Titel: | Abgeändertes Verfahren zur Ermittelung des Kalkzusatzes für die Scheidesäfte der Zuckerfabrikanten; von Dr. J. J. Pohl. |
Autor: | Joseph Johann Pohl [GND] |
Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XIII., S. 69 |
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XIII.
Abgeändertes Verfahren zur Ermittelung des
Kalkzusatzes für die Scheidesäfte der Zuckerfabrikanten; von Dr. J. J. Pohl.
Mit einer Abbildung auf Tab. II.
Pohl, calcimetrisches Verfahren für Zuckerfabriken.
Vor nicht zu langer Zeit galt es bei den Zucker-Fabrikanten als eine
feststehende Thatsache, daß selbst ein kleiner dem Scheidesafte zugefügter
Kalküberschuß für die weitere Zuckergewinnung große Nachtheile bringe, und man bot
Alles auf den Kalkzusatz bei der Scheidung auf ein Minimum zurückzuführen. Damals
kamen mehrere Methoden in Vorschlag zur Bestimmung jener Kalkmenge, welche den
Zuckersäften (sowohl von Rüben als vom Zuckerrohr) zugesetzt werden müssen um eine
vollständige Scheidung zu erzielen, ohne daß jedoch ein Ueberschuß von Kalk in den
Saft gelangt. Man bezeichnete diese Prüfungsweise als
„calcimetrische“ und den dazu gebrauchten Apparat mit dem
Namen „Calcimeter.“ Eine auch nur oberflächliche Betrachtung
zeigt jedoch, daß sich der zur Scheidung nöthige Kalkzusatz einfacher und
zweckentsprechender als bisher bestimmen lasse und es mag zu diesem Behufe den
Zucker-Fabrikanten folgendes Verfahren empfohlen seyn.
Als calcimetrische Flüssigkeit dient eine gesättigte Lösung von Aetzkalk in Wasser, wie man selbe durch
Behandeln von gut gebranntem Kalk mit destillirtem Wasser erhält. Bekanntlich
bekommt man auf diese Weise Kalkwasser welches nach den Versuchen Dalton's bei der Temperatur von 15,6° C. auf 778
Gewichtstheile Wasser 1 Gewichtstheil Calciumoxyd gelöst enthält. Da für einen Grad
Celsius Temperatur-Unterschied die Aenderung im Löslichkeitsvermögen des
Kalkes nur 0,00007 beträgt, so kann, wenigstens für vorliegenden Zweck, bei
mittleren Luft-Temperaturen der Kalkgehalt des Kalkwassers als constant
angenommen werden. Fügt man aber zu einem Rübensafte klares Kalkwasser bis zum
Eintritte alkalischer Reaction, so genügt zufolge zahlreicher Versuche die darin
enthaltene Kalkmenge zur vollständigen Scheidung des Saftes beim darauffolgenden
Erhitzen. Ist daher die Menge des zum Versuche genommenen Zuckersaftes und ebenso
jene des bis zum Eintritt der alkalischen Reaction verbrauchten Kalkwassers durch
genaue Abmessung bekannt, so läßt sich mit Leichtigkeit die Minimal-Menge
Kalk berechnen welche zur Scheidung einer gegebenen Menge Zuckersaftes im Großen
nöthig wird.
Für m zur Probe genommener Kubik-Centimeter Saft
wird nämlich, wenn C die Anzahl der zur Uebersättigung
verbrauchten Kub.-Centim. Kalkwasser bedeutet, die für je einen Liter Saft zur Scheidung nöthige Aetzkalkmenge K in Grammen ausgedrückt:
K = 0,01285 Cm.
Zur praktischen Durchführung der Probe mißt man mittelst einer sogenannten Auslauf
Pipette genau 10 Kub.-Centim. Rüben- oder Zuckerrohrsaft ab, läßt
selbe in ein Becherglas fließen und hierauf aus einer in einzelne
Kub.-Centim. getheilten Quetschhahnbürette so lange klares Kalkwasser
zulaufen bis ein in die Flüssigkeit getauchter Streifen rothes Lackmuspapier nach
Umrühren mit einem Glasstabe deutlich gebläut erscheint. Mittelst der Anzahl der
abgelesenen Kub.-Centim. verbrauchten Kalkwassers berechnet man hierauf die
zur Scheidung im Großen erforderliche Menge gebrannten Kalkes. Hierzu dienen, je
nachdem man auf den Eimer und Wiener Pfunde Kalk oder auf Liter und Kilogramme Kalk
bezieht, vorausgesetzt daß v die im Scheidekessel
vorhandene Saftmenge dem Volumen nach und C die Anzahl
verbrauchter Kub.-Centim. Kalkwasser bedeutet, die Gleichungen:
für Eimer und Pfunde Kalk = K,
K = 0,01299 vC,
für Liter und Kilogramme Kalk =
K¹,
K¹ = 0,0001285 vC.
Zur Erleichterung der Rechnung kann man übrigens die nachstehende Tabelle brauchen, welche die zur
Scheidung nöthige Kalkmenge für je einen Eimer Rübensaft in Wiener Pfunden und für
je 100 Liter in Kilogrammen gibt, vorausgesetzt daß 10 Kub.-Centim. Saft zur
Prüfung dienten und die in der ersten Columne verzeichneten Kubik-Centim.
Kalkwasser zur Uebersättigung des Saftes benöthigt wurden.
Textabbildung Bd. 191, S. 70
Zur Neutralisation von 10 Kub.
Centimet. Saft verbrauchte Kub. Centimet. Kalkwasser; Auf Einen Eimer
Scheidesaft sind zu nehmen Pfunde Kalk; Auf Einen Eimer Scheidesaft sind zu
nehmen Lothe Kalk; Auf 100 Liter Scheidesaft sind zu nehmen Kilogramme Kalk; Zur
Neutralisation von 10 Kub. Centimet. Saft verbrauchte Kub. Centimet. Kalkwasser;
Auf Einen Eimer Scheidesaft sind zu nehmen Pfunde Kalk; Auf Einen Eimer
Scheidesaft sind zu nehmen Lothe Kalk; Auf 100 Liter Scheidesaft sind zu nehmen
Kilogramme Kalk
Die Benutzung dieser Tabelle ist so einfach, daß sie kaum eingehender Erörterungen
bedarf. Kennt man nämlich den Inhalt des Scheidekessels nach Eimern oder Hunderten
von Litern gleich M, so hat man die in den Columnen mit
den betreffenden Ueberschriften enthaltenen Zahlen in der den verbrauchten
Kalkwasser-Mengen entsprechenden Horizontalzeile nur mit M zu multipliciren, um die für eine Scheidung im Großen
mindestens nöthige Kalkmenge zu erfahren.
Z.B. die Füllung eines Scheidekessels betrage regelmäßig 12 Eimer Rübensaft, 10
Kub.-Centim. des geprüften Saftes brauchten 71 Kubik-Centim.
Kaltwasser zur Uebersättigung, so findet man in der für Eimer geltenden Columne und
in der für 71 Kub.-Centim. geltenden Horizontalzeile die Zahl 0,92 Pfd. oder
29,5 Loth, welche mit 12 multiplicirt: 11,04 Pfd. entsprechend 354,0 Loth = 11 Pfd.
und 2 Loth Kalk ergeben.
Oder: der Scheidekessel fasse 1350 Liter Saft und 10 Kub.-Centim. davon
benöthigten bei der Probe 64 Kub.-Centim. Kaltwasser, so wird die zu einer
Scheidung erforderliche Kalkmenge nach der Tabelle für je 100 Liter Saft gleich
0,822 Kilogramme, somit für 1350 Liter = 13,5 × 0,822 = 11,10
Kilogrammen.
Fällt übrigens, wie es häufig geschieht, die Anzahl der verbrauchten
Kubik.-Centim. Kalkwasser zwischen zwei Tafelzahlen, so ist es zur Vermeidung
lästiger Interpolationen und um nicht Gefahr zu laufen zu wenig Scheidekalk
anzuwenden, am geeignetsten die nächst höhere Tabellenzahl in Anschlag zu bringen.
Hätte man also beispielsweise 61,4 Kub.-Centim. Kalkwasser bei der Probe
verbraucht, so würde man mit jener Kalkmenge weiter rechnen welche einem Verbrauche
von 62 Kub.-Centim. Kalkwasser entspricht.
Es erscheint auch weiters einleuchtend, daß wenn man sich bei der calcimetrischen
Probe möglichst der Wahrheit nähern will, wegen der Verunreinigungen des gebrannten
Kalkes, die Probeflüssigkeit aus demselben Aetzkalke bereitet seyn soll welchen man
zu den Scheidungen im Großen verwendet.
Zur Benutzung des vorgeschlagenen calcimetrischen Verfahrens in den Zuckerfabriken,
worin aus mannichfaltigen Ursachen häufige Proben vorzunehmen sind, erscheint es
zweckmäßig, statt einer jedesmal neu zu füllenden Quetschhahnbürette den in Fig. 18 (in
ungefähr 1/10 bis 1/14 natürlicher Größe) abgebildeten Apparat als Calcimeter
anzuwenden. Auf einem Holzträger a befindet sich eine
Woulf'sche Flasche b,
deren Hälfe durch zwei Pfropfen aus vulcanisirtem Kautschuk verschlossen sind. Durch
den einen Pfropf geht luftdicht eingesetzt und unmittelbar darunter endend ein
Glasrohr c, ferner ein zweites Glasrohr d, welches bis nahezu an den Boden der Flasche reicht. In den zweiten
Pfropf ist luftdicht ein kleiner Sicherheitstrichter e
eingeschoben. Das Rohr d steht mittelst eines Röhrchens
aus vulcanisirtem Kautschuk und des Quetschhahnes f mit
der in einzelne Kub.-Centim. getheilten Bürette in dichter Verbindung, an
deren unterem Theile ein Kautschukrohr und abermals ein Quetschhahn sitzt, darunter
jedoch das in eine feine Spitze ausgezogene Glasröhrchen h eingeschoben ist. Beim Gebrauche des Apparates stellt man das die Probe
enthaltende Becherglas i unter die Bürette. Das Glasrohr
c ist ferner mit dem Seitenrohre k der Bürette in dichter Verbindung, und der
Sicherheitstrichter enthält als luftabsperrende Flüssigkeit etwas Quecksilber. Die
Bürette sitzt endlich mit ihrem unteren Theile auf dem durchlöcherten und im Stativ
a horizontal beweglichen Schieber l behufs der Verticalstellung der Bürette, welche
mittelst selbem und durch Verschiebung der Flasche am Tischchen des Statives
geschieht.Solche Calcimeter liefert die Fabrik und Handlung von G. A. Lenoir in Wien.
Zur Benutzung wird die Woulf'sche Flasche mit klarem
Kalkwasser fast vollgefüllt, durch Saugen am unteren Theile der Bürette bei
geöffneten beiden Quetschhähnen Kalkwasser in die Bürette gebracht, worauf man den
unteren Hahn schließt und durch bloßes Oeffnen des oberen es immer in der Macht hat
die Bürette nach Belieben nachzufüllen. Der weitere Gebrauch des Apparates ist der
beim Titriren allgemein übliche.
Das zur calcimetrischen Probe erforderliche Kalkwasser bereitet man sich im größeren
Vorrathe dadurch, daß man den zur Scheidung der Säfte dienenden Kalk etwa mit dem
50fachen Gewichte destillirten Wassers übergießt und unter öfterem Schütteln durch
ungefähr 36 Stunden in einer wohl verkorkten Flasche stehen läßt. Das klare
Kalkwasser wird dann, wenn nicht der eben beschriebene Apparat gebraucht wird, zum
Füllen der Bürette benutzt. Das übrigbleibende Kalkwasser ist aber in der verkorkten
Flasche, über dem Kalkabsatze stehend, beliebig lang zum weiteren Gebrauche
aufzubewahren.
Um jeden Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich wohl noch anführen daß mir allerdings
vollkommen bekannt sey, es werde bei mehreren neueren Scheideverfahren, wie z.B. von
Frey-Jelinek, absichtlich ein Kalküberschuß
verwendet und somit für selbe eine genaue Kalk-Bemessung in den Augen manches
Praktikers mindestens überflüssig erscheinen. Allein sicherlich dürften neuester
Zeit viele Zuckerfabrikanten etc. die Ansicht theilen, daß diese Verfahren manchen
gehofften Vorzug nicht besitzen, oder gewisse Nachtheile, wie z.B. vermehrte
Saturationskosten, große Mengen Scheide- und Saturationsschlamm etc. bringen. Manche
Zuckerfabrikanten sind zufolge dieser Uebelstände zum älteren Scheideverfahren mit
der möglichst kleinen Kalkmenge zurückgekehrt. Ebenso bleibt es sicher, daß der
Praktiker durch Kenntnißnahme der zur Scheidung der Säfte absolut nöthigen Kalkmenge
selbst bei Einhaltung von Scheideverfahren mit Kalküberschuß, ein werthvolles Bild
über die Qualität der verarbeiteten Rüben, die sogenannte
„Gesundheit“ der Säfte etc. erhalte. Auch über den
Kostenaufwand bei gewissen neueren Scheideverfahren im Verhältnisse zur alten
Kalkscheidung wird man sich durch calcimetrische Prüfungen wohl das beste Urtheil
bilden können. Diese und ähnliche Umstände sind es, welche zur Veröffentlichung des
vorgeschlagenen calcimetrischen Verfahrens führten, selbst auf die Gefahr der
Beschuldigung hin: es sey Ueberflüssiges geboten.