Titel: | Ueber den Milchextract aus Cham in der Schweiz; von Dr. C. Karmrodt in Bonn. |
Fundstelle: | Band 189, Jahrgang 1868, Nr. LXXXIV., S. 333 |
Download: | XML |
LXXXIV.
Ueber den Milchextract aus Cham in der Schweiz;
von Dr. C. Karmrodt in
Bonn.
Aus dem Wochenblatt der preußischen Annalen der
Landwirthschaft, 1868, Nr. 24.
Karmrodt, über den Milchextract aus Cham.
In dem Orte Cham bei Zug in der Schweiz hat eine amerikanische Gesellschaft einen
neuen Industriezweig eröffnet: die Fabrication des Milchextractes, oder richtiger
gesagt, die Bereitung der concentrirten Milch. Die Gesellschaft konnte wohl kaum
einen besseren Platz für diese Industrie finden, als in dem Lande wo die Milch in
Menge, in guter Qualität und billig zu haben ist. Erwägt man, daß Milch eine sehr
veränderliche Flüssigkeit ist, so scheint es in der That eigenthümlich, daß diese
ihre ganze Güte behalten soll, nachdem sie concentrirt ist. Es waren von
verschiedenen Seiten Zweifel ausgesprochen worden, ob nicht irgend eine andere
Nutzung der Milch der Concentration vorausgienge; entweder, meinte man, würde die
Milch vorher abgerahmt (zur Butterbereitung), oder sie würde mit Zusätzen versehen.
Letzteres findet nun statt. Das allgemeine Interesse, welches dieser Gegenstand für
die Landwirthschaft hat, veranlaßte die Untersuchung, deren Resultate in folgenden
Zeilen mitgetheilt werden sollen. Ein russischer Landwirth, Herr N., welcher
Deutschland bereiste, um die Wirthschaftsweisen unseres Vaterlandes kennen zu
lernen, besuchte auch die Schweiz und hat dort zu Cham die Fabrication des
Milchextractes gründlich eingesehen. Durch Hrn. N. erhielt ich eine Quantität
Milchextract in unversehrter Originalverpackung, von welcher zur Analyse verwendet
wurde. Hr. N. beschreibt das ganze Verfahren ebenso, wie wir kurz zuvor in einem
Aufsatze v. Liebig's in der Neuen Zürcher Zeitung (daraus
im polytechn. Journal Bd. CLXXXV S. 85) ersehen haben. Hr. Professor Bolley in Zürich, welcher auf v. Liebig's
Anregung das Etablissement zu Cham besuchte, gibt darüber a. a. O. folgenden
Bericht: „Die Fabrication der concentrirten Milch in Cham ist ein sehr
einfacher Proceß;
die an einem bestimmten Wochentage in die Fabrik gebrachte Milch (1000 und mehr
Maaß) wird in luftleerem Raume, in einem sogenannten Vacuum-Apparate
abgedampft, nachdem derselben das erforderliche Quantum Zucker zugesetzt worden ist. Der Zucker ist in groben Körnern
krystallisirter Colonialzucker. Wenn die Milch die Consistenz eines dicken
Honigs erreicht hat, wird sie in Blechdosen eingefüllt, welche luftdicht
verlöthet werden. Die Blechdosen fassen durchschnittlich 400–470 Grm.
concentrirter Milch.“
Dr. Bolley sagt ferner:
„Da mir frische Milch und die an demselben Tage daraus bereitete
concentrirte Milch zu Gebote stand, so war es leicht, aus dem Aschengehalte
beider Aufschluß über den Grad der Concentration der ersteren zu erhalten. 100
Kubikcentim. frische Milch hinterließen im Mittel 0,687 Grm. Asche; das gleiche
Volum concentrirte Milch (von 1,337 spec. Gewicht) lieferte 3,03 Grm. Asche.
Hieraus ergibt sich — sagt Dr. Bolley — daß 1 Liter concentrirte Milch die
festen Bestandtheile von 4,43 Liter frischer Milch enthält.“ —
Wir werden auf diese Schlußfolgerung zurückkommen.
Die von Hrn. N. erhaltene Dose enthielt 465 Grm. concentrirte Milch. Dieselbe ist
eine gelblichweise, extractförmige Masse von der Consistenz eines dicken Honigs
oder, wenn man will, wie des Terpenthins. Das specifische Gewicht fand ich etwas
höher als Bolley, zu 1,4038–50 Kub. Centim. wogen
bei 17° Cels. und nachdem durch die Luftpumpe kleine Bläschen entfernt waren,
70,190 Grm. Unter dem Mikroskope erkennt man Krystalle von Rohrzucker in ziemlicher
Menge, hier und da kleine Gruppen feine Gypskrystalle und eine zahllose Menge von
Butterkügelchen. In Wasser löst sich die extractförmige Masse zu einer Milch, welche
von frischer Milch in Nichts zu unterscheiden ist, als durch den süßen Geschmack des
zugesetzten Zuckers. Der Geschmack frischer Milch mit entsprechendem Zuckerzusatz
ist ganz derselbe, wie der in einer gewissen Menge Wassers gelösten concentrirten
Milch. Beim Erhitzen oder dem Sieden frischer Milch entsteht bekanntlich eine Haut,
welche, fortgenommen, alsbald durch eine neue ersetzt wird; ebenso entsteht diese
Haut auch bei der Lösung der concentrirten Milch. Der Geruch, welcher beim Sieden
frischer Milch wahrzunehmen ist, wird unter gleichen Umständen auch bei der
Extractlösung bemerkt. Die Reaction der Lösung concentrirter Milch ist alkalisch,
wie die der frischen Milch. Nur in einem Punkte unterscheidet sich die Lösung der
concentrirten Milch von einer gleiche Bestandtheile enthaltenden frischen Milch:
letztere wird bald sauer, jene behält ihre alkalische Reaction selbst im offenen
Gefäße und bei einer Temperatur von 16–18° Cels. weit länger;
einigemal fand ich eine solche Lösung erst nach zwei Tagen säuerlich. Sie bleibt dann milchig
getrübt, während sich eine Rahmschicht auf der Oberfläche abscheidet. Diese längere
Haltbarkeit ist gewiß ein günstiger Umstand für den Consumenten. Sie wird durch die
Fabricationsmethode herbeigeführt, indem durch den Vacuum-Apparat die Luft
aus der frischen Milch entfernt wird. Wenn aber der Extract selbst längere Zeit
(6–8 Wochen) mit Luft in Berührung kommt, nimmt er eine etwas dunklere
Färbung an und riecht dann deutlich nach ranzigem Fett. Eine Lösung reagirt alsdann
ein wenig sauer, und der Geschmack hat an Annehmlichkeit verloren. Ich vermuthe, daß
auch in den verlötheten Original-Blechdosen diese Veränderung der
concentrirten Milch vor sich geht, denn diese Dosen sind nicht ganz vollgefüllt und
haben einen lufterfüllten Raum, dessen Volum etwa 80–100 Kub. Cent. beträgt.
Diesem kleinen Uebelstande würde jedoch ohne Schwierigkeit abzuhelfen seyn.
Die Bestimmung der Bestandtheile der concentrirten Milch wurde nach den Angaben E.
Wolff's und nach den von Millon und Comaille angegebenen Methoden
ausgeführt, und die Mittelwerthe der nahe übereinstimmenden Zahlen benutzt. Der
Milchzucker und der Rohrzucker sind durch PolarisationWird nämlich die Lösung des Extractes durch einige Tropfen Essigsäure
coagulirt und die Molken abfiltrirt, so läßt sich dieses trübe Filtrat durch
1/10 Vol. Bleiessig vollkommen klären. Ich habe die Bestimmung des
Milchzuckers auch bei anderen Analysen von Milch in derselben Weise
ausgeführt; sie gibt gute Resultate. Das Instrument, welches ich benutzte,
ist von Fr. Schmidt in Berlin nach Ventzke-Soleil gearbeitet.
bestimmt. Eine ziemlich befriedigende Trennung der beiden Zuckerarten ist auch durch
(absoluten) Alkohol erreicht worden. Die Trockensubstanz ist mit Hülfe reinen
Quarzsandes und fast mit gleichem Resultate gefunden worden; durch Gyps wurden
dagegen sehr abweichende Resultate erhalten.
Hundert Gewichtstheile der concentrirten Milch enthalten:
Butter (Fette)
8,67
Caseïn und Lactoproteïn etc.
13,67
Milchzucker
10,82
Rohrzucker
40,48
Mineralbestandtheile
2,23
Wasser
24,13
––––––––
100,00.
Zieht man nun die Menge des Rohrzuckers und den Gehalt an Wasser ab, so bleiben 35,39
Proc. für Bestandtheile der eigentlichen Milch-Trockensubstanz. Die
Zusammensetzung einer guten Kuhmilch ist aber im Mittel vieler Analysen:
Butter (oder Fette)
3,95
Proteïnstoffe
4,30
Milchzucker
4,60
Mineralbestandtheile
0,72
––––––––
Trockensubstanz
=
13,57.
Von einer solchen Milch würden demnach 261 Grm. eine eben so große Menge an
Trockensubstanz enthalten als 100 Grm. concentrirte Milch.
Bolley bestimmte die Quantität der frischen Milch, welche
zur Herstellung einer gewissen Menge Extractes in Anwendung kommt, aus der Menge der
Mineralbestandtheile; er fand in 100 Kub. Cent. frischer Schweizermilch 0,687 Grm.
Mineralbestandtheile, oder bei einem spec. Gew. von 1,03 = 0,677 Grm. Asche; ferner
fand Bolley in 100 Kub. Cent. des Extractes 3,03 Grm.
Asche, oder bei einem spec. Gewichte von 1,337 = 2,266 Grm. Aschenbestandtheile.
(Nach meiner Analyse ergaben sich 2,230 Grm. Asche.) Es wären also die
Mineralbestandtheile der frischen Milch 3,4 mal in der gleichen Menge des Extractes
enthalten, und hiernach bemessen würden 340 Grm. Milch zu 100 Grm. Milchextract
verwendet worden seyn. Beim Vergleich der Volumina der Milch und des Milchextractes
liefern nach Bolley 4,43 Liter frische Milch 1 Liter
Milchextract. Eine solche Milch würde aber nur etwa 10 Proc. Trockensubstanz
zeigen.
Eine Dose mit circa 1 Pfund concentrirter Milch kostet zu
Cham 2½ Frcs. (20 Groschen); nach der oben mitgetheilten Analyse empfangen
wir darin:
Butter (Fette)
43,35
Grm.
Proteïnsubstanzen
68,35
Grm.
Milchzucker
54,10
Grm.
Rohrzucker
202,40
Grm.
Mineralbestandtheile
11,15
Grm.
Wasser
120,65
Grm.
––––––––––
Summe
500,00
Grm.
Lösen wir diese Menge in 1008 Kub. Cent. Wasser, so erhalten wir 1508 Grm. versüßte
Milch (von circa 11,7 Proc. Trockensubstanz der
Milchbestandtheile). Nehmen wir 1306 Grm. (= 1 1/7 Quart preuß.) einer Milch von
13,57 Proc. Trockensubstanz und lösen darin 202,4 Grm. besten Colonialzucker (oder
Rübenzucker) auf, so erhalten wir ebenfalls 1508 Grm. versüßte Milch von fast
gleicher Qualität, welche, wenn 1 Quart Milch mit 1½ Groschen und 1 Pfd.
fester Zucker mit 6½ Groschen bezahlt wird, auf etwa 4⅓ Groschen Werth
zu berechnen ist. Der
Preis der concentrirten Milch ist also nahezu 4⅔ mal so hoch als der Werth
der Rohstoffe und ihre Bereitung daher sehr gewinnbringend.
Nach der in englischer und französischer Sprache gedruckten Gebrauchsanweisung sollen
3–4 Theile (Gewichtstheile ?), also 1500 bis 2000 Grm. oder Kub. Cent. Wasser
zur Lösung des Extractes genommen werden, und man würde 2000–2600 Grm. Lösung
erhalten, welche einer natürlichen Milch von 7–9 Proc. Trockensubstanz
entsprechen und also eine Qualität zeigen würde, welche als ein Gemisch von Milch
und Wasser (zu ¾ oder ⅔) zu betrachten ist, nicht aber einer guten
Kuhmilch gleichkäme.
Mag man nun je nach Art der Verwendung die Lösung des Extractes mit mehr oder weniger
Wasser bewirken, das Fabricat wird in allen Fällen von hohem Werthe seyn, wo die
unersetzbaren Nahrungsbestandtheile der Milch im frischen Zustande gar nicht oder
nur sehr schwierig zu bekommen sind, so namentlich zum Küchengebrauch auf Seereisen,
als Getränk für Kranke und Kinder; aber auch der Reisende zu Lande wird die
Vortheile des Milchextractes zu schätzen wissen, wenn er die Gewohnheit hat, seinen
Kaffee oder Thee mit guter Milch vermischt zu trinken, zu welchem Zwecke der Extract
nicht zuvor in Wasser gelöst zu werden braucht; auch ist ein weiterer Zuckerzusatz
nicht nöthig; eine Tasse Kaffee wird von einem Theelöffel voll Extract hinreichend
süß.
Nachschrift. Es dürfte nicht unstatthaft seyn, bei dieser
Gelegenheit auf den Vorkämpfer dieser Concentrationsmethode für Milch, Hrn. Antonin
Prandtl,Polytechn. Journal Bd. CLXXIV S. 149. wieder
aufmerksam zu machen, welchen leider die Umstände nicht begünstigten, seine im Reischauer'schen Laboratorium zu München mit so
vielversprechendem Erfolge ausgeführten Versuche selbstausübend in den
Gewerbebetrieb einzuführen.
Als ergänzend zu vorstehender Abhandlung entnehmen wir den von A. Prandtl im Jahre 1864 veröffentlichten
Untersuchungen,Polytechn. Journal Bd. CLXXIV S. 155. daß das
Sieden der Milch im Vacuum bei 31° C. stattfand und dieser Siedepunkt bis zu
einer Concentration auf circa ein Fünftel der frischen
Milch constant blieb; einer weiteren Concentration trat ein lästiges Spritzen
entgegen.
Interessant ist, daß das reine, nicht mit Zucker versetzte Product A. Prandtl's obgleich es sich bei gutem Luftabschluß (z. B.
unter einer Schicht Provenceröl) vierzehn Tage lang so gut als unverändert erhielt,
gleichwohl in Glasröhren hermetisch eingeschlossen nach längerer Zeit gelatinirte,
wie sogen. gestockte oder Dickmilch, und zugleich blasig und in geringem Grade
ranzig wurde, auch an der Oberfläche Milchzuckerkrystalle ausschied; der
Zuckerzusatz scheint daher wesentlich conservirend zu wirken und für die Haltbarkeit
des Productes unumgänglich zu seyn.
Ob Hrn. A. Prandtl's gewiß als noch weit origineller zu
bezeichnende Methode der beschleunigten Rahmerzeugung
mittelst der CentrifugalmaschineA. a. O. S. 155. gleichfalls eine baldige Einführung in die
Industrie erfahre, ist vielleicht wünschenswerther als wahrscheinlich. Es ist indeß
hier wohl angezeigt, dieselbe in Erinnerung zu bringen.
Die Redaction d. p. I.