Titel: | Ueber das von Designolle erfundene neue Schieß- und Sprengpulver; von A. Payen. |
Fundstelle: | Band 192, Jahrgang 1869, Nr. XV., S. 68 |
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XV.
Ueber das von Designolle erfundene neue Schieß- und
Sprengpulver; von A.
Payen.
Aus dem Bulletin de la Société d'Encouragement, December
1868, S. 714.
Designolle's Schieß- und Sprengpulver mit pikrinsaurem Kali
als Basis.
Die Einführung der Hinterladungswaffen bildet einen außerordentlichen Fortschritt in
der Kriegskunst; nach der Verbesserung der Waffen handelt es sich jetzt um die
Vervollkommnung des Motors, d. h. um die Erfindung neuer Pulverarten, deren
Wirkungen den Bedürfnissen der heutigen Artillerie entsprechen.
Diese wichtige Frage wurde von Designolle in ihrer ganzen
Allgemeinheit ausgefaßt und nach siebenjährigen unablässigen Versuchen scheint ihm
eine praktische Lösung der Aufgabe gelungen zu seyn.
Bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Artillerie muß man vier Pulverarten
unterscheiden:
1) Musketenpulver;
2) ein rasch wirkendes Kanonenpulver für die Geschütze mit kurzer Seele;
3) ein langsam wirkendes Kanonenpulver für die Geschütze mit langer Seele;
4) ein Sprengpulver für die Torpedos und die Projectile, welche die Rolle eines
Minenofens zu spielen haben (Explosionsprojectile).
Es ist unmöglich, die ballistische Kraft des jetzigen Pulvers durch Abänderung der
relativen Verhältnisse seiner Bestandtheile zu vermehren.
Durch Vervollkommnung der zum Pulverisiren des Satzes dienenden Vorrichtungen, somit
durch innigeres Mengen der Bestandtheile des Pulversatzes ist es gegenwärtig
gelungen, die den Projectilen durch das gewöhnliche schwarze Pulver ertheilte
Ansangsgeschwindigkeit zu vermehren. Noch ist indessen diese Geschwindigkeitszunahme
nicht sehr bedeutend. (Anwendung schwerer Mühlsteine anstatt der Stampfmühlen bei
der Fabrication des
jetzt in Frankreich für das Mustergewehr von 1866 gebräuchlichen
Musketenpulvers.)
Die mit Mühlsteinen fabricirten Pulversorten haben größere Sprengkraft als die
früheren in Stampfmühlen bereiteten, ohne daß sie eine viel größere Stärke
besitzen.
Das pikrinsaure Kali als Basis des
Designolle'schen Systemes der Pulverfabrication.
Der Hauptvortheil dieses Systemes besteht in der Möglichkeit, eine bestimmte Reihe
Pulversorten zu fabriciren, welche bezüglich ihrer Wirkung zwischen den Grenzen 1
und 10 variiren.
Man stellt mit derselben Basis zwei ganz verschiedene Pulversorten dar, von denen die
eine, ein Sprengpulver, bei gleichem Gewicht, die zehnfache Kraft des jetzigen
Pulvers besitzt (dieses Pulver ist kürzlich bei der französischen Marine zum Füllen
der Torpedos und der Explosionsprojectile eingeführt worden); die andere Sorte ist
ebenso stark als das jetzt gebräuchliche Pulver, wirkt jedoch weit weniger
zerschmetternd.
Selbstverständlich lassen sich zwischen diesen beiden Grenzen 1 und 10 beliebig viele
Sätze anfertigen, welche den Geschossen ebensoviele verschiedene Geschwindigkeiten
mittheilen.
Kurz, Designolle hat die Aufgabe gelöst, bei bekannter
Länge der Seele des Geschützes, bei bekanntem Durchmesser dieser Seele, und bei
bekanntem Gewicht des Projectiles und der anzuwendenden Pulverladung, ein Pulver
herzustellen, welches dem Projectile eine im voraus bestimmte Anfangsgeschwindigkeit
zu ertheilen vermag.
Vortheile des mit pikrinsaurem Kali
fabricirten Pulvers.
1) Vermehrung der ballistischen Kraft, ohne Vermehrung der Sprengtraft;
2) die Wirkungen des Pulvers können, bei gleichbleibender Basis, zwischen den Grenzen
1 und 10 regulirt und abgeändert werden;
3) die Verbrennungsgeschwindigkeit des Pulvers läßt sich beliebig reguliren;
4) die ballistische Kraft des Pulvers läßt sich ohne Abänderung der
Fabricationsmethode vermehren;
5) Regelmäßigkeit in der Wirkungsweise (die Projectile haben stets dieselbe
Anfangsgeschwindigkeit von 1 bis nahe 2 Meter; diese Thatfache ist Folge der
Fabricationsmethode);
6) Entbehrlichkeit des Schwefels, wodurch die bei der Verbrennung des gewöhnlichen
schwarzen Pulvers auftretenden Schwefelkalium- und Schwefelwasserstoffdämpfe
vermieden werden (welche in den Casematten und in den niedrigen Batterien der
Kriegsschiffe für die Gesundheit der Mannschaft gefährlich werden können);
7) Unschädlichkeit des neuen Pulvers für Metalle (Eisen, Kupfer, Messing etc.), indem
es dieselben gar nicht angreift;
8) fast vollständige Vermeidung des Pulverrauches, welcher bei dem neuen Pulver nur
aus mehr oder weniger mit kohlensaurem Kali und Kaliumoxyd beladenem Wasserdampf
besteht.
Designolle lätzt gegenwärtig in der kaiserlichen
Geschützgießerei zu Bouchet bedeutende Mengen seiner neuen Pulversorten fabriciren:
Musketenpulver, rasch und langsam wirkendes Kanonenpulver, und Sprengpulver für Torpedos und Explosionsprojectile.
Zusammensetzung der Pulversorten mit
pikrinsaurem Kali als Basis.
Das Sprengpulver wird aus nur zwei Bestandtheilen zusammengesetzt, nämlich aus pikrinsaurem Kali und aus Kalisalpeter; das Musketen- und Geschützpulver dagegen aus drei
Substanzen, aus pikrinsaurem Kali, Kalisalpeter und Kohle.
Vorgänge bei der Zersetzung des pikrinsauren Kalis.
Zur Bestimmung der dem pikrinsauren Kali zuzusetzenden relativen Mengen von
Kalisalpeter und Kohle mußte man nothwendig den bei der Zersetzung des erstgenannten
Salzes stattfindenden chemischen Vorgang kennen.
Nach zahlreichen Untersuchungen gelang es Designolle
diesen Vorgang festzustellen und nachzuweisen, daß bei der Verbrennung des
pikrinsaureu Kalis zwei ganz verschiedene Fälle in Betracht zu ziehen sind.
1) Das pikrinsaure Kali brennt an freier Luft ab, und dann bildet sich bei seiner
Verbrennung stets Cyanwasserstoffsäure und Stickstoffoxyd (welches letztere sich an
der Luft zu Untersalpetersäure oxydirt); in diesem Falle wird der Vorgang nach Designolle durch nachstehende Formel dargestellt:
Textabbildung Bd. 192, S. 69
2) Das pikrinsaure Kali verbrennt in einem Geschützrohre, also in einem
verschlossenen Gefäße und in diesem Falle befindet sich unter den
Verbrennungsproducten weder Cyanwasserstoffsäure noch Stickstoffoxyd; der
Verbrennungsproceß wird dann durch nachstehende Formel ausgedrückt:
C12 H23NO4O + KO
= 3N + 5CO2 + 2H + O + KO,CO2 + C
6
Diese Formel wird bei der Zusammensetzung der Sätze zu Grunde gelegt.
Verfahren bei der Darstellung des neuen
Pulvers.
Zunächst werden die Bestandtheile unter Zusatz einer je nach der Natur des Gemenges
von 6 bis 14 Proc. variirenden Wassermenge in Stampfmühlen gepulvert (battage), wozu höchstens sechs und
mindestens drei Stunden erforderlich sind.
Hierauf wird der Satz mittelst einer hydraulischen Presse verdichtet (galletage), und zwar je nach der
zu erzielenden Verbrennungsgeschwindigkeit (welche im umgekehrten Verhältnisse zum
Drucke steht) bei einem Drucke von 30,000 bis 100,000 Kilogrm. Dann wird der Satz
mittelst einer besonderen Maschine gekörnt, gesiebt und nach dem bei der Fabrication
des gewöhnlichen schwarzen Pulvers üblichen Verfahren geglättet (polirt) und
getrocknet.
Das von Designolle befolgte Verfahren bleibt bei allen
Pulversorten dasselbe; zur Vermehrung der ballistischen Kraft des Productes vermehrt
man im Satze die Menge des pikrinsauren Kalis. Der Erfahrung zufolge darf man für
Musketenpulver nicht über 20 Proc. pikrinsaures Kali nehmen; zu Kanonenpulver nimmt
man, je nachdem man ein langsam oder schnell wirkendes Pulver erhalten will, 8 bis
15 Proc. pikrinsaures Kali.
Geschichtliches über die Pikrinsäure und
das pikrinsaure Kali.
Im Jahre 1788 gelang es Joh. Mich. Haußmann, einem Chemiker und Fabrikanten in Colmar
(Elsaß), bei seinen Untersuchungen über die Wirkung der Salpetersäure auf Indigo aus
den Producten der Reaction eine sehr bitter schmeckende, hellgelbe, krystallisirbare
Substanz abzuscheiden, welche er Indigbitter nannte.
Einige Jahre später, im Fructidor des Jahres III, erhielt
Welter bei Behandlung von Seide mit Salpetersäure
dieselbe Substanz. Am 17. April 1809 trug Chevreul über
das Indigbitter oder Welter'sche Bitter (mit dessen
Untersuchung auch Proust, Fourcroy und Vauquelin sich beschäftigt hatten) und über die mit
demselben gleichzeitig entstehenden Producte eine Abhandlung im Institut vor, welche
noch in demselben Jahre in den Annales de Chimie
veröffentlicht wurde. Er schloß aus den explosiven Eigenschaften dieses Körpers, daß
derselbe eine Sauerstoffsäure des Stickstoffes enthalten müsse. In dieser Ansicht
wurde er bestätigt, als es ihm gelang, unter den gasförmigen Verbrennungsproducten
des Indigbitters die Gegenwart von Salpetrigfäure nachzuweisen.
Ungeachtet dieser Untersuchungen blieb die Zusammensetzung des Indigbitters noch längere Zeit
unbekannt. Erst im Jahre 1828 veröffentlichte Liebig in
den „Annalen der Physik und Chemie“ eine Abhandlung über die
Zusammensetzung des von ihm „Kohlenstickstoffsäure“ benannten
Indigbitters; doch war Dumas der erste, welcher eine
Formel für diesen Körper aufstellte.
Erst Laurent hat aber die richtige Formel für die
Zusammensetzung der Kohlenstickstoffsäure gefunden. Er zeigte nämlich, daß die
Kohlenstickstoffsäure ein Abkömmling der Phenylsäure ist und daß man sie als
Phenylsäure betrachten kann, in welcher 3 Aequiv. Wasserstoff durch 3 Aequiv.
Untersalpetersäure ersetzt sind, daher er sie
„Trinitrophenylsäure“ benannte.
Die Phenylsäure, welche in den Fabriken der „Pariser Gesellschaft für
Gasbeleuchtung und Heizung“ im Großen dargestellt wird, bildet
gegenwärtig das Haupt-Rohmaterial für die Fabrication der Pikrinsäure (wie
diese Substanz jetzt allgemein genannt wird) und der Pikrinsauren Salze.
Der Gedanke, das schwarze Schießpulver durch pikrinsaures Kali zu ersetzen, ist nicht
neu; schon Welter sagt bezüglich dieser Substanz:
„— — Am anderen Morgen fand ich die Abdampfschale mit
goldgelben, seidenglänzenden Krystallen besetzt, welche wie Schießpulver
verpufften und meiner Ansicht nach als Ladung in Feuerwaffen die Wirkungen des
Pulvers haben würden. Der bei dieser Detonation entwickelte Rauch glich dem von
verbranntem Harze.“ (Annales de Chimie, t.
XXIX p. 301.)
Eigenschaften des Pikrinsauren
Kalis.
Dieses Salz krystallisirt in kleinen, schön goldgelben, ziemlich stark glänzenden
Prismen, welche dem zwei- und eingliederigen Krystallsysteme angehören. Es
ist in Alkohol unlöslich, löst sich aber in 260 Theilen kalten (bei + 15° C.)
und in nur 14 Theilen kochenden Wassers.
Das pikrinsaure Kali ist somit in kaltem Wasser nahezu unlöslich. Bei vorsichtigem
Erhitzen wird es bei der Temperatur von ungefähr 300° C. orangeroth, nimmt
aber beim Erkalten seine ursprüngliche Farbe wieder an Bis auf 3l0° erhitzt,
detonirt es heftig.
Bisher war das pikrinsaure Kali sehr theuer. In der letzteren Zeit jedoch nahm John
Casthellaz, einer unserer geschicktesten Fabrikanten
chemischer Producte, die Untersuchungen von Laurent über
die Einwirkung der Salpetersäure auf die Phenylsäure wieder auf, vervollkommnete das
Verfahren zur Fabrication der Pikrinsäure und erzeugte chemisch reines pikrinsaures
Kali zu einem so billigen Preise, daß das neue Pulver nicht merklich höher zu stehen kommt als das
gewöhnliche schwarze Schießpulver. Zieht man die Wirkungen des ersteren und seine
ballistische Kraft in Betracht, so ist nach Designolles
nicht zu bezweifeln, daß die Anwendung des neuen Pulvers eine beträchtliche
Ersparniß ermöglicht.
Designolle und Casthellaz
liefern außerdem verschiedene Sätze zu Buntfeuern; so z.
B. zu:
GoldgelbenFeuergarben
pikrinsaures Ammoniakpikrinsaures Eisen
5050
Grünfeuer
pikrinsaures Ammoniaksalpetersaurer Baryt
4852
Rothfeuer
pikrinsaures Ammoniaksalpetersaurer Strontian
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