Titel: | Ueber die Eigenthümlichkeit der aus gezogenen Geschützen abgeschossenen länglichen Projectile, bei kleinen Rohrelevationen im lufterfüllten Raume größere Schußweiten zu erreichen, als ihnen im luftleeren Raume zugekommen seyn würden. |
Autor: | Henry Darapsky |
Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XLII., S. 203 |
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XLII.
Ueber die Eigenthümlichkeit der aus gezogenen
Geschützen abgeschossenen länglichen Projectile, bei kleinen Rohrelevationen im
lufterfüllten Raume größere Schußweiten zu erreichen, als ihnen im luftleeren Raume
zugekommen seyn würden.
Mit einer Abbildung.
Ueber eine Eigenthümlichkeit der länglichen Projectile, welche aus
gezogenen Geschützen abgeschossenen werden.
Durch eine auszugsweise in den Comptes rendus t. LXVI p. 804 (April 1868) mitgetheilte Abhandlung des Hrn. Martin de Brettes wird als höchst interessanter und
eigenthümlicher Umstand zur Sprache gebracht, daß, wie aus den betreffenden
Schußtafeln nachweisbar, in sehr flachem Bogen aus gezogenen Rohren abgeschossene
Langgeschosse zur Erreichung einer bestimmten Schußweite, im lufterfüllten Raume
stets weniger Rohrelevation in Anspruch nehmen als dieses, ihrer
Anfangsgeschwindigkeit entsprechend, der parabolischen Theorie nach beim Schießen im
leeren Raume erforderlich gewesen seyn würde, während bei aus glatten Rohren
abgeschossenen kugelförmigen Projectilen in dieser Beziehung stets der umgekehrte
Fall vorliegt.
Vergleicht man, um diesen, beim Schießen mit sphärischen und resp. länglichen
Projectilen statthabenden Unterschied in Zahlen zur Anschauung zu bringen, die
jedesmaligen betreffenden Elevationswinkel mit einander, so ergeben sich die
nachfolgenden tabellarischen Zusammenstellungen, indem man für im lufterfüllten
Raume erforderliche Rohr-Elevationen bei aus glatten Rohren abgeschossenen sphärischen
Projectilen die nach dem Aide-Mémoire des
Officiers d'artillerie pour les canons français 1856 auf den
Polygonen erschossenen Resultate als maaßgebend betrachtet, bei aus gezogenen Rohren
abgeschossenen länglichen Projectilen aber die dem Aide-Mémoire des Officiers d'artillerie 1866, sowie dem Report of the Armstrong-
and Whitworth-Committee entsprechenden
Schießresultate zu Grunde legt und endlich für im leeren Raume erforderliche
Rohr-Elevationen die Resultate, welche der gewöhnlichen, aus der
parabolischen Theorie hervorgehenden Formel:
sin 2φ = Xg/V² . . . . . . . . A
entsprechen, in welcher
φ den Elevationswinkel,
X die Horizontal-Schußweite,
V die Geschoß-Anfangsgeschwindigkeit und
g die Beschleunigung der Schwere (für Paris gleich 9,808
Met.)
repräsentiren.
I. Bei aus glatten Geschützrohren mit 490
Meter Anfangsgeschwindigkeit abgeschossenen 12pfündigen sphärischen Projectilen:
Praktisch
festgestellteSchußweite,Meter
Elevationswinkel im
Bemerkungen
lufterfülltenRaume
leerenRaume
300
0° 27' 0''
0° 21' 30''
545
0° 59' 21''
0 41 0
Die Formel A stellt sich für
640
2° 0 0
0 46 0
V = 490 Meter auf:
1085
3° 0 0
1 22 0
sin 2φ = X/24500
1470
5° 0 0
1 45 0
.....
.....
.....
2700
15° 0 0
10 0
II. Für aus glatten Geschützrohren mit 500
Meter Anfangsgeschwindigkeit abgeschossene 24pfündige sphärische
Projectile:
Praktisch
festgestellteSchußweite,Meter
Elevationswinkel im
Bemerkungen
lufterfülltenRaume
leerenRaume
720
1° 15' 18''
0° 49' 0''
1055
2 0 0
1 11 0
Die Formel A stellt sich für
1345
3 0 0
1 32 0
V = 500 Met. auf:
1590
4 0 0
1 47 30
sin 2φ = X/25408
.....
.....
.....
3300
15 0 0
3 45 0
III. Für aus gezogenen Rohren mit 325
Meter Anfangsgeschwindigkeit abgeschossene, 4
Kilogrammeschwere, längliche Granaten:
Praktisch
festgestellteSchußweite,Meter
Elevationswinkel im
Bemerkungen
lufterfülltenRaume
leerenRaume
500
1° 10'
1° 19' 50°
700
1 50
1 51 50
Die Formel A stellt sich für
800
2 10
2 7 50
V = 325 auf:
1000
2 50
2 39 50
sin 2φ = X/10768
.....
.....
.....
2000
7 45
5 15 0
3000
15 10
3 45 0
IV. Für aus gezogenen Rohren mit 400
Meter Anfangsgeschwindigkeit abgeschossene 70pfündige Whitworth-Granaten:
Praktisch
festgestellteSchußweite,Meter
Elevationswinkel im
Bemerkungen
lufterfülltenRaume
leerenRaume
811
1°
1° 24'
Die Formel A stellt sich für
1808
4°
3 10
V = 400 auf:
3040
7°
5 15
sin 2φ = X/16326
.....
.....
.....
6133
17°
10 33
V. Für aus gezogenen Rohren mit 390
Meter Anfangsgeschwindigkeit abgeschossene, 12pfündige Whitworth-Vollgeschosse:
Praktisch
festgestellteSchußweite,Meter
Elevationswinkel im
Bemerkungen
lufterfülltenRaume
leerenRaume
920
1°
1° 26' 0''
1280
2
2 20 0
1630
3
3 1 20
Die Formel A stellt sich für
2000
4
3 42 0
V = 390 auf:
....
.....
.....
sin 2φ = X/15520
3000
7
5 26 0
....
.....
.....
3900
10
7 18 0
Hiernach ist es einleuchtend, daß, während bei den zu glatten Rohren gehörigen
Rundgeschossen die Erreichung einer bestimmten Schußweite im lufterfüllten Raume
stets größere Rohr-Elevationen als im leeren Raume erforderlich macht, bei
den zum gezogenen Rohre gehörigen Langgeschossen in dieser Beziehung bis zu 2 Grad
Elevation gerade das Umgekehrte stattfindet, letztere Projectile, unter sehr flachem
Bogen abgeschossen, für gleiche Rohr-Elevations-Winkel und gleiche
Anfangsgeschwindigkeiten also thatsächlich im lufterfüllten Raume größere
Schußweiten erreichen, als dieses im leeren Raume der Fall gewesen seyn würde
– eine Erscheinung welche, nach gemachten Erfahrungen auch für das kleine
Feuergewehr geltend, offenbar dem Thätigwerden einer, der Schwere-Einwirkung
auf den betreffenden Geschoßflug direct entgegenstrebenden, verticalen
Luftwiderstands-Composante beigemessen werden muß. Zur Feststellung eines,
diesen Wahrnehmungen ebenwohl entsprechenden, aber normal zur
Geschoß-Längenachse wirtenden Luftwiderstandes wurde von Hrn. R. Radau (Comptes rendus, t.
LXVI p. 1032, Mai 1868) folgende Rechnung
angestellt:
„Nimmt man, dem gewöhnlichen Gebrauche entsprechend, die Größe des dem
Geschosse tangential zu seiner Trajectorie entgegenstehenden Luftwiderstandes
gleich gkv² an, wovon die horizontale
Composante durch gkv² cos α repräsentirt wird, während deren
verticale Composante sich der Schwerebeschleunigung g absetzt, so kann daraus unter der weiteren Annahme, daß die (große)
Achse eines länglich gestalteten Geschosses von vorn nach hinten hin gedacht,
leicht gegen dessen Flugbahn-Curve geneigt ist – ein normaler
Luftwiderstand gεv² gefolgert
werden, dessen
horizontale Composante dann gleich gεv² sin α seyn würde. So
lange die betreffenden Winkel dann jedoch klein genug sind um cos α = 1 und ε
sin α = 0 setzen zu können, läßt sich diese Composante in der
Gleichung für die Horizontal-Bewegung auch vernachlässigen, während dem
Ausdruck gεv² in der Formel für
die normal auf das Geschoß einwirkenden Kräfte eine Stelle eingeräumt werden
muß. Solchergestalt ergibt sich dann ohne Schwierigkeit:
2kV² cos² φ (tg α – tg
φ – εgx) = 1
– ε2gkx
und durch Entwickelung
2V² (tg α – gεx) =
V² sin 2φ – 2gx – 2g² kx²,
in welcher Gleichung
V die Geschoß
Anfangsgeschwindigkeit,
φ den
Rohr-Elevationswinkel,
α die Neigung der
Flugbahn-Curve für deren Ordinaten x, y und
tg α den Werth dy/dx
vorstellen.“
„Eine innerhalb der Grenzen y = 0 und x = 0, sowie y = 0 und
x = X vorgenommene
zweite Integration liefert dann die Formel:
V² sin 2φ = g (1 –
εV²) X
+ 2/3 kg²X² + 1/3 k²g³X³ + . .
.
welche, so lange der Elevations-Winkel φ nicht mehr als einige Grade beträgt, denselben durch die
jedesmalige Schußweite, sowie umgekehrt auch letztere durch ersteren ausdrücken
läßt, und für die Werthe φ = 1° 10'
bei X = 500 Met., sowie φ = 2° 50' bei X = 1000
Met., wie das obiger Tabelle III mit der Geschoß-Anfangsgeschwindigkeit
V = 325 Met. entspricht, die approximativen
Werthe:
k = 0,000044
ε = 0,0000026
ergibt, wornach der normal gegen die
Geschoß-Längenachse gerichtete Luftwiderstand im gegebenen Falle 6 Procent des ihm tangential
zu seiner Flugbahn entgegentretenden Luftwiderstandes betragen
würde.“
Graphisch läßt sich, nach Ansicht des Referenten, aber auch ohne jede weitere
Rechnung darthun, daß der vertical von unten nach oben
hin gegen irgend ein unteres Element der Kopf-Oberfläche von Langgeschossen
anstoßend und somit hebend auf dasselbe einwirkende Theil des tangential zur Geschoßbahn
angreifenden Luftwiderstandes im umgekehrten Größenverhältnisse mit dem Neigungswinkel dieses Geschoßoberflächen-Elementes gegen die Flugbahn-Tangente steht, bei Vergrößerungen des Elevationswinkels also immer mehr
verschwinden muß.
Textabbildung Bd. 191, S. 207
Repräsentiren in vorstehender Figur nämlich ab den
im Geschoß-Längendurchschnitt liegenden Theil irgend eines
Oberflächen-Elementes vom Geschoßkopfe, cd
den tangential zur Geschoßflugbahn darauf einwirkenden Luftwiderstand und w den Neigungswinkel dieses Elementes gegen die
Flugbahntangente, so erscheinen die normal gegen dieses
Element und resp. vertical aufwärts demselben
entgegenstrebenden Composanten genannten Widerstandes ihrer relativen Größe nach
durch die Linien cf und beziehungsweise cg dargestellt, welche letztere als Cosinuslinie des, mit dem Winkel
w im directen Größenverhältniß stehenden Winkels
β bei dessen Wachsen abnimmt und somit auch bei
Vergrößerung des auf Winkel w influirenden Rohr-Elevationswinkels immer
kleiner werden muß.
Bei aus gewöhnlich construirten glatten Rohren, ohne Anbahnung einer geregelten
Rotation abgeschossenen, massiv sphärischen Projectilen, resp. concentrischen
Granaten hat diese, vertical aufwärts gegen ein vorderes unteres Oberflächenelement
derselben gerichtete Composante des zur Geschoßflugbahn tangentialen
Luftwiderstandes dann zwar auch eine Drehung der Kugel um ihren Mittelpunkt, aber
keineswegs damit zugleich die verticale Gesammthebung derselben zur Folge, welche
letztere den im lufterfüllten Raume mit Rotation um ihre große Achse abgeschossenen
länglichen
Projectilen durch vordere Emporrichtungen dieser Achse innerhalb gewisser Grenzen
zukommt.
Stade, im November 1868.
Darapsky.