Titel: | Ueber die möglichen Ursachen der Dampfkessel-Explosionen; von Dr. H. Schröder. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. XXV., S. 98 |
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XXV.
Ueber die möglichen Ursachen der
Dampfkessel-Explosionen; von Dr. H. Schröder.
Schröder, über die Ursachen der
Dampfkessel-Explosionen.
Einem Vortrage, welchen der Genannte in einer Versammlung des Mannheimer
Ingenieur-Vereines gehalten hat, entnehmen wir Folgendes:
Es ist kein Zweifel, daß sehr heftige Explosionen eintreten können lediglich in Folge
unmäßiger Feuerung bei zu langsamem Abflusse der Dämpfe. Sie haben nichts
Geheimnißvolles. Ebenso können heftige Explosionen veranlaßt werden durch
ungenügende Festigkeit oder durch Schadhaftigkeit der Kessel selbst. Es kommen in
der Praxis so viele Unordnungen und fehlerhafte Einrichtungen vor, daß, wer sich mit
der Kesselrevision beschäftigt, sich wohl verwundern mag, weßhalb nicht mehr Kessel
explodiren, als wirklich der Fall ist. Dennoch haben die meisten Explosionen noch
etwas Geheimnißvolles; es ist dabei noch manches der weiteren Aufklärung bedürftig.
Sowohl die Physiker als die Ingenieure sind nun wohl großentheils darüber einig, daß
die eigentlichen Explosionen nicht auf Druck-,
sondern auf Stoßwirkungen zurückzuführen seyen. Durch zu
hoch gespannten Druck des Dampfes reißt ein Kessel an der schwächsten Stelle, aber
er explodirt nicht. Durch Einpumpen von Luft bis zu 75 Atmosphären Spannung tritt
ebenfalls, wie Andrauld gezeigt hat, nur ein Bersten,
nicht ein Zerspringen des Kessels ein. Da indessen spröde Körper durch bloße Druckkräfte
wirklich explodiren, so dürfte auf das bloße Reißen der Kessel in Folge zu hoch
gespannten Druckes doch auch nur so lange zu zählen seyn, als die Bleche und ihre
Verbindungen gewissen Bedingungen der Zähigkeit und Elasticität entsprechen. Ich
sehe indessen hier von all' diesen Fällen ab, und will nur auf diejenigen
physikalischen Bedingungen näher eingehen, auf welche man die Ursache mancher
Explosionen zurückzuführen versucht hat.
Ich halte die Knallgashypothese, welcher Einzelne, wie z.B. Hipp, noch anhängen, für beseitigt. Es bleiben dann nur noch übrig die mit
dem sogenannten Leidenfrost'schen Phänomen, und die mit
dem sogenannten Siedeverzug oder der Ueberhitzung des Wassers zusammenhängenden
Wirkungen.
Ich will zunächst auf die ersteren näher eingehen, namentlich deßhalb, weil das Leidenfrost'sche Phänomen in derjenigen Form, in welcher
es in Dampfkesseln allein zur Wirkung kommen kann, wenig bekannt scheint. Die
Meisten kennen das Phänomen nur unter der Form des sogenannten sphäroidalen
Zustandes, welchen Boutigny wunderlicher Weise sogar zu
einem eigenen Aggregationszustande hat erheben wollen. Dieser sogenannte sphäroidale
Zustand tritt nur bei kleinen Flüssigkeitsmassen ein und ist keineswegs, wie man
irrthümlich annimmt, mit dem Leidenfrost'schen Phänomen
unzertrennlich verbunden.
Lassen wir also den sphäroidalen Zustand als ganz irrelevant bei Seite, und
beobachten wir vielmehr, wie heiße Flächen sich in Berührung mit erhitzten
Flüssigkeiten verhalten. Wir sehen durch angestellte Versuche, daß eine erhitzte
Fläche, wenn sie in kochendheißes Wasser getaucht wird, anfangs von dem Wasser nicht
benetzt wird. Eine rasch aufsprudelnde Dampfschicht trennt das Wasser von der heißen
Fläche. Erst wenn die heiße Fläche bis auf einen gewissen Grad abgekühlt ist,
beginnt plötzlich die Benetzung und schreitet unter Zischen und Spritzen längs der
erhitzten Fläche nach Maaßgabe ihrer Abkühlung fort. Der Moment der Benetzung ist
selbst an offener Luft, bei einer Atmosphäre Druck, von einer Erschütterung
begleitet. Bei 6 bis 8 Atmosphären Druck kann dieß natürlich viel weiter gehen.
Es ist wohl erlaubt, hierbei an das mancher Kesselexplosion nach amtlichen
Ermittelungen vorausgegangene Sausen und Erzittern oder Vibriren des Kessels
erinnert zu werden. Soll ich aber meine Meinung offen äußern, so geht sie gleichwohl
dahin, daß die Ursache von Kesselexplosionen nicht mit Wahrscheinlichkeit in diesem
Phänomen zu suchen ist, und zwar, weil wegen der kleinen specifischen Wärme und der
unbedeutenden Dicks des Kesselbleches die Quantität der entstehenden hochgespannten
Dämpfe nur eine sehr
geringe ist. Jedenfalls kann die Mehrzahl der Explosionen nur auf andere Ursachen
zurückgeführt werden.
Was den Siedeverzug oder die Ueberhitzung des Wassers betrifft, so hat man sich
bisher durchaus keine hinreichend klare Vorstellung davon gemacht, wie sie und unter
welchen Bedingungen sie in einem Dampfkessel auftreten könne. Gerade hierüber aber
glaube ich einige positive Aufschlüsse aus meinen Untersuchungen entnehmen zu
können.
An sich selbst ist die Ueberhitzung, wie ich schon erwähnt habe, nicht ein nur unter
besonderen Umständen, sondern ein nothwendiges und unter allen Umständen
auftretendes Phänomen; denn an der dem Feuer ausgesetzten Kesselwand entwickelt sich
die erste Dampfblase immer nur, wenn das Wasser über seinen dem Drucke
entsprechenden Siedepunkt erhitzt ist. An der oberen Grenze, da wo das Wasser mit
dem Dampfe in Berührung steht, sinkt diese Ueberhitzung auf einen verschwindend
kleinen Werth herab. Sie kann unter gewöhnlichen Umständen im Inneren der
Wassermasse eines in Gang befindlichen Kessels in der Regel nur Bruchtheile eines
Grades, höchstens ein paar Grade betragen, wenn das Wasser ziemlich luftfrei ist,
und ist in diesen Grenzen ganz unschädlich. Große Siedeverzüge, wie sie von Donny und Dufour bei
Experimenten in kleinem Maaßstabe beobachtet sind, können in einem im Betriebe
befindlichen Kessel sicherlich nicht vorkommen.
Schon aus den von Donny beobachteten großen Siedeverzügen
und der von ihm dabei angewendeten Form der Gefäße kann man jedoch, was bisher
meines Wissens noch nicht deutlich ausgesprochen und noch nicht hinreichend beachtet
worden ist, die Regel ableiten:
Jeder Dampfkessel muß eine solche Form haben, daß das heißeste Wasser stets durch
Aufsteigen an die Dampfgrenze gelangen könne. Eine von den Feuergasen berührte
Fläche darf nie eine höchste Stelle des Wasserraumes einnehmen; denn entweder
sammelt sich an einer solchen Stelle Luft, und das Blech brennt nach und nach durch,
oder sie kann, was jedoch selten eintreten dürfte, weil das Wasser immer lufthaltig
ist, zu bedeutenden Siedeverzügen Anlaß geben. An einem solchen Formfehler leiden
z.B. die bekannten Cornwallkessel.
Ich habe gesagt, in einem in geregeltem Betriebe befindlichen Kessel können keine
großen Siedeverzüge vorkommen. Ganz anders verhält sich jedoch die Sache bei
eintretenden beträchtlichen Druckverminderungen. Um ihre Bedeutung klar zu machen,
muß ich aber hier erst noch auf eine bisher gar nicht beachtete physikalische
Thatsache aufmerksam machen, die ich hundertfältig constatirt habe und die mir von
großer Bedeutung scheint, ja welche, wenn überhaupt Siedeverzüge zu Explosionen
Anlaß geben können,
wahrscheinlich von größter Bedeutung bei vielen vorkommenden Explosionen seyn
dürfte. Es ist die folgende:
Sowohl Luft- als Dampfblasen entwickeln sich, wie ich schon erwähnt habe,
nicht im Inneren des Wassers, sondern immer nur in Berührung mit schon gebildetem
Gas oder Dampf, und, in Ermangelung solcher, an der Kesselwand nur, wenn diese
beträchtlich heißer ist als das Wasser. Ist dieß nicht der Fall, so entwickeln sie
sich an der Kesselwand nur in Folge sehr beträchtlicher Druckverminderung und
folgeweise relativer Ueberhitzung des Wassers.
Beim gewöhnlichen Betriebe eines Kessels, oder auch wenn Abblasen eintritt, während
die Kesselwände heiß sind, entwickeln sich an ihnen sofort Dampfblasen, genau in
solcher Menge, bis das Wasser auf die dem vorhandenen Drucke entsprechende
Siedetemperatur abgekühlt ist; eine etwa eintretende Druckverminderung bleibt völlig
unschädlich.
Denken wir uns dagegen z.B. einen Kessel, welcher eine Zeit lang geruht hat; das
Feuer ist gedämpft; das Wasser hat ganz oder nahe die Temperatur der Kesselwand
angenommen. Wird nun beim Wiederingang setzen der Druck vermindert, so sprudelt das
Wasser anfangs nur an der Oberfläche, gerade wie warmes Wasser unter der Luftpumpe
nur an der Oberfläche Dampfblasen bildet. Die oberen Schichten des Wassers kühlen
sich dabei rasch ab, weil aber von unten keine Dampfblasen kommen, nicht das Wallen
des Kochens eintritt, sinken die abgekühlten oberen Schichten durch
Gewichtsdifferenz nur langsam unter. Wegen der äußerst raschen Ausströmung des
Dampfes nimmt der Druck schnell ab, und die relative Ueberhitzung der unteren
Schichten wird rasch sehr beträchtlich. Endlich in Folge bedeutend gesunkenen
Druckes tritt plötzlich die Blasenbildung an der Kesselwand, und damit die stoßweise
Entwickelung einer sehr großen Dampfmenge ein. Das Wasser wird mit der
Geschwindigkeit eines Geschosses gegen die Kesselwände geschleudert; der Kessel
explodirt, wenn diese den Stoß nicht aushalten.
Ich möchte daher zu erwägen geben, ob nicht eine wahrscheinliche Ursache zu vielen
Explosionen in dem Zusammenwirken der drei Umstände zu erkennen ist, daß a) das Wasser von hoher Temperatur, b) die Kesselwände aber nicht heißer oder nur wenig
heißer sind als das Wasser, und nun c) durch
Wiederingangsetzen, durch Oeffnen der Ventile, durch Abblasen oder durch Nachgeben
eines Kesselstückes eine rasche Druckverminderung eintritt. In solchem Falle sind
alle Umstände einer im Verhältnisse zum Drucke beträchtlichen Ueberhitzung des
Wassers und darauf plötzlich erfolgender copiöser Dampfentwickelung gegeben.
Ist nun meine Ansicht begründet, so ergibt sich daraus die merkwürdige und nach den bisherigen
Ansichten ganz unerwartete Folgerung: daß ein Abblasen des Dampfes am gefährlichsten
ist, wenn die Kesselbleche unter dem Wasserstande nicht mehr oder nicht mehr
genügend über die Temperatur des Wassers erhitzt sind, weil nur unter dieser
Bedingung die großen Siedeverzüge eintreten können; und die für die Praxis hieraus
sich ergebende Regel wäre: daß man sowohl bei zu hoch gespannten Dämpfen, als beim
Stillstellen erst abblasen und dann das Feuer dämpfen soll; daß man aber nicht erst
das Feuer dämpfen und dann abblasen darf.
Die Ansicht von der wahrscheinlichen Ursache mancher Kesselexplosionen, welche ich
ausgesprochen habe, und meine Ansicht von den dabei vorkommenden physikalischen
Bedingungen scheint mir um so mehr für sich zu haben, als sie ungezwungen auf die
Mehrzahl der bis jetzt näher bekannt gewordenen Explosionen anwendbar ist, und als
sie sofort begreiflich macht, weßhalb die Explosionen, wie dieß statistisch und
amtlich constatirt ist, am häufigsten beim Oeffnen der Ventile, beim
Wiederingangsetzen nach der Ruhe, bei unvorsichtigem Abblasen u.s.w. eintreten.
Ich möchte dieser Ansicht vorerst gleichwohl nur noch den Namen einer Hypothese
geben, welche anderweit auf experimentelle Probe zu stellen ist. Einstweilen scheint
es mir jedoch immerhin räthlich, in der Praxis die Regel, welche ich aufgestellt
habe, gewissenhaft zu befolgen.
Bewährt sie sich, so wird es leicht seyn, hieraus sowohl für die Form der Kessel, als
für ihre Behandlung noch weitere Versuchs- und Sicherheitsmaßregeln
abzuleiten. Schon Donny hat als ein Sicherheitsmittel
gegen Explosionen vorgeschlagen, unausgesetzt einen feinen Luft- oder
Dampfstrom durch das Kesselwasser zu leiten.Polytechn. Journal, 1847, Bd. CIII S. 75. Während des geordneten Betriebes ist dieß offenbar ganz überflüssig. Aber es
würde mir als ein gutes Sicherungsmittel erscheinen, wenn eine Vorrichtung
angebracht wäre, durch welche besorgt würde, daß im Moment des Abblasens, des
Oeffnens des Ventiles oder überhaupt einer eintretenden Druckverminderung ein feiner
Gasstrom, welcher vielleicht am zweckmäßigsten galvanisch erzeugt werden könnte, in
den unteren Theilen des Kesselwassers zur Entwickelung käme.
Ich möchte jedoch mit der Bemerkung schließen: wie weit man auch im Verständnisse der
Ursachen der Explosionen und der Mittel zu ihrer Verhütung kommen möge, in der
Praxis wird doch immer das Wichtigste seyn: eine gute Instandhaltung und eine
sorgfältige Revision der Kessel. (Nach der Zeitschrift des Vereines deutscher
Ingenieure.)