Titel: | Ueber Thompson's Straßen-Locomotive; Bericht von Professor Archer. |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XLVII., S. 177 |
Download: | XML |
XLVII.
Ueber Thompson's Straßen-Locomotive; Bericht von
Professor Archer.
Vorgetragen in der Versammlung der British Association zu Norwich. — Aus
dem Engineer,
September 1868, S. 191.
Mit einer Abbildung auf Tab. III.
Thompson's Straßenlocomotive.
Thompson verwendet zu den Radbandagen seiner
Straßenlocomotive ein Material, welches auf den ersten Blick nicht ganz geeignet
erscheint, um den heftigen Einwirkungen, denen es ausgesetzt wird, zu widerstehen;
seine Radbandagen bestehen nämlich aus Reifen von
vulcanisirtem Kautschuk, welche 12 Zoll breit und 5 Zoll dick sind. Dieses
weiche und elastische Material trägt nicht allein das bedeutende Gewicht der
Straßenlocomotive ohne jeden Nachtheil, sondern dieselbe läuft auch über frisch
beschüttete Chausséen, zerschlagene Kieselsteine und andere scharfe Gegenstände,
ohne zerstörenden Einfluß auf die Reife. Die Locomotive sinkt in dem Wege nicht ein,
und läuft über Steine, welche auf der harten Straße liegen, ohne dieselben zu
zermalmen, daher man diese Bandagen mit den Fußsohlen des Elephanten vergleichen
kann; sowohl das Kameel wie der Elephant haben breite, weiche Polsterungen zwischen
ihren harten Hufen, weßhalb auch kein anderes Thier mit gleicher Ausdauer wie sie
über harten Boden gehen kann.
Die zum Fortbewegen dieser Straßenlocomotive erforderliche Betriebskraft ist viel
geringer als wenn die Radreife hart und steif wären; da ihre Bandagen nichts
zermalmen und nicht in die Straßenbahn einsinken, so bleibt die Kraft, welche sonst
zum Zermalmen und Eindrücken der Steine unter starren eisernen Reifen aufgewendet
wird, für den Betrieb der Maschine vollständig erhalten. Man könnte auf den ersten
Blick vermuthen, daß ziemlich viel Kraft absorbirt werde, um einen schweren Wagen
auf weichen Radreifen fortzubewegen; sind jedoch die Reife nicht allein weich,
sondern auch elastisch, so wird die zum Zusammendrücken des Reifes vor dem Rade
verwendete Kraft wieder nahezu vollständig nutzbar gemacht, indem sich der
elastische Reif hinter dem Rade ausdehnt.
Ebenso hat es sich herausgestellt, daß man kaum einer größeren Kraft bedarf, um Räder
mit Kautschukbandagen über schlechte Wege oder lockeren Kiesboden zu ziehen, als
wenn sie sich über das beste Pflaster bewegten; dieß ist in dem Umstande begründet,
daß sie nicht einsinken und die Steine nicht eindrücken.
Zu Leith wurden Versuche mit der neuen Straßenlocomotive auf weichem Grasboden
angestellt, wo ein gewöhnlicher Dampfwagen unbedingt eingesunken wäre. Erschien es
schon merkwürdig, daß sie durch das Gras lief ohne eine Spur zurückzulassen, so
wurde das Erstaunen der Zuschauer noch größer, als sie an eine Stelle kam, wo das
Feld kurz vorher 1–2 Fuß hoch mit lockerer Erde bedeckt worden war, und
gerade hindurch und wieder zurück über den tiefen weichen Boden lief. Diese Maschine
hat ein Gewicht von vier bis fünf Tonnen und doch hatten die Räder den lockeren
Boden so wenig comprimirt, daß man einen Spazierstock ohne Anstrengung tief in die
Radspur eindrücken konnte.
Es ist klar, daß nun eine Hauptschwierigkeit beim Pflügen mit Dampfmaschinen gehoben
ist, denn diese Straßenlocomotive geht mit Leichtigkeit durch jedes, selbst frisch
umgepflügte Feld.
Nach verschiedenen Fahrten und Schwenkungen, welche bewiesen, daß diese Maschine auch
an Plätzen verwendbar ist, wo der gebahnte Weg aufhört, brachte man sie auf die
Stadtstraße und hängte ihr einen großen mit Passagieren besetzten Omnibus an, mit
welchem sie längs Bonnington-road nach der Mühle der HHrn. Gibson und Walker fuhr; dort
wurde ihr ein großer Wagen angekettet, welcher mit seiner Mehlladung fast zehn
Tonnen wog, und sie setzte ihren Weg bei Stellenweiser Steigung von 1 bis zu 20
trotz den Schwierigkeiten fort, welche die abschüssige Straßenfläche voll Gruben und
Fahrgeleisen darbot. Allen Anwesenden drängte sich die Ueberzeugung auf, daß die
Straßenlocomotive weit mehr zu leisten vermag, als man ihr bei diesen Probefahrten
zumuthete.
Das Angreifen der Räder auf der Straßenoberfläche mußte überraschen, und es war
merkwürdig anzusehen, wie leicht die Locomotive auf ihren weichen, elastischen
Radreifen dahinschwebte. Wenn man auf ihr steht, so hat man das Gefühl als fahre man
über einen weichen Grasplatz; man hört nicht das geringste Knarren. Bei diesem
sanften Gange bleibt die Locomotive von den Unfällen verschont, welchen die
Maschinen mit den bisher gebräuchlichen eisernen Rädern durch die Stöße ausgesetzt
sind.
Die Kautschuk-Bandagen sind außerordentlich dauerhaft; man bemerkt an
denselben, so unglaublich es scheinen mag, bis jetzt keine Abnutzung; die ursprüngliche Oberfläche,
welche sie zeigten als sie aus der Fabrik kamen, ist noch sichtbar.
Außer den verbesserten Rädern hatte die Locomotive, womit die Versuche angestellt
wurden, noch eine Eigenthümlichkeit, nämlich einen verticalen Kessel, welcher ein
sehr ökonomischer Dampfentwickler ist. Bei einer Reihe von Versuchen verdampfte ein
verticaler Dampfkessel gewöhnlicher Art 3,66 Pfd. Wasser durch 1 Pfd. verbrannter
schottischer Kohle von geringer Qualität; ein gewöhnlicher Locomotivkessel 4,13 Pfd.
Wasser, und der neue Kessel 4,68 Pfd. Wasser. Mit 63 Quadratfuß Heizfläche
verdampfte letzterer 15⅓ Kubikfuß Wasser in der Stunde; der gewöhnliche
verticale Kessel verdampfte mit 72 Quadratfuß Heizfläche 14 Kubikfuß Wasser per Stunde, und der gewöhnliche Locomotivkessel mit 137
Quadratfuß Heizfläche 15 Kubikfuß Wasser per Stunde.
Die Zugkraft der Maschine übertraf alle Erwartung; sie war für einen Omnibus
construirt, welcher mit seinen dreißig Passagieren nahezu vier Tonnen wiegen und auf
ebener Straße fahren sollte, ihre Leistungen übertreffen aber diese Anforderung so
sehr, daß sie bis jetzt bei keiner der angehängten Lasten zur Entwickelung ihrer
höchsten Kraftäußerung getrieben werden mußte. Es bot sich eine Gelegenheit, bei
welcher man erwartete die Grenzen ihrer Zugfähigkeit erreicht zu sehen; ein
colossaler Dampfkessel, welcher mit dem Transportkarren zwischen zwölf und dreizehn
Tonnen wog, sollte bei einer Steigung von 1 zu 12 auf eine Anhöhe befördert werden;
die kleine Straßenlocomotive wurde an den Karren gekettet und zog den mächtigen
Dampfkessel den Hügel hinauf; ihre Kautschuk-Reife griffen dabei trefflich in
den Grund und man konnte nicht das mindeste Gleiten derselben bemerken. Dieser
Dampfkessel wurde aus der Fabrik der HHrn. Hawthorn und
Comp. über Junction-road und dann über den
hügeligen Bonnington-road bis zur Mühle der HHrn. Gibson und Walker gezogen, auf Straßen der
verschiedenartigsten Beschaffenheit, deren keine das Angreifen der
Kautschuk-Reife zu beeinträchtigen schien; der Weg war so hart und glatt
gefroren, daß Pferde Mühe hatten sich auf den Beinen zu halten, aber auf die
Kautschuk-Räder hatte die Glätte des Weges keinen Einfluß, denn Kautschuk
gleitet bekanntlich auf dem Eise nicht.
Auch eine größere Straßenlocomotive wurde nach demselben Systeme ausgeführt, um
Kaffee auf schwer bepackten Wagen über die hügeligen Wege der Insel Ceylon zu
ziehen. Diese Maschine hat zwei Cylinder von 7½ Zoll Durchmesser und 10 Zoll
Hub, sowie einen verticalen Kessel von 3 Fuß Durchmesser und 7 Fuß Höhe. Die
Räderübersetzung ist so angeordnet, daß die Maschine bei jedem Umgange der Laufräder
nach Belieben sechs
oder fünfzehn Umdrehungen machen kann. Sie wiegt mit Wasser und Kohlen für
zweistündige Arbeit beiläufig 8½ Tonnen. Es war die Bedingung gestellt, daß
sie zwölf Tonnen Bruttogewicht bei Steigungen von 1 zu 16 überwältige; die
Probefahrten ergaben aber, daß sie weit mehr leistet. — Bei der ersten Fahrt
lenkte man sie mit einem angehängten Wagen von 2¾ Tonnen Gewicht eine krumme,
abhängige Straße von Edinburgh, die Cockburn-street, hinauf. Diese Straße hat
stellenweise Steigungen von 1 zu 8, die Straßenlocomotive gieng jedoch mit der
größten Leichtigkeit hinauf. — Die nächste Probe war eine sehr schwierige; es
wurden vier große Wagen angehängt, wovon jeder 5¼ Tonnen Steinkohlen fassen
konnte. Mit den leeren Wagen von je 2¾ Tonnen Gewicht lief die Maschine von
Leith bis zur Kohlengrube von New-Battle, eine Entfernung von fast eilf
englischen Meilen. Hier wurde jeder Wagen mit 5¼ Tonnen Kohlen beladen und
die Straßenlocomotive zog alle vier von New-Battle bis Leith auf einem Wege,
der stellenweise Steigungen von 1 zu 16 hat. Das Gesammtgewicht der Kohlen betrug
einundzwanzig Tonnen; mit dem Gewichte der vier Wagen ergibt sich das Bruttogewicht
von zweiunddreißig Tonnen, und mit Einschluß des Gewichtes der Locomotive das
Gewicht des ganzen Zuges von über vierzig Tonnen. Dieser 90 Fuß lange Zug lief um
die Mittagszeit ohne Schwierigkeit durch die Straßen von Edinburgh und Leith, in
denen der Verkehr am lebhaftesten ist.