Titel: | Ueber fabrikmäßige Darstellung des Wasserstoffgases für Beleuchtungs- und Heizungszwecke; von E. Vial, Apotheker in Paris. |
Fundstelle: | Band 192, Jahrgang 1869, Nr. CV., S. 382 |
Download: | XML |
CV.
Ueber fabrikmäßige Darstellung des
Wasserstoffgases für Beleuchtungs- und Heizungszwecke; von E. Vial, Apotheker in
Paris.
Aus Armengaud's Génie industriel, Januar 1869, S.
12.
Vial, über fabrikmäßige Darstellung des Wasserstoffgases zu
Beleuchtungs- und Heizungszwecken.
Untersucht man die verschiedenen, bisher empfohlenen und wirklich angewendeten
Methoden zur Leuchtgasfabrication, so ergibt sich Folgendes:
1) Schon von Beginn dieser Entdeckung an ist die bei fabrikmäßigem Betriebe erzeugte
Gasmenge um 13 Proc. hinter der theoretischen zurückgeblieben. Im Durchschnitt geben
nämlich 100 Th. Steinkohle bei der Destillation 75 Th. Kohks auf 25 Th. flüchtiger
Substanzen, welche letztere aber nur 12 Th. brennbares Gas liefern, was also eine
Differenz von 13 Proc. herausstellt.
2) Diese Differenz läßt sich aus den bei der Flamme und den bei der Destillation
austretenden Erscheinungen leicht erklären.
Was nämlich die Flamme anbetrifft, so besteht das Leuchtgas fast gänzlich aus
gasförmigen Kohlenwasserstoffen, in denen der Wasserstoff, ein außerordentlich
entflammbares und brennbares Element, zuerst sich entzündet, entsprechend dem
chemischen Principe, daß „wenn ein aus mehreren Bestandtheilen
zusammengesetzter Körper der Einwirkung einer zu seiner vollständigen
Verbrennung ungenügenden Sauerstoffmenge unterworfen wird, die brennbarsten
seiner Bestandtheile stets zuerst verbrennen.“ Der Wasserstoff
entflammt sich also; bekanntlich ist aber die Leuchtkraft der Wasserstoffflamme eben
so gering, als die Entzündlichkeit und Brennbarkeit derselben bedeutend ist. Dagegen
kann bekanntlich die Wasserstoffgas-Flamme durch Einführen fester
feuerbeständiger Körper (wie Platin, Kalk: etc.) außerordentlich leuchtend gemacht
werden. Beim Leuchtgase verdankt die Wasserstoffflamme ihre Helligkeit den feinen
Kohlenstofftheilchen, welche sich bei der Weißrothgluth aus ihr abscheiden.
Schon hieraus geht hervor, daß man der Flamme des Wasserstoffgases, welche an und für
sich nicht leuchtet, durch physikalische Mittel, z. B. mit Platin, eine ebenso große
und noch größere Leuchtkraft als das Leuchtgas besitzt, mitzutheilen vermag, so daß
Es unnöthig ist, zu diesem Zweck das Wasserstoffgas zu carburiren (mit Kohlenstoff
zu imprägniren).
Was nun die Destillationserscheinungen anbelangt, so gibt die Steinkohle, wenn sie
nach dem gewöhnlichen Verfahren und der Verkohlungstheorie entsprechend, allmählich
der Einwirkung höherer Temperaturen unterworfen wird, zunächst ihr mechanisch
eingeschlossenes Wasser ab, während sich ihre Bestandtheile — Sauerstoff,
Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel und Kohlenstoff — mit einander verbinden
und, ihrer Verwandtschaft und der Temperatur entsprechend, zunächst Wasser,
Kohlensäure, Ammoniak, Schwefelwasserstoff und Cyan, dann Kohlenoxyd und
Kohlenwasserstoffe, endlich zuletzt bloß Wasserstoff geben. Auf diese Weise gehen 25
Proc. flüchtige Substanzen über, und in der Retorte bleiben 75 Proc. Kohks
zurück.
Hieraus ersieht man, daß der größte Theil des in der Steinkohle enthaltenen
Wasserstoffes für die Leuchtgasfabrication verloren ist, indem sich dieser Körper
verbindet:
a) zunächst mit dem Sauerstoffe zu Wasser in dem Verhältniß von 2 Vol. Wasserstoff auf 1 Vol. Sauerstoff;
b) dann mit dem Stickstoff zu Ammoniak (3 Vol. Wasserstoff auf 1 Vol. Stickstoff);
c) hierauf mit dem Schwefel zu Schwefelwasserstoff (2 Vol. Wasserstoff auf ⅓ Vol. Schwefel);
d) endlich mit dem Kohlenstoff zu den verschiedenen
flüssigen und festen Hydrocarbüren (aus 2 Vol.
Wasserstoff auf 1 Vol. Kohlenstoff bestehend), welche in den Theer übergehen.
100 Kilogr. Steinkohle geben also 13 Kilogr., bestehend in Wasser, Ammoniak,
Schwefelwasserstoff und Kohlenwasserstoffen, welche im Durchschnitt die bedeutende
Menge von neun Volumen Wasserstoff auf 3 ⅓ Vol.
der anderen Elemente enthalten.
Aus der Entstehungsweise und Zusammensetzung dieser Producte ergibt sich nun bei
Berücksichtigung ihrer chemischen Eigenschaften Folgendes:
1) Die Leuchtgasfabrication (aus Steinkohlen) könnte noch ökonomischer werden und ein
Gas von besserer Qualität erzeugen; sie ist nämlich bisher auf halbem Wege stehen
geblieben, da sie in den Nebenproducten (Theer und Ammoniakwasser) den größten Theil
ihres Hauptproductes (des Wasserstoffes) zurückläßt.
2) Auch in Bezug auf die Darstellung von Kohlenwasserstoffgasen ist das Ziel nicht
erreicht worden, insofern die dichtesten, sowohl flüchtigen als festen, somit die
die stärkste Leuchtkraft besitzenden Hydrocarbüre (wie das Benzin, Paraffin etc.) im
Theere zurückbleiben.
3) Wenn aus dem Theere bisher nicht so viel Gas erzeugt wurde, als man zu erwarten
berechtigt war, so liegt der Grund davon einerseits darin, daß sich dieses Product
der trockenen Destillation an der Luft in Folge Aufnahme von Sauerstoff verharzt,
und bei der Destillation dann auf Kosten seines Wasserstoffgehaltes nochmals Wasser
gibt; andererseits darin, daß bisher bei der Zersetzung des Theeres die Hitze nicht
hoch genug gesteigert wurde.
4) Da die Steinkohle schon an sich Sauerstoff enthält, so ist Es von Wichtigkeit, ihr
beim Beschicken der Retorten nicht neue Mengen von diesem Körper mit der Luft
zuzuführen.
5) Da ferner die Steinkohle schon an sich Wasser enthält und da sich solches auch bei
ihrer Destillation bildet, so ist Es nutzlos, ihr (wie dieß bei manchen Verfahren
geschieht) während der Operation Wasser zuzufügen, indem dadurch der Verlauf der
Destillation verzögert, die Retorte abgekühlt und der Brennmaterialaufwand (wegen
der Nothwendigkeit die Temperatur wieder zu erhöhen) vermehrt wird.
6) Um mit dem Maximum der Kohlung die höchste Production zu erreichen, muß die
Hauptreaction nicht in der Kohle selbst vor sich gehen, sondern vielmehr in den
entwickelten Dämpfen und Gasen, insofern die Retorten stets mehr oder weniger
bedeutenden Temperaturwechseln ausgesetzt sind, in Folge deren im Anfange der
Operation und beim Beschicken der Retorten condensirbare unzersetzte Dämpfe
(Ammoniak, Theer etc.) entstehen und zuletzt reiner Wasserstoff sich entwickelt,
welcher von der Zersetzung bereits gebildeter gasförmiger Kohlenwasserstoffe
herrührt. Daraus ergibt sich die Nothwendigkeit, die Steinkohle so stark zu
erhitzen, daß mehr Dämpfe und weniger Gase erzeugt werden, und diese Dämpfe und Gase
vor ihrem Eintritte in den Condensator im aufsteigenden Rohre constant zwischen
525° C. (beginnendes Glühen) und 800° (beginnende Kirschrothgluth) zu
überhitzen, so daß das Ammoniak und der Schwefelwasserstoff zersetzt werden. Das
Zerfallen dieser beiden Verbindungen in Gegenwart von Aetzkalk und Eisen findet
stets vor der Entkohlung der Dämpfe statt, folglich werden durch die Umwandlung
dieser theerigen Dämpfe im Gas nur gut gekohlte Hydrocarbüre erzeugt.
7) Wenn die Gasfabriken sich entschließen wollten, anstatt des von ihnen bisher
producirten Kohlenwasserstoffes nun entkohlten
Wasserstoff zu erzeugen, so würden sie durch Ueberhitzung ihres Gases, nach
dem Neinigen desselben, im Stande seyn, das Volum ihres Productes mittelst
Entkohlung und Spaltung der Einfach- und Zweifach-Kohlenwasserstoffe
um das Doppelte zu vermehren, so daß eine Anstalt, welche jährlich 2 Millionen
Kubikfuß von gereinigtem Gase producirt, auf diesem Wege 4 Millionen zu erzeugen
vermöchte, vorausgesetzt, daß das von ihr fabricirte Gas gänzlich aus den erwähnten
beiden Kohlenwasserstoffen besteht.
8) Die Menge des producirten Gases würde noch weit beträchtlicher ausfallen, wenn man anstatt des
gereinigten Productes die in der Bildung begriffenen Dämpfe und Gase auf die
angedeutete Weise mit Anwendung physikalisch oder chemisch actier Körper (z. B.
Ziegelsteinen, Aetzkalk, Eisen etc.) zersetzen wollte; dadurch könnte das Ausbringen
dem Volumen nach mindestens auf 60 bis 70 Kubikmeter per
100 Kilogr. Kohle, anstatt der bis jetzt producirten 22 Kubikmeter gesteigert
werden.
9) Bei Anwendung von fetten Schmiedekohlen anstatt mageren Steinkohlen mit langer
Flamme würde sich das Quantum der producirten Gase auf 80 Kubikmet. per 100 Kilogrm. steigern lassen, da die ersteren nach
Regnault's Analysen mehr Wasserstoff und weniger
Sauerstoff enthalten als die letzteren.
10) Von allen Wasserstoffverbindungen ist das Ammoniak
unstreitig die an Wasserstoff reichste und auch diejenige, welche sich am
leichtesten zersetzt, ohne daß der in diesem Falle dem Wasserstoffgase beigemischt
bleibende Stickstoff die Brennbarkeit des ersteren beeinträchtigt, insofern die zur
Verbrennung des gewöhnlichen Leuchtgases erforderliche Luft 79 Vol. Stickstoff auf
21 Vol. Sauerstoff enthält.
11) Die Leitungen und Condensationsapparate würden in den erwähnten Fällen nicht mehr
durch die großen Mengen von fast werthlosem Naphtalin verstopft, und nicht mit
Ammoniak und Theer angefüllt werden, welche für die Gasanstalten einen so
beträchtlichen Verlust ausmachen und in Folge ihres Versickerns in den Boden so
häufig zu Streitigkeiten Veranlassung geben.
12) Die Gasanstalten könnten auf die angegebene Weise in ihren Retorten eine hohe
gleichmäßige, leicht regulirbare Temperatur unterhalten und ein brennbares Gas
erzeugen, welches immer die gleiche Zusammensetzung hat, sich leicht comprimiren
läßt, nicht condensirbar, durch die Einwirkung der Hitze schon an sich gereinigt und
frei von Kohlenstoff ist. Sie würden also nicht mehr mit jenen Schwankungen in der
Leuchtkraft ihres Productes zu kämpfen haben, welche sich bemerkbar machen, wenn in
strengem Winter die leuchtkräftigen Kohlenwasserstoftdämpfe sich condensiren, oder
wenn in Folge zu starken oder zu geringen Erhitzens der Retorten nicht leuchtende
Gase oder condensirbare Dämpfe erzeugt werden.
13) Bezüglich des auf solche Weise erzeugten Gases läßt sich behaupten, daß dasselbe
fast immer nahezu die Zusammensetzung des sogenannten Wassergases (gaz de l'eau) haben wird, welches, je nachdem man
Wasserdampf auf Holzkohle oder auf Kohks einwirken läßt, drei oder vier
Bestandtheile enthält: nämlich Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff, oder
Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Schwefel. Man könnte fast als Princip
aufstellen, daß unter den brennbaren Gasen der Wasserstoff dasjenige ist, welches
unter allen übrigen bei weitem den Vorzug verdient und dessen Production aus diesem
Grunde das letzte Ziel der Gasbeleuchtungskunst zu seyn scheint, wenn man auch
fernerhin als das beste Leuchtgas dasjenige anerkennt, welches bei derselben
Lichtstärke am wenigsten Sauerstoff verbraucht, am wenigsten Kohlensäure bildet und
die geringste Wärmemenge erzeugt, wie dieß bezüglich des sogenannten Wassergases
durch die von Gillard
Polytechn. Journal Bd. CXVI S. 222 und Bd. CXVIII S.
156. in Narbonne und in Passy angestellten Versuche, sowie durch die von Dr. Verver
Ein Auszug aus dem von Dr. Verver über die Wassergasbeleuchtung zu Narbonne im I. 1858
veröffentlichten Werkchen wurde im polytechn. Journal Bd. CLIV S.
33 mitgetheilt. — Der später von Fages in Narbonne eingeführte verbesserte Apparat zur Erzeugung
des Wassergases ist im polytechn. Journal Bd. CLVIII S. 259 beschrieben. ausgeführten vergleichenden Untersuchungen erwiesen ist.
Die von Dr. Verver im Jahre
1859 bezüglich des Narbonner Wassergases veröffentlichten Schlußfolgerungen sind die
nachstehenden:
1. In Bezug auf Schönheit läßt die Wassergasbeleuchtung wenig zu wünschen übrig, weil
dieses Licht wegen der großen Beständigkeit und Unbeweglichkeit der Flamme
bemerkenswerth schön ausfällt, ohne die Augen zu ermüden, wobei Es den großen
Vortheil gewährt, daß Es die Farben nicht verändert.
2. In Bezug auf Gesundheit hat die Wasserstoffgasfabrication vor der des
Kohlenwasserstoffgases den unbestreitbaren Vorzug, daß alle ammoniakalischen,
schwefligen und theerigen Dünste wegfallen.
3. Die Verbrennungsproducte betreffend, wird die Luft der zu beleuchtenden Räume
durch das Wasserstoffgas oder sogenannte Wassergas weniger verdorben, als durch
Einfach- und Zweifach-Kohlenwasserstoff, weil ersteres nur den vierten
Theil der zur Verbrennung der beiden letzteren Gase nöthigen Sauerstoffmenge
erfordert und als Verbrennungsproduct nur Wasserdampf gibt, wogegen das gewöhnliche
Leuchtgas ziemlich bedeutende Mengen von Kohlensäure erzeugt.
4. Das Wasserstoffgas ist geruchlos, wogegen das gewöhnliche Gas einen ebenso starken
als unangenehmen Geruch besitzt und gleichzeitig nachtheilig auf den Organismus
einwirkt.
5. Es ist aber leicht, dem Wasserstoffgase, um seine Gegenwart bei Ausströmungen aus
undichten Stellen der Leitungen, aus nicht vollständig geschlossenen Hähnen etc. in
der Atmosphäre entdecken zu können, einen hinreichend starken Geruch mitzutheilen,
indem man Es vor seinem Eintritte in das Gasometer durch eine flüchtige Flüssigkeit
streichen läßt.
6. Die Luft wird, selbst wenn ein solches Entweichen von Gas stattfindet, durch das
Wasserstoffgas weit weniger schnell explodirend werden, als durch gewöhnliches
Leuchtgas, ebenfalls aus dem Grunde, weil ersteres weniger Sauerstoff erfordert als
letzteres.
7. Das Wassergas brennt ganz ruhig, ohne das beständige Zischen und Brausen des
gewöhnlichen Gases zu zeigen.
8. Das Wasserstoffgas besitzt ferner den wesentlichen Vorzug, daß Es mit Erzeugung
der geringsten Wärmemenge die größte Lichtmenge liefert, insofern Es bei seiner
Verbrennung nur ein Drittel der von gewöhnlichem Gase erzeugten Hitze entwickelt;
dessenungeachtet muß man ihm als Herzmittel den Vorzug
vor dem letzteren einräumen, denn da bei seiner Verbrennung schädliche Producte sich
nicht bilden, so kann man Es in den zu heizenden Räumen verbrennen, ohne Leitungen
und Essen nöthig zu haben, durch welche immer ein bedeutender Wärmeverlust
verursacht wird.
9. Wenn auch eine allgemeinere Anwendung des Wassergases bisher dadurch verhindert
wurde, daß bei der Darstellung desselben nicht, wie bei der des gewöhnlichen
Leuchtgases, ein so werthvolles Nebenproduct wie die Kohks gewonnen werden kann, so
wird doch sicherlich Niemand Anstand nehmen, das erstere anstatt des letzteren zu
benutzen, sobald sein Preis ein billigerer geworden seyn wird.
Diesen Schlußfolgerungen kann man noch die nachstehenden hinzufügen:
Da das Wasserstoffgas auf die Leitungen nicht zerstörend einwirkt, wie dieß bezüglich
des gewöhnlichen, stets Ammoniak, Schwefelwasserstoffgas etc. enthaltenden
Leuchtgases der Fall ist, so wird das Entweichen von Gas aus undichten Stellen etc.
niemals so bedeutend werden können, als bei dem letzteren. Das nach dem im
Vorstehenden beschriebenen Verfahren aus Steinkohle dargestellte entkohlte Wasserstoffgas läßt sich jedenfalls mit großem
Vortheil als Heizmittel, sowie als Triebkraft bei seiner Anwendung für Lenoir'sche und andere Gasmotoren benutzen.