Titel: | Ueber ein Mittel zur gänzlichen Beseitigung des Stoßens siedender Flüssigkeiten; von E. Winkelhofer. |
Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. X., S. 30 |
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X.
Ueber ein Mittel zur gänzlichen Beseitigung des
Stoßens siedender Flüssigkeiten; von E. Winkelhofer.
Aus den Berichten der deutschen chemischen
Gesellschaft zu Berlin, 1869, Nr. 8.
Winkelhofer, über ein Mittel zur gänzlichen Beseitigung des Stoßens
siedender Flüssigkeiten.
Vor mehr als anderthalb Jahren brachte Dr. Pietro Pellogio
Fresenius' Zeitschrift für analytische Chemie,
Jahrgang VI, S. 396; polytechn. Journal Bd. CLXXXVII S. 519. eine Arbeit „über die Flüssigkeiten, welche beim Sieden
stoßen“ . Er gelangte auf Umwegen zu einem Mittel, welches das Stoßen
aufheben soll. Es besteht in der Anwendung einer weiten Glasröhre, welche
rechtwinkelig gebogen, bis zur offenen Haarröhrchenspitze ausgezogen ist. Dieselbe
reicht mit ihrem unteren, nicht ausgezogenen Ende bis nahe an den Bauch der Retorte,
durch deren Tubulus sie eingeführt und lutirt ist. G. Hager
Pharmaceutische Centralhalle, Bd. IX S. 105. fand dieses Mittel unzureichend. Nach kurzer Zeit trat beim Kochen, wie
unter den gewöhnlichen Umständen, Stoßen ein. Es ist recht leicht erklärlich, daß
dieses Mittel anfänglich ein leichteres Sieden verursacht, indem Gase, speciell
Stickstoff und Sauerstoff der Luft, die dem Rohre vor seiner Anwendung angehaftet,
so lange das Sieden erleichtern, als dieselben noch vorhanden sind. Darauf gründet
sich die Anwendung von Glassplittern oder Platinstückchen, durch welche man
denselben Zweck einfacher, aber ebenso unvollkommen erreicht.
Ich beschäftigte mich schon vor drei Jahren mit dem Studium des Siedverzuges und
erwirkte als Frucht dieser Arbeit ein Privilegium auf einen Sicherheitsapparat gegen
Dampfkesselexplosionen durch Siedverzug. Nach kurzer Unterbrechung meiner damaligen
Arbeiten erschien Pellogio's Aufsatz und später die
Berichtigung von Hager. Diese gab mit den Impuls, den
Gegenstand durchzuarbeiten.
Zuerst wandte ich Methylalkohol zur Untersuchung an. Etwa drei Minuten kochte eine
Quantität von 4 Unzen desselben ganz regelmäßig, doch trat nach kurzer Zeit das
Stoßen ein. An dem in die Flüssigkeit getauchten Thermometer konnte ich nur ganz
geringe Temperaturschwankungen constatiren. Um Siedverzug von geringem Grade und
kurzer Dauer nachzuweisen, bedarf man eines Thermometers, das bei einer
verhältnißmäßig großen Kugel eine im Lichten sehr schwache Röhre besitzt, mit
anderen Worten, eines Thermometers von großer Empfindlichkeit. Ueber ein solches
kann ich leider nicht verfügen und mußte mich deßhalb mit einem gewöhnlichen
Instrumente begnügen. Mit Hülfe desselben konnte ich also nur eine zeitweilige
Steigerung der Temperatur um drei Grade über dem Siedepunkte des Methylalkohols
beobachten und es genügte, um in dieser Steigerung Siedverzug zu erkennen. Nachdem
ich mit diese Ueberzeugung verschafft, lag es sehr nahe, mit dem elektrischen Strom
zu operiren, um dadurch Gasentwickelung in der Flüssigkeit hervorzubringen. Doch war
ich, wie vorauszusehen, mit einem Bunsen'schen Elemente
nicht im Stande, eine Gasentwickelung herzustellen. Erst als ich die Flüssigkeit
durch Salmiak leitend gemacht, trat Gasentwickelung ein und ich hatte das Vergnügen,
den energischen Einfluß derselben auf den siedenden Methylalkohol zu erfahren. Das
Sieden erfolgte mit solcher Heftigkeit, daß der größere Theil des Kolbeninhaltes,
von den Dämpfen mitgerissen, aus dem Kolben geworfen wurde. Wurde die Flüssigkeit
auf einige Grade unter dem Siedepunkte abkühlen gelassen, dann von Neuem die Kette
geschlossen und wieder erhitzt, so trat ein regelmäßiges Kochen ein. Der Dampf
bildete sich an den Polenden in Form kleiner, fast gleich großer Bläschen, deren
Anzahl mit der Stärke der Flamme wuchs. Nachdem ich auf diese Weise festgestellt,
daß durch das Einschalten der Flüssigkeit in den elektrischen Strom das Stoßen
vollkommen beseitigt wird, war es meine Sorge, den elektrischen Strom auf eine
einfache handliche Art einzuführen. Für Methylalkohol bediente ich mich zweier
Kupferdrähte; beide waren an ihrem Ende zu einem 2 Centm. langen Häkchen umgebogen,
welches am Amboß ausgeplättet wurde. Der zweite Draht wurde, um dieselben isolirt
einführen zu können, in ein schwaches Glasrohr gebracht und schließlich derart mit
Hülfe von schwachem Platin- oder Kupferdraht an dem ersten unverrückbar
befestigt, daß die glatten Enden der Drähte einander ganz nahe gegenüber und
parallel standen, ohne sich jedoch zu berühren. Senkt man diese einfache Vorrichtung
in eine Flüssigkeit ein, so daß die glatten Häkchen dem Boden des Gefäßes recht nahe
kommen, während das andere Ende außerhalb des Gefäßes liegt und mit den
Leitungsdrähten einer galvanischen Kette verbunden wird, so tritt, wenn die
Flüssigkeit leitend ist, Gasentwicklung ein, die, so lange sie andauert, das Stoßen
der siedenden Flüssigkeit völlig verhindert. Für Schwefelsäure sind statt der
Kupferdrähte natürlich Platindrähte zu nehmen; doch hat man wegen des großen
Leitungswiderstandes starke Drähte zu wählen. Es ist nicht nothwendig, das untere
Ende derselben auszuplätten; es genügt, den einen Draht zu einer kurzen
federkielstarken Spirale zu drehen und in diese den zweiten Draht zu stecken.
Selbstverständlich dürfen sich auch hier die Drähte nicht berühren. Man verschafft
sich davon ganz rasch die
Ueberzeugung, indem man, während der genügend starke Strom durchgeht, das Ende in
angesäuertes Wasser steckt.
Was die Stärke des zur Verhinderung des Stoßens nöthigen Stromes anbelangt, so
richtet sich dieselbe nach der Leitungsfähigkeit der betreffenden Flüssigkeit, doch
reicht man mit einem Bunsen'schen Elemente gewöhnlicher
Größe in den meisten Fällen aus.
Um sich von der überraschenden Wirkung der durch den elektrischen Strom bewirkten
Gasentwickelung in siedenden Flüssigkeiten leicht zu überzeugen, ist es am besten,
eine verdünnte wässerige Lösung von Schwefelammonium mit einem Ueberschusse von
Salzsäure zu versetzen, um mit dieser Flüssigkeit den Versuch vorzunehmen. Jeder
Analytiker kommt häufig in die Lage, Flüssigkeiten ähnlicher Art, um
Schwefelwasserstoff zu vertreiben, längere Zeit kochen zu müssen. Namentlich in
nicht genug geräumigen Gefäßen gestaltet sich, das Stoßen derart unangenehm, daß die
Flüssigkeit aus dem Gefäße geworfen wird. Wenn man nun in dieser Flüssigkeit während
des Stoßens Wasserzersetzung eintreten läßt, so wird für 1 oder 2 Secunden das
Sieden explosionsartig, mildert sich dann aber, um einer regelmäßigen Dampfbildung
Platz zu machen. Ein in die Flüssigkeit eingebrachtes Thermometer zeigt constant den
Siedepunkt derselben, ohne, wie dieses in stoßenden Flüssigkeiten der Fall ist,
während der Ruhe in der Flüssigkeit höher zu steigen, um beim nächsten Stoß, bei
wiedereintretendem Sieden zu fallen.
Die Untersuchungen erstreckten sich auf folgende Flüssigkeiten: Methylalkohol,
Schwefelsäure, alkoholische Lösung von Eisenvitriol, in welcher durch die Einwirkung
der Luft sich basische Eisenoxydsalze ausgeschieden; alkoholische Kalilösung,
Salzsäure, verdünnte Schwefelsäure mit einer geringen Menge von schwefelsaurem
Bleioxyd versetzt und endlich die oben genannte Flüssigkeit, die man durch
Zersetzung einer verdünnten wässerigen Lösung von Schwefelammonium mit
überschüssiger Salzsäure erhält. Wie gesagt, hat man nichtleitende Flüssigkeiten
durch zweckmäßige Mittel leitend zu machen. Das gilt namentlich für Methylalkohol.
Für concentrirte Schwefelsäure genügt ein schwächerer Strom, ebenso für Salzsäure
und verdünnte Schwefelsäure. Der bei der Darstellung von reinem Eisenvitriol, durch
Fällung des unreinen, oxydhaltigen, aus der heiß gesättigten Lösung entfallende
Alkohol braucht, um durch Destillation wieder gewonnen zu werden, nicht mehr leitend
gemacht zu werden, da dieses die darin gelöste geringe Menge von Eisenoxydul-
und Oxydsalz schon thut. Namentlich für Alkoholwiedergewinnung aus verschiedenen
Rückständen ist das angegebene Mittel zur Verhinderung des Stoßens sehr zu
empfehlen, da derlei gemengte Rückstände während des Kochens Pulver ausscheiden, die in hohem Grade
Stoßen erzeugen und die Operation unangenehm, wenn nicht gefährlich machen.
Brünn, Laboratorium des k. k. technischen Institutes, den
30. April 1869.