Titel: | Untersuchungen über das Bleichen der Flachsfaser; von J. Kolb, Director der chemischen Fabrik von Kuhlmann und Comp. in Amiens. |
Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. LXX., S. 321 |
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LXX.
Untersuchungen über das Bleichen der Flachsfaser;
von J. Kolb, Director der chemischen Fabrik von Kuhlmann und Comp. in
Amiens.
Aus den Comptes rendus,
t. LXVII p. 742; October 1868.
Kolb, über das Bleichen der Flachsfaser.
In der rohen Flachsfaser sind neben der Cellulose zwei
andere Substanzen enthalten; die eine derselben, die Pectinsäure, kommt darin in reichlicher Menge vor und läßt sich durch die
Alkalien vollständig abscheiden, wie ich in einer früheren Arbeit nachgewiesen
habe.Polytechn. Journal, 1868, Bd. CXC S. 62. Die andere Substanz ist ein Farbstoff, welcher
sich während des Rottens bildet; derselbe färbt die Faser grau und widersteht der
Einwirkung sowohl der Alkalien, als der übrigen in der Chemie gewöhnlich
angewendeten Lösungsmittel. Die Isolirung dieses Farbstoffes gelang mir nur mittelst der Peligot'schen Kupferoxyd Ammoniaklösung, indem dieses
Reagens bloß die Cellulose auflöst. So bedeutend der Gehalt der Flachsfaser an
Pectinsubstanzen ist (15 bis 36 Proc.), so gering ist die Menge der grauen
Substanz.
Durch Chlorwasser und schwache Lösungen von Unterchlorigsäuresalzen wird dieser
Farbstoff gebleicht, jedoch nicht aufgelöst; auch nach seiner Entfärbung ist er
unlöslich in Alkalien, welche ihn nicht färben; er zeigt keine von den Eigenschaften
der Pectinsäure.
Behandelt man die genannten drei Bestandtheile der Flachsfaser einzeln mit mehr oder
weniger concentrirtem Chlorwasser, so bemerkt man: 1) daß von sehr schwachem
Chlorwasser nur der graue Farbstoff entfärbt wird; 2) daß die Cellulose in etwas
stärkerem Chlorwasser ihren Zusammenhang verliert und sich dann langsam in Wasser
und Kohlensäure zersetzt; 3) daß die braunen Pectinkörper nur in weit stärkerem
Chlorwasser, und erst nach Zersetzung der Cellulose sich entfärben.
Daraus folgt, daß man zum Bleichen der Flachsfaser Chlor anzuwenden hat, um die graue
Färbung zu beseitigen, daß man sich aber wohl hüten muß, auf die Beihülfe des Chlors
zur Zerstörung der gelben Färbung zu rechnen, da diese
erst erfolgen würde, nachdem die Cellulose vom Chlor schon angegriffen worden
ist.
In den Leinen-Bleichanstalten, wo man eine Reihe von alkalischen und
Chlorbädern auf einander folgen läßt, färben sich die nach den Chlorbädern
angewandten Laugen immer noch braun, und zwar einzig, weil sie nach und nach die
Pectinkörper auflösen, keineswegs aber, wie Berthollet
annahm, „weil der in Alkalien unlösliche graue Farbstoff durch Oxydation
in eine gelbe Substanz verwandelt wird, welche der von den Alkalien vorher
aufgelösten ähnlich ist.“ Demnach reducirt sich das vollständige
Bleichen der Theorie noch auf zwei Operationen, nämlich 1) die Beseitigung jeder
gelben Färbung mittelst einer vollständigen Erschöpfung durch die Alkalien; 2) die
Oxydation, welche bloß die graue Substanz entfärbt, ohne daß letztere, wie man
bisher glaubte, dadurch in den Laugen löslich wird.
Das Chlorwasser wirkt bleichend, wie das Wasserstoffsuperoxyd und das trockene oder
feuchte Ozon; allein es fragt sich: wird diese Erscheinung durch eine
Sauerstoffabsorption von Seite des Farbstoffes veranlaßt, oder durch einen Verlust
an Wasserstoff, welchen derselbe erleidet?
In dem einen Falle müßte eine Gewichtszunahme, in dem anderen eine Gewichtsabnahme
der Faser stattfinden. Eine entscheidende Untersuchung hierüber ist sehr schwierig
und erfordert zahlreiche Vorsichtsmaßregeln.
Ich ermittelte eine Gewichtszunahme, d.h. eine Sauerstoffabsorption. Dieses Resultat war übrigens
vorauszusehen; denn wenn man die ausgelaugte Faser nach vollständigem Trocknen mit
gleichfalls trockenem Chlor behandelt, so findet keine Entfärbung statt, selbst
nicht mit Hülfe des Sonnenlichtes. Die Faser verliert nur ihre Cohäsion gänzlich, so
daß sie sich im Mörser zu feinem Pulver zerreiben läßt; gleichwohl bleibt die
Cellulose sowohl in ihrer Zusammensetzung, als in ihren Eigenschaften unverändert.
Trockenes Chlorwasserstoffgas hebt in derselben Weise den Zusammenhang der Faser
auf, ohne sie chemisch zu verändern. Wendet man anstatt des Chlors trockenes
Unterchlorigsäuregas an, so wird die Faser sofort gebleicht und verliert ihre
Festigkeit wie bei der Behandlung mit Chlorgas. Läßt man durch ein mit trockener
Flachsfaser gefülltes langes Rohr Unterchlorigsäuregas streichen, so wird der
Sauerstoff absorbirt, ohne daß sich Wasser bildet, und es entweicht nur Chlor. Aus
allen diesen Versuchen geht hervor daß Sauerstoffaufnahme und nicht
Wasserstoffverlust stattfindet.
Chlorwasser kann zum Bleichen der Flachsfaser ohne Gefahr
nur in sehr verdünntem Zustande von höchstens 10 Chlorimetergraden Stärke angewendet
werden; bei einem stärkeren Chlorgehalte desselben verliert die Faser ihre Cohäsion.
Bei einem Gehalte desselben von 50 Chlorimetergraden erleidet die Cellulose eine
langsame Zerstörung; sie verliert binnen vierundzwanzig Stunden 7 Proc. ihres
Gewichtes und ihre ganze Festigkeit. Im Allgemeinen wird die Faser durch
Chlorwasser, da sich dasselbe langsam zersetzt, nur bei langem Verweilen darin,
folglich ohne daß ihre Zersetzung zu vermeiden ist, gebleicht.
Wasserstoffsuperoxyd greift die Cellulose nur dann an,
wenn es in sehr concentrirter Lösung angewendet wird; bei einer Stärke von nur 50
bis 100 Chlorimetergraden bleicht es die Faser vollständig, ohne deren Festigkeit zu
beeinträchtigen.
Bei gleichem Gehalte und gleicher Einweichzeit wirkt das Chlorwasser in weit
stärkerem Grade zerstörend, dagegen in schwächerem Grade bleichend als die
Wasserstoffsuperoxydlösung. Unter gleichen Bedingungen bleicht eine Lösung von
Unterchlorigsäure besser und greift die Faser ohne Vergleich weniger an, als
Chlorwasser; eine solche Lösung bildet gewissermaßen ein Mittelglied zwischen dem
Chlorwasser und der Wasserstoffsuperoxyd-Lösung. Die Unterchlorigsäurelösung
läßt sich ohne Nachtheil mit einem Gehalte von 50 und selbst 100°
anwenden.
Wie ich in einer früheren Mittheilung nachgewiesen habePolytechn. Journal, 1868, Bd. CLXXXVII S. 58., kann der
Chlorkalk in dreierlei Weise oxydirend wirken: 1) mit Chlorwasserstoffsäure versetzt, entwickelt er Chlor, welches durch Zersetzung des Wassers oxydirt; 2) mit Kohlensäure behandelt, entbindet der Chlorkalk nur Unterchlorigsäure, deren Lösung oxydirend wirkt, indem
sie sich zu Chlorwasserstoffsäure umsetzt; 3) durch bloße
Berührung mit der oxydirbaren Substanz verwandelt sich der Chlorkalk in Chlorcalcium und Sauerstoff,
oder er spaltet sich vielmehr in Chlorcalcium und Wasserstoffsuperoxyd, wie ich in meiner nächsten
Mittheilung nachzuweisen beabsichtige.
Die Faser wird nach diesen drei Methoden zwar gleich gut gebleicht, aber in sehr
verschiedener Weise angegriffen, und zwar in denselben relativen Verhältnissen wie
durch Chlorwasser, Unterchlorigsäurelösung und Wasserstoffsuperoxyd.
Die nachstehende Tabelle enthält einige vergleichende Resultate, welche auf diese
Weise mit einem Faden erhalten wurden, dessen normale absolute Festigkeit 1,25
Kilogrm. war und durch Behandlung mit den verschiedenen Flüssigkeiten folgende
Veränderungen erlitt:
Textabbildung Bd. 191, S. 324
Absolute Festigkeit nach
dritthalbstündigem Eintauchen; Ein halbes Clorkalk von; Ohne Zusatz; mit Zusatz
von Kohlensäure; mit Zusatz von Salzsäure; Chlormetergraden; Kil.
Demnach ist das Bleichen mit Chlorkalklösung durch bloßes Einweichen unter
Luftabschluß das rationellste und sicherste Verfahren; es läßt sich mit der
Anwendung des Wasserstoffsuperoxydes vergleichen, weil dabei keine Spur von activem
Chlor in's Spiel kommt. Das gegenwärtig übliche Verfahren mit Circulation über
Walzen bei Luftzutritt ist schon weniger unschädlich. Was den Zusatz von
Chlorwasserstoffsäure zum Chlorkalk anbetrifft, so würde dieselbe das Resultat in
hohem Grade benachtheiligen, wenn man bezüglich der Entwickelung des Chlors und
folglich der Erhöhung der Weihe der Faser auf ihre Hülfe rechnen wollte.
Hinsichtlich der häufig angewendeten Antichlore, wie z.B. unterschwefligsaures
Natron, erinnere ich an die Arbeiten von Fordos und Gélis, welche nachgewiesen haben, daß diese
Substanzen, wenn sie auch einerseits jede Spur von Chlor aus der Faser entfernen,
andererseits doch die Entstehung von Säuren begünstigen, welche auf die Cellulose
eine schädliche Wirkung ausüben.
An Stelle dieser Substanzen empfehle ich die Anwendung von verdünntem Ammoniak, welches zunächst durch Erzeugung von Stickstoff und
Chlorammonium als Antichlor wirkt, gleichzeitig aber auch das Gewebe von jeder Spur
von Säure befreit.
Manche dem Anscheine nach vollständig gebleichte Leinengarne nehmen nach längerer
Zeit wieder eine gelbliche Färbung an; dieß rührt einzig daher, daß sie nicht
vollständig von ihren Pectinkörpern gereinigt worden sind. Auch in dieser Hinsicht
habe ich im Ammoniak ein werthvolles Reagens gefunden, mittelst dessen sich sofort
feststellen läßt, ob ein Garn sich späterhin gelb färben wird. Jede gebleichte und
von den Derivaten der Pectose vollständig befreite Leinenfaser kann ohne Nachtheil
in Ammoniak getaucht werden; sie wird sich darin aber sogleich schwach bernsteingelb
färben, wenn ihre Reinigung mittelst Alkalilaugen keine vollständige gewesen
war.