Titel: | Das Werder'sche Hinterladungsgewehr. |
Fundstelle: | Band 192, Jahrgang 1869, Nr. XLVIII., S. 190 |
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XLVIII.
Das Werder'sche Hinterladungsgewehr.
Ueber das Werder'sche Hinterladungsgewehr.
Anknüpfend an den in München der Kammer der Abgeordneten am 19. Februar d. I.
vorgelegten Gesetzentwurf über Neubewaffnung der Infanterie mit
Hinterladungsgewehren, — wornach 100,000 nach dem Werder'schen System construirte Gewehre nebst Berdan'scheaqn Metallhülsen-Patronen beschafft, gleichzeitig aber
auch die Versuche mit Berdan's
Hinterladungsgewehr noch weiter fortgesetzt
werden sollen, damit bei gleichem Kaliber und gleicher Patrone beider Gewehre dieselben eventuell auch
nebeneinander zur Einführung gelangen können und so
die gesammte Infanterie um ein Jahr früher mit neuen Hinterladungsgewehren
auszurüsten steht, — liefert das zu Berlin erscheinende
„Militär-Wochenblatt“ in seinen Nummern vom 27. und
31. März d. I. vom Werder'schen Gewehre folgende
Beschreibung:
„Das Werder'sche Gewehr gehört zu den einfachen
Hinterladern kleinen Kalibers (11 Millimeter) mit gasdichten Patronen. Das
Verschlußsystem hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem bekannten Peabody'schen, zunächst insofern auch bei Werder das Verschlußstück um eine in seinem hinteren
Theile liegende, zur Richtung der Seelenachse rechtwinklige Drehachse nach vorwärts abwärts
(behufs Oeffnens) resp. umgekehrt (behufs Schießens) sich bewegt. Ueber die
Drehachse nach hinten ragt dasselbe bei Werder mit einem
kurzen gabelförmigen Theile noch hinaus. Eine muldenförmige Vertiefung auf der
oberen Fläche der Verschlußklappe dient auch hier zum Einlegen der Patrone.
Bei der Bewegung abwärts wirkt das Verschlußstück mit seinem vorderen Theile auf den
Extractor, welcher, ähnlich wie bei Peabody, einen
Winkelhebel bildet, indeß die Patrone an zwei einander diametral gegenüberliegenden
Stellen packt, und durch die Abzugsfeder in seine Lage zurückgedrückt wird.
Der Zündstift geht der Länge nach durch das Verschlußstück und unterliegt nach dem
Zurückziehen des Hahnes der Einwirkung einer Spiralfeder, welche ihn in seine
ursprüngliche Stelle bewegt.
Im Gegensatz zu Peabody wird das
Verschlußstück durch das Spannen des Hahnes geschlossen und durch eine
zweiarmige Verschlußfeder, welche hinter dem rückwärtigen Ende der Klappe
liegt, geöffnet. Um letztere in ihrer geschlossenen
Stellung zu erhalten, dient einerseits eine besondere Stütze, auf welcher der
vordere Theil des Verschlußstückes mit einem angesetzten Arme ruht, und die nach dem
Abgehen des Hahnes als alleinige Unterstützung dient. Die Stütze ist um dieselbe
Achse wie der Abzug drehbar und ragt mit einer Zunge durch das Abzugsblech, welche
vorwärts der Zunge des Abzuges liegt und umgekehrt wie diese gekrümmt ist.
Das Schloß ist ein sogenanntes Mittelschloß und besteht aus Hahn. Schlagfeder, Abzug,
welcher zugleich die Stange bildet, und Abzugsfeder. Der Hahn bewegt sich innerhalb
des hinteren gabelförmigen Theiles der Verschlußklappe; der Daumgriff liegt auf der
rechten Seite des Schlosses.
Beim Zurückziehen des Hahnes wirkt ein an demselben angesetzter Arm mit Rolle
aufwärtsdrückend auf das Verschlußstück.
Sämmtliche Achsen liegen in zwei parallel zu einander stehenden Schloßplatten, und
findet die ganze Verschluß- und Schloßmechanik ihre Aufnahme in einem
vierkantigen Schloßkasten, welcher mit dem Laufe zusammengeschraubt ist. Eine
Schraube, welche zugleich den Abzugsbügel festhält, dient zur Verbindung zwischen
Mechanik und Schloßkasten.
Der Mechanismus des Systemes ist nunmehr folgender: ist dieses Gewehr gespannt, so
ist es zugleich geschlossen; wird abgedrückt, so schlägt der Hahn gegen den
Zündstift, und dieser wirkt auf die Zündung.
Will man, nachdem der Schuß heraus ist, öffnen, so geht der Zeigefinger der rechten
Hand, welcher an der Zunge des Abzuges angelegen, um ein kleines Stück vorwärts
und trifft gegen die Zunge der Stütze, welche nunmehr unter dem Verschlußstück
hinweggleitet und es der Einwirkung der (beim Schießen in Spannung versetzt
gewordenen) Verschlußfeder überläßt. Letztere drückt dasselbe mit dem hinteren
Theile auf-, also mit dem vorderen abwärts, und das Gewehr ist geöffnet,
gleichzeitig auch der Extractor in Thätigkeit getreten und die leere Hülse entfernt.
Der ganze Vorgang erfolgt, während der Schütze das Gewehr aus dem Anschlag
senkt.
Auf der oberen Vertiefung der Klappe rutscht die neue Patrone in den Lauf; es erfolgt
das Spannen des Hahnes, somit das Schließen, und das Gewehr ist schußfertig. Ein
Druck gegen die Stütze vor dem Abdrücken brächte jetzt keine Wirkung hervor, da
erstere durch einen Vorstand des Hahnes (so lange letzterer gespannt ist) an der
Rückwärtsbewegung gehindert ist. Ein vorzeitiges Oeffnen der Klappe kann also nicht
vorkommen.
Man hat es in der Hand, das Gewehr auch nur in Ruhe zu setzen.
Vom Ergreifen der Patrone abgesehen, sind somit folgende Griffe nöthig:
1) Abdrücken, womit beim Schnellfeuer:
2) das Oeffnen fast als eine Bewegung gelten kann,
3) das Einführen der Patrone,
4) das Spannen.
Soll das Gewehr nach dem Schuß geschlossen bleiben, so hat die Vorwärtsbewegung des
Zeigefingers nur zu unterbleiben.
Will man das Gewehr entladen, so läßt man den Hahn sachte nieder und drückt gegen die
Zunge des Abzuges, dann öffnet sich das Gewehr und die Patrone springt heraus.
Behufs Zerlegung des Schlosses löst man die Abzugsbügelschraube, hebt die
Verschlußmechanik aus, entfernt die linke Schloßplatte, worauf das Innere bloßliegt.
Man kann nun (ohne ferner noch eines Instrumentes zu bedürfen) die drei Federn
ausheben und die anderen Theile aus ihren Lagern entfernen.
Der Schaft ist von vorn nach hinten durchgehend und am Schloßkasten vierkantig
ausgestemmt. Das ganze Gewehr ist 8½ Zollpfund schwer und 50 Zoll rhein.
lang. Zur Einrichtung als blanke Waffe dient ein Haubajonnet. Das Visir ist ein
Treppenvisir. Die Versuchspatrone ist eine geprägte Kupferpatrone mit
Centralzündung, von Uttendörffer in Nürnberg construirt.
Bei einer Pulverladung von 4,3 Grammen beträgt das Gewicht des
cylindro-ogivalen Geschosses 22 Grm. Letzteres hat eine kleine Expansionshöhlung und auf dem
cylindrischen Theil zwei Cannelirungen.
Die conische Hülse ist behufs Extrahirens mit einer am Boden festgelötheten,
denselben seitlich überragenden verkupferten Eisenscheibe versehen. Innerhalb der
Hülse liegt, dem Boden zunächst, ein Cartonring, in dessen Höhlung eine
Messingglocke sitzt. Letztere nimmt ein Zündhütchen und einen messingenen
Schlagkörper auf. Die Patrone bildet somit eine Combination des Boxer'schen Zündungsprincipes mit der amerikanischen
Hülsenconstruction.
Werder's Gewehr gehört zu denjenigen einfachen
Hinterladern, welche vermöge ihres sinnreichen Mechanismus ein Maximum von
Feuergeschwindigkeit ergeben. Eine noch größere Vereinfachung in den Functionen ist
schwer denkbar. Abgesehen von dem ersten Ausschießen des Magazines, vermag derselbe
mit jedem Repetirgewehr nicht allein zu concurriren, sondern übertrifft dasselbe um
so mehr, ein je längerer Zeitraum gesteckt ist.
Als ein besonderer Vorzug der Einrichtung muß die leichte Zerlegung des
Schloßmechanismus gelten, was eine sehr berechtigte Anforderung an Kriegswaffen
bildet. Die ganze Construction ist äußerst solid und bietet alle Garantie gegen
Gefährdung und Hemmnisse.
Die Feuergeschwindigkeit betrug bei ganz geübten Mannschaften beim Laden aus der
Tasche 14–15 Schüsse per Minute. Seitens geübter
Schützen wurden in Amberg bei 18 Schüssen in der Minute 18 Treffer gegen eine 4 Fuß
breite, 9 Fuß hohe Scheibe auf 200 Schritte erzielt.“
Hieran sich noch reihende Daten über die Percussionskraft und Flugbahnrasanz der
zugehörigen Geschosse berechtigen zu dem Schlüsse, daß diese Waffe den bisherigen
Erfahrungen entsprechend, in allen hauptsächlich zu berücksichtigenden Beziehungen,
nämlich: Rasanz, Präcision, Percussion, Feuergeschwindigkeit, Behandlung, Solidität
und Munitionsgewicht, als von vorzüglicher Leistungsfähigkeit zu betrachten ist.
Stade, im April 1869.
Darapsky.