Titel: | Untersuchung über die Beeinflussung der Alkoholgährung der Maische durch die Milchsäuregährung; von Dr. W. Schultze, Brennerei-Techniker in Stettin. |
Autor: | W. Schultze |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XLIV., S. 141 |
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XLIV.
Untersuchung über die Beeinflussung der
Alkoholgährung der Maische durch die Milchsäuregährung; von Dr. W. Schultze, Brennerei-Techniker in
Stettin.
Ueber Beeinflussung der Alkoholgährung der Maische durch die
Milchsäuregährung.
In meiner Arbeit: „Untersuchungen über die Milchsäuregährung der
Maische“Polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVII S.
501. habe ich die Bedingungen festgestellt, unter welchen die Thatsache der
Milchsäuregährung in der Maische zu Stande kommt. Damit war aber die
„Milchsäurefrage“ der Alkohol- und
Alkoholhefenindustrie nur zum Theil gelöst. Es blieb noch zu untersuchen übrig, ob
und in welcher Weise die Alkoholgährung der Maische beeinflußt werde durch die sie
stets begleitende Milchsäuregährung.
Die nachfolgenden Zeilen enthalten diese Untersuchung.
Ehe ich zur Darstellung meiner Untersuchung schreite, muß ich einige Worte
vorausschicken über den Gang derselben.
AnthonPolytechn. Journal, 1860, Bd. CLVII S.
218. war es, der im Jahre 1860 in überzeugendster Weise
auseinandersetzte, daß der Proceß der Alkoholgährung in stickstoffhaltigen
Flüssigkeiten zu scheiden sey in zwei Acte: in den Act der Hefenbildung und in den
Act der Hefenwirkung oder Alkoholbildung. So lange die Hefe in Bildung begriffen
ist, erzeugt sie keinen Alkohol; erst die vollendete und dem Absterben
entgegengehende Hefe zerlegt den Zucker in Alkohol und Kohlensäure.
Diese Unterscheidung wirft ein überraschendes Licht auf die Alkoholgährung.
Wie nun der Proceß der Alkoholgährung zu zerlegen ist in Hefenbildung und
Hefenwirkung, so ist auch der Proceß der Milchsäuregährung zu trennen in
Milchsäurehefenbildung und Milchsäurehefenwirkung.
Hieraus ergab sich der Gang der Untersuchung. Es war zu untersuchen der Einfluß:
a)b)
der Milchsäurehefenbildungder Milchsäurehefenwirkung oder
Milchsäure
auf die Alkoholhefenbildung
c)d)
der Milchsäurehefenbildungder Milchsäurehefenwirkung oder
Milchsäure
auf die Alkoholhefenwirkung od. Alkoholbildung.
I. Der Einfluß
der Milchsäurehefenbildung auf die Alkoholhefenbildung.
Die Nahrungsmittel der Alkoholhefe sind: Proteinverbindungen, Zucker und
Phosphate.
Diese nämlichen Stoffe dienen auch der Milchsäurehefe zur Nahrung und
Fortpflanzung.
Daraus folgt, daß, wenn in einer Maische neben der
beabsichtigten Alkoholhefenbildung auch Milchsäurehefenbildung stattfindet, die
Milchsäurehefe mit von den fürdie Alkoholhefe bestimmten Nährmitteln zehrt und dadurch die
Alkoholhefenbildung verringert.
II. Der Einfluß
der freien Milchsäure auf die Alkoholhefenbildung.
Die Milchsäurehefe erzeugt aus dem Zucker der Maische Milchsäure, welche sich der
Maische gleichmäßig beimischt und die saure Reaction derselben vergrößert. Welchen
Einfluß übt die Gegenwart freier Milchsäure auf die Fortpflanzung, auf die
Neubildung der Alkoholhefe in der Maische aus? Zur Beantwortung dieser Frage wurde
folgender Versuch ausgeführt:
Zwei gleiche Portionen A und B süßen, frischen Maischfiltrates (Getreidemaische) wurden jede mit
gleichen Mengen frischer, stärkmehlfreier Preßhefe versetzt. Die Portion B aber erhielt außerdem noch einen Zusatz von 2 Proc.
ihres Gewichtes concentrirter Milchsäure (spec. Gewicht = 1,234 bei 17,5°
C.). Beide Portionen wurden dann gleichmäßig einer Temperatur von
20–22° R. ausgesetzt.
Die Hefe in A fieng unter diesen Umständen sofort an sich
fortzupflanzen; das Ganze kam in lebhafte Gährung. Dagegen zeigte die Hefe in B weder Fortpflanzung noch Zersetzung des Zuckers.
Aus diesem Versuche folgt, daß freie Milchsäure in einer Zugabe
von 2 Procent die Fortpfanzungsfähigkeit der Alkoholhefe gänzlich vernichtet,
also Alkoholhefenbildung nicht zu Stande kommen läßt.
Daraus darf weiter gefolgert werden, daß kleinere Quantitäten
Milchsäure jedenfalls einen die Fortpflanzung, die Neubildung der Alkoholhefe
erschwerenden Einfluß ausüben.
Man sieht, die Alkoholhefe verhält sich in Bezug auf freie Milchsäure gerade so wie
die Milchsäurehefe; auch diese ist unfähig sich in stark milchsauren Flüssigkeiten
fortzupflanzen.Polytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVII S.
510.
Mit den Ergebnissen obigen Versuches stimmen meine Erfahrungen im Gebiete der
Hefenfabrication völlig überein. Je energischer ich bestrebt war, die unvermeidliche
Milchsäurebildung in der Maische auf das kleinste Maaß zu beschränken, desto
kräftiger, vielfältiger und schneller pflanzte sich die gesäete Alkoholhefe fort,
desto höher stiegen die Erträge an Preßhefe. Hierbei sind mir einzelne Fälle
begegnet, in welchen aus 100 Pfd. Schrotmischung 12,5 und 13,3 Pfd. reine Preßhefe gewonnen wurden. In den
meisten Fällen schwankten die Erträge zwischen 10,6 und 11,3 Pfd. Preßhefe.
Andererseits sah ich in Ungarn eine Preßhefenfabrik arbeiten, welche, geleitet von
dem Glauben, daß zur Erzielung der höchsten Hefenerträge Milchsäure erforderlich
sey, ihre Maischen vor der eigentlichen Alkoholgährung einer 18 stündigen
Milchsäuregährung im Vormaischbottich unterwarf. Diese Fabrik erzielte
4,5,5½, im höchsten Falle 7½ Pfd. reine Preßhefe aus 100 Pfd.
Schrotmischung.
Eine Thatsache aus der Fabrikpraxis, die jeder Spiritusfabrikant, jeder
Preßhefenfabrikant, zu beobachten schon zweifellos Gelegenheit hatte, findet nunmehr
ihre Erklärung. Es ist dieß die bekannte und berüchtigte Thatsache, daß diejenigen
Hauptmaischen, mögen sie nun Kartoffel-, Mais- oder Getreidemaischen
seyn, geringe Spiritus- resp. Preßhefenerträge liefern, welche mit einer
sogenannten Kunsthefe in Gährung versetzt werden, deren Maische während der
Säuerungsperiode in „freiwilliges Aufgähren“ gerathen war.
Das „freiwillige Aufgähren“ der Hefenmaische ist, wie ich
nachgewiesen habe, Milchsäuregährung. Wenn also eine von diesem Uebel befallene
Hefenmaische mit Mutter- oder Preßhefe zur Anstellung gebracht wird, so
kommen die in der Mutter- oder Preßhefe enthaltenen Alkoholhefenzellen in
eine Flüssigkeit, welche stark milchsauer ist. Da nun freie Milchsäure die
Vermehrung der Alkoholhefe erschwert resp. verhindert, so gelangen die gesäeten
Alkoholhefenzellen in der Hefenmaische entweder nur zu einer spärlichen, oder aber
zu gar keiner Vermehruug; die Hefenmaische bleibt mithin arm an Alkoholhefenzellen
und kann deßwegen in der Hauptmaische auch nur einen geringen Gähreffect
ausüben.
Hierzu gesellt sich aber noch ein zweites, ebenfalls die Vermehrung der Alkoholhefe
beeinträchtigendes Moment. Eine „freiwillig aufgegohrene“
Hefenmaische enthält massenhaft Milchsäurehefe. Die ganzen Stickstoff- und
Phosphatmengen, welche zum Aufbau dieser Massen von Milchsäurehefe erforderlich
waren, wurden entnommen aus den in der Hefenmaische gelösten Proteinverbindungen und
Phosphaten. Soll nun in einer solchen Hefenmaische noch Alkoholhefe gezogen werden,
so kann deren Cultur keine ergiebige seyn, weil ja
die Maische ihren Stickstoff und ihre Phosphate zum größten Theile zur
Milchsäurehefenbildung schon hergegeben hat.
Uebrigens sind hiermit die Umstände noch nicht erschöpft, welche die
„berüchtigte Thatsache“ zu Stande bringen; es werden im
Verlaufe dieser Arbeit noch einige zur Sprache gelangen.
Die allgemeine Meinung in den Spiritusbrennereien und in den Preßhefenfabriken geht
dahin, daß zur Erzeugung möglichst großer Mengen von Alkoholhefe die Milchsäure
deßhalb nothwendig sey, damit durch sie mehr Kleber, das Haupt-Nährmittel der
Hefe, in Lösung gebracht werde. Die oben mitgetheilten Erfahrungen über
Preßhefenfabrication zeigen auf's Klarste, daß diese allgemein verbreitete Meinung
nicht richtig, und die bisherigen und nachfolgenden Erörterungen werden erweisen,
warum sie nicht richtig sey.
Außerdem ist es ein Irrthum, zu glauben, daß durch bloße Vermehrung des
Stickstoffgehaltes die Maische zur Erzeugung von Alkoholhefe befähigter werde. Durch
solch' einseitiges Vorgehen leistet man nur der Erzeugung von Milchsäurehefe
Vorschub. (Man vergl. meine Arbeit: Untersuchungen über die Milchsäuregährung der
Maische.)
Jede Maische, auch solche in welcher noch keine Milchsäure vorhanden ist, reagirt
sauer. Diese saure Reaction wird durch Phosphorsäure hervorgerufen. Aus den
bisherigen Erörterungen nun den Schluß zu ziehen, daß die Anwesenheit auch der
geringsten Mengen irgendeiner freien Säure die Alkoholhefenbildung hindere, daß es
daher am vortheilhaftesten sey, die zum Zwecke der Hefenerzeugung dargestellten
Maischen stets neutral zu halten, ist unrichtig, wie die nachfolgenden Versuche
darthun.
VersuchA. 60 Gewichtstheile so eben mit Hefe angestellter,
frischer Geireidemaische wurden bei 20–24° R. der Gährung überlassen.
Die Maische kam sofort in lebhafte Gährung. 17 Stunden nach der Anstellung trat die
in der Maische neu erzeugte Hefe an die Oberfläche und bildete
hier eine 1 Zoll dicke Decke von consistentem
Schaum. Dieser Hefenschaum erhielt sich hier bis zur 33sten Stunde; dann
sank er allmählich in Folge der geringer werdenden Kohlensäureentwickelung in die
Flüssigkeit hinab.
VersuchB. Derselbe wurde gleichzeitig mit und unter denselben
Verhältnissen, wie Versuch A, ausgeführt, nur fand die
eine Abweichung statt, daß man die saure Reaction der Maische mit kohlensaurem Kalke
neutralisirte. Hier trat die Gährung ebenso früh ein, wie im Versuch A; auch hier fand in der 17ten Stunde der Hefentrieb
statt, jedoch in unverkennbar schwächerem Grade; der
Hefenschaum besaß eine viel geringere Consistenz und Dicke, als jener im Versuch A. Schon in der 25ten bis 27ten Stunde verschwand er
vollkommen.
Diese beiden Versuche zeigen auf's Deutlichste, daß durch
Neutralisation der ursprünglich sauren, der phosphorsauren Reaction der Maische
die Alkoholhefenbildung bedeutend verringert wird.
Diese Thatsache findet ihre Erklärung. Wenn man frisch bereitete und klar filtrirte
Getreidemaische mit soviel Aetzammoniak versetzt, daß die Reaction eine vollständig
neutrale wird, so entsteht ein weißer, voluminöser, sich leicht absetzender
Niederschlag, der in Phosphorsäure, Salzsäure, Schwefelsäure und Salpetersäure mit
Leichtigkeit sich auflöst. Analysirt man ihn, nachdem er gut ausgewaschen ist, so
findet man, daß er ein Gemenge von stickstoffhaltiger Substanz, phosphorsaurem Kalk
und phosphorsaurer Magnesia ist, also drei Bestandtheile
enthält, die zu den nothwendigen Nährmitteln der Alkoholhefe gehören.
Nunmehr ist es klar, warum die Maische, wenn diese drei Körper ihr durch
Neutralisation entzogen werden, dem Zwecke der Hefenerzeugung nicht mehr in dem
Maaße dienen könne, wie vordem.
Es geht hieraus aber auch hervor, daß die zur Hefenerzeugung
erforderlichen Rohstoffe (Roggen, Malz, Mais u. s. w.) schon dasjenige Mittel,
die Phosphorsäure, mitbringen, welches zum Löslichmachen der stickstoffhaltigen
Substanz und der alkalischen Erdphosphate zum Zwecke der Hefenernährung
erforderlich ist.
III. Der
Einfluß der Milchsäurehefenbildung auf die Alkoholbildung.
Wie bereits gesagt, verbraucht die Milchsäurehefe zum Aufbau ihres Organismus außer
Stickstoff und Phosphaten auch Zucker. Dieser aber ist das Alkohol bildende Material
der Maischen.
Wo immer also in einer Maische sich Milchsäurehefe, ganz
einerlei ob viel ob wenig, bildet, entsteht dadurch eine Verringerung des
Alkoholertrages.
Weit mehr Zucker, als durch den Aufbau der Milchsäurehefe, geht
durch die fertig gebildete Milchsäurehefe für die Alkoholbildung verloren, indem
sie aus ihm unter Entwickelung von Kohlensäure und Wasserstoff Milchsäure
bildet.
Es tritt dieser Fall in den Fabriken dann am sichtbarsten auf, wenn
„freiwillig aufgegohrene“ Hefenmaische zum Anstellen der
Hauptmaische verwandt wird. Die „freiwillig aufgegohrene“
Hefenmaische ist reich an fertig gebildeter Milchsäurehefe. Durch den Zusatz solcher
Hefenmaische zur Hauptmaische gelangt natürlich auch die in ihr enthaltene
Milchsäurehefe mit in die Hauptmaische: die Umwandlung des Zuckers in Milchsäure
beginnt nun sofort, der Alkoholertrag muß sinken.
IV. Der Einfluß
der freien Milchsäure auf die Alkoholbildung.
Die freie Milchsäure begnügt sich nicht damit, die Fortpflanzung der Alkoholhefe zu
erschweren, resp. zu unterdrücken, sondern sie verringert auch
die Fähigkeit der Alkoholhefe, aus dem Traubenzucker Alkohol zu bilden, was
durch folgende Versuche bewiesen wird.
VersuchA. 1084 Gewichtstheile einer Traubenzuckerlösung von
20,17 Proc. Sacch. Bg. wurden mit 10 Gewichtstheilen frischer, stärkmehlfreier
Preßhefe bei einer Temperatur von 25° R. in Gährung versetzt. Nach 210
Stunden war die Gährung vollendet. Die Traubenzuckerlösung war bis auf 3,250 Proc.
Sacch. Bg. vergohren.
VersuchB. Derselbe wurde gleichzeitig mit A und unter denselben Bedingungen, wie A, ausgeführt. Nur fand die Abweichung statt, daß diese
Traubenzuckerlösung mit 5 Tausendtheilen ihres Gewichtes concentrirter Milchsäure
(spec. Gewicht = 1,234 bei 17,5° C.) angesäuert wurde. In diesem Falle war
die Gährung gleichzeitig mit der im Versuch A beendigt,
aber die Flüssigkeit war nur bis auf 13,714 Proc. Sacch. Bg. vergohren.
Ein fernerer Einfluß der freien Milchsäure ist der, daß sie die
verringerte Wirkung der Alkoholhefe auf den Zucker auch noch
verlangsamt.
Dieser Einfluß ist von Wichtigkeit für die Spiritusfabrication in allen denjenigen
Staaten, in welchen die Gährdauer eine durch Gesetze beschränkte ist. Nachstehende
kleine Tabelle weist diese Verlangsamung der Attenuation nach.
Textabbildung Bd. 190, S. 147
Datum.; Tagesstunde.; Versuch A.
Zuckerlösung ohne Milchsäure.; Attenuation.; B. Zuckerlösung mit Milchsäure.;
Attenuation.; Mai; Nachm
Wenden wir nun diese beiden Erfahrungen wiederum auf den Fall in der Praxis an, daß
eine „freiwillig aufgegohrene“ Hefenmaische zum Anstellen der
Hauptmaische verwendet wird. Die „freiwillig aufgegohrene“
Hefenmaische ist reich an Milchsäure. Durch den Zusatz dieser Hefenmaische zur
Hauptmaische wird mithin die milchsaure Reaction der letzteren vermehrt. Diese
vergrößerte milchsaure Reaction aber übt nun auf die vorhandene Alkoholhefe
diejenigen beiden Einflüsse aus, welche wir so eben kennen gelernt haben; die
Alkoholbildung wird abermals beeinträchtigt, verringert, verlangsamt.
V. Zusammengefaßte Resultate.
1) Die Bildung der Alkoholhefe in der Maische wird verringert durch die gleichzeitige
Bildung der Milchsäurehefe, und zwar dadurch, daß die Milchsäurehefe sich aufbaut,
ausbildet und ernährt von den für die Vermehrung der Alkoholhefe bestimmten
Nahrungsmitteln.
2) Die Bildung der Alkoholhefe in der Maische wird gänzlich unterdrückt durch die
Gegenwart größerer Mengen, erschwert durch die Gegenwart kleinerer Mengen
Milchsäure.
3) Die Bildung des Alkohols aus dem Zucker der Maische wird durch die Bildung der
Milchsäurehefe insofern eine geringere, als a) Die
werdende Milchsäurehefe zu ihrem Aufbau einen Theil des vorhandenen Zuckers
verwendet, und als b) die vollendete Milchsäurehefe
sofort dazu übergeht, den Zucker in Milchsäure zu verwandeln.
4) Die Alkoholisirungswirkung der Alkoholhefe auf den Zucker wird durch die Gegenwart
freier Milchsäure verringert und verlangsamt.
Hieraus ergibt sich:
a) daß, entgegen der bisherigen Ansicht, die
Milchsäuregährung kein Vehikel der Alkoholgährung der Maische ist;
b) daß in allen Fällen die Alkoholgährung der Maische
durch die Milchsäuregährung beeinträchtigt wird, und
c) daß deßhalb der Spiritusfabrikant sowohl, wie der
Preßhefenfabrikant stets bestrebt seyn müssen, die nicht ganz zu vermeidende
Milchsäuregährung der Maische auf das kleinste Maaß zu beschränken.
VI. Kurze
Kritik der bisherigen Ansichten.
Balling widerspricht sich in seinen Angaben über den
Einfluß der Milchsäure auf die Alkoholgährung in auffallender Weise. Dem Rathe, man solle die Bildung
der Milchsäure so viel als möglich vermeiden,
1) weil sie auf Kosten der alkoholgebenden Substanz vor sich geheBalling's Gährungschemie, 3te Auflage, Bd. I S. 110; Bd. III S.
48. 2) weil sie die Vergährung hindereEbendaselbst Bd. III S.
48,57,139,140,144,151., folgt der Rath, die Entstehung der
Milchsäure beim Maischen zu befördern, weil dadurch a)
die ZuckerbildungEbendaselbst Bd. III S. 64. und b) die VergährungsfähigkeitEbendaselbst Bd. III S.
59,64,66,139,148. der Maische befördert werden. Endlich kommt der
Ausspruch: er habe durch Milchsäure wohl ein besseres Maisch-, aber kein
besseres Gährresultat erzielt.Ebendaselbst Bd. III S. 65,67,104.
Trommer drückt sich klar und bestimmt aus. Man soll stets
bemüht seyn, die nicht ganz zu vermeidende Milchsäurebildung in der Hauptmaische
nach Kräften zu beschränken, weil die Milchsäure ein Product des Zuckers ist, mithin
durch Milchsäurebildung die Spiritusausbeute verringert wird. Dagegen soll man in
der Hefenmaische die Milchsäurebildung bis zu einem gewissen Grade Platz greifen
lassen, weil in der Hefenmaische Hefe gebildet werden soll, und weil diese sich nur
aus in Milchsäure gelöstem Kleber bilden kann.Trommer's Lehrbuch der Spiritusfabrication, S. 59
und 254.
Trommer's erste Meinung ist vollständig richtig, die
zweite jedoch erfährt durch die vorstehenden Untersuchungen eine Berichtigung.
Pistorius-Lüdersdorff behandelt die Frage nach dem
Einflüsse der Milchsäure auf die Alkoholgährung in allgemeiner Weise, indem er den
Einfluß der Säuren überhaupt auf die Gährung bespricht.
„Obschon Schwefelsäure, meint erPistorius-Lüdersdorff, praktische
Anleitung zum Branntweinbrennen, 2te Auflage, S. 47.,
geradezu der Hefe ihre Wirksamkeit raubt, so hat sie, in geringer Menge einer
gährenden Flüssigkeit zugefügt, keinen nachtheiligen Einfluß auf die
Gährung.“
Die wichtige Constatirung dieser angeblichen Thatsache ist sehr in Zweifel zu ziehen.
Mir ist in meiner Praxis einmal der Fall vorgekommen, daß ein Arbeiter aus
Mißverständniß so eben angestellte Hefenmaische mit etwa 1 Proc. englischer
Schwefelsäure angesäuert hatte. In dieser Hefenmaische kam keine Gährung zu Stande.
— 1088,5 Gewichtstheile Traubenzuckerlösung von 21,180 Proc. Sacch. Bg.
wurden bei einer Temperatur von 25° R. mit 10 Gewichtstheilen frischer,
stärkmehlfreier Preßhefe in Gährung versetzt. Die Lösung vergohr in 184 Stunden bis
auf 5,000 Proc. Sacch. Bg. Im gleichzeitigen und sonst gleichbedingten Parallelversuche wurde die
Lösung mit 5 Tausendtheilen ihres Gewichtes reiner Schwefelsäure von 1,8425 spec.
Gew. angesäuert. Hier fand gar keine Gährung statt. — GrouvenMuspratt-Kerl, theoretische, praktische und
analytische Chemie, in Anwendung auf Künste und Gewerbe, 2te Auflage,
Abtheil. I, S. 359. fand, daß
Melassenmaische bei einem Zusatz von 2 Proc. Schwefelsäure nicht mehr in Gährung
gerieth. MarklNeue Zeitschrift für deutsche Spiritusfabrikanten, Jahrgang 1868, Nr.
6. beobachtete, daß neutrale Melassenmaischen eine größere
Vergährungsfähigkeit zeigen, als solche welche mit ½ Proc. Schwefelsäure
angesäuert sind.
„Die Pflanzensäuren, welche gleichfalls die Wirkung der Hefe direct
zerstören, üben diesen Einfluß, in geringer Menge beigegeben, nicht nur nicht
aus, sondern sie bewirken sogar das Gegentheil, indem sie die Gährung befördern.
So kommt eine Zuckerlösung, welcher eine geringe Menge Milchsäure,
Weinsteinsäure, Citronensäure, ja sogar Essigsäure zugesetzt worden ist,
sichtbar (!) eher in Gährung als ohne dieß, auch ist die Gährung lebhafter und
ihr Verlauf schneller. Eine gleiche Wirkung haben die sauren Salze, besonders
die der organischen Säuren.“
Auch diese Behauptung Lüdersdorff's,A. a. O. S. 47. welche ohne experimentellen Nachweis dasteht, muß
als hinfällig bezeichnet werden.
Den die Alkoholgährung beeinträchtigenden Einfluß der Milchsäure habe ich oben
experimentell nachgewiesen. — AnthonPolytechn. Journal Bd. CLIII S. 305; Bd. CLIV S.
223. hat den Einfluß der Weinsteinsäure und des
Weinsteins auf die Vergährung des Traubenzuckers und des Traubensaftes untersucht.
Er fand, daß ein Zusatz von Weinsteinsäure oder Weinstein die Vergährung des
Traubenzuckers und des Traubensaftes nicht allein sehr verlangsamte, sondern auch
viel früher unterbrach, als wenn keine Weinsteinsäure oder kein Weinstein zugesetzt
wurde, und somit eine sehr unvollständige Vergährung zur Folge hatte.
Die Meinung von der gährungbefördernden Wirkung der Weinßeinsäure und des Weinsteins
ist durch fast alle Brennereien verbreitet. Woher sie komme, kann kein Mensch
angeben. Sie ist eine durchaus irrige.
„Trauben-, oder überhaupt Fruchtsaft bildet in angemessener Temperatur
sehr leicht von selbst Hefe; man sieht dieß an der schnell eintretenden Trübung und
bald darauf erfolgenden Gährung. Eine Bierwürze erzeugt sie nicht so leicht, denn
erst nach viel längerer Zeit trübt sich dieselbe, obschon auf beiden Seiten ein
gleicher Stickstoffgehalt anzunehmen ist. Vergleicht man aber die Fruchtsäfte mit
einer Bierwürze, so
gibt sich bald ein Unterschied zu erkennen. Jene enthalten nämlich, wie süß sie auch
seyn mögen, eine beträchtliche Menge Säure, während die Würze nur sehr wenig
enthält. Eine geringe Menge Säure aber befördert die Gährung, und jedenfalls nur
dadurch, daß sie Hefenbildung befördert, und daher erzeugt sich in einer Würze eine
reichlichere Menge Hefe, wenn man sie, am besten durch eine Pflanzensäure, säuerlich
macht, als wenn man sie in ihrem natürlichen Zustande gähren läßt. (Lüdersdorff.A. a. O. S. 50.)
Die obige Annahme Lüdersdorff's, daß Fruchtsäfte in Folge
ihres Gehaltes an natürlicher Säure schneller gähren, ist eine irrige, auf
mangelhafter Beobachtung beruhende. Denn aus den schönen Untersuchungen Anthon'sPolytechn. Journal Bd. CLIII S. 385. ergibt sich
auf's Deutlichste, daß die in den Beeren- und Traubensäften vorhandene
natürliche Säure eben so hemmend auf den Verlauf der weinigen Gährung wirkt als wie
ein Zusatz von Weinsteinsäure, und daß diese Säfte viel vollständiger vergähren,
wenn man sie vorher von der in ihnen enthaltenen freien Säure befreit.
Wenn Trauben- und Fruchtsäfte schneller in Gährung gerathen als Bierwürze, so
liegt der Grund davon jedenfalls darin, daß diese Säfte unzählige Hefesporen
enthalten, welche zu Milliarden an der Oberfläche der Beeren und der Fruchtstiele
haftend, bei der Pressung der Beeren mit in den Saft übergehen und sich nun rasch zu
Hefe entwickeln. In einer gekochten Bierwürze aber sind diese Hefesporen nicht
enthalten. Erst wenn die gekühlte Würze mit der atmosphärischen Luft in Berührung
kommt, lassen sich allmählich Hefesporen aus der Luft auf die Oberfläche der Würze
nieder, mischen sich mit der Würze und rufen deren Gährung hervor.
Lüdersdorff hält von allen Säuren die Milchsäure für
diejenige, welche die Hefenbildung am meisten begünstigt.A. a. O. S. 399 und 400. Gleichwohl aber Können Umstände
eintreten, welche dem unausgesetzten Gelingen der Bereitung der Kartoffelhefe
hinderlich sind; diese sind: eine zu starke Säuerung der Maische, ferner das
freiwillige Aufgähren derselben, endlich eine zu starke Säuerung der
Mutterhefe.A. a. O. S. 408.
Also, Milchsäure begünstigt und Milchsäure behindert die Hefenbildung. Wo ist hier
die Grenze zwischen diesen beiden Wirkungen? Auf diese Frage keine Antwort, keine
Aufklärung! Nichts als Unbestimmtheit, als Widerspruch!
Auch Otto kommt mit sich in Widerspruch bei der
Besprechung der Rolle, welche die Milchsäure bei der Maischegährung spielt.
„Der Zweck der Bildung der Milchsäure ist die Vermehrung der
hefegebenden, stickstoffhaltigen Bestandtheile in der Maische; die Milchsäure
wirkt bekanntlich kräftig lösend auf Kleber.“Otto's Lehrbuch der rationellen Praxis der
landwirthschaftlichen Gewerbe, 5te Auflage, Bd. I S. 346. Doch hat man sich zu hüten vor
„Entstehung einer zu beträchtlichen Menge Milchsäure, welche hemmend auf die Gährung
wirkt.“Ebendaselbst S. 346.
„Schwefelsäure, oder Schlempe, welche man zusetzt, und Milchsäure, welche
man in der Maische sich bilden läßt, machen die Maische dünnflüssiger und vergährungsfähiger...... “Ebendaselbst S. 592.