Titel: | Ueber die Fabrication des Stahles zu Feuerwaffen in den John Cockerill'schen Werken zu Seraing; von Adolph Greiner. |
Fundstelle: | Band 194, Jahrgang 1869, Nr. XXXIV., S. 119 |
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XXXIV.
Ueber die Fabrication des Stahles zu Feuerwaffen
in den John Cockerill'schen Werken zu Seraing; von Adolph Greiner.
Nach der Revue universelle des mines, tomes XXIII et XXIV, 5. et 6. livraisons 1868, p.
445. – Aus der berg- und hüttenmännischen Zeitung, 1869, Nr.
39.
Ueber die Fabrication des Stahles zu Feuerwaffen in
Seraing.
Die Stahlbereitung für Waffen durch den Bessemerproceß hat in Seraing seit kaum einem
Jahre begonnen.
Die staunenswerthe Leichtigkeit der Ausführung des Processes, die große Reinheit und
Homogenität der Producte, endlich auch die alle Erwartungen übertreffenden Resultate
der schärfsten Proben, welche mit stählernen Gewehrläufen in der königl.
Waffenfabrik zu Lüttich stattfanden – Alles das zusammengenommen hat die
Stahlfabrication in eine neue Bahn gebracht, welche derselben hoffentlich eine
glänzende Zukunft verheißt.
Die Anwendung des Bessemerstahles zur Waffenbereitung ist indessen keine Neuerung der
Cockerill'schen Werke, denn die Pariser Ausstellung
hat bereits Muster von solchen Waffen gebracht.
So sind z.B. die aus Neuberg in Stahl ausgestellten Proben nur durch Bessemern
dargestellt, ebenso wie auch die aus dem Stahl von Petin
Gaudet in Rive-de-Gier gefertigten Waffen nur aus
Bessemerstahl bestehen können, obwohl es nicht eingestanden worden ist.Für die Krupp'sche Fabrik in Essen dürfte ein
ähnliches Verhältniß in Betreff der Kanonenfabrication maßgebend seyn.
In Seraing beruht die Stahlfabrication für Waffen auf der gewissenhaften Anwendung
von drei Grundsätzen:
1) Reinheit des Productes,
2) Homogenität desselben,
3) Gewißheit der erhaltenen Qualität.
1) In Bezug auf die Reinheit des Stahles stellt man sich vom Hause aus so sicher als
möglich, dadurch, daß man nur ausgewähltes bestes Material verwerthet. Das Roheisen
ist fast nur aus Cumberländer Erzen dargestellt und es werden nur die besten Sorten
des Hämatiteisens angeschafft, z.B. Eleator – Harrington – Millom.
Jede Sendung ist deutlich bezeichnet, wird genau (?) analysirt und classificirt, um
dann mit Zusatz von Müsen'er Spiegeleisen in passender Mischung im Converter
verarbeitet zu werden. Nachstehende Analysen geben ungefähr einen Begriff der
Zusammensetzung der Materialien:
Textabbildung Bd. 194, S. 120
Bei dem Guß selbst beobachtet man die Vorsicht, von unten auf zu gießen, d.h. mit
unten angesetztem Einguß, um jede Mischung von Stahl und Schlacken zu vermeiden.
Sind Unreinigkeiten vorhanden, so bleiben dieselben auf dem angefüllten
Eingußtrichter stehen und die Oberfläche des Gusses ist dann so rein und so glatt
wie Quecksilber (!)
Diese Art zu formen und zu gießen verhindert auch noch das Vorherrschen der kleinen
Blasen und Löcher im Stahl, und gibt demselben eine größere Dichtigkeit, welche um
7–8 Proc. die des auf gewöhnliche Weise in Ingots gebrachten Stahles
übertrifft.
2) Die große Homogenität, welche für das Material der
Feuerwaffen verlangt wird, erreicht man durch eine innige Mischung des bereits
durchblasenen Roheisens und des Spiegeleisenzusatzes. – Diese Mischung ist so
homogen, daß verschiedene Versuchsproben desselben Gußblockes nie mehr als 0,02
Proc. Differenz im Kohlenstoffgehalt ergeben haben.
Auch Grüner in seinem bemerkenswerthen Buche über den
Stahl, Paris 1867, berichtet über Resultate, die man zu Terrenoire erhielt und
welche beweisen, bis zu welchem Grade die Gleichförmigkeit der Bessemerproducte
gehen kann.
Man findet daselbst S. 34–35 Vergleichungstabellen zweier Blöcke desselben
Gusses, die Zug- und Schlagproben ausgesetzt, eine große Uebereinstimmung in
den Resultaten zeigten und es geht aus dem Berichte über diese Experimente
hervor:
„A. Die praktische Identität zweier aus
demselben Abstrich entnommener Gußblöcke. Die Regelmäßigkeit ist besonders
merkwürdig bis zu
einer Belastung von 25 Tonnen = 50,000 Pfd. pro
Quadratzoll, welche gleichzeitig die Elasticitätsgrenze repräsentiren
dürfte.“
„B. Schlag- und Stoßversuche zeigen
eine ganz besondere Stetigkei und die Resultate sind in vollkommener Harmonie
mit denen des Druckes. Die beobachteten Biegungen lassen die Regelmäßigkeit in
der Qualität der Blöcke ganz besonders hervortreten.“
Die chemische Analyse, welche beweist, daß zwei Blöcke desselben Gusses vollkommen
gleichartig sind, würde eigentlich genügen, um diese Resultate zu garantiren; denn
es ist bekanntistbekannt, daß der Widerstand gegen Zug, Druck und Zerbrechen in allem Stahl durch
ein einfaches Gesetz, seinem Kohlenstoffgehalt entspricht.Sollte nicht, ganz besonders bei dem Bessemerrohstahl, der auf frischem Bruch
stets zweierlei Texturen, eine mittlere körnige und eine äußere strahlige,
zeigt, die Gleichförmigkeit chemischer Resultate sehr davon abhängig seyn,
daß die Probenahme stets an derselben Stelle des Bruches geschehe?Es scheint jedenfalls bedenklich, so ohne Weiteres eine Congruenz der
sämmtlichen in mehr oder weniger großer Form dargestellten Ingots eines
Gusses bezüglich ihrer chemischen Natur als selbstverständlich
anzunehmen.Die mit typischen Roheisensorten gemachten Erfahrungen sollten zur Vorsicht
auffordern, ehe eine gründliche Untersuchung des Rohstahles
stattgefunden. (Vorausgesetzt, daß der Gehalt an fremden Substanzen derselbe ist.)
3) Die Gewißheit eines bestimmten Kohlenstoffgehaltes im
erhaltenen Producte ist eines der schönsten Resultate der auf die Industrie
angewandten Wissenschaft.
Das Ende des Blasens, d.h. die vollständige Entkohlung des Roheisens wird durch das
Spectroskop so scharf angezeigt, daß Uneingeweihte ebenso gut das Ende des Processes
bestimmen können, als geübte Praktiker. (?)
Auf dem leuchtenden Grund des Flammenspectrums erscheinen directe Linien und Bänder,
sobald die Entkohlung mit dem ersten Durchströmen des Windes beginnt
Beim Verschwinden dieser Linien (sie verschwinden auch auf einmal plötzlich) hört die
Ursache ihres Erscheinens selbstverständlich auf und das Metallbad ist völlig
entkohlt. Dieses Phänomen ist daher sehr leicht zu constatiren.
Deßhalb ist das Spectroskop in einem täglichen Gebrauch in den Werken der
Gesellschaft Cockerill. Ist das Metall bis zu diesem
Punkte entkohlt, so wird die abgewogene Menge Spiegeleisen wieder hinzugesetzt, die
Mischung ausgeführt und der Stahl gegossen, wie wir weiter oben gesagt haben.
Da jeder Guß analysirt, d.h. auf seinen Kohlengehalt untersuch wird, so besitzt man eine
constante Controlle des guten Ganges der Operationen – auch werden
Bruch- und Biegeproben mit einem Probe-Ingot jeden Gusses angestellt
und es sind Grundlagen genug vorhanden, um einen regelmäßigen Betrieb zu
unterstützen.
Wir nehmen an, daß der Stahl für Gewehrläufe 0,24–0,34 Proc. Kohle enthalte
und daß eine solche Zusammensetzung einer Festigkeit von 48–56 Kilogrm. pro Quadratmillimeter entspreche.
Nachstehende Proben sind zufällig aus vielen ausgewählt:
Textabbildung Bd. 194, S. 122
Die Cockerill'schen Stahlhütten haben noch jüngst starke
stählerne Gürtel für eine neue Kanone des Systems Neuens
geliefert, welche aus Bessemerstahl gegossen und wie Bandagen ausgeweitet und
gewalzt wurden. Es waren deren 17, von der folgenden für Gewehrläufe passenden
Zusammensetzung:
Nummern
2321
2322
2323
2324
––––––––––––––––––––––––––––––––
Kohlenstoff
0,31
0,30
0,25
0,31 Proc.
Bei den Schießversuchen auf dem Lager zu Braisschaet zeigte diese gußeiserne, mit
Stahl gegürtete Kanone günstigere Eigenschaften, als eine ebenso construirte Krupp'sche Gußstahlkanone – und ähnliche Versuche
in Frankreich ergaben dasselbe Resultat zu Gunsten gußeiserner, mit heißaufgezogenen
Stahlringen versehener Geschütze.
Was die Ausführung der Proben auf Kohlenstoff anbetrifft, so bedient man sich der Eggertz'schen calorimetrischen Methode nach folgenden
Grundsätzen. Man löst zwei Proben desselben Stahlstaubes (gebohrt oder gefeilt), je
0,2 Gramme wiegend, in Probegläsern, welche circa 20
Kubikcentimeter Salpetersäure von 1,2 spec. Gew. enthalten.
Die Lösung wird bei 80° C. 4 Stunden lang im Wasserbad ausgeführt und
erhalten; dabei nimmt sie den braungelben Ton an, auf dessen Vergleich sich das
Verfahren gründet.
Man macht sich zu dem Behuf zwei Probeflüssigkeiten, indem
man je 0,2 Gramme Stahl von bekannter Beschaffenheit, z.B. von 0,61 und 0,63 Proc.
Kohlenstoffgehalt, in derselben Weise behandelt, wie oben angedeutet ist.
Man verdünnt alle vier Lösungen mit destillirtem Wasser so lange, bis sie einerlei Farbenton
besitzen, und mißt dann die Volumina derselben auf das Genaueste.
Findet man z.B. die Probeflüssigkeiten mit bekanntem Gehalte
A = 252 K. C.
mit 0,61 Proc. C
B = 260 K. C.
„ 0,63 „ C
die neuen Lösungen
a = 142 K. C.
b = 144 K. C.,
so kann man den Gehalt von a
und b durch Rechnung finden
– da die Erfahrung gezeigt hat, daß bei salpetersauren Stahllösungen
innerhalb gewisser Grenzen ein bestimmtes Verhältniß zwischen deren Farbenton und
dem Kohlenstoffgehalt stattfindet.
Der Gehalt von A würde
seyn
=
(142 × 61)/252
= 34,33,
der von b dagegen =
(144 × 63)/260
= 34,90,
–––––––––
Das Mittel beider Versuche ergibt
= 34,615, also 0,346 Proc. C.
Schließlich mag noch zwischen dem Tiegelgußstahl und dem Bessemerstahl ein Vergleich
stattfinden in Betreff der Gleichmäßigkeit der Producte.
Bei einer Lieferung von 100,000 Gewehrläufen, welche eine Gußstahlmenge von rund
400,000 Kilogr. beansprucht, sind in einer Bessemerhütte 70 Chargen nothwendig, in
einer Tiegelgießerei dagegen wenigstens 13,000 Güsse in Tiegeln à 30 Kilogr. Einsatz oder falls man annimmt, daß
die vier Gefäße eines Ofens genau gleich beschickt worden wären (was nicht immer
wahrscheinlich ist), 3250 Güsse.
Eine Untersuchung der 70 Chargen kann bequem ausgeführt werden, während sich
Jedermann die Verwirrung denken kann, welche aus dem Probiren von 3250 Stahlsorten
factisch hervorgehen würde.
Geschrieben Seraing, den 5. Februar
1869.