Titel: | Ueber die Farben-Reactionen des Anilins, des Pseudotoluidins und des Toluidins; von A. Rosenstiehl. |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XXI., S. 57 |
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XXI.
Ueber die Farben-Reactionen des Anilins,
des Pseudotoluidins und des Toluidins; von A. Rosenstiehl.
Aus den Comptes rendus, t. LXVII p. 398; August
1868.
Rosenstiehl, über die Farbenreactionen des Anilins etc.
Die zum Studium dieser Reactionen benutzten Alkaloide wurden aus Salzen bereitet,
deren Reinheit durch die Constanz 1) ihres Verhaltens
gegen verschiedene Reagentien, 2) ihrer Löslichkeitsverhältnisse, nach wiederholten Krystallisationen,
festgestellt war.
Seitdem das Anilin zum Handelsartikel geworden, hat man auf eine große Anzahl von
sehr empfindlichen Reactionen aufmerksam gemacht, welche man als charakteristisch
für diese Base hielt; aber die Thatsache, daß dieses Handelsproduct PseudotoluidinMan sehe Rosenstiehl's Abhandlung über das
Pseudotoluidin im polytechn. Journal Bd.
CLXXXIX S. 393, zweites
Septemberheft 1868. enthält, macht den Werth dieser analytischen
Hülfsmittel zweifelhaft. Als ich die erwähnten Reactionen einer strengen Prüfung
unterwarf, erkannte ich, daß wirklich nur eine einzige derselben charakteristisch
für das Anilin ist, nämlich die von Runge entdeckte. Man
macht freilich gegen dieselbe den Einwurf, daß sie sehr vorübergehend sey; allein
mittelst einer geringen Abänderung des Verfahrens gelingt es, sie nicht allein viel
stabiler, sondern auch außerordentlich empfindlich zu machen.
Setzt man zu Anilin, welches in Wasser suspendirt ist, einige Tropfen einer Chlorkalklösung, so geht die anfänglich auftretende sehr
intensiv blaue Färbung rasch in Braun über. Bei Gegenwart der homologen Alkaloide wird die angegebene
Färbung immer weniger sichtbar; sie verschwindet in Folge der braunen Producte,
welche das Toluidin gibt. Setzt man aber der zu prüfenden Flüssigkeit eine geringe
Menge Aether zu und rührt wiederholt um, so werden jene braunen Substanzen sämmtlich
von diesem Lösungsmittel aufgenommen und das Wasser färbt sich sehr rein blau. Will man in einem Gemisch, z. B. in Toluidin, mittelst dieses Verfahrens Spuren von Anilin
auffinden, so löst man etwa 1 Grm. des Alkaloids in 10 Kubikcentimeter Aether, fügt
ein gleiches Volum Wasser hinzu und versetzt dieses Gemisch tropfenweise mit einer
Chlorkalklösung vom spec. Gewicht 1,055, indem man nach jedem Zusatze des Reagens
umrührt; bei Gegenwart sehr geringer Mengen von Anilin färbt sich das Wasser nach
und nach blau. Es ist von wesentlichem Belange, daß man die Wirkung des Chlorkalkes
erschöpft, daß man also jeden Ueberschuß desselben vermeidet. Meinen mit meinem
Assistenten Hrn. Clemm gemeinschaftlich ausgeführten
Versuchen zufolge sind für 1 Grm. Alkaloid ungefähr 5 K. C. Chlorkalklösung vom
spec. Gewicht 1,055 erforderlich. Durch vergleichende Versuche mit Normalgemischen
der Alkaloide ist man im Stande, den Anilingehalt eines Gemisches bis zu einem
gewissen Punkte quantitativ zu bestimmen. Mittelst dieser Näherungsmethode war es
mir möglich, im Coupier'schen flüssigen Toluidin einen
Gehalt von 2 Proc. Anilin nachzuweisen.Rosenstiehl hat dieses Verfahren zur Nachweisung
von Toluidin im Anilin bereits in Fresenius'
Zeitschrift für analytische Chemie, 1867 S. 356, mitgetheilt; daraus im
polytechn. Journal Bd. CLXXXVIII S. 77
aufgenommen.
Wendet man bei dem besprochenen Versuche Pseudotoluidin
anstatt des Anilins an, so färbt sich das Wasser allmählich gelb und der Aether nimmt eine schwach gefärbte Base auf, deren Salze
schön violettroth gefärbt sind. Decantirt man diese alkaloidhaltige Aetherschicht
und schüttelt sie mit schwach angesäuertem Wasser, so nimmt die Flüssigkeit eine
Färbung an, welche sich in Hinsicht auf Schönheit und Intensität mit der Lösung
eines Uebermangansäuresalzes vergleichen läßt. Diese Reaction ist sehr empfindlich;
mittelst derselben läßt sich das Vorhandenseyn des Pseudotoluidins in Gegenwart der
beiden anderen Alkaloide erkennen; wenn auch nur eine sehr geringe Menge des
ersteren den letzteren beigemischt ist, so tritt die Erscheinung dennoch auffallend
hervor.
Toluidin gibt mit Chlorkalk nur negative Resultate.
Die meisten der übrigen zur Nachweisung des Anilins
empfohlenen Reactionen beruhen auf der durch verschiedene Oxydationsmittel bewirkten
Umwandlung dieser Substanz in Perkins'sches Violett. Bekanntlich geht dieses Violett durch Säuren in
Blau, in Grün und dann in Gelb über. Da die blaue Färbung bei weitem die größte
Intensität besitzt, so muß man vorzugsweise diese hervorzurufen suchen, wenn die
Ermittelung geringer Mengen dieses Farbstoffes beabsichtigt wird. Die Säure,
mittelst welcher man die erwähnte Färbung ganz sicher erhält, ist das Schwefelsäurebihydrat; in diesem Medium ist dieselbe sehr
stabil, sofern der Concentrationsgrad der Säure derselbe bleibt.
Alle Körper, welche in Gegenwart von Schwefelsäure Chlor
oder activen Sauerstoff entwickeln, geben mit Anilin und mit Pseudotoluidin sehr intensiv blaue Färbungen.
Dahin gehören die Chromsäuresalze, die Verbindungen des Chlors und des Mangans mit
Sauerstoff, das Bleisuperoxyd, das Chlor, der am positiven Pole der galvanischen
Batterie sich entwickelnde Sauerstoff, ein Gemisch von Salpetersäure und
Chlorwasserstoffsäure. Das Toluidin gibt mit keinem
dieser Reagentien eine Färbung.
Wenn man aber Salpetersäureals Oxydirenden Körper anwendet, so
findet gerade das Umgekehrte statt: das Anilin und das Pseudotoluidin geben
— sobald man bei gewöhnlicher Temperatur operirt — keine Färbung, während das
Toluidin sich sehr rein und sehr intensiv blau färbt.
Damit diese letztere Reaction sich einstellt, muß man aber genau den von mir
angegebenen Bedingungen entsprechen, das Toluidin in Schwefelsäurebihydrat lösen,
die Lösung erkalten lassen, einige Kubikcentimeter derselben in ein vollkommen trockenes Reagirglas gießen und dann einen
Tropfen Salpetersäure zusetzen. Die Färbung tritt binnen einer
Secunde ein, erhält sich eine Minute lang und
geht darauf in Violett und in Roth über. Diese Reaction bietet zwei Vortheile dar:
1) lassen sich mit Hülfe derselben kleine Mengen von Salpetersäuresalzen in Gegenwart von Chlormetallen und Chlorsäuresalzen auffinden;
2) läßt sich in Gemischen der Alkaloide, z. B. im käuflichen Anilin, ein geringer
Gehalt an Toluidin nachweisen; in diesem Falle entsteht
aber nicht Blau, sondern es tritt eine vom Blutroth zum Violettblau wechselnde
Färbung ein, welche, der vorhandenen Menge des Toluidins entsprechend, alle
Zwischentöne durchläuft. Es ist aber durchaus nothwendig, chlorfreie Substanzen
anzuwenden, wenn man Irrthümer vermeiden will. Es ist höchst auffallend, wie wenig
Chlorür hinreicht, um Anilin in Gegenwart von Salpetersäure blau zu färben. Die
anfangs sehr schwache Färbung tritt nach und nach stärker hervor, was erklärlich
wird, wenn man berücksichtigt, daß in Gegenwart von Salpetersäure und Schwefelsäure
von dem angegebenen Concentrationsgrade das Chlor sich fort und fort wieder erzeugen
muß, so daß seine Wirkung verhundertfacht wird.
Wie man hieraus ersieht, sind diese Reactionen, gerade wegen ihrer Empfindlichkeit,
sehr zarter Natur, und um sich nicht Beobachtungsfehlern auszusetzen, muß man daher
nothwendig ganz reine Reagentien anwenden.
Nachtrag.
Das flüssige Toluidin von CoupierMan s. die Mittheilungen über dasselbe im polytechn. Journal Bd. CLXXXI S.
385. enthält nach meinen Untersuchungen:
Anilin
2
Proc.
Pseudotoluidin
36
Proc.
Toluidin
62
Proc.
Die käuflichen Anilinsorten enthalten diese drei Alkaloide in verschiedenen
Verhältnissen.
Die beiden letzteren haben dieselbe chemische Zusammensetzung, denselben Siedepunkt,
aber ihre Rolle bei der Bildung der Farbstoffe ist eine
verschiedene; dem Toluidin kommt die am wenigsten
wichtige Rolle zu, denn 1) gibt es kein Schwarz; 2) gibt es, mit Anilin gemischt,
höchstens 25 Proc. Roth; 3) gibt es, mit Pseudotoluidin gemischt, höchstens 41 Proc.
Roth, während ein Gemisch von Anilin und Pseudotoluidin bis 50 Proc. Roth (Fuchsin)
geben kann.
Der Steinkohlentheer enthält die beiden Toluole in sehr wandelbaren Verhältnissen.
Dieß scheint wenigstens aus einer mir mündlich von Hrn. Martius mitgetheilten Beobachtung hervorzugehen: die aus den schottischen
Steinkohlen gewonnenen Toluole liefern viel
krystallisirtes Nitrotoluol und bekanntlich ist es letzteres, welches durch
Reduction das Toluidin erzeugt; die schottischen Steinkohlen werden daher wenig
Pseudotoluidin geben.
Welcher Werth ist nun den verschiedenen Methoden zuzuerkennen, welche für die Prüfung des Anilins zur Fuchsinfabrication vorgeschlagen
worden sind?
Reimann (polytechn. Journal, 1867, Bd. CLXXXV S. 49) empfiehlt das Anilinöl in oxalsaure Salze
zu verwandeln und diese mit Aether auszuziehen; was sich auflöst, wäre nach ihm das
oxalsaure Anilin. Wie man aus meiner Abhandlung über das Pseudotoluidin ersieht, hat
aber Reimann für Anilin genommen, was in Wirklichkeit
Pseudotoluidin ist.
Man hat vorgeschlagen den mittleren Siedepunkt des Anilins zu bestimmen und daraus
das Gewicht des dem Toluidin beigemischten Anilins abzuleiten. Diese Probe gibt
allerdings die Menge des in einem Gemisch enthaltenen Anilins, aber diese Angabe
reicht für die Praxis nicht aus, denn man müßte auch das Gewicht des Pseudotoluidins
kennen. Alle auf die fractionirte Destillation gegründeten Methoden werden also
nothwendig Resultate geben, welche mit der industriellen Fuchsinausbeute nicht
übereinstimmen.
Einfluß des Pseudotoluidins bei der Bildung des Schwarz.
— Man weiß durch die Versuche von Horaz Köchlin,
daß das Toluidin, der Behandlung für Schwarz unterworfen, nur falbe Nüancen gibt.
Seine Gegenwart im käuflichen Anilin verursacht daher einen Verlust. Um den Werth
des Pseudotoluidins für die Darstellung von Schwarz zu ermitteln, habe ich den
folgenden vergleichenden Versuch angestellt, für welchen ich Salze von erprobter
Reinheit anwandte.
Nr. 1.
Nr. 2.
Chlorwasserstoffsaures Anilin
6,5 Grm.
Chlorwasserstoffsaures Pseudotoluidin
7,2 Grm.
Auflösung von chlorsaurem Ummoniakvon 10° Baumé, welche 5
Tausendtheile Kupfer enthielt
30 Grm.
30 Grm.
Man verdickte mit gerösteter Stärke und brachte die Farben auf das Volum von 100 Kub.
Cent., bedruckte mit denselben Kattunstreifen, exponirte dieselben in der Hänge für
Anilinschwarz 48 Stunden lang, und spülte die Zeugstücke in einer Auflösung von
(krystallisirtem) kohlensaurem Natron.
Das (reine) Anilin gab eine Farbe, welche vor der Passage im Sodabade grün war und
nach dieser Passage in Indigoblau überging.
Das Pseudotoluidin gab ein Blaugrün, welches nach der Neutralisation im Sodabade in
Violett überging.
Aus diesem Versuche geht hervor, daß das Pseudotoluidin zur Bildung des Schwarz
beiträgt. (Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse,
t. XXXVIII p. 543; Juni 1868.)