Titel: | Ueber das Heaton'sche Verfahren zur Stahlfabrication; von Ferd. Kohn, Civilingenieur in London. |
Fundstelle: | Band 191, Jahrgang 1869, Nr. XCIX., S. 459 |
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XCIX.
Ueber das Heaton'sche
Verfahren zur Stahlfabrication; von Ferd. Kohn,
Civilingenieur in London.
Aus Engineering vom
29. Januar 1869, S. 78.
Kohn, über Heaton's Stahlfrischproceß.
Die Controverse über den Werth des sogen. Heaton'schen
Stahlfrischprocesses ist noch nicht zu Ende geführt. Auf der einen Seite geben sich
die Mitglieder einer gewissen Gesellschaft die größte Mühe, die Aufmerksamkeit des
Publicums auf ihre Patente zu ziehen und hinlängliche Beweise für die Vortheile und
den Gewinn, welche die Benutzung dieses neuen Verfahrens in Aussicht stellt,
beizubringen; andererseits betrachten es die „berufsmäßigen“
Leiter der öffentlichen Meinung als ihre Pflicht, diese Beweise einer genauen
Prüfung, zu unterwerfen und nachzuweisen, in wie weit dieselben in der einen oder
anderen Hinsicht mangelhaft sind. In diesem Geiste und in Vollziehung einer Pflicht
gegen das Publicum traten Namen wie Dr. Percy, Bessemer, Rob. Mushet
und andere in öffentlichen Blättern bezüglich des Heaton'schen Processes auf, und eine gleiche Absicht veranlaßt auch mich, die
neuerdings in einer anderen technischen Zeitschrift aufgeführten Beweise für die
Wichtigkeit und die günstigen Aussichten dieses Verfahrens näher zu erörtern.
Ich habe dabei weder Ursache, noch die Absicht, die Wahrhaftigkeit und Richtigkeit
der von den verschiedenen, an dem Heaton'schen Patente
betheiligten Parteien oder von ihren wissenschaftlichen Rathgebern und Zeugen
angegebenen Thatsachen in Zweifel zu ziehen; während ich indessen die Thatsachen zugestehe, weiche ich hinsichtlich der aus
diesen experimentellen Daten zu ziehenden Schlüsse von
Heaton's Ansichten bedeutend ab.
Heaton's Streben und Zweck ist die Darstellung eines
guten Stahles aus Eisensorten von geringer Qualität. Er entkohlt sein Roheisen durch
Behandlung mit salpetersaurem Natron und behauptet, daß in Folge der dabei
stattfindenden Reaction gleichzeitig eine vollständige Reinigung des Eisens von
Schwefel und Phosphor hervorgebracht werde. Er suchte seine Behauptung durch die
chemische Analyse zu erweisen; allein die in Professor Miller's BerichteMitgetheilt im polytechn.
Journal Bd.
CLCCXC. S. 465 (zweites Decemberheft
1868). mitgetheilten Thatsachen sprachen dagegen. Es zeigte sich nämlich, daß das
Product von Heaton's Converter nicht Stahl, nicht phosphorfrei und nicht leichtflüssig war, und daß die Menge des zu dem
Processe verwendeten Natronsalpeters auf ungefähr 3 (engl.) Centner per Tonne des erzeugten Productes sich belief. Heaton reducirte nun die Quantität des Natronsalpeters
und gibt dieselbe jetzt zu „zehn
Procent“ an, ohne indessen mitzutheilen auf was diese zehn
Procent bezogen werden sollen. Ich will annehmen, daß dieser Verbrauch 10 Proc. vom
Gewichte des producirten Metalles bedeutet; aber selbst wenn ich jene Angabe in
dieser höchst günstigen Form für wirklich erwiesen voraussetze, muß ich bei der
Behauptung bleiben, daß dadurch zu Heaton's Gunsten
nichts bewiesen wird. Die Entkohlung des Roheisens, wie Heaton dieselbe ausführt, findet gradweise statt; sie ist ein
Feinungsproceß, welcher an jedem zwischen dem ursprünglichen Roheisen und dem
vollständig entkohlten Stabeisen liegenden Punkte abgebrochen werden kann. Wenn Heaton eine größere Salpetermenge anwendet, so wird sein
Roheisen stärker entkohlt; bei Verminderung dieser Menge hört die Entkohlung früher
auf. Die Erzeugung von Stabeisen bez. Stahl muß dann durch einen zweiten Proceß
vervollständigt werden, nämlich durch das Brennen (baking) in einem Flammofen, wenn Stabeisen, und durch das Umschmelzen in
Tiegeln, wenn Stahl erzeugt werden soll. Bei diesem zweiten oder Ergänzungsprocesse
wird der im „Rohmetall“ noch zurückgebliebene Kohlenstoff
endlich entfernt und daraus wird es klar, daß Heaton nach
Belieben eine größere oder geringere Salpetermenge anwenden kann. Selbstverständlich
würde es am vortheilhaftesten seyn, wenn die Anwendung von Salpeter ganz
unterbleibt, indem man die Entkohlung sogleich im Puddelofen beginnt, anstatt das
Eisen vorher zu feinen und zwar um einen Preis, welcher immer noch die Kosten von 2
Centn. Salpeter per Tonne Roheisen repräsentirt und
jetzt beinahe 30 Shilling beträgt.
Es ist demnach keineswegs genügend, wenn Heaton nur die
Menge des verbrauchten Salpeters angibt, ohne zugleich den Nachweis zu liefern, wie
weit in jedem einzelnen Falle die Entkohlung getrieben wurde und wie viel noch für
den Puddler zu thun übrig blieb, welcher das „Rohmetall“ im
„Backofen“ zur Gare bringen muß. Bei der Verwendung dieses
theilweise entkohlten Productes zur Gußstahlfabrication muß der Rest des
Kohlenstoffes mit Hülfe von oxydirenden Zuschlägen im Tiegel entfernt werden. Ueber
diese Zuschläge oder Reagentien ist indessen Nichts angegeben worden, ein Umstand,
welcher im gewissem Grade Zweifel und Mißtrauen erregen muß.
Was somit den chemischen Theil von Heaton's neuen
Versuchen anbetrifft, so kann derselbe als für seine Sache günstig nicht betrachtet
werden.
Ich gehe nun auf die mechanischen Eigenschaften der Producte von Langley Mill. über.
Heaton hat aus Eisen verschiedener Marken
Tiegelgußstahl dargestellt und Kirkaldy's Probirmaschine
hat uns über die Eigenschaften des producirten Stahles Aufschluß gegeben. Aus
Round-Oak-Roheisen war ein Stahl fabricirt worden, welcher bei einer
Belastung von 40 Tonnen per Quadratzoll nur 1 Proc.
Dehnung zeigte, bevor er zerriß; der aus Butterley-Eisen dargestellte Stahl
brach bei 38,3 Tonnen Belastung mit 2,6 Proc. Dehnung; Dowlais-Eisen gab
einen Stahl, welcher bei 1,3 Proc. Dehnung mit nur 39,7 Tonnen Belastung brach; ein
aus Nr. 3 Dowlais-Eisen erzeugter Heaton'scher
Stahl brach sogar mit nur 0,8 Proc. Dehnung bei 35,5 Tonnen Belastung.
Vergleichen wir diese Angaben mit Kirkaldy's Proben von
gutem Stahl aus verschiedenen anderen Fabriken, so finden wir kein einziges
Beispiel, daß eine bei 35 bis 40 Tonnen Belastung brechende Sorte weniger als 9,1
Proc. Dehnung gab (Blockairn'scher Puddelstahl), während
Krupp'scher Stahl bei 46 Tonnen Belastung um 15,3
Proc., Bessemer-Stahl bei 55,7 Tonnen Belastung um
5,55 Proc. und Turton'scher Gußstahl bei 66 Tonnen
Belastung um 5,25 Proc. sich dehnten.
Kirkaldy's Proben sind entscheidend. Im ganzen
vereinigten Königreiche existirt kein Stahlfabrikant, der es wagen würde, solchen
Stahl auf den Markt zu bringen, wie der aus so wohlbekannten Roheisensorten erzeugte
Heaton'sche Stahl sich erwiesen hat; ich stehe nicht
an, zu behaupten, daß Hunderte von Tonnen ausgeschossener, zu Fundamenten für
Dampfhämmer und zum Pflastern einiger Sheffielder Hüttenwerke benutzter Zaine von
Bessemerstahl existiren, welche die Probe mit Kirkaldy's
Maschine besser aushalten würden, als die von Heaton
eingelieferten Muster.
Weit davon entfernt, aus phosphorhaltigem Roheisen „guten Stahl“ erzeugen zu können, fabricirt Heaton im Gegentheile dasselbe kaltbrüchige, harte und
spröde Material, welches jeder Stahlproducent so gut kennt; der einzige Unterschied
liegt darin, daß Heaton seine Muster an Kirkaldy sendet, während die anderen Stahlfabrikanten alle ähnlichen
Producte auf ihren Fabrikhöfen einpflastern.
Indem ich zu diesem allgemeinen Schlusse gelange, will ich keineswegs die Thatsache
unberücksichtigt lassen, daß Heaton in einem
ausnahmsweisen Falle allerdings Stahl von preiswürdiger Qualität dargestellt hat.
Ein weißes Roheisen von der Hütte zu Longwy in Frankreich gab eine Stahlsorte,
welche eine Belastung bis zu 50,7 Tonnen per Quadratzoll
ertrug bei einer Dehnung von 8,3 Proc. Für Tiegelstahl bleibt ein solches Resultat
noch hinter der Mittelmäßigkeit zurück; wenn jedoch das angewendete Roheisen einen
merklichen Phosphorgehalt hatte und wenn das Product aus dem Converter in die Tiegel
chargirt worden war ohne nachfolgendes Erhitzen, Ausrecken oder Quetschen und ohne
Zusatz irgend beträchtlicher Mengen von anderen Materialien, so würde dieser
einzelne Fall immerhin als eine technische, wenn auch nicht commercielle
Errungenschaft sich herausstellen. In der Wirklichkeit jedoch beobachten Heaton's Certificate und Declarationen über alle diese
wichtigen Punkte ein absolutes Schweigen.
Das Longwy-Eisen ist in Britannien sehr wenig bekannt und die bloße Angabe,
daß die Erze, aus denen es erblasen wird, einer gewissen geologischen Formation
angehören, beweist, bei dem Mangel einer chemischen Analyse des Roheisens selbst,
gar Nichts.
Was demnach die Erzeugung von Stahl aus den schlechteren
Roheisensorten anbelangt, so geben die von Kirkaldy
abgeführten Proben den bündigen Beweis, daß der Heaton'sche Proceß nicht erfolgreich ist.
Ich gehe nun zu dem zweiten Theile des Heaton'schen Verfahrens über, nämlich zu der Fabrication
von Stabeisen oder Stahleisen,“ wie der Erfinder dieses Product zu nennen
vorzieht. Das Stahleisen wird durch Brennen oder „Braten“ des
aus dem Converter abgestochenen, gefeinten Metalles in einem Flammofen und
nachherige mechanische Behandlung durch Paketiren, Walzen und Hämmern dargestellt.
Diese Behandlung entspricht bekanntlich genau der Anzahl von Operationen oder
„Hitzen,“ welche bei der früheren Routine der
Stabeisenfabrication das Product zu der Marke „best, best, best“ berechtigen. Vergleichen wir nun die
Zugfestigkeit des von Heaton aus verschiedenen
Roheisensorten dargestellten „Stahleisens“ mit derjenigen
verschiedener Marken des nach dem gewöhnlichen Verfahren erzeugten Stabeisens, so
finden wir, daß schottisches Roheisen, nach Heaton's
Verfahren gefrischt, ein Product gibt, welches bei einer Belastung von 22,3 Tonnen
mit einer Dehnung von 16,7 Proc. zerreißt; dasselbe Eisen jedoch, nach dem
gewöhnlichen Verfahren behandelt, liefert ein Stabeisen, z.B. Govan
B. Best oder Glasgow B. Best, welches bei
einer Belastung von 30 bis 32 Tonnen mit einer Dehnung von 19 bis 23 Proc. zerreißt.
Heaton's aus Round Oak erzeugtes Product bricht bei
einer Belastung von 20,5 Tonnen mit 20,8 Proc. Dehnung; aus demselben Roheisen
gepuddeltes Stabeisen bricht dagegen bei einer Belastung von 25 bis 28 Tonnen und
zeigt gleiche Dehnung. In ähnlicher Weise verhält sich Heaton's aus Butterley-, Dowlais- und
Middlesbro'-Roheisen erzeugtes „Stahleisen“ gegenüber
den aus denselben Roheisensorten mittelst des gewöhnlichen Puddelprocesses
dargestellten guten Stabeisensorten. De Wendel's
„Stahleisen“ brach bei einer Belastung von 21,3 Tonnen per Quadratzoll mit einer Dehnung von 12,6 Procent. Um
des Rufes der großen Werke zu Hayange willen wollen wir hoffen, daß die HHrn. de Wendel u. Comp. durch das gewöhnliche Puddelfrischen
auf ihren Hütten besseres Stabeisen zu erzeugen im Stande sind, als Heaton aus ihrem Roheisen in Langley Mills dargestellt
hat.
Die behaupteten Vortheile des Heaton'schen Verfahrens zur
Fabrication von Stahl sowohl als von Stabeisen erweisen sich somit als völlig
unbegründet. Zur Stabeisenfabrication ist das Verfahren in seiner gegenwärtigen
Gestalt nicht billiger als der gewöhnliche Puddelproceß und seine Producte sind von
bedeutend geringerer Qualität als die Erzeugnisse des letzteren. Zur unmittelbaren Darstellung von Stahl ist der Heaton'sche Converter ganz unbrauchbar und macht die
Anlage eines Tiegelofens zur Gußstahlfabrication erforderlich. Demnach kann das in
Rede stehende Verfahren mit dem Bessemer-Processe, mit
dem Siemens-Martin'schen Verfahren und mit dem Stahlpuddelprocesse nicht
concurriren, wenn als Rohmaterial gute
Roheisensorten angewendet werden, und aus den schlechten
Sorten von brittischem Roheisen producirt der Heaton'sche
Proceß dieselben Sorten von kaltbrüchigem und sprödem Material, welches aus solchem
Roheisen mittelst aller anderen Methoden der Stahlfabrication überhaupt erzeugt
werden kann und unvermeidlich erzeugt wird – ein Material, welches zu jeder
praktischen Verwendung untauglich ist.