Titel: | Vorrichtung zur künstlichen Erhöhung der Gefälle bei Wasserrädern und Turbinen; von Nagel und Kaemp, Civilingenieure in Hamburg. |
Fundstelle: | Band 195, Jahrgang 1870, Nr. LII., S. 216 |
Download: | XML |
LII.
Vorrichtung zur künstlichen Erhöhung der Gefälle
bei Wasserrädern und Turbinen; von Nagel und Kaemp, Civilingenieure in Hamburg.
Aus der Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure,
1869, Bd. XIII S. 769.
Nagel und Kaemp, über künstliche Erhöhung der Gefälle bei
Wasserrädern und Turbinen.
Es ist bekannt, daß die mit niedrigen Gefällen arbeitenden Wassermühlen, namentlich
in den Niederungen Norddeutschlands, viel zu leiden haben durch den schädlichen
Einfluß, welchen der in wasserreicher Jahreszeit auftretende Wasserüberfluß und die
dadurch erzeugte Gefällverminderung ausüben.
Die im Herbste und im Frühjahre ankommenden Wassermengen sind an sehr vielen Orten so
groß und die zu ihrer Abführung dienenden Bäche und Flüsse so eng und vielfach
gekrümmt, daß der Wasserabfluß sehr bald hinter dem Wasserzufluß zurückbleibt und
daß demgemäß das Unterwasser rascher ansteigt als der Oberwasserstand, d.h. daß eine
Verkürzung des nützlichen Gefälles der Wasserräder resp. Turbinen resultirt.
Es ist diese Gefällreduction an vielen Orten thatsächlich so groß, daß eine große
Anzahl von Wassermühlen, welche bei mittlerer und trockener Jahreszeit reichliche
Wasserkraft besitzen, ihren Betrieb sehr geschwächt sehen oder gar ganz einstellen
müssen, sobald die nasse Jahreszeit eintritt. Wasserräder leiden in dieser Beziehung
doppelt, da sie das Waten im Unterstau gar nicht vertragen können; aber auch
Turbinen, welche bekanntlich vom Unterstau nicht beeinflußt werden, verlieren an
Betriebskraft, da das nutzbare Gefälle vermindert wird.
In einer i. J. 1867 von Mühlenbesitzern der Provinz Hannover abgehaltenen Versammlung
wurde die Frage über die Mittel zur Beseitigung des vorerwähnten schädlichen
Unterstaues bei Wassermühlen auf die Tagesordnung gesetzt und eingehend erörtert. Es
wurde bei dieser Gelegenheit in geeigneter Correction unserer Flüsse und in der
Anlage von Hülfswasserrädern, Hülfsturbinen und Hülfsdampfmaschinen das zur Zeit
einzige und wirksamste Mittel zur Vermeidung von Betriebsstörungen gefunden.
Schon in erwähnter Versammlung machten wir einen anderweitigen Vorschlag, welcher
damals allerdings nur flüchtige Idee war, den wir indessen seitdem immer weiter
verfolgt und nunmehr so weit durchgearbeitet haben, daß es uns im allgemeinen Interesse geeignet
scheint, damit an die Oeffentlichkeit zu treten.
Wenn man bedenkt, daß der vorerwähnte kraftverringernde Unterstau stets mit einem
effectiven Kraftüberfluß des Betriebswassers zusammenfällt, so liegt die Idee sehr
nahe: das in Uebermaaß vorhandene Betriebswasser mit dem ihm verbleibenden Gefälle
ganz direct zu benutzen zur Krasterhöhung der Wasserräder und Turbinen.
Das Wasserquantum, welches ein Wasserrad oder eine Turbine unter dem Einflusse eines
bestimmten Gefälles zu verwerthen vermag, ist nur ein begrenztes; ist man bei dieser
Grenze angelangt, so würde man zur Verwerthung noch größerer Wasserquantitäten die
Dimensionen oder die Zahl der Wasserräder resp. Turbinen vergrößern müssen, das
verursacht aber neben großen Kosten auch viele Mißlichkeiten im regulären
Betriebe.
Wir haben nun die Idee gefaßt, jenes in Uebermaaß vorhandene und sonst durch die
Freischleusen nutzlos abfließende Wasser ganz oder zum Theil zu benutzen, um durch
geeignete Vorrichtungen mit diesem Wasser das Unterwasser in den Kammern der
Wasserräder aufzusaugen, das Gefälle mithin künstlich zu
erhöhen.
Es mag dieß beim ersten Lesen sehr gewagt, schwierig oder complicirt erscheinen, in
Wahrheit ist die Methode wie ihre praktische Anwendung sehr einfach, so daß wir uns
überzeugt halten, es werde unser Vorschlag bald Verbreitung finden.
In welcher Weise herabfallendes Wasser zum Aufsaugen großer Nassermengen sich
unmittelbar verwerthen läßt, lehrt am Anschaulichsten die Nagel'sche Wasserstrahlpumpe zum Entleeren von Baugruben (polytechnisches
Journal, 1865, Bd. CLXXXVII S. 267). Wir begnügen uns hier daran zu erinnern, daß
bei derselben das herabfallende Wasser durch ein Rohr geleitet wird, an dessen
engster Stelle in Folge der dort erzeugten Wassergeschwindigkeit der hydraulische
Druck kleiner wird als der äußere Atmosphärendruck, daß
mithin an dieser engsten Stelle unter unmittelbarem und alleinigem Einflusse des
durchströmenden Betriebswassers eine saugende Wirkung
erzeugt wird, durch welche das Wasser aus der Baugrube aufgeholt und dem
Betriebswasser zugeführt wird. Wir erinnern auch kurz daran, daß schon bei der
ersten Nagel'schen Wasserstrahlpumpe die Saughöhe größer
ausfallen konnte als die Gefällshöhe des Druckwassers, und daß dieser Apparat in
ziemlich großen Dimensionen (das Saugrohr hatte 9 Zoll [235 Millim.] lichten
Durchmesser) ausgeführt war. Die Wirkung des Nagel'schen
Wassersaugapparates, obgleich in Folge mannichfacher, mit mangelnder Sachkenntniß
versuchter
Nachbildungen verkannt und unterschätzt, ist eine vorzügliche, wie wir aus den
vielfachen eigenen Anwendungen erfahren haben.
Bietet nun die Wasserstrahlpumpe ein bequemes Mittel, um die mechanische Arbeit
herabfallenden Wassers unmittelbar zum Aufsaugen großer Wassermengen zu verwenden,
so ist einleuchtend, daß derselbe Apparat in geeignet veränderter Form sich auch
verwerthen lassen muß, um die motorische Kraft des sogenannten Freiwassers der
Mühlen ohne Weiteres zu benutzen zum Aufsaugen des in den Wasserrad- und
Turbinenkammern aufgestauten Unterwassers, d.h. also einfach zum Vergrößern des
nutzbaren Gefälles der Wasserräder und Turbinen.
Denken wir uns beispielsweise eine unserer üblichen Freischleusen dahin abgeändert,
daß wir ihr die Form einer großen Wasserstrahlpumpe geben, und lassen wir das
Freiwasser durch diese Pumpe hindurchfließen, verbinden wir außerdem die untere
Radkammer der Wasserräder resp. Turbinen durch ein genügend weites Rohr oder durch
einen Canal mit der engsten Stelle der Pumpe, so wird die Wirkung des Freiwassers im
Saugapparat die seyn, daß das Wasser aus den Radkammern aufgesaugt und dem
Saugapparate zugeführt wird.
Sind die Radkammern gegen das Unterwasser hin abgeschlossen und wird von dem
Wasserrade resp. den Turbinen kein neues Wasser zugeführt, so wird die Strahlpumpe
einfach die Radkammern trocken legen, wie es die von uns mehrfach ausgeführten
kleinen, zum raschen Entleeren der Turbinenkammern bestimmten Saugapparate thun.
Sind die Wasserräder resp. Turbinen in Betrieb, so wird, bei abermals gegen das
Unterwasser geschlossen zu denkenden Radkammern, der Saugapparat das aus den Rädern
tretende Wasser fort und fort wegschaffen, und wird es leicht seyn, den Saugapparat
so anzustellen, daß er mehr Wasser fördert als die Turbinen ohne Aenderung des
Gefälles verbrauchen können. Die Wirkung ist alsdann die, daß der Unterwasserstand
in der Radkammer sinkt, so daß die Turbinen effectiv mit einem künstlich erhöhten
Gefälle arbeiten.
Sind wir in vorstehender Beschreibung aus Gründen der leichteren Verständlichkeit von
der Annahme ausgegangen, daß der zur Gefällerhöhung anzuwendende Saugapparat an
Stelle der Freischleusen liegen solle, so ist diese Lage keineswegs nothwendig. In
den meisten Fällen wird es sogar zweckmäßiger seyn, die ganze Saugvorrichtung
unmittelbar mit den Turbinen zu combiniren, also in die Turbinenkammer zu legen und
das Freiwasser über oder unter dem Turbinenrade strahlenförmig so austreten zu
lassen, daß die saugende Wirkung direct an den Austrittsöffnungen der Turbinen
erfolgt. Eine derartige Anordnung hat u.a. den großen Vortheil, daß sie sich bei bestehenden
Anlagen anbringen läßt und nur geringe Veränderungen der vorhandenen Baulichkeiten
veranlaßt.
Mag die Saugvorrichtung an der Freischleuse oder in der Radkammer liegen, immer wird
es dem Sachkundigen leicht seyn, den Saugapparat stellbar zu machen, so daß derselbe
auch kleine Quantitäten verfügbaren Freiwassers benutzen kann, um mit gutem
Wirkungsgrade das nützliche Gefälle der Turbinen oder Wasserräder zu erhöhen.
Zur klareren Veranschaulichung unserer Vorrichtung und deren Wirkungsweise geben wir
hier ein kleines Zahlenbeispiel über eine uns im Augenblicke beschäftigende
Anlage.
Eine vorhandene Turbine ist für eine Zuflußmenge von 60 Kbkfß. rhld. (1,9 Kubikmtr.)
pro Secunde und für ein nutzbares Gefälle von 6 Fuß
rhld. (1,88 Met.) gebaut, und gibt diese Turbine bei 75 Proc. Nutzeffect eine
Nettoleistung von rund 35 Pfrdst.
Steigt in Folge übermäßigen Wasserzuflusses das Unterwasser um 3 Fuß (0,94 Met.) und
gleichzeitig das Oberwasser nur um 1 Fuß (0,31 Met.), so verbleibt für die Turbine
ein nutzbares Gefälle von nur 6 – 3 + 1 = 4 Fuß (1,25 Met.), und es ist für
dieses Gefälle, wofern der Wirkungsgrad der Turbine nicht fällt, nach bekannten
hydraulischen Gesetzen die effective Leistung nur noch
35 √(4³/6³) = rund 191 Pfrdst.
Die Betriebskraft der Mühle ist also von 35 auf 19 Pfrdst. heruntergegangen, während
doch die verfügbare rohe Wasserkraft im Verhältnisse zum
regulären Wasserzulaufe ganz bedeutend gestiegen ist.
Dieser lästigen Reduction der Turbinenkraft läßt sich aber vorbeugen durch geschickte
Benutzung des überreichlich vorhandenen Freiwassers, und wird in den meisten Fällen
das Freiwasser sogar gestatten, daß die effective Turbinenkraft im Vergleiche zu den
normalen Wasserverhältnissen erhöht werde.
Wird nämlich der Unterwasserstand in der Turbinenkammer durch unsere Saugvorrichtung
um beispielsweise 4 Fuß (1,25 Met.) verringert, das nutzbare Gefälle also auf 4 + 4
= 8 Fuß (2,5 Met.) gebracht, so wird die effective Turbinenleistung, wenn, wie
vorher angenommen, der Nutzeffect constant bleibt, seyn:
35 √(8³/6³) = rund 54 1/2 Pfrdst.
Die Betriebskraft wird also gegen den normalen Zustand um 54 1/2 – 35 = 19 1/2
Pfrdst., gegen den Zustand mit nicht beseitigtem Unterstau um 54 1/2 – 19 =
35 1/2 Pfrdst. vergrößert.
Der Wasserverbrauch der Turbine, welcher bei normalem Gefälle wie erwähnt 60 Kbkfß.
(1,9 Kbkmtr.) pro Secunde beträgt, vermindert sich bei
dem auf 4 Fuß (1,25 Met.) reducirten Gefälle auf circa
49 Kbkfß. (1,67 Kbkmtr.) und wächst für 8 Fuß (2,5 Met.) Gefälle auf circa 71 Kbkfß. (2,13 Kbkmtr.).
Diese 71 Kbkfß. (2,13 Kbkmtr.) Wasser müssen durch die beschriebene Vorrichtung auf
das Niveau des wahren Außenwasserstandes, also auf 4 Fuß (1,25 Met.) gehoben
werden.
Die von uns in neuerer Zeit gebauten Nagel'schen
Wasserstrahlpumpen, welche allerdings in wesentlich anderer Form construirt sind,
als der Versuchsapparat in Fuhlsbüttel, haben zwar einen Wirkungsgrad bis zu 50
Proc. ergeben, aber wir ziehen vor, in Rücksicht darauf, daß die hier zu verwendende
Saugvorrichtung durch ganz besondere Einfachheit sich auszeichnen muß, für obiges
Beispiel einen sehr ungünstigen Nutzeffect, 25 Proc., anzunehmen. Dann wird, da das
im Saugapparate wirksame Gefälle 4 Fuß (1,25 Met.) beträgt, eine Freiwassermenge von
3 × 71 = 213 Kbkfß. (6,39 Kbkmtr.) pro Secunde
aufgewendet werden müssen, um das Turbinengefälle auf 8 Fuß (2,5 Met.) effectiv zu
erhöhen. Bekanntlich ist es gar nichts Ungewöhnliches, daß in wasserreicher Zeit der
Wasserzufluß viel mehr noch als das Vierfache des gewöhnlichen Zuflusses
beträgt.
Je größer die verfügbare Freiwassermenge ist, um so größer wird auch die damit zu
erzielende Gefällerhöhung der Turbine ausfallen, und da die Kraft der Turbine nicht
nur im directen Verhältnisse der Gefällshöhen, sondern sogar im Verhältnisse
√(H³/H³₁) steigt, so wird die Turbinenkraft oftmals auf ganz
bedeutende Höhe gebracht werden können.
Diese übermäßige Krafterhöhung ist für die Praxis meist bedeutungslos, wichtig aber
ist, daß die normale Kraft der Turbinen sowohl wie der Wasserräder unter Anwendung
der beschriebenen Saugvorrichtung nicht mehr zu leiden haben wird unter dem
Einflusse des durch Wasserüberfluß erzeugten Unterstaues. Welcher Vortheil hieraus
für eine große Anzahl unserer in den Niederungen befindlichen Wassermühlen erwächst,
das werden am besten diejenigen würdigen, welche zur Zeit noch unter dem im Eingange
dieses Berichtes geschilderten Uebelstande leiden müssen, nämlich diejenigen, bei
welchen zur Zeit noch ein absoluter Mangel an Betriebskraft gerade dann eintritt,
wenn der natürliche Wasserzufluß und mit ihm die rohe Wasserkraft ihr Maximum
erreicht.
Wir haben unserem vorstehenden Berichte keine Zeichnungen beigegeben und zwar mit
Rücksicht auf die Patentnahme, da uns erst in Preußen das erbetene Patent ertheilt
ist, in anderen Ländern aber die Entscheidung noch schwebt. Vielleicht ist es uns,
wie wir wünschen, gelungen, auch ohne Zeichnung die Idee unserer Vorrichtung klar
auszusprechen, und werden wir nicht verfehlen, seiner Zeit die nähere Beschreibung
und Erläuterung einer praktisch bewährten Anlage zu veröffentlichen.
An Einfachheit der Einrichtung dürfte die beschriebene Saugvorrichtung wenig zu
wünschen übrig lassen und zwar sowohl dann, wenn diese Vorrichtung an die Stelle der
Freischleuse, also getrennt von der Radkammer angebracht ist, als auch dann, wenn
sie mit der Turbine unmittelbar combinirt wird.