Titel: | Die neuesten Repetir- oder Infanterie-Kanonen Belgiens und Frankreichs. |
Autor: | Henry Darapsky |
Fundstelle: | Band 188, Jahrgang 1868, Nr. XCVII., S. 403 |
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XCVII.
Die neuesten Repetir- oder
Infanterie-Kanonen Belgiens und Frankreichs.
Ueber die belgische und französische
Infanterie-Kanone.
Im Anschlüsse an die in diesem Journal Bd. CLXXXVII S. 200 mitgetheilte Beschreibung von
Gatling's Batteriegeschütz (der amerikanischen
Repetirkanone) lassen wir hier eine kurze Beschreibung der neuesten, den früheren
Orgelgeschützen entsprechenden Repetir- oder Infanterie-Kanonen
Belgiens und Frankreichs folgen.
Die belgische, von Montigny
construirte Infanterie-Kanone besteht aus 37 Rohren, welche bündelartig zum
Ganzen vereinigt, von einem gemeinschaftlichen cylindrischen Mantel umschlossen und
— nicht wie bei Gatling's Batteriegeschütz um die
Hauptachse des ganzen Systemes drehbar, sondern im Gegensatze dazu in Bezug auf den
Ladeapparat festliegend — unbeweglich sind. Das Bodenstück, welches den aus
einer Combination von 37 Zündstiften und Spiralfedern bestehenden
Entzündungs-Mechanismus enthält, ist in der Längenachsen-Richtung des
erwähnten Collectiv-Rohres vermittelst und innerhalb zweier soliden eisernen
Schienen verschiebbar, welche durch ein starkes ringförmiges Band mit dem Rohre verbunden
sind. Auf diese Weise kann das Bodenstück durch einen nach oben gerichtet an ihm
angebrachten Gelenkhebel zum Laden zurückgezogen und hiernach zum Verschließen der
Rohre (beziehungsweise Gespanntwerden der Entzündungsvorrichtungen) wieder nach vorn
gebracht werden. Die (Augsburger) Allgemeine Zeitung vom 6. April 1868 theilt
hierüber noch folgendes Nähere mit:
„Zwischen Bodenstück und Rohr wird bei jedem Schuß ein einfaches und
originelles Zwischenglied eingefügt, nämlich eine siebartig durchlöcherte
Stahlplatte, welche in ihren 37 — nach vorn mit den Rohrseelen und nach
hinten mit den Zündstiften correspondirenden — Oeffnungen ebenso viele
Patronen mit gasdichten Hülsen enthält. Diese Platte wird also, ähnlich wie der
Obturator eines Armstronggeschützes, in einer auf der Rohrachse senkrecht
stehenden Verticalebene eingesetzt und zwischen Rohr und Bodenstück fest
eingeklemmt; sie hat zum Aus- und Einheben oben einen Griff, und ist noch
leicht genug und bequem manipulirt um — zum Behufe des Schnellfeuers
— in mehreren Exemplaren bei jedem Geschütz mitgeführt zu werden. Es
können also mehrere Ladungen von je 37 Schüssen immer gleichzeitig vorbereitet
werden, und es scheint bei raschem Wechsel der geladenen Platten ermöglicht,
etwa 6 bis 9 Serien von je 37 Schüssen, also ungefähr 200 bis 300 Schüsse per Minute abzugeben, wenn in besonderen
Gefechtsmomenten (und bei gut eingeschossener Position des Geschützes), das
Feuer mit Nutzen zu einer solchen Intensität gesteigert werden kann.“
„Die im Bodenstück angebrachten 37 Zündstifte und Spiralfedern stehen alle
in beweglicher Verbindung mit dem erwähnten Hebel, so daß dieser nicht allein
als Handhabe zum Oeffnen und Schließen der Waffe (durch Zurückziehen und
Vorschieben des Bodenstückes oder Stoßbodens) dient, sondern zugleich für alle
37 Schlösser gewissermaßen die Functionen eines Hahnes und eines Abzuges
versieht. Denn wenn man, nach dem Einsetzen der Zwischenplatte mit den Patronen,
das Bodenstück mittelst des Hebels nach vorn drückt, so werden durch Fortsetzung
dieses Druckes zunächst alle Patronen fest angesetzt und weiterhin alle
Spiralfedern mit ihren Zündstiften gespannt; dreht man sodann den Hebel nach
hinten, so erfolgt hierdurch die successive Entladung der 37 Schüsse durch
Vorspringen der Zündstifte, und zwar, je nachdem man den Hebel rasch oder
langsam bewegt, in schnellerer oder langsamer Aufeinanderfolge, so daß man es,
buchstäblich genommen, in der Hand hat, ein mehr oder minder intensives
Rottenfeuer abzugeben, oder dasselbe beinahe zu einem Schlagfeuer zu
concentriren. Wir sagen beinahe, weil ein ganz gleichzeitiges Abfeuern der 37
Ladungen auch im letzteren Falle nicht stattsindet, was in Bezug auf die Stabilität
des Geschützes gegen den Rückstoß wesentlich in Betracht kommt. Nach jedem Schuß
wird die Zwischenplatte mit den 37 leeren Hülsen ausgehoben, so daß eine
Stockung des Mechanismus wenigstens durch Mängel des Auswerfens u. s. w. wohl
nicht vorkommen kann.“
„Montigny hat schon in der Wahl der Kaliber
gezeigt, daß er die Grundbedingungen des ballistischen Fortschrittes versteht.
Er hat die üblichen Grenzen des Infanterie-Kalibers nicht überschritten,
weil er ohne Zweifel einsah, daß die eigenthümliche Wirkung des Instrumentes an
eine leichte Patrone geknüpft und nicht etwa in der artilleristischen Zerlegung
des einzelnen Schusses in viele Fragmente, auch nicht in dem absoluten Gewicht
des einzelnen Projectiles zu suchen ist, sondern in der raschen Folge correcter
Bahnen einzelner Langgeschosse von kleinem Kaliber, großer
Anfangsgeschwindigkeit und genügender Belastung des
Querschnittes“.
„Von den beiden Modellen Montigny's hat das
größere 14, das kleinere 11 Millimet. Kaliber; die Ladungen sind relativ sehr
stark, z. B. 8 Gramme für Kal. 14, wobei das Geschoß zwischen 35 und 40 Gramme
wiegen wird. Wir halten Kal. 11 für das zweckmäßigere, da eine enorme
Patronenmenge zu fordern ist. Die Läufe haben etwa 90 Centimet. Seelenlänge bei
starkem Drall. Das Rohr mit allem Zugehör wiegt bei Kal. 14 etwa 100 Kilogr. Die
Laffetten und Protzen sind elegant und leicht aus Eisen construirt, die ganzen
Geschütze wohl noch etwas beweglicher als diejenigen von Gatling. Die nächste Zukunft wird lehren, wie die technische
Concurrenz zwischen dem amerikanischen und dem belgischen Modell sich gestaltet;
das französische scheint durch beide sehr erheblich übertroffen zu
seyn.“
Letzteres, nämlich das neueste französische
Infanterie-Geschütz, hat nach den von demselben Blatte gebrachten und
weiteren darüber bekannt gewordenen Notizen nur 25 solcher bündelartig mit einander
verbundenen Rohre, welche ebenfalls um die Hauptachse des Bündels nicht beweglich
sind und denen bei 1 Meter Länge 30 Millimeter Kaliberdurchmesser gegeben worden
ist. Der ebenfalls in der Rohrlängenachsen-Richtung zu verschiebende
Ladecylinder des Rohrsystemes kann von der zugehörigen Nadelzündung durch eine
massive und sehr gut polirte Stahl- oder Eisenscheibe getrennt werden, welche
bei ihrer excentrischen Drehung die mit Federgewalt gegen sie herangepreßten
Zündnadeln allmählich in die Zündpräparate des Ladecylinders eindringen läßt. Auf
diese Weise ist bei rascherem oder langsamerem Emporheben dieser in ihrem
excentrisch angebrachten Scharnier beweglichen Sicherheitsscheibe ein nach
Erforderniß bis zur
Raschheit der Salve gesteigertes Abfeuern der 25 Rohre des Batteriegeschützes
ermöglicht.
Stade, im Mai 1868.
Darapsky,Major der Artillerie.