Titel: | Kleine Beiträge zum chemischen Theil der Zuckerfabrication; von E. F. Anthon, Fabriken-Inspector in Prag. |
Autor: | E. F. Anthon |
Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. XXXVI., S. 136 |
Download: | XML |
XXXVI.
Kleine Beiträge zum chemischen Theil der
Zuckerfabrication; von E. F.
Anthon, Fabriken-Inspector in
Prag.
(Fortsetzung von S. 78 des vorhergehenden
Heftes.)
Anthon, Beiträge zum chemischen Theil der
Zuckerfabrication.
III. Schnelle annähernde Werthsabschätzung der flüssigen Zuckerproducte der
Rübenzuckerfabriken nach ihrer Dichte.
Reine, bei 17½° C. völlig gesättigte Zuckerlösung hat ein spec. Gewicht
von 1,3300, gewöhnlich auskrystallisirte Rückenzuckermelasse dagegen eine Dichte von
circa 1,40–1,41, Zahlen, welche weit von
einander liegen, und deren Zwischenglieder, wie leicht einzusehen, dem verschiedenen
Reinheitszustand der zwischen Raffinade, Klärsel und Melasse stehenden
Zuckerlösungen entsprechen und somit einen Maaßstab für diesen abzugeben vermögen.
Diese Thatsache wurde bereits im J. 1830 von Dubrunfaut
und Pascal de Bourgoin (s Agriculteur-Manufacturier, 1830, Juni S. 178 und December S. 187;
polytechn. Journal Bd. XXXVIII S. 445 und Bd. XL S. 236) in der im Titel dieser Notiz
bezeichneten Richtung benutzt und eine Tabelle darnach entworfen, aus welcher der
Werth (Reinheitszustand) der Syrupe etc. nach deren Dichte zu entnehmen ist.
Bei Abfassung dieser Tabelle wurde jedoch irrthümlicherweise von der Annahme
ausgegangen, daß die fremden Stoffe im Syrup nur in Schleim (resp. nur aus
organischen Stoffen) bestehen. Da dieß jedoch in der Wirklichkeit nicht der Fall
ist, sondern neben den organischen auch mineralische Stoffe vorhanden sind und diese
in Folge ihres größeren spec. Gewichtes, bei ihrem Uebergange in Lösungen, bei
gleicher Menge, die spec. Dichte dieser auch in größerem Verhältniß steigern als
organische Stoffe, so sind die in jener Tabelle gebotenen Zahlen auch unrichtig und zwar die für Zucker
zu niedrig, jene für „Schleim“ dagegen zu hoch angesetzt.
Dieser Umstand mag denn auch der Grund gewesen seyn, daß man dieser Tabelle keine
weitere Beachtung schenkte und dieselbe in Vergessenheit gerieth. Auf ihre Existenz
wurde ich erst zufällig aufmerksam, nachdem ich schon lange zu gleichem Zwecke eine
ähnliche Tabelle ausgearbeitet und mich derselben unzähligemal zu meiner
Zufriedenheit bedient hatte, indem ich bei Abfassung derselben den thatsächlichen
Verhältnissen Rechnung getragen zu haben und zu so weit richtigen Zahlen gelangt zu
seyn glaube, daß meine Tabelle für den Zuckerfabrikanten praktischen Werth hat,
indem sie ihn in den Stand setzt, den Werth einer jeden kalt gesättigten
Zuckerlösung, wie sie in der Zuckerfabrication als Abläufe, Syrupe und Melassen
vorkommen, zwar nur annähernd — für die meisten Fälle aber sicher hinlänglich
genau — und vor Allem sehr leicht und sehr schnell zu bestimmen, welchen
letzteren Vortheil ich ganz besonders betone, indem wohl kaum in einem anderen
Industriezweige der Werth der Zeit so gewichtig in die Waagschale fällt als eben bei
der Zuckerfabrication.
Mit Zuhülfenahme nachfolgender Tabelle ist man im Stande binnen einiger wenigen
Minuten durch bloße Ermittelung des spec. Gewichtes (also auch ohne Polarisation,
ohne Austrocknen und Einäschern) die Zusammensetzung der genannten flüssigen
Zuckerproducte — wenigstens annähernd richtig — zu bestimmen. Ueber
den Gebrauch dieser Tabelle ist nichts zu bemerken, da dieser sich von selbst ergibt
und nur über die Erleichterung der Bestimmung des spec. Gewichtes sey noch Folgendes
bemerkt. Die Anwendung eines Aräometers ist zur richtigen Dichtebestimmung dicker
und zäher Zuckerlösungen wie bekannt nicht zulässig und zur unmittelbaren Bestimmung
auch das gewöhnliche Pyknometer nicht geeignet, weil dasselbe wegen zu kleiner
Oeffnung nicht mit dicken Syrupen und Melassen gefüllt werden kann, sondern diese
erst verdünnt werden müssen, was aber viel Zeit und wiederholte Wiegungen und
Rechnungen verlangt, wobei leicht Irrungen mit unterlaufen. Ich bediene mich daher
zur möglichst raschen und doch genügend genauen Bestimmung des spec. Gewichtes eines
gleichförmig conischen Fläschchens von circa 3 Zoll
Höhe, 10 Linien unterem und 4 Linien oberem Durchmesser, mit glatt geschliffenem
Rande (ohne Stopfen oder Deckplatte). Dieses Fläschchen gestattet bei seiner
3½ Linien im Durchmesser weiten Oeffnung ein Füllen und Entleeren mit
unverdünnter Melasse und ein leichtes und völlig gleichförmiges Füllen, wenn man
dasselbe gegen ein Fenster hält und so lange von der zu prüfenden Flüssigkeit
zusetzt oder bei etwaiger Ueberfüllung wieder abnimmt, bis die Oberfläche eine ebene ist und in gleichem
Niveau mit dem Rand des Fläschchens liegt, wobei man sich zuletzt, um selbst die
geringsten Mengen zugeben oder abnehmen zu können, eines dünnen zugespitzten
Glasstabes bedient.
Wenn die Dichte einer bei 14° R.
gesättigten Zuckerlösung folgende ist,
so enthält dieselbe auf 100 Zucker folgende Mengen
Nichtzucker
und hat folgende procentische
Zusammensetzung:
und somit folgenden Zucker-Quotienten.
Zucker,
Nichtzucker,
Wasser,
1,3300 = 66,6
Proc. Sacch.
0
66,66
0
33,34
100,0
1,3322 = 67
Proc. Sacch.
4,1
64,85
2,66
32,49
95,1
1,3384 = 68
Proc. Sacch.
8,3
63,70
5,29
31,01
92,3
1,3446 = 69
Proc. Sacch.
12,4
62,56
7,76
29,68
88,9
1,3509 = 70
Proc. Sacch.
16,5
61,42
10,13
28,45
85,8
1,3572 = 71
Proc. Sacch.
20,7
60,28
12,48
27,24
82,8
1,3636 = 72
Proc. Sacch.
24,8
59,14
14,67
26,19
80,1
1,3700 = 73
Proc. Sacch.
29,0
58,00
16,82
25,18
77,5
1,3764 = 74
Proc. Sacch.
33,2,
56,85
18,87
24,28
75,0
1,3829 = 75
Proc. Sacch.
37,3
55,70
20,77
25,53
72,9
1,3894 = 76
Proc. Sacch.
41,4
54,56
22,59
22,85
70,7
1,3959 = 77
Proc. Sacch.
45,6
53,42
24,36
22,22
68,6
1,4025 = 78
Proc. Sacch.
49,7
52,28
25,98
21,74
66,7
1,4092 = 79
Proc. Sacch.
53,9
51,14
27,56
21,30
65,0
1,4059 = 80
Proc. Sacch.
58,0
50,00
29,00
21,00
63,3.
IV. Ist die
Knochenkohle-Filtration in der Rübenzuckerfabrication wirklich
unentbehrlich?
Wer unbefangenen Blickes in den heutigen Zuckerfabriken einerseits den kolossalen
Apparat zur Kohlenfiltration, und andererseits die Anstalten zur Wiederbelebung der
Knochenkohle, welche geradezu eine zweite Fabrik bilden, einer näheren Betrachtung
würdigt, dem muß sich unwillkürlich die Frage aufdrängen, ob man denn nicht etwa
jetzt einen Weg verfolge, auf welchem die erzielten Vortheile mit den gebrachten
Opfern in keinem passenden Verhältniß stehen, ein Bedenken, welches wohl mehr als
genügend begründet erscheint, wenn man berücksichtigt: 1) daß die
Absorptionsfähigkeit der Knochenkohle gegen organische Stoffe, bei Gegenwart freier
Alkalien, wie bekannt, eine sehr geringe ist und auch ihr Absorptionsvermögen gegen
Kalk, worauf gegenwärtig ein Hauptgewicht gelegt wird, sich nur auf wenige Procente
vom Gewicht der Kohle beschränkt, die wirkliche Absorption (feste, durch Waschen mit
Wasser nicht aufhebbare Bindung) der Salze aber überhaupt sogar völlig zweifelhaft
erscheint; 2) daß der Zuckerverlust, welchen die wiederholte Filtration als
Dünn- und Dicksaft unvermeidlich mit sich bringt, besonders in dem Falle
keineswegs unbedeutend ist, wo man das Absüßen der Filter (aus Besorgniß wieder zu viel Salz mit
aufzulösen) nicht sehr weit treibt; 3) daß schlechte Kohle und zweckwidrige
Behandlung derselben große Nachtheile herbeiführen können; 4) daß der ganze Proceß
der Wiederbelebung ein lästiger und ungesunder ist, und endlich daß es für
denjenigen, der sich gerne von dem was er thut Rechenschaft ablegt, moralisch
deprimirend seyn muß, Hülfsmittel anwenden zu müssen, über deren Wirkungsweise er
nicht immer vollkommen im Reinen ist.
Diese Bedenken, durch welche ich vor der Hand nur anregend auf Verminderung der
Productionskosten hinwirken möchte, da dem so wichtigen Industriezweig der
Rübenzuckerfabrication eine baldige und für ungünstig gelegene Fabriken gefährliche
Ueberproduction bevorsteht, will ich durch einige Zahlen weiter begründen.
In der Zeitschrift des Vereines für die Rübenzucker-Industrie, Jahrgang 1864,
S. 188 ist nachgewiesen, in welchem Verhältniß sich der Rübensaft beim Läutern (nach
Possoz und Perier) und
durch die darauf folgende Dünnsaftfiltration verbesserte. Darnach enthielten auf 100
Theile Zucker, an Nichtzucker
a) der zum Läutern gelangte Rohsaft
40,64 Theile
b) derselbe Saft nach der Scheidung
27,38 Theile
c) derselbe Saft nach der ersten Carbonatation
17,78 Theile
d) derselbe Saft nach der zweiten Carbonatation
13,23 Theile
e) derselbe Saft nach der Filtration
11,48 Theile
woraus sich ergibt, daß durch die bloße Läuterung
(einschließlich der Carbonatation) von den vorhandenen fremden Stoffen 67,4 Proc.,
durch die nachfolgende Filtration des Dünnsaftes über Knochenkohle aber nur weitere
4,3 Proc. beseitigt worden sind. (Der Effect einer noch nachfolgenden
Dicksaftfiltration — falls die Untersuchung auf eine solche ausgedehnt worden
wäre — würde jedenfalls ein noch geringerer gewesen seyn und kann somit hier
außer Betracht bleiben.)
Wenn nun durch bloße Läuterung (und Carbonatation) fast die 16fache Menge fremder
Stoffe beseitigt werden kann, als wie durch die nachfolgende Dünnsaftfiltration, so
ist damit dargethan in wie hohem Grade die Wirkung der Kohle gegen die Wirkung des
Läuterns in den Hintergrund tritt.
Die nach obiger Mittheilung mögliche Beseitigung von 67,4 wenn auch bloß scheinbarer
und durch die bloße Differenz bestimmter Proc. fremder Stoffe aus dem Rübensafte,
resp. die Verminderung derselben von 40,64 Proc. auf 13,23 Proc. gegen 100 Zucker
ist an und für sich schon eine solche Verbesserung, daß das Resultat derselben eine
Füllmasse mit einem Zuckerquotienten von 88,3 ist, eine Beschaffenheit, wie sie von manchem
Product, trotz wiederholter Anwendung der Knochenkohle, nicht übertroffen wird.
Beruhen die oben citirten Mittheilungen, wie nicht zu bezweifeln ist, auf Wahrheit,
so ist damit auch dargethan, daß die oben aufgestellte Frage dahin zu beantworten
ist, daß allerdings Gründe vorhanden sind, welche die Annahme rechtfertigen, daß die
Anwendung der Knochenkohle-Filtration entbehrlich seyn dürfte, besonders wenn
es glücken sollte, den Läuterungsproceß noch weiter zu vervollkommnen. Wohl fühle
ich, daß die Aufstellung dieses Satzes von Vielen kühn und gewagt genannt werden
wird, ich bezweifle aber dessenungeachtet nicht, daß die Richtigkeit desselben sich
in der Zukunft bewahrheiten wird.
V. UebermelassebildendeStoffeunddieZuckermenge, welchedurchdieselbenungewinnbargemachtwird.
Nicht allein über die Melassebildung an und für sich, sondern auch über die Größe des
Zuckerverlustes, welchen die Melassebildner bedingen, sind die Ansichten der
Chemiker noch sehr verschieden. So sind manche, in Bezug auf die erstere, der
Ansicht, daß zur Melassebildung nur jene Stoffe Veranlassung geben, welche sich mit
Zucker zu nicht krystallisirbaren Verbindungen vereinigen. Andere legen das
Hauptgewicht im Allgemeinen auf die organischen, und endlich die meisten auf die
mineralischen Stoffe (auf die Salze), welche von Manchen ausschließlich als die
Melassebildner des Rübensaftes angesprochen werden.
Ebenso differiren die Meinungen über die Größe des Zuckerverlustes, welchen die
melassebildenden Stoffe veranlassen. So schwanken die Angaben zwischen einem
Zuckerverlust von 1 bis 10 Theilen für jeden vorhandenen Theil Melassebildner. Ja Hochstetter sagt sogar (Erdmann's Journal für praktische Chemie, 1843, Bd. II S. 29; polytechn. Journal Bd. LXXXIX S. 210), daß 2 Theile Kochsalz oder
Chlorcalcium 100 Theile Zuckerlösung unkrystallisirbar machen, wornach also 1 Theil
dieser Salze die 33fache Menge Zucker in Melasse überführen müßte.
In neuester Zeit, wo man anfieng die Salze als die eigentlichen Melassebildner
anzusehen, wird einfach angenommen, daß 1 Theil Salze 5 Theile Zucker ungewinnbar
mache und es begnügen sich dabei Viele einfach mit der Aschenbestimmung, ohne auf
die Menge der vorhandenen organischen Stoffe Rücksicht zu nehmen.
Diese so sehr von einander abweichenden Ansichten beruhen zwar keineswegs auf ganz
willkürlichen Annahmen, ebensowenig aber auf richtigen Grundlagen, indem man sich in
den meisten Fällen nicht klar machte, was man vom Standpunkte der Zuckerindustrie zu
den melassebildenden
Stoffen zu rechnen habe. Einige Beispiele werden dieß darthun. Der Eine fand z. B.
bei einer Analyse 16,4 Salze neben 52,39 Zucker, ein Anderer 10,13 der ersteren
neben 51,0 des letzteren, und ein Dritter bei der Untersuchung einer
Colonialzuckermelasse neben 2,71 Salzen 34,58 Zucker. Wird nun nach der jetzt
beliebten Weise der Zuckerverlust nach den gefundenen Salzmengen berechnet, so
stellt sich heraus, daß im ersten Falle 1 Theil Salze 3,2, im zweiten Falle 5,0 und
im dritten sogar 12,7 Theile Zucker in die Melasse übergeführt hatte. Allerdings
stimmt nun der zweite Fall mit der Annahme überein, daß 1 Theil Salze die fünffache
Menge Zucker raube und wenn ich auch gerne zugebe, daß dieses Verhältniß das
gewöhnlichere ist, indem es der Zusammensetzung einer normalen Rübenmelasse (im
Durchschnitt 50 Zucker, 20 organische Stoffe, 10 Salze und 20 Wasser) entspricht, so
glaube ich dessenungeachtet, daß die Verallgemeinerung der Annahme, daß 1 Theil
Salze 5 Theile Zucker in die Melasse überführe, nicht zulässig erscheint, und zwar
weil:
a) dieselbe für viele Fälle
entschieden unrichtig ist;
b) die im Rübensafte vorkommenden
Salze in sehr verschiedenem Grade den Zucker in die Melasse überzuführen
vermögen;
c) diese Annahme den Laien auf ganz
falsche Vorstellungen leitet und so die zu einer rationellen Thätigkeit nothwendige
klare Einsicht erschwert, und
d) es endlich vorzugsweise die
organischen Stoffe sind, welche der Melasse ihre charakteristischen Eigenschaften
ertheilen, auch sogar eine Melassebildung recht gut mit gänzlichem Ausschluß von
Salzen denkbar ist, indem z. B. eine reine Zuckerlösung, welche man durch bloße
Hitze so weit verändert hat, daß sie braun und unkrystallisirbar geworden ist, gewiß
mit Recht als Melasse betrachtet werden darf.
Um jedoch das Gesagte weiter zu begründen, will ich die Resultate einiger absichtlich
in dieser Beziehung angestellten Versuche kurz mittheilen.
Der Rohrzucker löst sich bekanntlich bei gewöhnlicher Temperatur (14° R.)
gerade in seinem halben Gewichte Wasser auf, welche Löslichkeit durch die Gegenwart
von Chlorcalcium nicht beeinflußt wird, so daß sich z. B. 60 Theile Zucker auch noch
in 30 Theilen Wasser auflösen, wenn man außerdem 12 Theile wasserfreies Chlorcalcium
zusetzt.
Steigert man aber die Zuckermenge (z. B. auf 80) bei dem angegegebenen Verhältniß von
Wasser und Chlorcalcium, so wird selbst nach jahrelanger Berührung der dem Wasser
gegenüber in Ueberschuß vorhandene Zucker noch unaufgelöst zu Boden liegen. Wird
jedoch durch mäßige
Erwärmung einer solchen Mischung (80 Zucker, 30 Wasser und 12 Chlorcalcium), und
zwar zur Vermeidung von Verdampfung in einer zugeschmolzenen Glasröhre, die ganze
Zuckermenge aufgelöst und dann ruhig stehen gelassen, so krystallisirt der
Zuckerüberschuß allmählich wieder und zwar im reinen Zustande aus.
Aehnlich dem Chlorcalcium, aber im grellsten Widerspruch mit der oben citirten Angabe
Hochstetter's, wirkt auch das Chlornatrium, indem
eine warm bereitete Lösung von 80 Zucker, 30 Wasser und 10 bis 11 Chlornatrium (in
zugeschmolzener Glasröhre) bei längerem Stehen bei gewöhnlicher Temperatur reinen
Zucker in Krystallen ausscheidet. (Eine Thatsache, welche, nebenbei bemerkt, den
Zweifel mancher Chemiker an der Existenz des Chlornatrium-Saccharates
einigermaßen gerechtfertigt erscheinen läßt, obgleich es schwer denkbar ist, daß
Forscher wie Peligot, Gerhardt u. A. sich so arg
getäuscht haben sollten.)
Auch der Kalisalpeter zeigt ein ähnliches Verhalten, wenn in dessen bei gewöhnlicher
Temperatur gesättigter Lösung reiner Zucker mittelst mäßiger Wärme in Ueberschuß
gelöst wird. Der in größerem Verhältniß als wie 2 zu 1 in Wasser aufgelöste Zucker
krystallisirt auch hier in der Ruhe und bei gewöhnlicher Temperatur wieder aus,
während umgekehrt leicht und schnell Salpeter auskrystallisirt, wenn die
Mengenverhältnisse so genommen werden, daß das Wasser wohl den Zucker, nicht aber
die verwendete Salpetermenge bei gewöhnlicher Temperatur in Auflösung erhalten kann,
ein Fall, der schon eintritt, wenn man z. B. 60 Theile Zucker und 12 Theile Salpeter
in 30 Wasser bei gelinder Wärme auflöst und dann erkalten läßt, weil 30 Theile
Wasser bei gewöhnlicher Temperatur wohl 60 Theile Zucker, aber nicht 12 Theile
Kalisalpeter in Auflösung zu erhalten vermögen; so setzte auch in der That ein
ungarischer Rohzucker mit dem enormen Gehalt von circa
22½ Proc. Salpeter diesen sogleich massenhaft in nadelförmigen Krystallen ab,
als eine warm bereitete Lösung von 10 Theilen dieses Zuckers in 3½ Theilen
Wasser erkaltete. Der Salpeter verhindert somit auch nicht die Krystallisirbarkeit
des Zuckers, sowie umgekehrt durch die Gegenwart von Zucker die Krystallisirbarkeit
des Salpeters nicht beeinträchtigt wird, und so setzt auch eine mit Salpeter und
Zucker gesättigte Lösung Krystalle von Zucker und von Salpeter ab, ohne daß dabei
von einer Melassebildung etwas wahrzunehmen ist.
Wenn ich nun, wie ich glaube, durch vorstehende Mittheilung den Beweis geliefert
habe, daß die erwähnten Salze nicht im Stande sind direct und für sich mit Zucker
Melasse zu bilden, so will ich damit doch nicht behaupten, daß dieselben keinen
Zuckerverlust bedingen, sondern nur darauf hinweisen, daß dieser Verlust zwar auf einem
anderen Grunde beruht als die eigentliche Melassebildung, dennoch aber mittelbar
sehr wesentlich zur Vermehrung der Melasse beitragen kann, indem der durch die Salze
bedingte Zuckerverlust ein um so größerer ist, je mehr Wasser zur Lösung des
vorhandenen Salzes nothwendig ist. So erfordern z. B. bei gewöhnlicher Temperatur 4
Theile wasserfreies Chlorcalcium nur 6 Theile Wasser zur Auflösung, welche außerdem
12 Theile (höchstens) Zucker in Auflösung zu erhalten
vermögen. 1 Theil Kalisalpeter erfordert 3 Theile Wasser zur Lösung, die außerdem
ihre doppelte Menge, also 6 Theile Zucker, in Auflösung erhalten kann.
Schwefelsaures Kali endlich erfordert 10 Theile kaltes Wasser, welches außerdem sein
doppeltes Gewicht an Zucker aufzulösen vermag. Da nun aus derartigen Lösungen in der
Regel der Zucker als solcher industriell nutzbar nicht mehr gewonnen werden kann,
sondern mit in die Melasse übergeführt wird, so ist es auch klar, daß von 1 Theil
Chlorcalcium, 3 Theile Zucker — von 1 Theil Salpeter, 6 Theile Zucker
— und von 1 Theil schwefelsaurem Kali sogar 20 Theile Zucker ungewinnbar
gemacht, resp. in die Melasse übergeführt werden — Zahlen, welche, wie wohl
kaum zu bemerken nöthig ist, bloß in der Theorie richtig sind, weil bei der
gleichzeitigen Gegenwart verschiedener Salze, wie die Praxis sie bietet, deren
Einfluß ein sehr abweichender seyn kann und muß, indem z. B. eine gesättigte
Salpeterlösung bei gewöhnlicher Temperatur nur doppelt so viel Zucker aufzulösen
vermag als sie Wasser enthält, außerdem aber namhafte Mengen eines anderen Salzes
(z. B. von Kochsalz) aufnehmen kann, ohne dadurch die Eigenschaft zu erlangen neue
Mengen von Zucker aufzulösen.
Wenn nun aber nach dem Gesagten es nicht zulässig erscheint, bei der Abschätzung der
durch Melassebildung verloren gehenden Zuckermengen die gefundene Salzmenge zu Grund
zu legen, so fragt es sich, was denn richtiger sey und in dieser Hinsicht bin ich
folgender Ansicht.
Was für den Fabrikant chemischer Producte die sogenannten Mutterlaugen sind, ganz
dasselbe ist für den Zuckerfabrikant die Melasse, nämlich das letzte
Fabricationsproduct, aus welchem der Rest des noch darin vorhandenen Hauptproductes
in Folge der Gegenwart fremder Stoffe nicht mehr mit Vortheil ausgeschieden werden
kann. So wie man im ersten Beispiel die Gesammtmenge der vorhandenen fremden Stoffe
als Veranlassung zur Mutterlaugenbildung ansehen muß, ebenso hat man bei der Melasse
alle jene Stoffe als Melassebildner anzusehen, welche außer dem Zucker und Wasser in
der Melasse enthalten sind, ohne Rücksicht auf ihre Wirkungsweise, und dieselben bei
der Abschätzung des durch sie bedingten Zuckerverlustes derart und in dem Verhältniß zu
Grunde zu legen, wie sie in normaler Rübenmelasse, im Durchschnitt und zwar ziemlich
übereinstimmend vorkommen, nämlich auf 30 Gesammt-Nichtzucker 50 Zucker, und
somit für jeden Theil der im Ganzen vorhandenen fremden Stoffe 1⅔ oder für 3
Theile fremder Stoffe 5 Theile Zucker als Verlust anzunehmen.
Ich glaube, daß eine derartige Bezeichnungsweise und Abschätzung des durch die
Melassebildung bedingten Zuckerverlustes, welche den thatsächlichen Verhältnissen
mehr entspricht, um so mehr Beachtung verdient, da sie leichter und sicherer zum
Ziele führt als die Aschenbestimmung, indem dabei die bloße Polarisation und
Wasserbestimmung ausreichend sind, obgleich nicht zu verkennen ist, daß in einzelnen
Fällen — wenn nämlich der Rohzucker ganz abnorme Mengen Salze enthält
— auch auf diesem Wege kein richtiges Resultat erhalten werden kann.
(Der Schluß folgt im nächsten Heft.)