Titel: | Das Patent von Gräbe und Liebermann für künstliche Darstellung des Alizarins. |
Fundstelle: | Band 193, Jahrgang 1869, Nr. XXXIV., S. 140 |
Download: | XML |
XXXIV.
Das Patent von Gräbe
und Liebermann für künstliche Darstellung des
Alizarins.
Aus der schweizerischen polytechnischen
Zeitschrift, 1869, Bd. XIV S. 70.
Gräbe und Liebermann's künstliche Darstellung des
Alizarins.
Dr. Quesneville theilt dieses
Patent seinem ganzen Wortlaut nach mit. Wir halten die Redaction der Beschreibung
des Verfahrens nicht für so bindend und das Verfahren selbst für noch so vieler
Modificationen bedürftig, daß wir glauben, vollkommen zu genügen, wenn wir die
Hauptzüge desselben hier wiedergeben.
Der Proceß zerfällt in drei Stadien:
1. Umwandlung des Anthracens in Oxanthracen oder
Antrachinon. – Das Anthracen oder Paranaphtalin ist ein Begleiter
des Naphtalins in den Destillationsproducten der schweren Kohlentheeröle, die über
300° C. übergehen. (Es bildet farblose perlmutterglänzende Schuppen, welche
bei 207° schmelzen und bei 320-330° C. sieden, ist in kaltem
Wasser und Alkohol fast unlöslich, in heißem Alkohol leicht, in Benzol und Aether ziemlich
leicht löslich. Zusammensetzung C²⁸ H¹º. Durch
Salpetersäure bildet es, wie durch andere Oxydationsmittel [siehe unten],
Oxanthracen = C²⁸ H⁸ O⁴.)
Für die Oxydation wurden von Gräbe und Liebermann drei Methoden vorgeschlagen:
a) Ein Gewichtstheil Anthracen und 2 Gewichtstheile
doppelt-chromsaures Kali werden mit Schwefelsäurehydrat bis zur Reduction der
Chromsäure erhitzt. Das Oxanthracen bleibt im ungelösten Zustande in der Masse.
b) Ein Gewichtstheil Anthracen, 50 Gewichtstheile
Eisessig und 2 Gewichtstheile Kalibichromat werden bis zur Zerstörung der Chromsäure
erhitzt. Ein Theil des Productes ist ungelöst, ein anderer gelöst in Essigsäure und
kann aus dieser durch Destillation gewonnen werden.
c) Man fügt zu einem Gemisch von 1 Anthracen in
krystallisirbarer Essigsäure einen Gewichtstheil starker Salpetersäure
tropfenweise.
(Das Oxanthracen stellt lange gelbliche sublimirbare Nadeln dar, welche in
Salpetersäure löslich, in Wasser und alkalischen Laugen unlöslich, in Alkohol schwer
löslich sind.)
2. Darstellung eines gebromten Substitutionsproductes.
– Zu diesem Ende wird entweder das Anthracen mit 2 Molecülen Brom, zehn
Stunden lang zwischen 80 und 130° im Digestor erwärmt und beim Oeffnen des
Apparates der entweichende Bromwasserstoff unter Wasser geleitet. Oder es wird
Anthracen bei gewöhnlicher Temperatur mit 8 Molecülen Brom zusammengebracht; das
achtfach-gebromte sauerstofffreie Product wird in einer alkoholischen
Kalilösung in vierfach-gebromtes und dieses durch Salpetersäure oder
doppelt-chromsaures Kali in zweifach-gebromtes sauerstoffhaltiges
umgewandelt.
C²⁸ H⁸ O⁴ wird zuerst C²⁸ H⁸
Br⁸, dann C²⁸ H⁶ Br⁴, endlich C²⁸
H⁶ Br² O⁴. Dieses letztere Bibromanthrachinon dient nun zur
dritten Operation. Man könne aber auch anstatt desselben das analog zusammengesetzte
Bichlor anthrachinon darstellen und verwenden.
3. Darstellung des Alizarins mittelst dieser Körper.
– Werden diese Körper bei 180-260° C. mit festem caustischem
Kali zusammengeschmolzen, so wird das Gemisch mehr und mehr blau. Erfolgt nicht mehr
Vermehrung der blauen Masse, so wird mit Wasser ausgesogen und das Alizarin mit
Säure als gelbe Flocken gefällt, die sich in einem zum Färben hinlänglich reinen
Zustande befinden. (Durch Moniteur scientifique) Es ist kaum der
gegenwärtige Zeitpunkt der richtig gewählte zur Beurtheilung der technischen
Tragweite dieser unter allen Umständen theoretisch äußerst wichtigen Entdeckung. Zur
obigen Patentbeschreibung macht Hr. Alfraise Bemerkungen,
welche wir theilweise für gegründet halten. Sie beziehen sich auf den Preis des
Productes. Angenommen, das seltenere Anthracen werde auf den Preis des Naphtalins
herabkommen, so sind krystallisirbare Essigsäure und chromsaures Kali und Brom so
theure Körper und die Operationen so umständlich, daß an der Concurrenzfähigkeit des
neuen Productes gegenüber dem natürlichen Krappfarbstoffe vor der Hand stark
gezweifelt werden darf. Man darf nicht vergessen, daß, wenn das erste Fuchsin zu
enormen Preisen verkauft wurde und diese günstige Lage es ermöglichte jahrelang an
der Ausbildung der Darstellungsmethoden zu arbeiten, man hier sich in ganz anderer
Lage befindet. Der Fabrikant künstlichen Alizarins hat von vornherein ein in
reichlichstem Maaße vorhandenes, in der Verwendung bekanntes Naturproduct als
Concurrent. Proben der Darstellung im Großen müssen außergewöhnlich große Kosten
veranlassen, die durch Verkauf des Productes nur zu einem sehr kleinen Theile
rückerstattbar sind.
Aber über allen derartigen, die ökonomische Seite der Sache berührenden Fragen steht
eine in unseren Augen viel wichtigere.
Wie steht es mit der Verwendbarkeit künstlichen Alizarins zu allen den Diensten, die
von den Krapppigmenten versehen werden? Es erheben sich hier eine Unzahl von
Zweifeln und Bedenken! Mit den in neuerer Zeit so zahlreich aufgetretenen
Krappextracten von E. Kopp, Rochleder, Pernod,
Meissonier, die zum Theil als beinahe reines Alizarin und Purpurin betrachtet
werden können, hat man es bis heute noch nicht dahin gebracht, sie in der
Türkischrothfärberei nützlich verwenden zu können, obschon nach anderer Richtung ein
großer Schritt für ihre Brauchbarkeit durch die Möglichkeit directen Aufdruckens
geschehen ist. Niemand kann zur Stunde die Rolle bestimmen, welche neben dem
Alizarin den anderen Krapppigmenten in der Türkischrothfärberei zukommt. Die
Ansicht, welche in der fleißigen Arbeit von Jenny
Bulletin de la Société industrielle de
Mulhouse, t. XXXVIII p. 747; September
und October 1868. hierüber ausgesprochen ist, beruht nicht auf entscheidenden Thatsachen, sie
ist lediglich eine Vermuthung. Es ist festgestellt, daß reines sublimirtes Alizarin
sich zum Färben wenig eignet. Was man über Fixirbarkeit, Avivirbarkeit, kurz über
Solidität der mit dem künstlichen Pigment gefärbten Stückchen Zeug vernimmt, die der
Berliner chemischen Gesellschaft vorgelegt wurden, ist viel zu unvollständig und unsicher,
als daß man hieraus eine klare Einsicht in diese Seite der Frage gewinnen könnte.
Wenn wir dem Ueberwinder aller dieser Schwierigkeiten nur unseren Glückwunsch und
Anerkennung großen Talentes aussprechen können, so halten wir die Erreichung des
Zieles dennoch in ziemlich ferne Zukunft gerückt.
Dr. P. Volley.