Titel: | Vorschlag eines Verfahrens, die bronzenen Feldkanonen mit gußstählerner Seele zu versehen. |
Autor: | E. Sprengler |
Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. CXII., S. 474 |
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CXII.
Vorschlag eines Verfahrens, die bronzenen
Feldkanonen mit gußstählerner Seele zu versehen.
Verfahren, die bronzenen Feldkanonen mit gußstählerner Seele zu
versehen.
Die anerkanntermaßen nicht genügende Ausdauer der Seelenwände gegen die Einwirkung
von Geschoß und Hinterladung, sowie die stets betriebene Verbesserung der kleinen
Feuerwaffen hinsichtlich ihrer Tragweite und Trefffähigkeit sind zwei Factoren,
welche es bezüglich der Feldkanonen nicht nur wünschenswerth, sondern nachgerade zur
dringenden Nothwendigkeit machen, auf ein Mittel bedacht zu seyn, ersteren Nachtheil
zu beseitigen und sich zu bestreben, der kleinen Feuerwaffe gegenüber gleichzeitig
erhöhtere Anforderungen zu befriedigen.
Unter diesen letzteren ließe sich vorläufig weniger eine Vermehrung der Tragweite,
als bessere Schußhaltigkeit denken, wollte nicht eine Umwälzung der zur Zeit
bestehenden Einrichtungen herbeigeführt werden, wofür allerdings anderwärts schon
die Keime entwachsen.
Obgleich für die metallenen Geschütze stärkeren Kalibers die Nothwendigkeit,
Verbesserungen eintreten zu lassen, nicht verkannt ist, so soll doch der besondere
Nachdruck den Feldkanonen gelten, von denen im Felde (von den demontirt werdenden
nicht zu sprechen) manche nach einer unbeträchtlich zu nennenden Anzahl Schüsse
unbrauchbar werden können, wofür auf Ersatzstücke, die aus vorhandenen
Reservebatterien, ohne sie ihrem Zwecke zu entfremden, nicht genommen werden sollen,
bei einer Kriegsaufstellung Rücksicht zu nehmen bisher nicht üblich war; während im
Festungs- und Belagerungskriege einem möglichen Ausfall durch höheren Ansatz
Rechnung getragen ist.
Hat nun auch das seit einigen Jahren aufgetauchte Gußstahlgeschütz sehr bestechliche
Eigenschaften an sich, so möchte die Annahme desselben an Stelle des
Bronzegeschützes in Anbetracht der bis jetzt vorliegenden Versuche von zu geringer
Ausdehnung und Dauer, der noch zu sehr in's Geheimniß gehüllten, sonach noch nicht
Vertrauen gewonnenen Anfertigungsmethode und endlich des Umstandes, daß man sich
dadurch der Fabrication der Geschütze selbst zu entäußern gezwungen sehen würde,
nicht anzurathen seyn.
Doch haben die wenigen Versuche unzweifelhaft dargethan, und es geht aus der Natur
des bekannten Stoffes hervor, daß das Stahlgeschütz bezüglich des Verhaltens seiner
Seelenwände das äußerst Verlangte leistet, und gewiß sind schon die Wünsche manches
Artilleristen dahin gerichtet gewesen, das Bronzegeschütz bei seinen unübertroffenen
Eigenschaften noch mit jener der gußstählernen Seelenwand begabt zu wissen. Wollte
mithin die Nothwendigkeit, den Eingangs angeführten Beweggründen Rechnung zu tragen,
Anerkennung finden, so legt sich als möglich und erreichbar nahe, daß es unter der
gemeinsamen Benützung der hervorragendsten Eigenschaften der Bronze und des
Gußstahles bei Anfertigung eines Feldkanonenrohres geschehen könnte, indem das
bisherige Bronzegeschützrohr als Hülse oder Schutzmantel dienen würde, um eine
kalibermäßig ausgehöhlte Gußstahlröhre als Seele so in sich aufzunehmen, daß beide
Theile als zu einem vollständigen Ganzen vereinigt zu betrachten wären. –
Obgleich die Ausführung eines solchen Unternehmens wohl auch mit Hülfe des Gußes
geschehen könnte, hier aber Bedenklichkeiten mancher Art sich ergeben, so möchte
hierzu vor allen anderen der mechanische Weg zu versuchen und demnach in Betracht zu
ziehen seyn. Dieser wird folgende vier Stadien unterscheiden:
1) das Ausbohren eines alten oder neuen Bronzegeschützes auf die anzunehmende Stärke
der Stahlröhre;
2) die Bearbeitung eines zu in Rede stehendem Zwecke angeschafften Gußstahlcylinders,
dessen Ausmaaße sich in der Folge annähernd ergeben;
3) die Vereinigung respective Einbringung des Gußstahlcylinders in das mit
erweiterter Ausbohrung versehene Bronzegeschütz, und endlich 4) das Ausbohren des
aus 2 Metallen zusammengesetzten Geschützrohres.
ad 1. Angenommen, es solle die Wandstärke der die
künftige Seele bildenden Gußstahlröhre für den 6 Pfünder 0,4'' rhn., für den 12 Pfünder 0,5'' rhn.
betragen, so wird es zur Aufgabe, das alte oder neue Rohr dieser Kaliber um
beziehungsweise 0,8'' und 0,10'' über das bestimmte Kalibermaaß auszubohren, wobei es sich aber um eine
vollkommen genaue cylindrische Ausbohrung handelt. Das Ende derselben könnte
halbkugelförmig gestaltet werden.
ad 2. Der im rohen Zustande angeschaffte, nach
Durchmesser und Länge die im Bronzegeschütze angebrachte Ausbohrung überschreitende
Gußstahlcylinder ist möglichst genau abzudrehen, und ihm ein Durchmesser zu
belassen, der um etwa 0,01'' größer als jener der
gemachten Erweiterungsausbohrung in der Bronzehülse wäre. Ebenso erhält er die
Halbkugelform angedreht. Bezüglich der Genauigkeit der Bearbeitung stellen sich hier
gleiche Anforderungen, wie bei der Ausbohrung der Bronzehülse.
ad 3. Die Vereinigung des Bronzegeschützes mit dem
angefertigten Stahlcylinder im massiven Zustande bildet die schwierigste Seite der
Ausführung, weil es hierbei darauf ankommt, durch den
Temperaturunterschied nicht nur die Einbringung des Cylinders zu ermöglichen,
sondern auch in Folge davon die nöthige Verbindung und Befestigung zu
erzielen. – Um den um 0,01'' stärkeren
Stahlcylinder in die zu seiner Aufnahme bestimmte Ausbohrung bequem einbringen zu
können, muß letztere sich mindestens etwas über 0,02''
erweitern. – Beim 6 Pfünder beträgt diese Ausbohrung gemäß vorhergegangener
Annahme 3,58 + 0,8'' = 4,38''. Nach Lavoisier und Laplace dehnt sich die Bronze in linearer Richtung zwischen 0 und
100° C. für jeden Grad um 1/55000 aus, und nimmt die Ausdehnung bei höheren
Hitzegraden noch zu. Bei Benutzung dieses Coefficienten bedürfte man, um die
Ausdehnung von etwas mehr als 0,02'' auf 4,38'' hervorzurufen, 251° C. = 200,8° R.,
welcher Hitzegrad annähernd der carmoisinen Anlauffarbe beim Stahle entspricht, was
gerade als Erkennungszeichen für den der Bronzehülse zu gebenden Hitzegrad dienen
könnte. Außerdem gibt es noch Stoffe, als fette Oele (Leinöl), die bei 310 bis
320° Celsius sieden, als Zinn und Blei, die bei 213 und 260° C.
schmelzen, welche ebenfalls zu pyrometrischen Zwecken hier Verwendung finden
dürften. – Die Bronzehülse kann durch eine Hitzflamme oder durch gewöhnliches
Kohlenfeuer auf einem hierzu vorbereiteten Herde oder in einem Ofen, wobei aber
einem möglichen Verbiegen derselben auf jede Weise vorgebaut wäre, auf den nöthigen
Temperaturgrad gebracht werden, worauf sodann der vorbereitete Stahlcylinder
eingeführt werden müßte. Haben sich die Temperaturen der Bronzehülse und des
Stahlcylinders endlich ausgeglichen, so muß letzterer mit jener Kraft festgehalten
werden, mit welcher sich die Bronzehülse noch um 0,01''
im Durchmesser der Ausbohrung zusammenzuziehen strebt. Nach annähernder Berechnung
für den 6 Pfünder und unter Annahme des Elasticitäts-Moduls für Kupfer, da
sich jener für Bronze nicht auffand, würde diese Kraft circa 23320 Zoll-Centner betragen, somit eine besondere Befestigung
des Cylinders an der Bronzehülse kaum nöthig erscheinen und auch auf diese Weise
eine Lockerung schwerlich zu befürchten seyn.
Daß den durch das Einschieben des Stahlcylinders in die Bronzehülse zu verdrängenden
Luftschichten ein ungehinderter Austritt gestattet werden müßte, ergibt sich von
selbst, und kann dieses durch einen durch die Verstärkung des Stoßes zur Seelenachse
gelangenden eingebohrten Canal geschehen. – Ehe jedoch zur Ausführung dieser
wichtigen und entscheidenden Procedur gegangen wird, müssen kleinere Vorversuche
angestellt werden, um für die Sicherung des Gelingens im Großen die unumgänglich
nöthigen Erfahrungen an die Hand zu geben. – – –
ad 4. Das Ausbohren geschieht nach den üblichen Normen
und so, daß die Seele lediglich aus Stahlwänden besteht.
Das Einsetzen eines kupfernen Zündkernes wird wie bei nur bronzenen Rohren ebenfalls
nöthig. Vor dem Einsetzen des Kernes und ehe das Rohr auf die vorgeschriebene Länge
gebracht wird, wäre es gut, wenn ein paar Probeschüsse mit Stupinenleitung aus dem
Rohre gethan würden, um die Gußstahlröhre zu fixiren oder deren mangelhafte
Einsetzung gleich zu entdecken.
Da bei Anwendung des Gußstahlcylinders das Gewicht des Rohres sich um etwas
verringern würde, so möchte bei neuen Bronzehülsen die Ergänzung auf das
vorgeschriebene Gewicht dadurch erfolgen, daß von den für die Durchmesser und Längen
des Rohres gestatteten Toleranzen stets die höchsten als Norm eingehalten
würden.
Angemessen erscheint es, den ersten Versuch mit einem 6 Pfünder zu machen, da hier
die Massen kleiner und etwaige Schwierigkeiten sich damit leichter besiegen lassen;
während das erstmalige Mißlingen eines Versuches mit einem 12 Pfünder größere Kosten nach sich
zieht, das Vertrauen stört und außerdem im Zweifel läßt, ob das Gleiche bei
geringerem Kaliber stattgefunden hätte.
Da es sich hier um einen Versuch handelt, der zur leitenden Richtung bis jetzt eines
Vorbildes entbehrt, so können wohl weder die Behandlung noch die zu gebenden
Abmessungen so zergliedert, als vielleicht wünschenswerth, gegeben werden;
andererseits könnten zu fixe Bestimmungen sogar auch bindend auf die Versuchsführung
einwirken, welcher außerhalb des vorgezeichneten Rahmens möglichst freie Bewegung zu
gönnen wäre.
Die Geschichte der Fabrication der Geschütze weist mehrere Versuchsfälle nach, wo man
sich durch Einsetzen guß- und schmiedeeiserner Seelen auf dem Gußwege zu
Gunsten der Bronzegeschütze zu helfen bemüht war, die gleichwohl und zwar mehr oder
minder in Folge mangelhafter Ausführung als mißlungen zu betrachten waren, trotzdem
aber das Vertrauen und die Hoffnung nicht aufgeben machten, daß in der Zukunft ein
solches oder ähnliches Unternehmen auf irgend eine Weise sich verwirklichen
lasse.
––––––––––
Vorstehendes Project wurde im Juni 1856 aufgestellt, erst
höherer Stelle unterbreitet, dort abgelehnt, und gieng alsdann als Schriftstück mit
Zustimmung des gefertigten Verfassers durch Vermittelung einer angesehenen
Persönlichkeit nach Woolwich. Zur Bedingung erbetene directe Mittheilungen über
Versuchsergebnisse blieben unberücksichtigt.
Anderweitige Berufsbeschäftigungen behinderten den Verfasser die Angelegenheit
seither zu verfolgen; doch kamen demselben inzwischen von kameradschaftlicher Seite
mündliche Nachrichten zu, daß in England und auch anderwärts solche Metallverbindung
an Geschützen zur Anwendung gekommen sey.
Aus den „Militärischen Betrachtungen aus Frankreich im Sommer 1867, von
einem norddeutschen Officiere, Berlin 1868 bei E. S. Mittler“ geht (Seite 86 und 87) hervor, daß Holland auf der
internationalen Industrie-Ausstellung unter seinen artilleristischen
Producten einen gezogenen 30 Pfünder aus Gußeisen mit Bronzefutter und einen
gezogenen 4 Pfünder aus demselben Material führte und wird dabei auch bemerkt, daß
der 4 Pfünder (?) aus dem glatten 6 Pfünder (?) hervorgegangen sey.
In dem bei Brockhaus in Leipzig i. J. 1868 erschienenen
Werke des schweizerischen Generalstabshauptmann Hrn. v. Elgger
„die Kriegsfeuerwaffen der Gegenwart“ wird S. 243 erwähnt, daß
in der schweizerischen Artillerie-Zeitschrift der Vorschlag gemacht werde, bronzene Geschütze mit
einer Fütterung von Gußstahl zu versehen. Also auch unserem Verlangen ähnlich, und
an der Möglichkeit der Ausführung ist doch wohl heut zu Tage und nach allem Gehörten
nicht mehr zu zweifeln.
Da nach des Verfassers Ansicht das Project mit Einführung des Gußstahles, der
gezogenen Geschütze und nach den neuesten Erfahrungen mit ersterem Material, eher an
Werth gewonnen als verloren hat, so hält derselbe die Vorführung desselben in diesem
weit verbreiteten Journale nicht für verspätet und wird damit zugleich der Ursprung
sowohl, als der Zeitpunkt des Entstehens markirt.
Dieser Zeitpunkt liegt so weit zurück, daß man sagen darf: „Der Gußstahl
war damals noch nicht vollständig als taugliches Geschützmaterial anerkannt, die
gezogenen Geschütze waren noch weit entfernt zur allgemeineren Einführung
gelangt zu seyn.“
Möge der geneigte Leser einestheils den Verfasser für so billig denkend erachten, um
auch dem Entstehen solchen Gedankens bei Anderen Raum zu gönnen, anderentheils aber
den Zeitpunkt unseres Auftretens würdigen.
Augsburg, im Februar 1868.
E.
Sprengler,k. Artillerie-Major.