Titel: | Untersuchungen über die Milchsäuregährung der Maische; von Dr. W. Schultze, Brennerei-Techniker in Stettin. |
Autor: | W. Schultze |
Fundstelle: | Band 187, Jahrgang 1868, Nr. CXVII., S. 501 |
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CXVII.
Untersuchungen über die Milchsäuregährung der
Maische; von Dr. W. Schultze,
Brennerei-Techniker in Stettin.
Schultze, über die Milchsäuregährung der Maische.
I. Ueber die veranlassende Ursache der
Bildung der Milchsäure in der Maische.
Hallier einerseits und Pasteur
andererseits haben nachgewiesen, daß die Umwandlung des Milchzuckers in Milchsäure
veranlaßt wird durch die Entwickelung eines eigenthümlichen, mikroskopischen Pilzes,
der Milchsäurehefe, durch eine specifische Gährung, die Milchsäuregährung.
Diese Thatsache veranlaßte mich anzunehmen, daß die in den Maischen stets auftretende
Milchsäure durch dieselbe Ursache aus dem Traubenzucker der Maischen gebildet
werde.
War diese Annahme richtig, so mußte sich in allen milchsauren Maischen die
Milchsäurehefe mikroskopisch nachweisen lassen. Demgemäß untersuchte ich etwa 60
mehr oder weniger milchsaure Maischen und fand in der That in allen die von Hallier und von Pasteur
beschriebene Hefenart.
Ein ganz klares Filtrat von frischer Getreidemaische, deren Extractgehalt = 10,381
Proc. Saccharometeranzeige war, wurde in einem lose verstöpselten Kölbchen bei einer
Temperatur von 10–15° R. ruhig bei Seite gestellt. Nach 17 Stunden
fieng das Filtrat an sich zu trüben. Diese Trübung wuchs mehr und mehr, und nach 41
Stunden hatte sich ein zarter, weißer Niederschlag gebildet.
Dieser Niederschlag bestand ausschließlich aus Milchsäurehefe, wie die mikroskopische
Analyse ergab.
Er vergrößerte sich im Laufe der Zeit noch bedeutend. Als jedoch nach 7 tägiger
Versuchsdauer keine Zunahme mehr beobachtet werden konnte, wurde er abermals
mikroskopisch untersucht: es fand sich wohlausgebildete Milchsäurehefe, welche mit
einigen wenigen Alkoholhefenzellen vermischt war.
Das Maischfiltrat hatte mit dem Beginn der Trübung seinen eigenthümlichen Geruch
verloren und dafür den Geruch frischer Molken angenommen.
Beim Beginne dieses Versuches war der Säuregehalt des Marschfiltrates genau bestimmt
worden: er betrug 1,25 Tausendtheile. Bei der Beendigung des Versuches wurde er
wieder bestimmt: jetzt betrug er 11,25 Tausendtheile. Mithin war der Säuregehalt
während des Versuches um das Neunfache gewachsen.
Es unterliegt hiernach keinem Zweifel, daß auch die in den
Maischen stets vorhandene Milchsäure das Product der Milchsäurehefe, der
Milchsäuregährung ist.
Die Milchsäurehefe der Maische bildet im ausgewachsenen Zustande gestreckte,
vierkantige, helle Stäbchen, welche hin und wieder in der Mitte eine schwache
Abschnürung besitzen. Im jugendlichen Zustande erscheint sie unter dem Mikroskope in
der Gestalt sehr kleiner Punkte, welche eine wimmelnde Bewegung zeigen. Sie ist
stark lichtbrechend, von eigenthümlichem, sanften Glanz, so daß man, wie Hallier sehr richtig bemerkt, nie den Inhalt von der
Membran unterscheiden kann. Der Durchmesser der einzelnen Glieder beträgt etwa 1/600
Millimet. (Pasteur.) Mit der Alkoholhefe ist sie nie zu
verwechseln.
Nachdem hierdurch das Auftreten der Milchsäurehefe in der Maische festgestellt worden
war, trat mir nun die Frage nach dem Ursprunge dieser Hefe entgegen.
An eine spontane Entstehung darf, heutzutage, nachdem Hallier's u.a. mykologische Arbeiten erschienen sind, nicht im
entferntesten mehr gedacht werden.
Die Thatsache, daß der atmosphärische Staub stets Sporen von Gährungspilzen enthält
und durch diese befähigt wird, die sogenannte freiwillige geistige Gährung und
andere Erscheinungen einzuleiten (Hallier, Anthon, Lermer
u.a.); ferner die Thatsache, daß eine süße, gährungsfähige Malzwürze wochenlang
unverändert bleibt, wenn nur solche Luft Zutritt zu ihr hat, welche vorher durch
Baumwolle filtrirt worden ist (Schröder und v. Dusch), ließen mich vermuthen, daß es auch hier der atmosphärische
Staub sey, welcher die Sporen oder Keime liefere, aus denen sich die Milchsäurehefe
in den Maischen entwickelt.
Um diese Vermuthung zu prüfen, stellte ich folgende Versuche an.
In einem Probirröhrchen wurde ein ganz klares Filtrat von frischer Maische 15 Minuten
lang gekocht, damit die etwa schon in dem Filtrate vorhandenen Sporen getödtet
wurden. Darauf wurde das Probirröhrchen mit seinem Inhalte unverstöpselt bei
10–15° R. ruhig bei Seite gestellt. Nach 24 Stunden trübte sich das
Maischfiltrat. Die Trübung rührte, wie die mikroskopische Untersuchung ergab, von
Milchsäurehefe her.
Interessant zu beobachten war es, wie die Trübung zunächst an der Oberfläche der
Flüssigkeit begann und dann successive nach unten hin vorwärtsgieng.
Gleichzeitig mit diesem Versuche wurde ein zweiter angestellt, der sich von ersterem
einzig und allein dadurch unterschied, daß das Probirröhrchen nach dem 15 Minuten
währenden Sieden seines Inhaltes luftdicht verschlossen wurde. In diesem Falle trat
selbst nach 17tägiger Versuchsdauer keine Spur von Milchsäurehefenbildung ein, auch
war keine Vermehrung der sauren Reaction erfolgt.
Hieraus geht also hervor, daß es der atmosphärische Staub,
resp. gewisse in demselben enthaltene Sporen sind, welche die
Milchsäurehefenbildung in den Maischen veranlassen.
Ich hatte zu wiederholten Malen die Beobachtung gemacht, daß in nicht filtrirter Maischwürze, also in Maische, wie sie bei der Operation
der Einmaischung erhalten wird, die Milchsäuregährung stets rascher und in bedeutend
größerem Umfang auftritt, als in filtrirter. In einer 20 procentigen Hefenmaische
z.B. waren schon 3 Stunden nach ihrer Darstellung Milliarden von großen
Milchsäurehefenzellen wahrnehmbar, während in derselben Maische, als sie filtrirt
wurde, trotz der Gleichheit aller sonstigen Einflüsse, erst nach 20–24
Stunden Hefenbildung eintrat.
Ich schloß hieraus, daß es noch eine andere Bezugsquelle von Milchsäurehefenkeimen,
als die Atmosphäre, für die Maische geben müsse. Denn wenn die Hefensporen allein
aus der Atmosphäre in die Maische gelangen, so darf sich hinsichtlich der
Gleichmäßigkeit der Milchsäuregährung kein Unterschied zeigen, gleichviel ob die
Maische filtrirt worden ist, oder nicht.
Ich erinnerte mich hierbei der Thatsache, daß die sogenannte freiwillige Gährung,
welche wir in dem Moste auftreten sehen, vorzugsweise und nachweislich durch jene
Pilzsporen hervorgerufen wird, die auf der Oberfläche der Trauben und an den Fruchtstielen haften
(Hoffmann). Gestützt auf diese Thatsache, bildete ich
mir die Ansicht, daß als jene andere Bezugsquelle von Milchsäurehefenkeimen der
Staub zu betrachten sey, welcher sich stets in größerer oder geringerer Menge in und
an den zur Maischdarstellung verwendeten Rohstoffen: Roggen, Malz etc. findet.
Diese Ansicht erhielt auf folgende Weise ihre experimentelle Bestätigung.
Zwei gut ausgekochte Probirröhrchen A und B wurden mit gleichen Raumtheilen eines und desselben
ganz klaren Maischfiltrates (circa 10 procentig)
gefüllt.
Beide Raumtheile Maischfiltrat wurden darauf mit gleichen Raumtheilen vorher
anhaltend gekochten, dann unter ausgekochter Baumwolle erkalteten Wassers
verdünnt.
Das Verdünnungswasser des Röhrchens A war aber vor seinem
Zusatze zum Maischfiltrat einige Augenblicke mit etwa 50
Roggenkörnern, wie sie ein Griff in einen großen Roggenhaufen ergab, in Berührung
gebracht, dadurch also mit dem Roggenstaube beladen worden.
Beide Röhrchen wurden dann gut verschlossen und einer Temperatur von + 28° R.
ausgesetzt.
Nach Verlauf von 4 Stunden trat in beiden Röhrchen Trübung, also
Milchsäurehefenbildung ein. Dieselbe nahm aber dann in dem Röhrchen A einen viel größeren Umfang an, als in dem Röhrchen B. Nach der Größe der schließlich gebildeten, aus
Milchsäurehefe bestehenden Niederschläge zu urtheilen, war die Menge der in A gebildeten Hefe wenigstens dreimal so groß, als in B.
Derselbe Versuch wurde nun mit Malzkörnern angestellt. Auch hier trat in dem Röhrchen
A eine stärkere Milchsäurehefenbildung ein.
Es wurde hierauf noch folgender Versuch ausgeführt. Zwei gut ausgekochte
Probirröhrchen A und B
wurden mit gleichen Raumtheilen eines und desselben klaren Maischfiltrates gefüllt.
Nachdem darauf in A eine Wenigkeit trockenen Malzstaubes
eingetragen worden war, wurden beide Röhrchen gut verschlossen und einer Temperatur
von 28° R. ausgesetzt.
Wiederum zeigte sich im Röhrchen A eine viel ergiebigere
Bildung von Milchsäurehefe, als in B. Der Proceß verlief
in A so energisch, daß eine lebhafte Gasentwickelung
eintrat.
Also: auch der Getreide- und
Malzstaub leitet die Milchsäurehefenbildung in den Maischen ein.
Dieses Ergebniß kann uns jetzt nicht mehr überraschen; denn wo anders stammt dieser
Staub her als aus der Atmosphäre?
Ich wiederhole kurz die Resultate vorstehender Arbeit:
1) die in den Maischen vorkommende Milchsäure ist das Product
einer in den Maischen stattfindenden Milchsäuregährung;
2) diese Milchsäuregährung wird veranlaßt durch gewisse
Pilzsporen, welche theils aus dem atmosphärischen Staube, theils aus dem
Getreide- und Malzstaube in die Maischen gelangen.
Außer der im Vorstehenden beschriebenen Entstehungsweise der Milchsäuregährung in den
Maischen durch Pilzsporen, welche ich der Kürze halber die primäre nennen will, gibt es nun noch eine andere, die ich im Gegensatze
zu jener die secundäre nenne.
Die fertig gebildete Milchsäurehefe hat nämlich, analog der Alkoholhefe, die
Eigenschaft, in süßen Maischen sich sofort fortzupflanzen und somit
Milchsäuregährung hervorzurufen.
Klares, süßes Maischfiltrat wurde in einem Kölbchen 15 Minuten lang zum Sieden
erhitzt, um die möglicherweise vorhandenen Sporen zu tödten, und darauf unter einem
dicken ausgekochten Baumwollenpfropfen, den man in den Hals des Kölbchens einschob,
erkalten gelassen. Nach eingetretener Erkaltung lüftete man den Pfropfen etwas und
trug rasch eine Wenigkeit trockener, reiner Milchsäurehefe in die Flüssigkeit ein.
Das darauf sofort wieder gut verstöpselte Kölbchen wurde nun bei 28° R.
hingesetzt.
Es trat sofort Milchsäuregährung ein: die Flüssigkeit trübte sich mehr und mehr;
Gasentwickelung war wahrnehmbar; der Maischgeruch verschwand und der eigenthümliche
Molkengeruch trat auf; die saure Reaction wuchs. Nach Tagesfrist hatte sich die
hierbei neugebildete Milchsäurehefe auf dem Boden des Kölbchens abgelagert, in einer
Quantität welche die der ursprünglich zugesetzten Hefe um ein Bedeutendes
überstieg.
In einer Maische, welche primär in Milchsäuregährung gerathen ist, folgt natürlich
der primären Weise die secundäre sofort auf dem Fuß, vorausgesetzt, daß die zur
Fortpflanzung der entstandenen Zellen erforderlichen Nahrungsmittel vorhanden seyen;
ist also die Pilzspore in der Maische zur Hefenzelle erwachsen, so wirkt nun
letztere gerade so, als hätten wir fertig gebildete Milchsäurehefenzellen in die
Maische gesäet.
Trommer, Otto u.a. sahen bisher die stickstoffhaltige
Substanz der Maischen als die Ursache der Milchsäurebildung an. Trommer vertrat deßhalb, freilich im Jahre 1856, die
Ansicht, daß zur Milchsäurebildung eine organisirte Substanz, wie die Hefe,
erforderlich sey.
Diese Meinung von der Wirkung der stickstoffhaltigen Substanz muß jetzt natürlich
aufgegeben werden. Die Function der stickstoffhaltigen Substanz ist die, der
Milchsäurehefe als Nahrungsmittel zu dienen.
Es ist den Brennereipraktikern zur Genüge bekannt, daß Maischreste, welche nach dem
Gebrauche der Gährbottiche in Folge mangelhafter Reinigung in den Bottichen
verbleiben, in frischer, süßer Maische meist eine verlustbringende Säuerung
erzeugen; ferner, daß die nämliche Wirkung durch eine übermäßig sauer gewordene
Anstell-Hefenmaische in der großen Hauptmaische hervorgerufen wird. In
solchen Maischresten und in solcher Anstell-Hefenmaische finden sich
Milchsäurehefenzellen meist zu Myriaden. Dadurch erklärt sich die säuernde Wirkung
auf die Hauptmaische.
Die Beobachtung, daß durch die Gegenwart der Malz- und Getreidehülsen, oder
durch Zusatz von Milch, oder Molken die Säurebildung in den Maischen begünstigt wird
(Balling), findet nunmehr ihre Erklärung.
Durch langsame Abkühlung der Maische auf dem Kühlschiffe wird die Säuerung
begünstigt. Das ist erklärlich. Bei der großen Fläche, zu welcher die Maische auf
dem Kühlschiffe ausgebreitet wird, müssen natürlich um so mehr Pilzsporen aus der
Atmosphäre in die Maische gelangen, je länger die Kühlung dauert; indeß tritt
hierbei noch ein anderes wirkendes Moment auf, welches später zur Besprechung kommen
wird.
Es wird endlich klar, warum die Bildung der Milchsäure in den Maischen unvermeidlich
ist (Trommer).
Die Angabe Trommer's, daß die bereits gebildete Milchsäure
keine weitere Milchsäurebildung veranlasse, ist richtig und findet jetzt ihre
Begründung.
Die Milchsäurebildung in den Maischen findet vor und während der alkoholischen
Gährung derselben statt. Außer auf eine andere, im weiteren Verlaufe meiner Arbeiten
mitzutheilende Weise kann man sich davon sehr bald durch eine mikroskopische
Verfolgung der Maische von der Einmaischung an bis zur Destillation überzeugen. Balling's Angaben über diesen Punkt stehen unter sich im
Widerspruch. In Bd. III S. 57 seiner Gährungschemie stellt er die Milchsäure als ein
Product des Maischprocesses, in Bd. I S. 169 als Product der Gährung auf.
II. Ueber den Einfluß des Stickstoffes
auf die Milchsäurebildung in der Maische.
Die Milchsäurehefe bedarf zum Aufbau ihres plasmatischen Inhaltes nothwendig des
Stickstoffes, weil dieser ein constituirendes Element des Plasmas ist.
Daraus folgt, daß der Stickstoff zu den wesentlichen Bedingungen der
Milchsäuregährung gehört; daß ohne Stickstoff keine Milchsäuregährung entsteht; daß
die Dauer und die Energie der Milchsäuregährung von der vorhandenen Stickstoffmenge
abhängig sind.
Bei der Milchsäuregährung der Maischen entnimmt die Milchsäurehefe den nothwendigen
Stickstoff aus den stets vorhandenen gelösten Proteinverbindungen.
Daß diese Behauptung richtig sey, lehrt schon die alltägliche Erfahrung in den
Spiritus- und Hefenfabriken. Wir sehen eine aus Roggen und Malz bereitete
Maische energischer säuern, als eine aus bloßem Malze dargestellte. Maischen,
bereitet aus Roggen und Malz, sehen wir um so schneller und um so mehr Säure bilden,
je mehr Roggen wir in die Schrotmischung einführten. Wir können den Säuregehalt
einer nicht hinreichend sauer gewordenen Maische dadurch vergrößern, daß wir dieser
Maische einfach eine Portion rohen Roggenschrotes innig beimengen.
Alle diese Wirkungen des Roggens entspringen aus seinem größeren Gehalte an
Proteinverbindungen. Durch die Einführung dieser Verbindungen in die Maische
bereiten wir der Milchsäurehefe einen nahrhafteren und günstigeren Boden zu ihrer
Entwickelung und Fortpflanzung.
Die Thatsachen: 1) daß eine Maische, zu deren Darstellung das höchstmögliche Quantum
Roggenschrot verwandt, welche also dadurch der Milchsäuregährung möglichst geneigt
gemacht worden ist, trotzdem nur in schwache Milchsäuregährung geräth, wenn man ihr
viel Zucker und Wasser zusetzt; 2) daß eine solche Maische weder in Alkohol-,
noch in Milchsäuregährung, sondern in Fäulniß übergeht durch einen weiteren directen
Zusatz von Proteinverbindungen: diese Thatsachen zeigen aber auf's Deutlichste an,
daß die Milchsäuregährung nicht von dem absoluten
Stickstoffgehalt der Maischen, sondern von einem eigenthümlichen Mischungsverhältnis
zwischen Proteinverbindungen und Zucker, zwischen Stickstoff und Kohlenhydrat
abhängig ist.
Diese Behauptung hat zuerst Hallier an der Milch
nachgewiesen, und es ist interessant, auch hier eine Bestätigung derselben zu
finden.
Die Milch enthält den Milchzucker und die Proteinverbindungen in dem ungefähren
Mischungsverhältniß von 1 : 1.
Wenn es gestattet ist anzunehmen, daß in der Milch sich die Bedingungen der
Milchsäuregährung in der der Milchsäuregährung günstigsten Vereinigung vorfinden, so
darf man auch wohl annehmen, daß das der Milchsäuregährung günstigste
Mischungsverhältniß zwischen Zucker und Proteinverbindungen 1 : 1 sey.
Unsere Getreidemaischen (die Kartoffelmaischen brauche ich gar nicht zu erwähnen),
welche meist aus 2 oder 3 Gewichtstheilen Roggen und 1 Gewichtstheil Malz bereitet
werden, enthalten nun den Zucker und die Proteinverbindungen in einem solchen
Mischungsverhältniß, daß der Zuckergehalt ein bedeutendes Multiplum des
Proteingehaltes ausmacht. Das beweist die Analyse der Rohstoffe, das beweisen die
Spiritus- und Hefenerträge.
Unsere Maischen bilden daher nie den der Milchsäuregährung günstigsten Boden.
Interessant ist es daher zu beobachten, wie eine Maische durch größeren
Roggenverbrauch zu ihrer Darstellung der Milchsäuregährung immer geneigter und
günstiger gemacht werden kann. Eine Hefenmaische z.B., in deren Schrotgemisch Roggen
und Malz in dem Gewichtsverhältniß von 2 : 5 enthalten sind, kann eine viel längere
Säuerungsperiode ertragen, als eine solche, bei welcher das Verhältniß der genannten
Rohstoffe 5 : 5 ist.
III. Ueber den Einfluß der Temperatur
und der Concentration auf die Milchsäurebildung in der Maische.
Soeben gaar gebrühte Getreidemaische wurde in einem gut ausgekochten verschlossenen
Kölbchen einer 8stündigen Zuckerbildungsdauer bei einer Temperatur von
48–53° R. ausgesetzt. Nach Verlauf dieser Digestion wurde die Maische
mikroskopisch untersucht; es fand sich nicht eine einzige deutlich und unzweifelhaft
wahrnehmbare Milchsäurehefenzelle; ob gewisse, ungeheuer kleine Pünktchen, welche
bei 480facher Vergrößerung mit Mühe wahrnehmbar waren, als die äußersten Anfänge der Milchsäurehefe (Kernhefe Hallier's?) zu betrachten seyen, wage ich nicht zu entscheiden.
Zur Controle, daß in der zu diesem Versuche angewandten Maische auch wirklich die
vorausgesetzten Pilzsporen vorhanden waren, wurde gleichzeitig eine andere Portion
derselben Maische im ausgekochten, verschlossenen Kölbchen bei mittlerer Temperatur
hingesetzt. In diesem Falle waren nach Verlauf der 8 Stunden mittelgroße Zellen zu
beobachten.
Die Brennereipraktiker hegen den Glauben, die Furcht, daß Maische, sobald deren
Zuckerbildungsdauer über die gewohnheitsgemäßen 1 1/2, 1 3/4, 2 oder 2 1/2 Stunden
ausgedehnt werde, während dieser Zeitverlängerung einer raschen Säuerung
anheimfalle.
Obiger Versuch lehrt nun, daß diese Furcht grundlos ist; freilich, setze ich hinzu,
so lange die Zuckerbildungstemperatur nicht unter 48° R. sinkt.
Man könnte mir den Einwurf machen, daß jede Maische schon während des Gaarbrennens
und während der genau bei 52° R. stattfindenden Zuckerbildungsdauer eine
saure Reaction zeige. Diesen Einwurf gebe ich als richtig zu. Indeß die saure
Reaction, welche unter den bezeichneten Umständen auftritt, rührt von Phosphorsäure
her.
Sinkt die Temperatur der Maische nun von 48° R. langsam bis 40° R., so
findet nur eine ganz allmähliche, nicht reichliche Bildung von Milchsäurehefe statt.
Schnelle, kräftige Bildung geht aber innerhalb der Temperaturgrenzen 40 und
20° R. vor sich. Die der Entwickelung günstigste Temperatur scheint mir
zwischen 28 und 35° R. zu liegen.
Das in allen Brennereien herrschende Streben nach rascher Abkühlung der Maische auf
dem Kühlschiffe ist daher ein durchaus gerechtfertigtes. (Man vergl. I. Ueber die
veranlassende Ursache der Bildung der Milchsäure in der Maische.) Und es ist nun
auch klar, warum die Getreidemaischen im Sommer reicher an Säure seyn müssen, als im
Winter.
Durch ein weiteres Sinken der Temperatur der Maische unter 20° R. wird die
Bildung und Entwickelung der Milchsäurehefe immer mehr verzögert. Bei 8° R.
hatten sich in einer Maische erst nach 3 Tagen spärlich Zellen entwickelt, und bei 0
bis + 1° R. fand gar keine Entwickelung mehr statt. –
Zwei gut ausgekochte Kölbchen A und B wurden mit gleichen Raumtheilen eines klaren 10
procentigen Maischfiltrates gefüllt. Dem Maischfiltrate in A setzte man aber noch ein gleiches Volumen vorher anhaltend gekochten,
unter Baumwolle erkalteten Wassers zu. Beide Kölbchen wurden dann sorgfältig
verschlossen und einer Temperatur von 14° R. ausgesetzt.
In dem verdünnten Filtrat trat zuerst Milchsäurehefenbildung ein; diese war auch viel
umfangreicher, als die im nicht verdünnten Filtrat.
Daraus folgt, daß verdünnte Maischen der Milchsäuregährung günstiger sind als
concentrirte.
IV. Ueber den Einfluß der freien
Milchsäure und der Neutralisation auf die Milchsäurebildung in der
Maische.
Löst man in Milch noch mehr Milchzucker auf und läßt bei Sonnenwärme stehen, so
verwandelt sich ein Theil des Zuckers in Milchsäure; sobald aber eine gewisse Menge
Milchsäure gebildet ist, so hört die Milchsäuregährung auf, und es gelingt nur dann,
allen Zucker in Milchsäure überzuführen, wenn diese von Zeit zu Zeit mit Soda
neutralisirt wird (Butron und Fremy).
Limpricht empfiehlt das von Bensch beschriebene Verfahren der Milchsäuregewinnung aus dem Rohrzucker
als ein sehr ergiebiges. Bei diesem Verfahren wird der auf Milchsäure zu
vergährenden Zuckerlösung gleich von vornherein ein beträchtliches Quantum
kohlensauren Kalkes zugesetzt, wodurch die Milchsäure im Entstehungsmoment
neutralisirt wird.
Luboldt fand bei seinen Beobachtungen über die Gährung
des Milchzuckers, daß beim Neutralisiren der gebildeten Milchsäure mit Kreide
durchschnittlich 44,25 Proc., beim Nichtneutralisiren aber nur 22,85 Proc. des
Zuckers in Milchsäure übergeführt wurden.
Vertheilt man Milchsäurehefe in reinem Zuckerwasser, so wird dieses alsbald sauer,
und zwar immer stärker, jedoch sehr langsam, weil die Einwirkung der Milchsäurehefe
auf den Zucker durch die vorhandene freie Säure sehr beeinträchtigt wird. Durch
Zusatz von Kreide wird die Umwandlung sehr beschleunigt (Pasteur).
Aus diesen Beobachtungen ergibt sich, daß allgemein die Milchsäurebildung durch die
freie Milchsäure beeinträchtigt, durch die Neutralisation der freien Säure aber
gefördert wird.
Untersuchen wir nun, ob dieses Resultat auch bei der Milchsäuregährung der Maische
sich bestätige.
Gleiche Raumtheile eines und desselben frischen, klaren Maischfiltrates wurden in gut
ausgekochten Kölbchen A und B zur primären Entstehung der Milchsäuregährung hingesetzt. Dem Filtrate
in A setzte man gleich von vornherein eine kleine
Portion frisch gefällten, kohlensauren Kalkes zu.
In dem Kölbchen A trat eine viel reichlichere Bildung von
Milchsäurehefe, folglich von Milchsäure, ein, als im Kölbchen B.
Nachdem das Maischfiltrat in B keine
Milchsäuregährungserscheinungen mehr zeigte, wurde dasselbe von der gebildeten
Milchsäurehefe abfiltrirt. Dieses Filtrat theilte man in zwei gleiche Portionen A und B, und neutralisirte
A genau mit kohlensaurem Natron.
Die Portion A gerieth in neue Milchsäuregährung, die
Portion B aber nicht.
Diese Versuche bestätigen also, was vorausgesehen wurde: daß
die Milchsäurebildung in der Maische durch die bereits gebildete Milchsäure
beeinträchtigt, durch Neutralisation aber gefördert wird. –
Der Glaube der Spiritusfabrikanten, daß die Milchsäurebildung in der Maische durch
Neutralisation der gebildeten Milchsäure mittelst kohlensaurer Salze (kohlensaurem
Kali, kohlensaurem Natron, kohlensaurem Ammoniak, kohlensaurem Kalk) gemindert oder
gar gänzlich aufgehoben werde, ist daher ein irriger; es wird durch die Anwendung
dieser Salze gerade das Gegentheil von dem erzielt, was man erzielen will.
Trommer's ausgezeichnete Beobachtungsgabe hatte diese
Wahrheit schon zu einer Zeit erkannt, wo die veranlassende Ursache der
Maischmilchsäuregährung noch nicht erkannt worden war. In seinem i. J. 1856
erschienenen Lehrbuch der Spiritusfabrication sagt er Seite 250 wörtlich:
„Unter solchen Verhältnissen hat man verschiedene Mittel
vorgeschlagen, welche die Milchsäureerzeugung des Maisches auf dem Kühlschiff
verhindern sollen, insbesondere zu Zeiten, wo die Abkühlung des Maisches langsam
von statten geht. Bestehen dergleichen Mittel aus Basen, oder solchen
Substanzen, welche die Milchsäure bloß abzustumpfen oder zu sättigen vermögen,
und das ist in der Regel der Fall, so helfen sie eigentlich gar nichts; sie
beseitigen bloß das Product, ohne die Thätigkeit aufzuheben oder zu beschränken;
ja es ist sogar wahrscheinlich, daß sie durch ihre Verwandtschaft zur Säure den
Zucker noch weit mehr disponiren sich in dieselbe umzuändern.“
„Zu den genannten Mitteln gehören die kohlensaure Kalkerde in Form von
Kreide, das kohlensaure Natron oder Soda, ferner Aschenlauge, des kohlensauren
Kalis wegen. Man ist bei der Anwendung derselben allerdings von der Ansicht
ausgegangen, es sey schon ein großer Gewinn damit verknüpft, die vorhandene
Säure nur fortzuschaffen, indem dieselbe, gleichsam wie ein Ansteckungsstoff,
die Bildung neuer Quantitäten hervorrufe. Indessen es ist diese Ansicht nur
bedingungsweise gerechtfertigt; denn ist erst ein derartiger saurer Zustand des
Maisches eingetreten, so ist überhaupt die Neigung des Zuckers, in Milchsäure
überzugehen, außerordentlich groß, und die Umänderung des Zuckers in Säure
findet vor wie nach der scheinbaren Entfernung statt; wenn, wie vorausgesetzt
werden muß, nicht zufällig einige wesentliche Bedingungen dieses Processes
aufgehoben worden sind.“ –
V. Ueber das freiwillige Aufgähren der
Hefenmaische während der Säuerungsperiode.
Man beobachtet in den Brennereien nicht selten den Fall, daß die in durchaus gut gereinigten
Gefäßen befindliche Hefenmaische während ihrer Säuerungsperiode Erscheinungen zeigt,
wie wenn sie durch Alkoholhefe in geistige Gährung versetzt worden wäre.
Diese Erscheinungen, welche man das „freiwillige Aufgähren der
Hefenmaische“ nennt, treten bald gelinde, bald stark, bald mit
Heftigkeit auf.
Sie treten gelinde auf, wenn die Oberfläche der Maische
sich hier und da mit einem flottähnlichen Schaume bedeckt; stark, wenn alle nicht gelösten Bestandtheile der Maische an der
Oberfläche zu einer Decke vereinigt werden, und diese Decke durch hervorquellenden
Schaum stellenweise aufgerissen wird; mit Heftigkeit,
wenn alle Theile der Maische sich im stets wechselnden Durcheinander befinden.
Untersucht man nun eine im „freiwilligen“ Aufgähren sich
befindende Hefenmaische mikroskopisch, so findet man in ihr Milchsäurehefe, in
größerer oder geringerer Menge, je nachdem sich das Aufgähren gelinde, stark oder
mit Heftigkeit zeigt.
Wir haben es also hier mit der Milchsäuregährung zu thun. –
Indeß Milchsäurehefe findet sich stets auch in solchen Hefenmaischen, welche während
ihrer Säuerungsperiode nicht in „freiwilliges“ Aufgähren
gerathen.
Ja noch mehr: die ganze Säuerungsperiode hat weiter keinen Zweck als den, die
Milchsäurehefe entstehen und sich fortpflanzen zu lassen.
Angesichts dieser beiden Umstände könnte man in Zweifel darüber gerathen, ob die
Milchsäuregährung als Ursache des „freiwilligen“ Aufgährens zu
betrachten sey.
Genaue mikroskopische und acidimetrische Vergleichungen haben mir nun ergeben, daß
dem „freiwilligen“ Aufgähren keine andere Ursache als die der
Milchsäuregährung zu Grunde liegt; daß das „freiwillige“
Aufgähren weiter nichts ist als eine Milchsäuregährung, welche
die gewohnten Grenzen, das normale Maaß überschritten hat.
Vergleicht man während ihrer Säuerungsperiode zwei sonst ganz gleich behandelte
Hefenmaischen, von denen die eine im „freiwilligen“ Aufgähren
ist, die andere aber nicht, unter dem Mikroskope, so findet man, daß die
Milchsäurehefe in der ersteren viel massenhafter entstanden ist, als in der
letzteren. Bestimmt man den procentischen Säuregehalt, so ergibt sich im ersteren Falle
stets eine höhere Procentzahl, als im letzteren. –
Bei jeder Milchsäuregährung werden Kohlensäure und Wasserstoff gebildet (Pasteur).
Das Entweichen dieser Gase sehen wir bei einer im
„freiwilligen“ Aufgähren sich befindenden Hefenmaische.
Durch die verschiedene Heftigkeit, mit welcher die Gase entweichen, werden die oben
beschriebenen Grade der Erscheinung hervorgebracht. Man darf aus der Stärke der
Gasentwicklung rückwärts schließen auf die Lebendigkeit der sich vollziehenden
Milchsäuregährung.
Verläuft die Milchsäuregährung innerhalb der gewohnten Grenzen während der
Säuerungsperiode, so nehmen wir meist gar keine Gasentwickelung wahr.
Wo bleiben hier die Gase? Bei einem solchen Umfange der Gährung ist die Quantität der
gebildeten Gase bedeutend geringer; die gebildete Gasmenge liegt innerhalb der
Absorptionsfähigkeit der Maische: die Maische absorbirt daher die Gase völlig, läßt
sie nicht entweichen.
Manchmal ereignet es sich, daß gegen das Ende der Säuerungsperiode, oder daß bei
einer durch irgendwelche Zufälligkeit hervorgerufenen Verlängerung der Periode eine
ganz gelinde Gasentwickelung beginnt. In diesem Falle ist die Maische mit Gasen
völlig gesättigt; sie kann weitere Gasmengen nicht mehr aufnehmen: es müssen mithin
jetzt alle ferner gebildeten Gasmengen nach ihrer Entstehung sofort aus der Maische
entweichen. –
Das „freiwillige“ Aufgähren der Hefenmaische ist, wie gesagt,
eine Milchsäuregährung, welche die gewohnten Grenzen überschritten hat. Die dabei
gebildete Milchsäurehefe ist aus Pilzsporen entstanden.
Wodurch nun wird diese Grenzüberschreitung der Gährung herbeigeführt?
Denke ich zurück an alle jene Fälle, in denen mir die unliebsame Erscheinung des
„freiwilligen“ Aufgährens begegnete, so finde ich, daß das
in diesen Fällen zur Darstellung der Hefenmaische verwandte Darrmalz lange Zeit in
Speichern oder auf Böden gelagert und in Folge davon sehr staubig geworden war; daß
aber diese Erscheinung verschwand, sobald man frisches, oder erst ganz kurze Zeit
gelagertes, also weniger staubiges Darrmalz anwandte. Auch Schwarzwäller berichtet, daß dieses freiwillige Aufgähren der Hefenmaische
ihm zu einer Zeit, wo mit altem, ein halbes Jahr frei auf dem
Boden gelagertem Darrmalze gearbeitet werden mußte, die größte
Unannehmlichkeit bereitete.
Ich habe nun in „I. Ueber die veranlassende Ursache der Bildung der
Milchsäure in der Maische“ nachgewiesen, daß der Getreide- und
Malzstaub Milchsäuregährung in den Maischen hervorruft.
Ich muß mithin die Ursache des „freiwilligen“ Aufgährens der
Hefenmaische in einem größeren Staubgehalt des zur Darstellung dieser Maische
verwandten Darrmalzes suchen.
Ist nun in der That der größere Staubgehalt die Ursache dieser Erscheinung, so darf
diese Erscheinung nicht mehr auftreten, wenn das betreffende Malz vom Staube befreit
wird.
Im November 1867 bezog die Fabrik, deren technische Leitung mir obliegt, ein
bedeutendes Quantum Darrmalz. Als von demselben gebraucht wurde, trat das
„freiwillige“ Aufgähren mit Heftigkeit auf. Ich stand
anfangs rathlos vor dieser Erscheinung. Inzwischen machte ich meine Beobachtungen
über jene Eigenthümlichkeit des Staubes. Ich untersuchte nun sogleich das Malz und
fand eine allerdings enorme Staubigkeit. Bei einer späteren Reinigung im Großen
ergaben sich 2,4 Proc. Staub. Ich ließ darauf das Malz mit einer kräftig wirkenden
Entstäubungsmaschine behandeln: das „freiwillige“ Aufgähren kam
nicht wieder vor. –
In manchen Brennereien wird die Hefenmaische nicht aus Malz allein, sondern aus
Roggen und Malz dargestellt. Geräth eine solche Maische in
„freiwilliges“ Aufgähren, und man hat sich davon überzeugt,
daß das verbrauchte Malz rein gewesen ist, so muß man natürlich zunächst die Ursache
in einer zu großen Staubigkeit des Roggens suchen.
Stellt sich dabei aber heraus, daß auch der Roggen rein gewesen ist, so bleiben nur
noch zwei Umstände übrig, durch welche die Milchsäuregährung in einer Maische aus
durchaus reinen Rohstoffen so sehr begünstigt werden
kann, daß sie in das „freiwillige“ Aufgähren übergeht.
Der eine Umstand ist dieser: Zur Sommerzeit geht bekanntlich die Abkühlung der
Hefenmaische während der Säuerungsperiode nicht immer in dem erforderlichen Tempo
vor sich; dann verweilt die Maische zu lange innerhalb
jener Temperaturgrade, von welchen wir wissen, daß sie die Entstehung und
Fortpflanzung der Milchsäurehefe so außerordentlich beschleunigen; in Folge davon
entwickelt sich die Milchsäurehefe schnell in ungeheurer Menge, und die Hefenmaische
geräth dadurch natürlich in das „freiwillige“ Aufgähren. In
diesem Falle muß die Abkühlung durch Kühlapparate beschleunigt werden. –
Der andere Umstand ist dieser: Eine Maische wird für die Entwicklung und
Fortpflanzung der Milchsäurehefe ein um so günstigerer Boden, wenn bei gleichbleibendem
Zuckergehalt ihr Stickstoffgehalt, oder die Menge der gelösten stickstoffhaltigen
Substanz (bis zu einer gewissen Grenze) vermehrt wird, oder, anders ausgedrückt:
wenn das Gewichtsverhältniß zwischen dem Zucker und der stickstoffhaltigen Substanz
zu Gunsten der letzteren vergrößert wird.
Gesetzt, man componire 100 Pfd. Hefenschrot einmal aus 30 Pfd. Roggenschrot und 70
Pfd. Malzschrot, sodann aber aus 50 Pfd. Roggenschrot und 50 Pfd. Malzschrot: so ist
die im letzteren Falle resultirende Hefenmaische ein für die Entwickelung und
Vermehrung der Milchsäurehefe günstigerer Boden, als die im ersteren Falle
dargestellte.
Hat nun eine Brennerei ihre Hefenschrotcomposition aus Roggen und Malz quantitativ so
gewählt, daß die stickstoffhaltige Substanz in ihrem Verhältniß zum Zucker
begünstigt ist, so wird sie an der aus dieser Composition gewonnenen Hefenmaische,
trotz sorgfältiger Reinigung des Roggens und des Malzes und trotz zeitgemäßer
Abkühlung, die Erscheinung des „freiwilligen“ Aufgährens stets
erfahren, wenn sie nicht die Säuerungsperiode bedeutend abkürzt. Abkürzung der
Säuerungsperiode ist hier das einfachste Gegenmittel.
Indeß auch in einer Hefenmaische, deren Schrot in dem erforderlichen
Gewichtsverhältnisse aus Roggen und Malz componirt worden ist, daß dieselbe eine
gewisse Säuerungsperiode ertrage, kann das „freiwillige“
Aufgähren entstehen. In diesem Falle ist die Ursache: entweder Malz von nicht
zureichender Zuckerbildungsfähigkeit, oder zu niedrige Gaarbrühtemperatur; oder
endlich diese beiden Umstände zusammen. Es ist klar, daß in allen diesen drei Fällen
weniger Zucker gebildet wird. Natürlich wird dadurch das Gewichtsverhältniß zwischen
stickstoffhaltiger Substanz und Zucker zu Gunsten der ersteren alterirt.
–
Den Fall, daß das Aufgähren durch Unreinlichkeiten in den Hefengefäßen, z.B. durch
Maischreste, veranlaßt wird, darf ich füglich übergehen.
Unser Altmeister Pistorius-Lüdersdorff suchte die
Ursache des freiwilligen Aufgährens in einer gewissen Disposition der Kartoffeln und
des Malzes, die zunächst von den stickstoffhaltigen Bestandtheilen herrühre, und
empfiehlt als unfehlbares Gegenmittel: Gaarbrühen bei 56° R.
Schwarzwäller aber berichtet, daß es ihm nicht gelungen
sey, durch höheres Gaarbrühen das Uebel auszumerzen.
Den sonst so gründlich erwägenden und untersuchenden Trommer sehen wir mit Befremden über diesen Punkt flüchtig
hinweghuschen.
Otto spricht sich über die Ursache des Aufgährens nicht
aus; er gibt an, daß Selbstgährung und zu starke Säuerung um so leichter entstehen,
bei je niederer
Temperatur die Hefenmaische gaargebrannt wird, je verdünnter sie ist, und je
langsamer sie erkaltet. Gaarbrennen bei etwas höherer Temperatur, weniger Wasser und
schnellere Abkühlung seyen daher die Mittel, durch welche sich jenen nachtheiligen
Erscheinungen am sichersten begegnen lasse.
Balling kennt die Erscheinung des freiwilligen Aufgährens
gar nicht. In seiner Gährungschemie ist kein Wort darüber enthalten.
Schwarzwäller that einen Seherblick, indem er sagte:
„Bei den neueren Ansichten über die Natur der Hefe und über den Grund
der freiwilligen Weingährung des Mostes und anderer Pflanzensäfte muß auch die
Erscheinung des Selbstgährens der Malzmaischen zur Hefenbereitung noch schärfer
beobachtet und auf andere Weise als durch creatio
aequivoca erklärt werden. Entsteht nun einmal nichts ohne Keim, muß
Alles seinen natürlichen Anfang und mütterlichen Ursprung haben, so kann eben
auch dieses Aufgähren des Malzes, was doch jedenfalls dem Vorgange der
Weingährung sehr ähnlich und vermutlich auch der Begleiter eines
Wachsthumsprocesses ist, nicht von sich selbst, d.h. nicht bloß in Folge des
Wirkens chemischer Kräfte entstehen, sondern es muß einen besonderen organischen
Keim haben, aus dem Samen eines Lebenden entstehen. Durch die besondere
Veränderung, welche die Bestandtheile des Malzes während des Lagerns an der Luft
erleiden, indem wieder Wasser aufgenommen wird, kann möglicher Weise manche
Bedingung erfüllt werden, welche entweder für den Samen eines mikroskopischen
Pilzes nöthig ist, um seine vollständige Entwickelung zu erlangen, oder aber die
Entwickelung des Gährungs- (Zucker-, Hefen-) Pilzes
dergestalt beeinflußt, daß nicht eigentliche Weingährung, sondern eine saure
Gährung, eine der Fäulniß oder Verwesung näherstehende Zersetzung
erfolgt.“ –