß die einfache Curve,
deren Gleichung
C = s1/2/195
ist, die nöthigen Bedingungen erfülle, wobei aber zu bemerken,
daß der Coefficient sich auf englisches Fußmaaß bezieht.
Setzt man diesen Werth in die Gleichung XIX ein, so erhält man:
a.s/(W +
p) = s1/2/195 . [0,93 . v +
0,167 (bv)1/2]².
Nach v aufgelöst und der Kürze wegen a/(W + p) mit r bezeichnet, ergibt sich daraus die
gesuchte mittlere Flußgeschwindigkeit für ganz beliebige Flußprofile:
Textabbildung Bd. 186, S. 174
wobei
Textabbildung Bd. 186, S. 174
und englisches Fußmaaß zu Grunde gelegt ist.
Im Allgemeinen ist 0,96 √b, da b meistens schon ein ächter Bruch, so klein, daß es ohne
großen Fehler außer Acht gelassen werden kann. Thut man dieses und natürlich dann
mit demselben Rechte auch bei dem Gliede 0,0081 . b, so
erhält man als Approximativformel für die mittlere Flußgeschwindigkeit:
Textabbildung Bd. 186, S. 174
welche nun freilich um 0,15 bis 0,3 Fuß zu große Werthe gibt.
Um ihr indessen diese einfache Gestalt zu belassen, hat Grebenau einen Correctionscoefficienten eingeführt, durch dessen
Multiplication die Gleichung so verbessert werden kann, daß sie nunmehr Werthe
liefert, die mit denen der Humphreys-Abbot'schen
Formel, wie sie in XX aufgestellt, genau genug übereinstimmen.
Bezeichnet man diesen Correctionscoefficienten mit β, so muß also
v = β .
v₁
seyn und wird nun für irgend einen gegebenen Fall v nach der genauen Formel XX berechnet, so erhält man im
Verlauf der Rechnung gleichzeitig den in XXI enthaltenen Approximativwerth v₁, womit sich dann bei einer jeden solchen
Berechnung der gesuchte Correctionscoefficient β
= v/v₁ welcher die
Formel XXI zu einer correcten Geschwindigkeitsformel macht, feststellen läßt.
Aus solchen Berechnungen besonderer Fälle fand Grebenau,
daß β für die kleinsten und größten fließenden
Gewässer verhältnißmäßig sehr wenig, nämlich zwischen 0,64 und 0,96 variirt, weßhalb
es für die gewöhnlichen Fälle der Praxis vollkommen hinreicht, wenn man sich für β folgender, für fünf Kategorien von fließenden
Gewässern gezogener Mittelzahlen bedient:
a) für kleine Wassergräben
unter
1
Quadratmeter Querschnitt,
β = 0,8543,
b) für kleine Bäche von
1–5
„
„
β = 0,8796,
c) für größere Bäche von
5–10
„
„
β = 0,8890,
d) für kleine Flüsse von
20–400
„
„
β = 0,9223 und
e) für große Flüsse über
400
„
„
β = 0,9459.
Das wichtigste Resultat der neuen Theorie der Bewegung des Wassers in Flüssen und
Canälen läßt sich daher, wenn man noch den Coefficienten 15,01532 mit k bezeichnet, in folgender einfachen Form
darstellen:
Textabbildung Bd. 186, S. 175
Wird statt englisches Fußmaaß, worauf sich diese Formel bezieht, bayerisches Fußmaaß
genommen, so bestimmt sich der Werth von k zu 15,34439,
für preußisches dagegen zu 14,79670 und für Metermaaß zu 8,28972.