Titel: | Neueres über das künstliche Alizarin; von Dr. P. Bolley. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XXI., S. 77 |
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XXI.
Neueres über das künstliche Alizarin; von Dr.
P.
Bolley.
Aus der schweizerischen polytechnischen Zeitschrift, 1869,
Bd. XIV S. 145.
Bolley, über künstliches Alizarin.
Wir haben seiner Zeit das ursprüngliche Patent von Gräbe
und Liebermann zur Darstellung künstlichen Alizarins
mitgetheiltPolytechn. Journal Bd. CXCIII S.
140. und an diese Mittheilung einige Bemerkungen und Bedenken geknüpft, die dem
damaligen Stande der Sache entsprachen. Ein wichtiger Theil dieser Bedenken ist nahe
an dem Punkte, als gehoben betrachtet werden zu können. Die Frage der
Herstellungskosten kommt dadurch in ein anderes Licht, daß sowohl Gräbe und Liebermann selbst,
wie auch andere Chemiker und chemische Fabrikanten bereits die Anwendung der theuren
Hülfspräparate, wie Essigsäure und Brom umgangen haben.
Wir haben von dreierlei Versuchen, ein chemisches Product an der Stelle der
Krappfarbstoffe einzuführen, zu sprechen.
a. Ist uns von den Herren Gräbe und Liebermann versichert, daß sie
demnächst ein nicht nach ihrem Patent dargestelltes Product in den Handel bringen
werden, das sich bis jetzt als ein vorzügliches zu bewähren scheinen wolle. Diese
Patentträger und eigentlichen Entdecker des künstlichen Alizarins stehen in
Verbindung mit der Mannheimer Anilinfabrik und von dort aus sind die versprochenen
Producte in nächster Zukunft zu erwarten.
b. Es haben in Frankreich die Herren S. Brönner und H. Gutzkow unterm
29. Mai 1869 ein Patent genommen auf Darstellung künstlichen Alizarins aus
Anthracen, welches sich vielfach von dem Gräbe's und Liebermann's unterscheidet und im Wesentlichen wie hier
folgt beschrieben ist:
1) Es wird zur Darstellung des Anthracens im Großen der
sogenannte Asphalt der zu Trottoiren dient, mit überhitzten Dämpfen einer
Destillation unterworfen, und das Destillat rectificirt oder umsublimirt.
2) Das Anthrachinon (Oxyanthracen) wird aus Anthracen durch
Erwärmen mit dem doppelten Gewicht Salpetersäure von 1,3–1,5 spec.
Gewicht bereitet.
3) Das Anthrachinon wird in Schwefelsäure unter Erwärmung gelöst,
dann salpetersaures Quecksilberoxydul zugesetzt. Das entstehende Product wird in Alkali
gelöst, filtrirt und daraus durch eine Säure niedergeschlagen. Der Niederschlag
soll Alizarin und Purpurin in wechselnden Mengen enthalten.
Es scheint, daß im Laboratorium von Dr. Petersen in Frankfurt a. M. von den Patentträgern über
diese Materie gearbeitet wurde. Nach einer in Innsbruck in der chemischen Section
der deutschen Naturforscherversammlung von Herrn Petersen
gemachten Andeutung wäre es bis jetzt den genannten Chemikern nicht gelungen,
Purpurin zu erhalten, eine Mittheilung die mit dem Wortlaut des Patentes in
Widerspruch steht. Im Moniteur scientifique schlich sich
der Irrthum ein, dieses beschriebene Präparat werde in der Fabrik der HHrn. Meister, Lucius u. Comp. in
Höchst bei Frankfurt a. M. gemacht. Ueber das, was dort fabricirt wird, ist
Folgendes zu berichten.
c. Es war dem chemisch-technischen Laboratorium
des schweizerischen Polytechnicums Ende August durch Hrn. Riese, Chemiker in der Höchster Fabrik, eine Blechbüchse mit 500 Grammen
künstlichem Alizarin zugekommen, mit dem Ersuchen, praktische Proben damit
vorzunehmen. In der Hauptsache ergab sich aus diesen das Folgende:
Das Präparat hatte etwa 6 Proc. Trockengehalt, es ist eine braungrüne dünne Paste.
Nach dem Eintrocknen der Sublimation unterworfen, liefert es ein ziegelrothes
Sublimat in langen spießigen Krystallen und hinterläßt viel Unverbrennliches,
gemengt mit einer glänzenden Kohle. Die Asche enthält viel Eisen.
Das Sublimat löst sich in Aetznatronlauge mit stark blauvioletter Farbe und die
Lösung gibt einen blauvioletten Niederschlag mit Chlorbaryum. Dieser verhält sich
dem mit reinem sublimirtem Alizarin aus Krapp hervorgebrachten Niederschlag sehr
ähnlich. Die ammoniakalische Lösung und der mit ihr erhaltene Niederschlag zeigt
ebenfalls wenig Unterschied von den analogen Präparaten aus Krappalizarin. Das
Sublimat des Höchster Alizarins mit heißer Alaunlösung gekocht gibt etwas an
dieselbe ab; nach dem Erkalten der heiß filtrirten Lösung bleibt aber sehr wenig
gelöst, sie trübt sich sehr stark. Nach dem Wiederfiltriren bleibt eine nur ganz
blaß rosafarbene Lösung. Aus diesen Versuchen wurde geschlossen, daß das Sublimat
hauptsächlich aus Alizarin bestehe, dem nur wenig Purpurin beigemengt seyn
könne.
Um hierüber genaueren Aufschluß zu erhalten, wurde vor der Veröffentlichung dieser
Notiz nochmals von dem Alizarin sublimirt, und das Sublimat vom ersten Assistenten
des Laboratoriums, Dr. Tuchschmid, der Elementaranalyse unterworfen.
Es ergab das zuerst sublimirte die Resultate I, das später sublimirte die Resultate
II und III.
I.
II.
III.
C =
69,29
66,04
66,46
H =
3,38
3,28
3,37
Das Purpurin nach der von Schützenberger angenommenen
Formel
C⁴⁰H¹²O¹⁴ erfordert
C = 65,93
H = 3,29.
Das Alizarin, bei 100°C. getrocknet, enthält im Durchschnitt
nach den Analysen von Schunck
C = 69,13
H = 4,03
nach denjenigen von Bolley und Rosa
C = 69,54
H = 3,75.
Daraus ersieht man:
1) daß die Analysen des Sublimates aus künstlichem Alizarin
sämmtlich zwischen die des Alizarins und Purpurins fallen, und
2) daß die des zuerst gebildeten Sublimates dem Alizarin, die des
später sublimirten Körpers dem Purpurin näher kommen,
und es wird hierdurch in hohem Grade wahrscheinlich, daß dem
künstlichen Alizarin Purpurin oder ein dem Purpurin ähnlich zusammengesetzter Körper
beigemengt ist.
Beide Körper, Alizarin und Purpurin, verdunsten bei ungefähr 140°C. schon
ziemlich stark und was sonst über die Sublimationstemperatur derselben berichtet
wird, ist nach unserer Erfahrung sehr unsicher. Es scheint jedoch nach dem Obigen,
daß das Alizarin etwas leichter sich verflüchtige als das Purpurin, eine Meinung,
für die freilich genauere Nachweise zu erbringen sind.Es war bis jetzt nicht möglich, Trennungsversuche mit einer hinreichenden
Menge des sublimirten Körpers vorzunehmen.
Beim Färben, d.h. bei einer Vegleichung des Verhaltens des künstlichen Alizarins und
Krappalizarins zeigte sich:
1) daß das erstere nach dem völligen Eintrocknen (was zu
genauerer Bestimmung des Verbrauches vorgenommen wurde) und Wiederlösen sich
weniger vortheilhaft verhält, als wenn es in der Form, in welcher die Fabrik in
Höchst es lieferte, genommen wurde;
2) daß es (auf trockenes berechnet) wenigstens die
anderthalbfache Färbekraft des „Alizarine
verte“ besitzt, mit welchem gleichzeitige Färbeversuche
vorgenommen wurden;
3) daß es sehr schnell die gebeizten Stellen färbt und auch etwas
mehr in die ungebeizten einschlägt als das Alizarine
verte;
4) daß das Roth nach dem Aviviren ein äußerst feuriges und reines
wird;
5) daß das Violett nach dem Aviviren etwas in's Grauviolett
umschlägt, während Braun (Puce) und Schwarz sehr gut stehen;
6) daß die Farben an Aechtheit den aus Krapp erzeugten kaum
nachstehen.
Im Moniteur scientifique vom 15. September 1869 finden
sich einige Versuche von Hrn. Alfraise mit dem gleichen
Präparate vorgenommen. Er fand, daß die alkalischen Lösungen eine zwischen die
analogen Lösungen des Alizarins und Purpurins fallende Färbung zeigen (die unseren
nähern sich sehr denen des Alizarins) und daß die in Ammoniak keinen Baryt-
oder Kalklack bilden (wir fanden im Gegentheil, daß sich leicht Lacke bilden) und
daß der Barytlack aus kalischer Lösung nicht so blau sey, wie der mit reinem
Alizarin, was auch wir bestätigen können.
Vielleicht leiten sich diese Differenzen davon ab, daß Hr. Alfraise mit dem unmittelbar aus der Fabrik gelieferten Körper seine
Versuche anstellte, während wir uns des Sublimates daraus bedienten.
Derselbe versuchte das Verhalten dieser grünbraunen Substanz bei Einwirkung von
Salpetersäure festzustellen und folgert daraus, daß sein Bestreben, Phtalsäure und
deren Derivate zu erhalten, negativ ausfiel, die fragliche Substanz sey weder
Alizarin noch Purpurin. Wir halten diesen Schluß für nicht gerechtfertigt, denn es
scheint uns das genannte Material (was man unbedenklich ein rohes Product nennen
darf) nicht geeignet, um glatte Reactionen zu erhalten.
Das Nichtauftreten von Pikrinsäure gibt Hrn. Alfraise die
Meinung, der neue Körper sey weder Coralin noch Rosolsäure, eine Meinung, zu welcher
man indeß auf unzähligen anderen Wegen gelangen muß.
Hr. Camille Köchlin in Mülhausen (Elsaß), welcher von dem
Redactor des Moniteur scientifique künstliches Alizarin
aus der Fabrik von Meister-Lucius erhalten hatte,
findet, daß die alkalischen Lösungen sich denen des Purpurins ähnlicher verhalten,
ohne daß die Substanz Purpurin ist. Er findet, das pastenförmige Alizarin habe die
fünffache Färbekraft des Krapps. Bei den in viel kleinerem Maaßstab vorgenommenen
Versuchen des Verfassers stellt sich dieselbe etwas minder günstig. Auf trockene
Substanz bezogen dürfte aus der Vergleichung mit Alizarine
verte gefolgert werden, daß das künstliche Präparat wenigstens die 1 1/2
fache Färbekraft des letzteren habe. Alizarine verte hat
aber die 18–20fache des Krapps und das Höchster Präparat hat etwa 6 Proc. Trockengehalt.
Es wären unter diesen Annahmen nach Köchlin äquivalent
100 künstliches Alizarin in Paste mit 500 Klapp oder 25 bis 28 Alizarine verte. 100 künstliches Alizarin sind aber =
6–7 trockener Substanz. Darum entsprechen 6–7 Trockensubstanz des
neuen Präparates 25–28 Alizarine verte, das hieße
dem Vierfachen. Ueber diese Punkte können nur zahlreiche
und variirte Versuche entscheiden.
Im Moniteur scientifique vom 1. October 1869 finden sich
Färbeproben mit 1) dem Alizarin von Meister-Lucius, 2) mit Krapp, 3) Garancin, 4) sublimirtem Alizarin und
5) sublimirtem Purpurin auf gebeiztem Baumwollestoff.
Wir halten diese Versuche bei dem heutigen Stande der Sache für werthvoll, obschon
wir nur dann denselben volle Zuverlässigkeit und Verwendbarkeit zu Schlüssen
beilegen könnten, wenn die genommenen Mengen der einzelnen Präparate dazu angegeben
wären. Daß man mit Garancin viel sattere und charakteristischere Farben in Violett
und Rosa hervorzubringen vermag, als die auf der Köchlin'schen Musterkarte enthaltenen, kann diesem gewandten Fabrikanten
selbst unmöglich entgangen seyn. Mit diesen Andeutungen wollen wir nur sagen, daß
wir noch ferne sind von der Fixirung der technischen und ökonomischen
Leistungsfähigkeit des neuen Präparates. Wenn die Zusammensetzung desselben noch
sehr wenig aufgeklärt ist, so sind wir doch einstweilen der Meinung, die HHrn. Alfraise und Köchlin hätten
der Sache nicht den richtigen Ausdruck gegeben, wenn sie sagten, es sey das Meister-Lucius'sche Präparat weder Alizarin noch Purpurin; wir glauben
vielmehr, daß unzweifelhaft Alizarin ein Hauptbestandtheil desselben ist, neben dem
aber Purpurin oder ein purpurinähnliches Pigment sich findet. Es hat die Annahme,
daß sich bei den Umwandlungsprocessen des Anthracens verschiedene mit einander
verwandte Pigmente bilden, gewiß nichts Unnatürliches, – man denke nur an den
Fuchsindarstellungsproceß.