Titel: | Ueber den Weizen und das Weizenbrod; von H. Mège-Mouriès. |
Fundstelle: | Band 194, Jahrgang 1869, Nr. XL., S. 154 |
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XL.
Ueber den Weizen und das Weizenbrod; von
H.
Mège-Mouriès.
Aus den Comptes rendus, t. LXVIII p. 933; April
1869.
Mège-Mouriès, über den Weizen und das
Weizenbrod.
Ich habe seit 1855, indem ich meine Untersuchungen über die chemische Wirkung der
organisirten Gewebe auf den Weizen anwendete, nachgewiesen: 1) daß das Schwarzbrod
eine braune Substanz, Milchsäure, Glykose, Dextrin etc. enthält, welche von der
Veränderung eines Theiles des Mehles herrühren; 2) daß keines von diesen Producten
ursprünglich in dem Korn vorhanden ist; 3) daß dieselben durch die complicirte
Wirkung eines besonderen, von mir Cerealin genannten
Fermentes gebildet werden; 4) daß man, indem man die Wirkung dieses Fermentes
verhindert, kein Schwarzbrod, sondern nur noch Weißbrod erhält, welches besser als
das gewöhnliche Weißbrod ist.
Nach diesen Beobachtungen führte ich ein Verfahren zur Brodbereitung in die Praxis
ein, welches auf die Eigenschaft der Hefe gegründet ist, das Cerealin, wenn dasselbe
einer in voller alkoholischer Gährung befindlichen Flüssigkeit hinzugesetzt wird,
gleichfalls in Hefe zu verwandeln. Dieses Verfahren wurde von der (französischen)
Akademie gutgeheißen (man vergleiche Chevreul's Bericht
vom 12. Januar 1857 im polyt. Journal Bd. CXLIV S.
209).
In England und in Deutschland ging man dann unmittelbarer auf das Ziel los, indem man
jede Art von Gährung durch directe Beimischung von Kohlensäuregas zum Brodteige
(oder durch Entwickelung dieses Gases im Brodteige selbst mittelst
zweifach-kohlensauren Natrons und Salzsäure) ersetzte.
In Paris mußte mein Verfahren für die Praxis in der Art abgeändert werden, daß der
Sauerteig mit allen seinen Nachtheilen beibehalten wurde; so wollte es die Routine.
Nach der neuen Backmethode mit Sauerteig liefert die Stadt Paris der Armenverwaltung
und den Pariser Arbeitern täglich 25000 Kilogr. eines Brodes, welches sicherlich
besser ist als das Bäckerbrod.
Im allgemeinen Interesse theile ich nun einen kurzen Auszug aus einem Bericht mit,
welchen Hr. Husson an den Seine-Präfect über die
in seiner Verwaltung von 1852 bis 1869 eingeführten Verbesserungen erstattete. Es
heißt in diesem Berichte: „Eine der interessantesten Anwendungen neuer
Erfindungen, welche in der Anstalt „Scipion“ gemacht wurde,
ist die des Backverfahrens von Mège-Mouriès.“
„Dieses Verfahren wird seit vier Jahren für die ganze Brodfabrication der
Anstalt angewendet, ohne daß der Farbeton des Brodes ein anderer geworden wäre,
und es hat befriedigende Ergebnisse geliefert, obgleich dieselben hinter den
gehegten Erwartungen zurückblieben. Die mit dieser Brodbereitungsmethode
erzielte Ersparniß beträgt etwas über 1 Centime per
Kilogr.; überdieß konnten wir das Schwarzbrod, welches in den großen Spitälern
für bejahrte Leute verbraucht wurde, durch Weißbrod ersetzen.“
Diese Resultate sind ohne Zweifel befriedigend; sie stehen jedoch mit den von Chevreul, vom Kriegsministerium und vom General Favé
Moniteur universel; 1860. erstatteten Berichten nicht ganz im Einklange. Im Interesse der allgemeinen
Industrie und der Wohlthätigkeits-Anstalten, welche das gute Beispiel des
„Scipion“ nachahmen wollen, gebe ich im Nachstehenden die
Ursachen dieser Nichtübereinstimmung in Kürze an:
1) Die Prüfungs-Commissionen haben stets die Eigenschaft des Embryonalgewebes
benutzt, das Salzwasser nicht in das Innere des Getreidekornes dringen zu lassen,
wodurch die äußeren elastischen Hüllen befähigt werden ein schärferes Mahlen zu
ertragen, so daß die Frucht einen reichlicheren Mehlertrag liefert.Mémoires de la Société
impériale et centrale d'Agriculture; 1860.
2) Man darf nicht aus dem Auge verlieren, daß im „Scipion“ vor
der Einführung des neuen Verfahrens hartes und halbhartes Getreide vermahlen wurde.
Da diese nun einen größeren Mehlertrag geben als weiche Frucht, so können die
vergleichenden Zahlen nicht genau seyn.
3) Durch Verabreichung von Weißbrod anstatt des Schwarzbrodes an die bejahrten
Hospitaliten gibt man denselben in Wirklichkeit eine größere Brodmenge, weil das
Schwarzbrod stets einen größeren Wassergehalt hat als das Weißbrod. Dieß ist ohne
Zweifel eine Wohlthat, welche jedoch in Rechnung gezogen werden muß.
4) Schließlich erinnere ich, daß die Prüfungs-Commissionen – in
Uebereinstimmung mit der allgemeinen Praxis – festgehalten haben, daß es bei
Anwendung des gewöhnlichen Verfahrens unmöglich ist, aus Mehl, welches über 70 Proc.
hinaus ermahlen wurde, Brod erster Qualität herzustellen; die ökonomische Differenz
ist daher auch von dieser Zahl ab berechnet worden.
Wie man sieht, ist die erwähnte Nichtübereinstimmung in den Resultaten nur eine
scheinbare; ich theile daher im Folgenden eine summarische Beschreibung des
Verfahrens mit:
Man feuchtet das Getreide mit 2 bis 5 Procent einer gesättigten Kochsalzlösung an;
dadurch sind nur die äußeren Hüllen nach einigen Stunden feucht und elastisch
geworden. Dann bringt man die Frucht zwischen halbgestellte Mühlsteine und separirt
70 Proc. Mehl ohne Cerealin, nebst 10 bis 14 Proc. Gries. Letzterer wird zwischen
zwei leichten Steinen zerquetscht und hernach durch VentilationIm „Scipion“ benutzt man dazu den Ventilator von Perigault. von dem größeren Theile der Hüllentrümmer befreit.
Zur Bereitung des Brodes macht man alle Sauerteige aus dem zu 70 Proc. ausgemahlenen
Mehl und fügt dem weichen Teige zuletzt den Gries hinzu, welcher ungeachtet seines
geringen Rückhaltes an Cerealin kein Schwarzbrod erzeugen kann, weil in diesem
Momente die Zeit zur Umwandlung jenes Stoffes in Ferment nicht hinreicht. Auf diese
Weise erhält man Weißbrod mit dem ganzen Mehlgehalt des Kornes (80 bis 82
Procent).
Im „Scipion“ hat man auf meine Anempfehlung Versuche gemacht,
das Mehl mit dem Griese zu vermengen, was stets ausführbar ist, wenn man hinreichend
genaue Vorrichtungen besitzt, um den Gries von dem größten Theile des ihn
bedeckenden Embryonalgewebes zu befreien.
Wie man sieht, bricht sich mein Verfahren zwar langsam, aber sicher Bahn und ich
hoffe, daß eines Tages durch unveränderte Anwendung desselben (wie es in dem
Berichte von Chevreul beschrieben ist) das wahrhafte
Normalbrod geliefert werden wird, welches seinen natürlichen Geschmack und alle
nährenden Eigenschaften des Kornes besitzt.