Titel: | Ueber die Zersetzung der salpetersauren Salze während der Gährung; von Th. Schlösing. |
Fundstelle: | Band 190, Jahrgang 1868, Nr. CXXIV., S. 483 |
Download: | XML |
CXXIV.
Ueber die Zersetzung der salpetersauren Salze
während der Gährung; von Th.
Schlösing.
Aus den Comptes rendus, 1868, t. LXVI p.
237.
Schlösing, über die Zersetzung der salpetersauren Salze während der
Gährung.
Die (vorstehende) Mittheilung von Reiset über das
zufällige Auftreten von Salpetrigsäuregas bei der Gährung des Runkelrübensaftes
erinnerte mich an analoge Thatsachen, deren Erklärung mir die Analyse schon längst
geliefert hat.
Einer meiner Vorgänger im Laboratorium der École des
Tabacs, Hr. C. Rey, hat beobachtet, daß
Tabaksaft, im geschlossenen Gefäße der Fäulniß überlassen, Stickstoffoxydul
entwickelt; dieses Gas war mit Kohlensäure verdünnt und seine Menge zeigte sich bei
verschiedenen Tabaksorten verschieden groß. Ich wollte wissen, ob das Auftreten dieses Gases die Folge
einer Zersetzung der vorhandenen salpetersauren Salze sey, und wiederholte daher den
Versuch von Rey, indem ich die Menge der Salpetersäure
sowohl im Anfange, als auch im ganzen Verlaufe des Fäulnißprocesses nach einem von
mir zu diesem Zweck veröffentlichten VerfahrenSchlösing hat ein Verfahren ersonnen zur raschen
Bestimmung von Salpetersäure, welches auch bei Gegenwart von organischen
Substanzen anwendbar ist. Es besteht in der Ueberführung der Salpetersäure
in Stickstoffoxydgas mittelst Eisenchlorür in einem luftfreien Apparat,
Verwandlung dieses Gases in Salpetersäure mittelst Sauerstoff, und der
volumetrischen Bestimmung dieser letzteren mittelst einer titrirten Lösung
von Kalk in Zuckerwasser. (Comptes rendus, t. XXXVII
p. 858; Liebig und Kopp's Jahresbericht für 1853, S. 654.) bestimmte.
Durch sorgfältig ausgeführte Analysen gelang es mir folgende Thatsachen
festzustellen:
Während der Fäulniß des Tabaksaftes findet eine Zersetzung der salpetersauren Salze
statt, welche rasch verläuft. Während dieser Zersetzung der Nitrate hinterlassen die
dabei entwickelten Gase nach der Absorption der Kohlensäure einen Rückstand, welcher
Stickstoffoxydul enthält; dieses Gas ist jedoch im Rückstände nicht zugegen, wenn
der Saft keine salpetersauren Salze enthält, mag dieses von Anfang an oder erst nach
Verlauf einer gewissen Zeit (wo diese Salze verschwunden sind) der Fall sein.
Demnach besteht während der Fäulniß des Tabakes ein wechselseitiger Zusammenhang
zwischen der Zerstörung der salpetersauren Salze und dem Auftreten des
Stickstoffoxydulgases: die eine Erscheinung findet ohne die andere nicht statt.
Diese Untersuchungen dehnte ich auch auf andere Substanzen aus. Harn im Zustande
beginnender Fäulniß wurde mit Salpeter versetzt und in eine mit einem
Gasleitungsrohre versehene Flasche gebracht; es entwickelte sich Stickstoffoxydul
und Stickstoffoxyd.
Dieselben Resultate erhielt ich mit Zuckerwasser während der Milchsäuregährung. In
zwei große Gefäße brachte ich gleiche Mengen von Wasser, Zucker und weißem Käse, und
versetzte das eine dieser Gemische mit salpetersaurem Kali. Während der Gährung
fügte ich durch Röhren, welche in die Flüssigkeiten eintauchten,
zweifach-kohlensaures Natron hinzu. Die Gase, welche sich in dem keinen
Salpeter enthaltenden Gefäße entwickelten, bestanden, wie dieß auch der Fall seyn
mußte, aus Kohlensäure und Wasserstoff; die in dem anderen Gefäße gebildeten Gase
waren ein Gemisch von Kohlensäure, Stickstoff, Stickstoffoxydul und Stickstoffoxyd,
Wasserstoffgas enthielten sie nicht.
Frische Blätter von Kräutern und Wurzeln wurden in verdünnte Lösungen eines
salpetersauren Salzes gebracht und darin bei freiem Luftzutritt liegen gelassen;
sobald die Fäulniß eintrat, was sich durch den Geruch der Flüssigkeiten bemerkbar
machte, fand die Zersetzung der Salpetersäure statt.
Diesen Thatsachen gegenüber ist wohl kaum zu bezweifeln, daß das bei fauligen
Zersetzungen — ich möchte fast sagen bei umgeschlagener Alkoholgährung
— auftretende Salpetrigsäuregas von einer Zerstörung der salpetersauren Salze
herrührt.
Eine interessante Ergänzung der vorstehenden Beobachtungen, welche zugleich für die
Richtigkeit der von Reiset den Rübenbrennereien
empfohlenen Verhaltungsregeln spricht, ergiebt sich aus dem Nachstehenden.
Bei meinen Untersuchungen konnte ich die Zersetzung der salpetersauren Salze niemals
beobachten so lange die Flüssigkeiten saure Reaction behielten; sobald sie aber
neutral oder alkalisch wurden, nahm die Zersetzung ihren Anfang und entwickelte sich
oft in solchem Grade, daß die ganze Menge des absichtlich zugesetzten Salpeters
binnen einigen Tagen verschwand. So nahm ich z. B. Tabaksaft, welcher von Natur
sauer war; die in demselben enthaltenen salpetersauren Salze blieben unzersetzt bis
zu dem Moment wo der Saft — sey es in Folge einer theilweisen Zerstörung der
organischen Säuren, oder in Folge von Ammoniakbildung — alkalisch wurde; von
nun an nahm aber ihre Menge allmählich ab. Setzte ich einige Tropfen Essigsäure
hinzu, gerade hinreichend um saure Reaction hervorzurufen, so wurde ihre Menge
wieder constant, bis die alkalische Reaction von Neuem eintrat. — Einen Theil
desselben Saftes erhielt ich durch einen täglich wiederholten Zusatz einiger Tropfen
Essigsäure schwach sauer; obwohl die stattfindende Zersetzung der organischen
Substanzen nicht zu verkennen war, so leisteten die salpetersauren Salze derselben
doch Widerstand, und nach Verlauf von zwei Monaten hatte ihre Menge sich nicht im
Geringsten vermindert.
Um diese letzteren Thatsachen zu erklären, brauchen wir nur zu bemerken, einerseits
daß die Fäulniß gewöhnlich in neutralen oder alkalischen Medien auftritt,
andererseits daß organische Substanzen in faulendem Zustande sehr kräftig reducirend
wirken. Es kann doch wahrlich nicht überraschen, daß Körper, welche fähig sind
Schwefelsäuresalze in Schwefelmetalle umzuwandeln, auch Salpetersäuresalze zu
zersetzen vermögen.
Es ist durchaus nicht meine Absicht, den Bedingungen welche ich für die Reduction der
salpetersauren Salze im Tabaksafte ermittelt habe, allgemeine Gültigkeit
zuzuschreiben und die Behauptung aufzustellen, daß ein solcher Reductionsproceß nur
in neutralen oder alkalischen Medien stattfindet. Ich sage nur, und zwar in
Uebereinstimmung mit Kuhlmann
und Pasteur, daß die salpetersauren Salze, im Contact mit
reducirend wirkenden Substanzen, welche im Entstehungszustande vorhanden sind,
zersetzt werden und füge hinzu, daß ein neutrales oder alkalisches Medium die
Entstehung derartiger Substanzen sehr begünstigt.
Diese Ansichten finden eine Bestätigung in dem Erfolge, welchen die
Spiritusfabrikanten durch Zusatz einer genügenden Menge Schwefelsäure zu dem
Rübensafte erzielen. Ohne der Umwandlung des Zuckers in Alkohol zu schaden,
verhindern sie auf diese Weise das Eintreten solcher Gährungsprocesse, welche durch
nicht saure (alkalische oder neutrale) Medien begünstigt werden und hauptsächlich
die Milchsäuregährung.
Das Salpetrigsäuregas ist somit das leider zu spät auftretende Zeichen, daß
Substanzen entstanden sind, welche die salpetersauren Salze zu reduciren vermögen
und daß folglich der Rübensaft in andere Gährungen als die ausschließlich
angestrebte alkoholische übergegangen ist.