Titel: | Ueber ein Verfahren, das Gesetz der aufsteigenden Bewegung und des horizontalen Fortganges der (Luft-) Ballons zu bestimmen; von General Morin. |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. XCVIII., S. 371 |
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XCVIII.
Ueber ein Verfahren, das Gesetz der aufsteigenden
Bewegung und des horizontalen Fortganges der (Luft-) Ballons zu bestimmen; von General
Morin.
Im Auszug aus den Comptes rendus, t. LXVII p. 635;
September 1868.
Morin, Verf. zur Bestimmung des Gesetzes der Bewegung der
Ballons.
Ich habe schon vor vielen Jahren ein Verfahren bekannt gemacht, welches man anwenden
kann, und das ich schon zum Theile im Jahre 1836 zu Metz angewendet habe, um die
Bewegung der hohlen Projectile während des Fluges auf graphischem Wege zu
bestimmen.
Es besteht, was die Trajectorie selbst betrifft, darin, parallel zur Ebene der
Flugbahn und zwar in einer zu dieser Ebene gelegt gedachten Normalen in einer
Distanz, welche etwa gleich der halben oder zwei Drittel der Schußweite (portée) ist, eine transparente, oder, wenn man will,
eine mit einer durchscheinenden Substanz bestrichene Glasscheibe anzubringen, hinter
welcher in einer passenden Höhe ein Ocular fixirt wird. Wenn z. B. die Schußweite
600 Meter beträgt, so kann man das Ocular in 400 Meter Entfernung von der Ebene der
Trajectorie und zwar in der Normalen anbringen, welche aus der Mitte der
horizontalen Schußdistanz gezogen gedacht wird. Die Scheibe (oder der Schirm) wird
um 0,5 Meter vom Oculare aufgestellt, und damit das am Ocular befindliche Auge des
Beobachters der ganzen Entwickelung der Trajectorie leicht folgen kann, reicht es
aus, dieselbe 0,8 bis 0,9 Meter seitwärts zu verschieben.
Diese Anordnungen angenommen, so begreift man leicht, daß, wenn im Moment des Zielens
und vor dem Abfeuern, an dem Mörser (sur le mortier)
eine Laterne angebracht wird, man bei ausgestrecktem Arm und indem man durch das
Ocular sieht, mit Hülfe eines in der Hand gehaltenen Bleistiftes auf der Scheibe die
conische oder perspectivische Projection des Anfanges der Flugbahn bestimmen kann.
Wird hierauf die Bombe geworfen oder abgeschossen, so folgt das Auge und die Hand
dem Gange des Projectiles, und man erhält so in dem angenommenen reducirten
Maaßstabe die conische Projection der ganzen Trajectorie.
Man wird bemerken, daß die Ausführung dieser Spuren nicht so schwierig ist, wie es
von vornherein den Anschein hat, vorausgesetzt, daß die Geschwindigkeit des
scheinbaren Ganges des Projectiles auf dem Schirm im Verhältnisse der Distanzen
reducirt ist, und daß, wenn die Anfangsgeschwindigkeit des Projectiles beispielsweise 200
Meter in der Secunde wäre, jene des Bildes am Ursprung der gezogenen Curve, wo sie
ihr Maximum hat, nur Textabbildung Bd. 190, S. 372 Meter beträgt, während dieselbe hierauf abnehmen, sodann wieder zunehmen
wird, ohne jedoch ihren Anfangswerth mehr zu erreichen. Eine geringe
Geschicklichkeit wird ausreichen, um bei einer gewissen Sicherheit der Hand auf
solche Weise continuirliche Curven zu ziehen, welche die Trajectorie gut
reproduciren. Wiederholt man einen derartigen Versuch mehrmals unter sonst gleichen
Umständen, so kann man eine mittlere Bestimmung für diese Trajectorien erhalten,
welche ausreichen dürfte, um gewisse ballistische Untersuchungen darauf zu
gründen.
Meine ersten Versuche haben mir gezeigt, daß das in Rede stehende Verfahren bei nur
einiger Einübung nützliche Resultate liefern kann. Ich habe, als ich Metz verließ,
Proben hierüber dort zurückgelassen, welche vielleicht sich noch jetzt in der
Artillerie-Schule befinden.
Dieses Verfahren, welches also in einem bestimmten Maaßstab die Trajectorie durch
rechtwinkelige Coordinaten liefert, gestattet schon graphisch ihre Gestalt, ihre
Höhe (Wurfhöhe), ihre Tangenten und insbesondere jene des absteigenden Astes (celle de chute) zu bestimmen; diese Angaben und
Resultate, verbunden mit der bekannten Schußweite und der zugehörigen Flugzeit,
liefern also nützliche Elemente für ballistische Rechnungen.
Aber zu derselben Zeit habe ich es ausgesprochen und eine Modification des Apparates
angezeigt, welche, wenn man in gleicher Weise (wie oben erwähnt) verfährt, eine Spur
der Flugbahn als Function der Zeit liefern kann. Man begreift in der That, daß wenn
der Schirm (oder die Glasscheibe), auf welchem das Bild oder die conische Projection
der Curve gezogen wird, in horizontaler Richtung gleichförmig mit einer bekannten
Geschwindigkeit sich bewegt, die Ordinaten des Bildes noch wie im vorigen Falle den
Steighöhen des Projectiles proportional, und daß die Abscissen die Summe oder die
Differenz der horizontalen Verrückungen des Schirmes und der reducirten Schußweiten
des Beweglichen seyn werden, je nachdem der Schirm in entgegengesetztem oder im
gleichen Sinne geht wie letzteres. Wenn gleichzeitig zwei Beobachter bei einer und
derselben Bombe dieses Verfahren anwenden, also mit zwei Apparaten aber in
entgegengesetztem Sinne, so wird die halbe Summe der Abscissen der beiden erhaltenen
Curven die der gleichzeitigen Steighöhe entsprechende Zeit angeben. Es ist jedoch
nicht nothwendig die Zahl der Beobachter zu verdoppeln, da man leicht
chronometrische Motoren haben kann, welche einer Glasscheibe von großer Ausdehnung eine
gleichförmige und ausreichend schnelle Bewegung mittheilen, um derartige Studien
ausführen zu können.
Tresca und Laboulaye haben bei
ihren interessanten Untersuchungen über das mechanische Aequivalent der WärmeComptes rendus, 1865, t.
LX p. 326. eine Anordnung dieser Art gehabt, bei welcher
die Dimensionen der Scheibe 1,2 Met. und 0,8 Met. waren, und welcher je nach
Bedürfniß eine gleichförmige Bewegung mit einer annähernden Geschwindigkeit von 1,5
bis 2 Meter in der Secunde mitgetheilt werden konnte. Es wird also in der
Wirklichkeit keine Schwierigkeiten darbieten, regelmäßige Reductionen der Bahnen von
Bomben zu erhalten, deren Ordinaten den Steighöhen und von welchen die Abscissen den
correspondirenden Zeiten proportional sind. Diese Curven, welche auf graphischem
Wege das Gesetz der Bewegung darstellen, geben durch ihre Tangenten die verticalen
Geschwindigkeiten an irgend einer Stelle der Bahn und in Verbindung mit den nach dem
vorigen Verfahren erhaltenen Curven, eine Menge von Beobachtungselementen und Daten,
welche gestatten, unsere Kenntnisse in der Ballistik der Hohlgeschosse wesentlich zu
vervollständigen. — Die Zeiten und Umstände haben meinen übernommenen
Verpflichtungen gemäß meinen Studien eine andere Richtung gegeben, so daß ich jene
Untersuchungen und die Anwendung dieser Beobachtungsverfahren nicht mehr verfolgen
konnte, und ich habe sie den Jüngeren als Andenken eines alten Artilleristen für
seine Waffenbrüder hinterlassen.
Ich würde übrigens die Frage nicht mehr angeregt haben und mich mit dem befriedigen,
was ich darüber im Jahre 1838 veröffentlicht habe, wenn dieselben Beobachtungsmittel
nicht vielleicht und zwar weit leichter für physikalische Untersuchungen augewendet
werden könnten, auf welche der Forschungsgeist einer großen Zahl von jungen und
muthvollen Gelehrten gerichtet ist, um fruchtbare Resultate aus der Luftschifffahrt
zu gewinnen, deren Vervollkommnung durch die heutigen mechanischen Mittel noch nicht
angebahnt werden konnte. — Man begreift in der That, ohne daß es nöthig seyn
wird, von Neuem auf Details einzugehen, daß die beiden oben angedeuteten Verfahren
gestatten werden, das Gesetz der aufsteigenden Bewegung eines Ballons zu bestimmen.
Da man nämlich das Gewicht des ganzen Volumens vom Ballon kennt, die Dichte der Luft
an der Erdoberfläche, die anfängliche Steigkraft des Ballons, das Widerstandsgesetz
der Luft bei der Bewegung sphärischer oder sphäroidaler Körper, welches bekanntlich vom
General Didion durch seine im Jahre 1836 zu Metz
ausgeführten Untersuchungen festgestellt worden ist; ferner den Barometerstand an
jeder Stelle des Aufsteigens, so ist es wohl klar, daß der Apparat, welcher eine
graphische Darstellung der verticalen Bewegung des Ballons liefert, für die Kräfte,
welche letzteren beeinflussen, eine Relation herzustellen gestattet, aus welcher man
z. B. das Gesetz der Aenderung der Dichtigkeit der Luft herleiten kann. — Das
angedeutete Verfahren läßt sich übrigens noch gediegener ausnutzen. Wenn man nämlich
bei Windstille oder wenigstens bei schwachem und regelmäßigem Winde die Arbeit
ausführen kann, so kann man auf das Gesetz der aufsteigenden Bewegung und selbst auf
die fortschreitende Bewegung in horizontaler Beziehung durch Beobachtung gelangen,
ohne daß dabei ein chronometrisches Triebwerk angewendet wird. In derartigen Fällen
gestattet nämlich die geringe Geschwindigkeit, mit der die Bewegung vor sich geht,
bloß auf die Anwendung einer fixen Glasscheibe sich zu beschränken, auf welcher man
die conische Projection der Trajectorie durch ihre rechtwinkeligen Coordinaten
angibt; es wird dann leicht seyn, in gleichen Zeitintervallen bestimmte und diesen
correspondirende Punkte der Bahn zu bezeichnen, indem man sich dabei entweder einer
Secundenuhr oder eines Compteurs bedient, mittelst welchem man ganze oder
Viertelssecunden anzugeben im Stande ist, um so von einzelnen Stellen der Bahn die
diesen entsprechenden Bewegungszeiten bestimmen zu können. — Eine auf solche
Weise erhaltene Curve gibt also die in horizontaler und verticaler Beziehung
durchlaufenen Räume, sowie die Zeiten an, welche denselben angehören. Man könnte
daher leicht hieraus andere Curven ableiten, durch welche die Geschwindigkeiten in
verticaler und horizontaler Beziehung bestimmt werden können.
Es muß übrigens bemerkt werden, daß die Operationen, welche die Trajectorie des
Ballons angeben, nicht immer gestatten, auf die conische Projection der letzteren
schließen zu lassen, da die Einwirkung der Luftströme auf Ballons in anderer Weise
stattfindet als auf Bomben, deren Bahnen ihrer ganzen Ausdehnung nach nicht viel von
einer ebenen Curve abweichen. Werden hingegen die Beobachtungen in zwei
verschiedenen Ebenen angestellt, von denen die eine parallel, die andere
rechtwinkelig zur herrschenden (?) Windrichtung gebracht wird, und geht man dabei
von derselben Anfangsstelle aus, so stellt jede der erhaltenen Curven das Gesetz der
verticalen Bewegung dar, und man kann dann aus beiden leicht die horizontale
Projection der Bahn ableiten, welches auch die Einbiegungen der letzteren wären.
Wenn man übrigens, um den Resultaten eine sichere Exactität zu verschaffen, es für
nöthig hält, noch eine dritte Zeichnungsscheibe anzuwenden, so ordnet man die drei
Ebenen so an, daß die Richtungen ihrer Seiten ein gleichseitiges Dreieck bilden.
— Für gewisse Untersuchungen, wie jene der Aenderung der Dichtigkeit der
Luft, kann man sich mit der Benutzung einer einzigen Scheibe begnügen, nur muß man
solche Arbeiten bei günstiger Witterung und ruhiger Luft ausführen.
Der Umstand, daß bei gewöhnlichen Luftfahrten zuweilen Ballast ausgeworfen wird, kann
allerdings die Untersuchungen sehr unsicher machen. Bei Luftfahrten für derartige
Zwecke aber sollte ein derartiger Umstand vermieden werden; sollte jedoch das
Auswerfen von Ballast dennoch eintreten, so hat eben der Beobachter von der Erde aus
den Moment, in welchem dieß stattfindet, so wie die Stelle der Curve, von der an die
Aenderung des Gewichtes des Ballons u. dgl. eingetreten ist, genau zu bezeichnen.
— In gewissen Fällen dürfte es nützlich seyn, specielle Beobachtungen
genannter Art mit sogen, verlorenen Ballons (welche man eigens zu diesem Zwecke
steigen und dann sich selbst überläßt) anzustellen; es würden sowohl die Operationen
als auch der Calcul, nach welchem das Gesetz der aufsteigenden Bewegung zu bestimmen
ist, wesentlich sich vereinfachen.