Titel: | Ueber die Fabrication des Chlorkalkes und über Chlorimetrie; von A. Bobierre. |
Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. XXXII., S. 158 |
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XXXII.
Ueber die Fabrication des Chlorkalkes und über
Chlorimetrie; von A.
Bobierre.
Aus den Comptes rendus, t. LXV p. 803; November
1867.
Bobierre, über Chlorkalk-Fabrication und
Chlorimetrie.
Bezüglich der Untersuchungen über den Chlorkalk von J. Kolb und A. Riche
Seite 55 und 59 im vorhergehenden Heft. will ich einige Beobachtungen mittheilen, welche ich vor einiger Zeit
machte, als ich eine bedeutende Chlorkalkfabrik zu Nantes einzurichten und zu leiten
hatte.
Was zunächst den trockenen Chlorkalk anbetrifft, mit
dessen Darstellung ich mich besonders im Jahre 1845 beschäftigte, so finde ich in
meinem Laboratorium-Buch folgende Thatsachen verzeichnet:
1) Es ist nicht gleichgültig, wie Kolb meint, ob man über
Chlorkalk im Maximum der Sättigung, d.h. von 123 bis 125 Chlorimetergraden,
überschüssiges Chlor leitet. Ich beobachtete, wie viele andere Fabrikanten, daß in
Folge der Einwirkung von überschüssigem Chlor der Gehalt des Productes vermindert
und daß diese Veränderung des Bleichpräparates durch eine geringe Temperaturerhöhung
begünstigt wird.
2) Bei der Darstellung von trockenem Chlorkalk ist eine Temperaturerhöhung, durch
welche die Entstehung von chlorsaurem Kalk und Chlorcalcium erleichtert wird, wohl zu vermeiden; bei
einer während der Absorption des Chlors stattfindenden Temperaturerhöhung wird ein beträchtlicher Antheil vom Hydratwasser des Kalkes
verdrängt, und nach Berzelius' Angabe muß man es
vermeiden, daß die Temperatur 18° C. erreicht. Um die Temperatur zu
vermindern, hatte ich mir kreisförmige Apparate construirt, in denen die
absorbirende Substanz durch vier, aus verbleietem Eisen angefertigte und
rechtwinklig sich kreuzende Rechen zertheilt und am Zusammenballen zu dickeren
Massen verhindert ward. Mittelst dieser Einrichtung habe ich jedoch die erwarteten
Resultate nicht erzielt, dagegen erhielt ich bei Beobachtung der einfachen
Vorsichtsmaßregel, das Kalkhydrat nur in dünnen Schichten anzuwenden, einen
Chlorkalk von der gewünschten Qualität.
3) Bei einer großen Anzahl chlorimetrischer Prüfungen, welche ich mehrere Jahre
hindurch auszuführen hatte, überzeugte ich mich, daß Chlorkalk, dessen Gehalt mehr als ungefähr 110 Chlorimetergrade beträgt, bei Berührung mit Wasser im Probirmörser
Erscheinungen darbietet, welche durch einen besonderen chemischen Vorgang verursacht
werden müssen. In diesem Falle nimmt nämlich die Masse, wenn nicht zu viel Wasser
zugegen ist, eine teigartige Consistenz an und erhitzt sich. Ich würde glauben, daß,
wie Kolb meint, die bloße Verbindung des Chlors mit dem
Kalkhydrate beim Contacte mit Wasser sich spalte. Wenn indessen, wie dieser Chemiker
behauptet, das Glied CaO, HO der Zusammensetzung
2 (CaO, HO, Cl) + CaO, HO,
welche er dem Chlorkalk von 123 Chlorimetergraden vindicirt,
nicht entzogen werden kann, wie läßt sich dann die Verdrängung eines bedeutenden
Antheils HO des Hydrats erklären, falls bei der Fabrication der Chlorstrom in
Gegenwart dieses Hydrats fortdauert. Hinsichtlich dieses Punktes würde weitere
Aufklärung wünschenswerth seyn.
4) Bei meinen chlorimetrischen Proben arbeitete ich vor einem Fenster, welches
Vormittags von den Sonnenstrahlen reichlich getroffen wurde, und beobachtete häufig,
daß in meinen graduirten Gefäßen sich viele Blasen von Sauerstoffgas entwickelten. Ebenso
bemerkte ich bald, daß ich bei Wiederholung der Titrirungen mit Chlorkalklösungen
welche belichtet wurden, Zahlen erhielt, welche offenbar falsch waren. Ich führe
hier einige derartige Resultate vom December 1845 an:
Am 2. December wurde der Einwirkung des Sonnenlichtes
ausgesetzt 1
Liter Chlorkalklösung vom Titre
109°
Am 3. December Vormittags, bei der Temperatur von +
12° C.,
zeigte die
Lösung nach der Belichtung
208°
Am 4. December Vormittags, bei der Temperatur von +
10° C.,
zeigte die
Lösung nach der Belichtung
400°
Am 5. December Vormittags, bei der Temperatur von +
9,5° C.,
zeigte die
Lösung nach der Belichtung
998°
Am 6. December Vormittags, bei der Temperatur von +
9,5° C.,
zeigte die
Lösung nach der Belichtung
1000°.
Am 7. December wurde eine der Flaschen, mit einer Chlorkalklösung von 111°
angefüllt, an das belichtete Fenster gestellt; am 8. Dec. war der Titre der Lösung
auf 293° gestiegen und der charakteristische Geruch der Substanz zeigte sich
bedeutend verändert. Ich glaube wohl kaum die Bemerkung hinzufügen zu müssen, daß
die Differenzen im Titre mit einer beträchtlichen Sauerstoffentwickelung
zusammenfielen.
Um die Erscheinungen zu ermitteln, welche die der Einwirkung des Sonnenlichtes entzogene chlorhaltige Flüssigkeit zeigt, füllte ich zwei
Flaschen mit Chlorkalklösung von 100°, stellte die eine derselben am 10.
December 1845 in die Nähe des Fensters und schloß die andere in eine aus Weißblech
bestehende Büchse ein. Am 12. zeigte die belichtete Flüssigkeit beim Probiren mit
Gay-Lussac's Arsenigsäurelösung 101°,
die der Einwirkung des Lichtes entzogene dagegen ihren ursprünglichen Gehalt von
100°. Als ich die letztere der Einwirkung des zerstreuten Lichtes aussetzte,
stieg ihr Titre sehr langsam; allein ich beobachtete, daß wenn man, nach der
Entfärbung des schwefelsauren Indigos, einen neuen Antheil dieses Reagens zusetzt,
die Flüssigkeit sich im gegebenen Falle wieder blau färbt; überdieß war der Geruch
dieser Flüssigkeit, gleich dem der belichteten Lösung, von dem einer normalen
Chlorkalklösung sehr verschieden.
Ferner setzte ich trockenen Chlorkalk einerseits der Einwirkung des Sonnenlichtes,
andererseits der der Luft aus und machte, im Widerspruch mit Kolb's Annahme, die Beobachtung, daß das Präparat in Folge der Belichtung
sich verändert, zwar langsam, aber doch in solchem Grade, daß es einen zu hohen
Titre zeigt. Die in Folge der Einwirkung feuchter und kohlensäurereicher Luft
auftretende Veränderung ist complicirter und ich bemerkte, daß pulverförmiger
Chlorkalk von 100°, vier Tage lang der Luft ausgesetzt, feucht wurde und nur
noch 90° zeigte, wogegen er, mit einer dünnen Schicht Kalkhydrat bedeckt, die
sich nach und nach in kohlensauren Kalk umwandelte, im Verlaufe derselben Zeit
nichts verlor.
Als ich im Begriffe war, die Resultate dieser Beobachtungen der Oeffentlichkeit zu
übergeben, kam mir der erste Band der Chimie
élémentaire von Dupasquier in die
Hände; aus diesem Buche ersah ich, daß Vautier bereits im
Sommer 1840 in der Fabrik von Estienne und Jalabert in Lyon dieselben Thatsachen beobachtet hatte,
wie ich; ich ersah ferner, daß Vautier diese
Beobachtungen dem wissenschaftlichen Congresse bei dessen im Jahre 1844 zu Lyon
abgehaltenen Sitzung mitgetheilt hatte; ich erfuhr endlich, daß Caron, Bleicher zu Beauvais, Gay-Lussac von analogen Beobachtungen Mittheilung gemacht und der
berühmte Chemiker diese Erscheinungen als eine Fehlerquelle bei Anwendung seines
chlorimetrischen Verfahrens erklärt hat. Nach Gay-Lussac's Ansicht „würde sich das unterchlorigsaure
Alkali in Folge der Einwirkung der Sonnenstrahlen in Unterchlorsäuresalz
(ClO⁴) verwandeln, welches durch den Sauerstoff seiner Säure auf
Farbstoffe zu reagiren vermag, auf die Arsenigsäure hingegen einen oxydirenden
Einfluß nicht ausübt.“
Wie es nun auch mit dieser Umwandlung beschaffen seyn mag, sey es daß das Chlor zu
Chlorigsäure wird oder daß, wie Gay-Lussac annahm,
Unterchlorsäure entsteht, so wurde die Hauptsache, nämlich die Bildung einer zwar
den Indigo entfärbenden, auf die Arsenigsäure jedoch nicht oxydirend wirkenden
Sauerstoffverbindung im Jahre 1841 in Lyon und Beauvais von Vautier und Caron, im J. 1845 in Nantes von mir
und i. J. 1855 in Paris von Fordos und Gélis nachgewiesen.