Titel: | Ueber die Hydrate der Zinnsäure; von Musculus. |
Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. XCVI., S. 401 |
Download: | XML |
XCVI.
Ueber die Hydrate der Zinnsäure; von Musculus.
Aus den Comptes rendus, t. XV p. 961; December
1867.
Musculus, über die Hydrate der Zinnsäure.
Die Zinnsäure oder das Zinnoxyd, SnO², bildet zwei Hydrate, welche als Zinnsäure und Metazinnsäure
bezeichnet werden. Diese Verbindungen sind für die Geschichte der Chemie von großem
Interesse, indem sie das erste Beispiel zweier Körper lieferten, welche, obgleich
sie dieselbe chemische Zusammensetzung haben, nicht dieselben Eigenschaften
besitzen. Berzelius beobachtete diese Thatsache bereits
im J. 1811 und bezeichnete diese Erscheinung mit dem Namen Isomerie. Später beschäftigte sich besonders Fremy mit den Verbindungen dieser Hydrate mit Alkalien und fand, daß sie
nicht gleiche Sättigungscapacität haben; dem gewöhnlichen Zinnsäurehydrate gab er
die Formel SnO², HO; man erhält dasselbe durch Fällen einer Lösung von
Zinnchlorid mit einem Alkali oder einer Lösung von zinnsaurem Kali mit einer Säure;
der durch Behandeln von metallischem Zinn mit Salpetersäure dargestellten Säure gab
er die Formel Sn²O¹⁰, 5 HO. Diese wichtige Arbeit führte auf
die Vermuthung daß es noch andere, in ihrer Zusammensetzung zwischen den eben
angeführten beiden Verbindungen stehende Hydrate gibt. Diese noch unbekannten Körper
aufzufinden, war der Zweck meiner Untersuchungen.
Bekanntlich wandelt sich Zinnsäure rasch in Metazinnsäure um, wenn sie mit Wasser
gekocht wird; dieselbe Umsetzung findet langsamer statt, wenn man Zinnsäure bei
gewöhnlicher Temperatur trocknen läßt.
Frisch ausgewaschene Zinnsäure ist in concentrirter Salpetersäure und
Chlorwasserstoffsäure löslich, sowie in Aetzkali, von welchem ein großer Ueberschuß
(als festes Kalihydrat zugesetzt) einen krystallinischen Niederschlag (Hydrat Nr. 1) hervorruft.
Bewahrt man dieses Hydrat unter Wasser auf und untersucht es dann nach mehreren
Stunden oder nach Verlauf eines Tages, je nach der Temperatur der Atmosphäre, von
Neuem, so bemerkt man, daß seine Eigenschaften sich verändert haben; in
concentrirter Salpetersäure ist es nicht mehr löslich, wohl aber in
Chlorwasserstoffsäure und in Aetzkali, und der Niederschlag, welchen ein Ueberschuß
des letzteren hervorbringt, erscheint nicht mehr krystallinisch (Hydrat Nr. 2).
Dieses neue Hydrat zeigt nach Verlauf von fünf bis sechs Tagen wiederum eine
Veränderung seiner Eigenschaften; nicht allein ist es jetzt in Salpetersäure
unlöslich, sondern es wird durch diese Säure sogar aus seiner Lösung in Aetzkali
gefällt, und ist auch in Chlorwasserstoffsäure vom stärksten Concentrationsgrade
unlöslich. (Hydrat Nr. 3.)
Hierauf beginnen die Eigenschaften der Metazinnsäure aufzutreten (Hydrat Nr. 5). Die Hydrate Nr. 2 und 3 werden in
Gegenwart von Alkalichloriden, in concentrirter Chlorwasserstoff- und
Salpetersäure löslich; das Metazinnsäurehydrat dagegen löst sich unter diesen
Verhältnissen in beiden Säuren nicht und unterscheidet sich dadurch von den anderen
Hydraten. Gleichzeitig liefert diese Eigenschaft den Beweis, daß die Hydrate Nr. 2
u. 3 wirklich neue, selbstständige Verbindungen, und nicht Gemenge von Zinnsäure und
Metazinnsäure sind; denn man braucht nur die erstere mit einer geringen Menge der
letzteren zu versetzen, das Ganze in Aetzkali zu lösen und concentrirte
Chlorwasserstoffsäure (besser aber Salpetersäure, nach vorgängigem Zusatze einiger
Tropfen Chlorwasserstoffsäure) hinzuzufügen, um einen Niederschlag zu erhalten, was
bei den Hydraten Nr. 2 und 3 nicht der Fall ist.
Durch Behandlung dieser Hydrate mit Kali lassen sich Zinnsäuresalze darstellen, deren
Gehalt an Zinnsäure (SnO², HO) bei derselben Menge der Basis im Verhältnisse
von 1 : 2 : 3 : 5 zu einander steht, so daß man zwischen die beiden bereits länger
bekannten Hydrate: SnO², HO und Sn⁵O¹º, 5 HO die
Verbindungen Sn²O⁴, 2 HO und Sn³O⁶, 3 HO einschalten
kann.
Schiff und Tschermak haben ein
zinnsaures Zinnoxydul analysirt, für welches sie die
Formel SnO, Sn⁶ + O¹² + 3 HO (oder 4 HO) geben. Weber und H. Rose stellten ein
zinnsaures Kali, KO, Sn⁷ O¹⁴ + 3 HO, dar, indem sie eine Lösung
von Metazinnsäure in Chlorwasserstoffsäure mit soviel Aetzkali versetzten, daß der
entstandene Niederschlag wieder gelöst wurde, und dann Alkohol hinzufügten. Damit
würde die Anzahl der Zinnsäurehydrate sechs betragen und
diese würden eine ähnliche Reihe bilden, wie die von Wurtz in seinen Leçons de Philosophie
chimique aufgestellte Reihe der Kieselsäurehydrate, nämlich:
SnO², HO; Sn²O⁴, 2 HO, Sn³O⁶,
3 HO; Sn⁵O¹º; Sn⁶O¹², 6 HO,
Sn⁷O¹⁴, 7 HO.
Wenn man Metazinnsäure mit geschmolzenem Aetzkali behandelt, so wandelt sie sich
wieder zu gewöhnlicher Zinnsäure um. Wendet man dagegen eine concentrirte wässerige
Aetzkalilösung in kochendem Zustande an, so bilden sich die erwähnten intermediären
Zinnsäuresalze, welche sich nach und nach absetzen, indem sie immer löslicher
werden, in dem Maaße als das Molecül sich vereinfacht, und erst wenn die Lösung ganz
concentrirt wird, bilden sich Krystalle des Salzes KO, Sn O².
Chlorwasserstoffsäure wirkt in derselben Weise. Kocht man Metazinnsäurehydrat
ungefähr eine halbe Stunde lang mit dieser Säure, so erhält man zunächst einen aus
einer Verbindung von Chlorwasserstoffsäure mit Metazinnsäure bestehenden
Niederschlag; decantirt man darauf und leitet in die klare Flüssigkeit einen Strom
von trockener Chlorwasserstoffsäure bis zur Sättigung, so bildet sich ein neuer
Niederschlag, welcher keine Metazinnsäure, sondern das Hydrat derselben
(Sn³O⁶, 3 HO) enthält. Wird die saure Flüssigkeit wiederum decantirt
und eingedampft, so bleibt eine krystallinische, sehr leicht zerfließliche Masse
zurück, welche in Aether theilweise löslich ist und aus der man ein Hydrat erhält,
welches in Chlorwasserstoffsäure vom höchsten Concentrationsgrade vollständig, in
concentrirter Salpetersäure aber nur zum Theil löslich ist. Jene Masse ist demnach
ein Gemenge von krystallisirtem Zinnchlorid und dem chlorwasserstoffsauren Hydrat
Sn²O⁴, 2 HO.
Aetzkali und Chlorwasserstoffsäure wirken auf diese Hydrate in anderer Weise; sie
lösen dieselben nur auf, ohne mit ihnen wirkliche Verbindungen einzugehen.
Nach Berzelius genügt nämlich 1 Thl. Aetzkali, um 16 Thle.
Zinnsäure zu lösen, was kaum 1 Aequiv. auf 10 beträgt. Andererseits hat Fehling beobachtet, daß Zinnsäure, in verdünnter
Chlorwasserstoffsäure gelöst, sich in Metazinnsäure verwandelt, wie wenn sie in
freiem Zustande vorhanden wäre. Demnach haben diese Hydrate eine sehr geringe
Verwandtschaft sowohl zu Basen als zu Säuren, und ihre Verbindungen mit denselben
besitzen keine Beständigkeit.
So werden z.B. alle Kalistannate durch die in der Atmosphäre enthaltene Kohlensäure,
sowie durch eine Lösung von neutralem schwefelsaurem Natron, und die unlöslichen
Zinnsäuresalze werden schon durch Wasser zersetzt. Die Verbindungen jener Hydrate
mit Chlorwasserstoffsäure verlieren an der Luft einen Theil ihrer Säure und werden
durch Wasser vollständig zersetzt, selbst das krystallisirte Zinnchlorid.
Dagegen verbinden sich die Zinnsäurehydrate mit Zinnoxydul zu weit beständigeren
salzartigen Körpern und diese besitzen verschiedene Farben; sie sind gelb, grün,
blau u.s.w.